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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.12.1990
Aktenzeichen: 263/88
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Beschluss 80/1186 vom 16.12.1980, Beschluss 86/283 vom 30.06.1986


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169
Beschluss 80/1186 vom 16.12.1980 Art. 137
Beschluss 86/283 vom 30.06.1986 Art. 176
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichtbeachtung der Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus den Normen des Gemeinschaftsrechts ergeben.

2. Bei einer nach Artikel 169 EWG-Vertrag erhobenen Klage wird der Streitgegenstand durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt. Auch wenn der darin gerügte Mangel nach Ablauf der aufgrund des Artikels 169 Absatz 2 gesetzten Frist behoben wird, ist für die Klage noch ein Rechtsschutzinteresse insoweit gegeben, als die Grundlage für eine Haftung geschaffen wird, die möglicherweise einen Mitgliedstaat infolge seiner Pflichtverletzung gegenüber anderen Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft oder einzelnen trifft.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 12. DEZEMBER 1990. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN FRANZOESISCHE REPUBLIK. - NIEDERLASSUNG UND DIENSTLEISTUNGEN - ARZT, KRANKENPFLEGER, HEBAMME, ZAHNARZT, VETERINAER - UEBERSEEISCHE LAENDER UND GEBIETE. - RECHTSSACHE 263/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 23. September 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Französische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 137 des Beschlusses 80/1186/EWG des Rates vom 16. Dezember 1980 (ABl. L 361, S. 1) und aus Artikel 176 des Beschlusses 86/283/EWG des Rates vom 30. Juni 1986 (ABl. L 175, S. 1) über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verstossen hat, indem sie nicht die erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um es den Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, die Inhaber eines einschlägigen französischen Diploms sind, zu ermöglichen, sich in dem überseeischen Gebiet Französisch-Polynesien als Arzt, allgemeiner Krankenpfleger, Hebamme, Zahnarzt und Tierarzt sowie in Neukaledonien und Nebengebieten als Tierarzt niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen.

2 Die beiden zitierten Beschlüsse bestimmen wortgleich folgendes:

"Hinsichtlich der Niederlassungs- und Dienstleistungsregelung wenden die zuständigen Behörden der Länder und Gebiete gegenüber den Staatsangehörigen und Gesellschaften der Mitgliedstaaten keine diskriminierende Behandlung an. Ist jedoch bei einer bestimmten Tätigkeit ein Mitgliedstaat nicht in der Lage, den in einem Land oder Gebiet ansässigen Staatsangehörigen oder Gesellschaften der Französischen Republik, des Königreichs der Niederlande oder des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland sowie den Gesellschaften, die den Rechtsvorschriften des betreffenden Landes oder Gebietes unterliegen und dort niedergelassen sind, eine gleichartige Behandlung einzuräumen, so ist die zuständige Behörde dieses Landes oder Gebietes nicht gehalten, eine solche Behandlung zu gewähren."

3 Die Kommission war der Auffassung, die in den französischen überseeischen Gebieten bestehende Regelung dieser Berufe sei mit den zitierten Beschlüssen des Rates unvereinbar, und gab nach einem Briefwechsel, in dem die französische Regierung die beanstandete Vertragsverletzung nicht bestritten hatte, am 27. Mai 1987 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab.

4 Mit Schreiben vom 3. August 1987 und vom 22. Januar 1988 unterrichteten die französischen Behörden die Kommission von der Entwicklung der Rechtsvorschriften in den überseeischen Gebieten. Daraus geht hervor, daß diese Vorschriften zum damaligen Zeitpunkt in Neukaledonien hinsichtlich der Tierärzte und in Französisch-Polynesien hinsichtlich aller fünf Berufe noch nicht geändert worden waren. Als die Kommission in der Folge keine Mitteilung über den Stand der betreffenden Regelung erhielt, hat sie die vorliegende Klage, die nur die beiden erwähnten Gebiete betrifft, erhoben.

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

6 Die französische Regierung bestreitet die Vertragsverletzung nicht, macht jedoch geltend, daß die Verzögerung bei der Anpassung des nationalen Rechts an das Gemeinschaftsrecht auf die Besonderheit der Gebietsorganisation in den überseeischen Gebieten und darauf zurückzuführen sei, daß diese Angelegenheit die jeweiligen Zuständigkeiten der zentralen und lokalen Behörden in Frage stelle.

7 Nach ständiger Rechtsprechung kann sich jedoch ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichtbeachtung der Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus den Normen des Gemeinschaftsrechts ergeben (Urteil vom 3. Oktober 1984 in der Rechtssache 254/83, Kommission/Italienische Republik, Slg. 1984, 3395).

8 Die französische Regierung verweist auch darauf, daß in Neukaledonien ein Beschluß des Kongresses des Gebiets Neukaledonien und Nebengebiete verabschiedet worden sei, durch den die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit für Ärzte und Tierärzte auf alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die Inhaber des einschlägigen französischen Diploms seien, ausgedehnt worden sei.

9 Diese Maßnahme erfolgte jedoch nach Klageerhebung. Bei einer nach Artikel 169 EWG-Vertrag erhobenen Klage wird der Streitgegenstand durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt. Auch wenn der darin gerügte Mangel nach Ablauf der aufgrund des Artikels 169 Absatz 2 gesetzten Frist behoben wird, ist für die Klage noch ein Rechtsschutzinteresse insoweit gegeben, als die Grundlage für eine Haftung geschaffen wird, die möglicherweise einen Mitgliedstaat infolge seiner Pflichtverletzung gegenüber anderen Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft oder einzelnen trifft.

10 Die Französische Republik hat somit dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 137 des Beschlusses 80/1186 des Rates vom 16. Dezember 1980 und aus Artikel 176 des Beschlusses 86/283 des Rates vom 30. Juni 1986 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verstossen, daß sie nicht alle erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um es den Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, die Inhaber eines einschlägigen französischen Diploms sind, zu ermöglichen, sich in dem überseeischen Gebiet Französisch-Polynesien als Arzt, allgemeiner Krankenpfleger, Hebamme, Zahnarzt und Tierarzt niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen, und daß sie die erforderlichen Bestimmungen für die Ausübung des Berufs des Tierarztes in Neukaledonien und Nebengebieten nicht fristgerecht erlassen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

11 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik mit ihrem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 137 des Beschlusses 80/1186/EWG des Rates vom 16. Dezember 1980 und aus Artikel 176 des Beschlusses 86/283/EWG des Rates vom 30. Juni 1986 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verstossen, daß sie nicht alle erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um es den Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, die Inhaber eines einschlägigen französischen Diploms sind, zu ermöglichen, sich in dem überseeischen Gebiet Französisch-Polynesien als Arzt, allgemeiner Krankenpfleger, Hebamme, Zahnarzt und Tierarzt niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen, und daß sie die erforderlichen Bestimmungen für die Ausübung des Berufs des Tierarztes in Neukaledonien und Nebengebieten nicht fristgerecht erlassen hat.

2) Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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