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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.02.1988
Aktenzeichen: 260/86
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 7
Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften Art. 13 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 13 Absatz 2 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften bezweckt die Befreiung von jeder innerstaatlichen Besteuerung, die unmittelbar oder mittelbar auf den von den Gemeinschaften ihren Beamten oder sonstigen Bediensteten gezahlten Gehältern, Löhnen und Bezuegen beruht, und steht jeder innerstaatlichen Besteuerung entgegen, die die Beamten oder sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften deshalb unmittelbar oder mittelbar belastet, weil sie ein Gehalt von den Gemeinschaften beziehen, unabhängig von ihrer Natur und ihren Erhebungsvoraussetzungen und selbst dann, wenn die fragliche Steuer nicht nach der Höhe dieses Gehalts berechnet wird.

Gewährt daher ein Mitgliedstaat bei einer Immobiliensteuer, die tatsächlich der Mieter trägt, die Steuerermässigung nicht, wenn der Mieter oder dessen Ehegatte als Beamter oder sonstiger Bediensteter der Gemeinschaften von der innerstaatlichen Steuer auf das von den Gemeinschaften gezahlte Gehalt befreit ist, stellt dies einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus Artikel 13 Absatz 2 des Protokolls dar.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 24. FEBRUAR 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH BELGIEN. - ABSCHAFFUNG DER ERMAESSIGUNGEN DER IMMOBILIENSTEUER FUER DIE BEAMTEN DER GEMEINSCHAFTEN. - RECHTSSACHE 260/86.

Entscheidungsgründe:

1 Mit Klageschrift, die am 16. Oktober 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien dadurch gegen Verpflichtungen aus den Artikeln 13 Absatz 2 und 14 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften ( im folgenden : das Protokoll ) sowie aus Artikel 7 EWG-Vertrag verstossen hat,

- daß es Artikel 17 des Gesetzes vom 10. Februar 1981, der als Artikel 162 § 6 in den Code des impôts sur les revenus ( Einkommensteuergesetzbuch ) übernommen worden ist, erlassen hat,

- daß es diese Vorschriften seit dem Rechnungsjahr 1981 auf Beamte und sonstige Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften anwendet und ihnen damit die Ermässigung der Immobiliensteuer entzieht, die normalerweise Personen gewährt wird, die von ihrem Gehalt eine Steuer an die belgische Staatskasse abführen, ohne ihnen einen Anspruch auf Erstattung einzuräumen.

2 Aus den Akten ergibt sich, daß diese Immobiliensteuer auf den Katastraleinheitswert der in Belgien gelegenen Grundstücke erhoben wird; sie wird vom Eigentümer, Besitzer, Erbpächter, Inhaber eines Eigentumsrechts an Gebäuden und ähnlichem, die sich auf dem Grundstück eines Dritten befinden, oder Nießbraucher der steuerpflichtigen Güter geschuldet. Steuerermässigungen können insbesondere nach Maßgabe der sozialen Lage des Bewohners des Gebäudes gewährt werden. So wird gemäß Artikel 162 §§ 1, 2 und 3 des belgischen Einkommensteuergesetzbuchs je nach Fall eine Ermässigung von 10 oder 20 % gewährt, wenn das Gebäude von einem Schwerkriegsinvaliden, einem Behinderten oder einem Vorstand einer Familie mit mindestens zwei Kindern oder einem Behinderten bewohnt wird. Diese Ermässigungen, die, ungeachtet jeder anderslautenden Vereinbarung, gemäß Artikel 162 § 3 von der Miete abzuziehen sind, werden jedoch gemäß Artikel 162 § 6, eingefügt durch Artikel 17 des Gesetzes vom 10. Februar 1981, nicht gewährt, wenn die Wohnung insbesondere "von einem Mieter, der selbst oder dessen Ehegatte aufgrund internationaler Übereinkommen von der Steuer für natürliche Personen befreit ist", bewohnt wird.

3 Die Klage richtet sich im wesentlichen dagegen, daß aufgrund dieser Steuervorschriften die erwähnte Ermässigung der Immobiliensteuer dann nicht gewährt wird, wenn der Mieter oder sein Ehegatte Beamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Gemeinschaften und in dieser Eigenschaft nach den Vorschriften des Protokolls von der Einkommensteuer für natürliche Personen befreit ist.

4 Wegen weiterer Einzelheiten der streitigen belgischen Rechtsvorschriften, der einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Rüge der Kommission

5 Die erste Rüge stützt sich darauf, daß die in Artikel 162 § 6 des Einkommensteuergesetzbuchs vorgesehene Ausnahme den Artikeln 13 Absatz 2 und 14 des Protokolls sowie Artikel 7 EWG-Vertrag widerspricht.

6 Die Kommission trägt hierzu in erster Linie vor, die streitigen Rechtsvorschriften führten dazu, daß dem Eigentümer des Gebäudes ein höherer Immobiliensteuersatz auferlegt werde, wenn der Mieter ein Beamter oder sonstiger Bediensteter der Gemeinschaften sei. Da die Immobiliensteuer in der wirtschaftlichen Realität vom Eigentümer auf den Mieter abgewälzt werde, trügen letztendlich die Beamten oder sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften die Last des höheren Steuersatzes; dies widerspreche Artikel 13 Absatz 2 des Protokolls, wonach diese Beamten oder sonstigen Bediensteten "von innerstaatlichen Steuern auf die von den Gemeinschaften gezahlten Gehälter, Löhne und Bezuege befreit (( sind ))".

7 Die Kommission macht weiter geltend, daß die beanstandeten Rechtsvorschriften Artikel 14 des Protokolls verletzten, wonach die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften bei Steuern auf andere Einkommen so behandelt würden, als behielten sie den steuerlichen Wohnsitz, den sie zur Zeit ihres Dienstantritts hatten.

8 Schließlich macht die Kommission geltend, daß diese Rechtsvorschriften eine von Artikel 7 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellten, indem sie ohne objektive Rechtfertigung die Arbeitnehmer belgischer Staatsangehörigkeit und die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten seien, als Mieter ihrer Wohnung anders behandelten als die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften, die sich in derselben Situation befänden.

9 Die belgische Regierung bestreitet die ihr zur Last gelegte Vertragsverletzung nicht, beruft sich aber auf die praktischen Schwierigkeiten bei der Aufhebung der streitigen Rechtsvorschriften.

10 Zum Vorwurf der Verletzung des Artikels 13 Absatz 2 des Protokolls ist festzustellen, daß diese Vorschrift nach Wortlaut und Sinn die Befreiung von jeder innerstaatlichen Besteuerung bezweckt, die unmittelbar oder mittelbar auf den von den Gemeinschaften ihren Beamten oder sonstigen Bediensteten gezahlten Gehältern, Löhnen und Bezuegen beruht. Sie steht daher jeder innerstaatlichen Besteuerung entgegen, die die Beamten oder sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften deshalb unmittelbar oder mittelbar belastet, weil sie ein Gehalt von den Gemeinschaften beziehen, unabhängig von ihrer Natur und ihren Erhebungsvoraussetzungen und selbst dann, wenn die fragliche Steuer nicht nach der Höhe dieses Gehalts berechnet wird.

11 Es ist richtig, daß die im vorliegenden Fall betroffenen Schuldner der Immobiliensteuer die Eigentümer und nicht die Mieter des Gebäudes sind. Nichtsdestoweniger tragen in wirtschaftlicher Hinsicht die Mieter des Gebäudes die finanzielle Last der Immobiliensteuer, wenn die Wohnung vermietet ist. Aus diesem Grund sieht Artikel 162 § 3 des Einkommensteuergesetzbuchs vor, daß Steuerermässigungen ungeachtet jeder anderslautenden Vereinbarung von der Miete abzuziehen sind.

12 Damit führt der Umstand, daß die fraglichen Ermässigungen nicht gewährt werden, wenn der Mieter des Gebäudes oder sein Ehegatte Beamter oder sonstiger Bediensteter der Gemeinschaften und in dieser Eigenschaft von der Steuer für natürliche Personen befreit ist, dazu, daß diese Personen, soweit sie die anderen Voraussetzungen der belgischen Rechtsvorschriften für eine Ermässigung erfuellen, gerade deshalb eine zusätzliche finanzielle Last - die Differenz zwischen dem normalen und dem ermässigten Steuersatz - tragen, weil sie ein Gehalt beziehen, das von innerstaatlichen Steuern befreit ist. Eine solche Belastung verstösst gegen die oben dargelegten Anforderungen des Artikels 13 Absatz 2 des Protokolls.

13 Dagegen ist der Vorwurf der Verletzung des Artikels 14 des Protokolls betreffend den steuerlichen Wohnsitz der Beamten oder sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften nicht begründet. Die Kommission hat selbst zugegeben, daß diese Vorschrift einer Immobiliensteuerpflicht dieser Beamten oder sonstigen Bediensteten in Belgien nicht entgegenstehe, selbst wenn sie ihren steuerlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hätten. Sie kann daher auch der Ablehnung etwaiger Ermässigungen dieser Steuer nicht entgegenstehen.

14 Dem Königreich Belgien kann auch keine Verletzung von Artikel 7 EWG-Vertrag vorgeworfen werden. Artikel 162 § 6 des Einkommensteuergesetzbuchs schließt die Ermässigung aus, wenn der Mieter des Gebäudes oder sein Ehegatte Beamter oder sonstiger Bediensteter der Gemeinschaften ist, ohne daß diesbezueglich ein Unterschied zwischen belgischen Staatsangehörigen und Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gemacht würde. Die streitigen Rechtsvorschriften beinhalten daher keine unterschiedliche Behandlung, die auf der Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen beruhte.

15 Nach alledem ist festzustellen, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 13 Absatz 2 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften verstossen hat, daß es keine Ermässigung der Immobiliensteuer gewährt, wenn der Mieter der Wohnung oder sein Ehegatte Beamter oder sonstiger Bediensteter der Gemeinschaften und in dieser Eigenschaft von innerstaatlichen Steuern auf die von den Gemeinschaften gezahlten Gehälter, Löhne und Bezuege befreit ist.

Zur zweiten Rüge der Kommission

16 Die zweite Rüge richtet sich im wesentlichen dagegen, daß das Königreich Belgien die beanstandeten Rechtsvorschriften tatsächlich anwendet und daß es keine Erstattung der in den vergangenen Rechnungsjahren zu Unrecht eingezogenen Beträge vorsieht.

17 Hierzu genügt die Feststellung, daß dieser Vorwurf die Durchführung der streitigen Rechtsvorschriften betrifft und somit nicht als eigenständige Rüge anzusehen ist. Folglich ist darüber nicht gesondert zu entscheiden.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Das Königreich Belgien ist mit seinem Vorbringen unterlegen; es hat daher die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 13 Absatz 2 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften verstossen, daß es keine Ermässigung der Immobiliensteuer gewährt, wenn der Mieter der Wohnung oder sein Ehegatte Beamter oder sonstiger Bediensteter der Gemeinschaften und in dieser Eigenschaft von innerstaatlichen Steuern auf die von den Gemeinschaften gezahlten Gehälter, Löhne und Bezuege befreit ist.

2 ) Das Königreich Belgien trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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