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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.07.1988
Aktenzeichen: 289/86
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 99
EWG-Vertrag Art. 100
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die unerlaubte Lieferung von Betäubungsmitteln innerhalb eines Mitgliedstaats, die ebenso wie deren Einfuhr in die Gemeinschaft nur Anlaß zu Strafverfolgungsmaßnahmen geben kann, steht zu den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in keinerlei Beziehung. Artikel 2 dieser Richtlinie ist somit dahin auszulegen, daß bei der unerlaubten Lieferung von Betäubungsmitteln, die innerhalb eines Mitgliedstaats gegen Entgelt ausgeführt wird, keine Umsatzsteuerschuld entsteht, soweit diese Erzeugnisse nicht Gegenstand des von den zuständigen Behörden streng überwachten Vertriebs zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke sind.

Diese Feststellung berührt in keiner Weise die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, Verstösse gegen ihre Betäubungsmittelvorschriften durch angemessene Sanktionen zu verfolgen, und zwar mit allen Rechtsfolgen auch finanzieller Art, die sich daraus ergeben können.

Auch die unerlaubte Lieferung von Betäubungsmitteln aus Hanf unterliegt nicht der Mehrwertsteuer, und zwar auch dann nicht, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats im Rahmen einer selektiven Strafverfolgungspolitik gegen den Kleinhandel mit diesen Betäubungsmitteln nicht systematisch strafrechtlich vorgehen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 5. JULI 1988. - VERENIGING HAPPY FAMILY GEGEN INSPECTEUR DER OMZETBELASTING. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM GERECHTSHOF AMSTERDAM. - MEHRWERTSTEUER AUF DIE ILLEGALE LIEFERUNG VON BETAEUBUNGSMITTELN INNERHALB EINES MITGLIEDSTAATS. - RECHTSSACHE 289/86.

Entscheidungsgründe:

1 Der Gerechtshof Amsterdam hat mit Urteil vom 28. Oktober 1986, beim Gerichtshof eingegangen am 24. November 1986, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie ( 77/388 ) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( ABl. L 145, S. 1; im folgenden : Sechste Richtlinie ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Vereniging Happy Family Rustenburgerstraat - einer soziokulturellen Vereinigung, die ein Jugendzentrum betreibt, in dem die Besucher unter anderem bei einem "Hausdealer" Haschisch kaufen können - und der niederländischen Finanzverwaltung, die die in diesem Jugendzentrum getätigten Haschischverkäufe der Umsatzsteuer unterworfen hat.

3 Haschisch wird aus indischem Hanf gewonnen; es darf nach dem niederländischen Betäubungsmittelgesetz ( der Opiumwet ) in den Niederlanden nicht verkauft, abgegeben oder verschafft werden. In den Richtlinien für die niederländische Staatsanwaltschaft über die Ermittlung und die Strafverfolgung von Straftaten nach der Opiumwet ( Nederlandse Staatscourant vom 18. 7. 1980, Nr. 137, S. 7 ) heisst es in bezug auf den Kleinhandel mit Hanferzeugnissen und den Hausdealer jedoch unter anderem :

"Als Hausdealer wird ein Händler von Hanferzeugnissen angesehen, der mit dem Vertrauen und unter dem Schutz der Leitung eines Jugendzentrums unter Ausschluß anderer Personen die Gelegenheit erhält, in diesem Jugendzentrum Hanferzeugnisse zu verkaufen. Der Hausdealer fällt grundsätzlich unter die Strafbestimmung des Artikels 11 Absatz 2 der Opiumwet, die unter anderem gegen Personen gerichtet ist, die mit den im Anhang II aufgeführten Stoffen Handel treiben.

Bei den Ermittlungen wegen dieses Kleinhandels steht dessen relative Priorität im Vordergrund;... nach dem System der Opiumwet wird die höchste Priorität den Ermittlungen wegen des Handels mit Betäubungsmitteln mit unvertretbaren Risiken eingeräumt. Die geringere Priorität der Ermittlungen wegen des Kleinhandels mit Hanferzeugnissen bedeutet in der Praxis, daß die Polizei den Kleinhändler nur dann mit der Staatsanwaltschaft konfrontiert, wenn er als solcher öffentlich für sich wirbt oder seinen Handel auf andere Weise anstosserregend betreibt."

4 Die Vereniging Happy Family hat in ihrer Klage gegen die Besteuerung des mit diesen Haschischverkäufen erzielten Umsatzes unter anderem auf das Urteil des Gerichtshofes vom 28. Februar 1984 in der Rechtssache 294/82 ( Einberger II, Slg. 1984, 1177 ) verwiesen, wonach bei der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln grundsätzlich keine Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht.

5 Um diesen Rechtsstreit entscheiden zu können, hat der Gerechtshof dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt :

"1 ) Ist Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates im Anschluß an das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 28. Februar 1984 in der Rechtssache 294/82 dahin auszulegen, daß auch bei der Lieferung von Betäubungsmitteln innerhalb eines Mitgliedstaats keine Umsatzsteuerschuld entsteht?

2 ) Falls die erste Frage bejaht wird : Betrifft diese Antwort dann die Lieferung aller Arten von Betäubungsmitteln, insbesondere auch die Lieferung von Hanferzeugnissen?

3 ) Falls auch die zweite Frage bejaht wird : Kann der Umstand, daß wegen einer zurückhaltenden Strafverfolgungspolitik der zuständigen Justizbehörden unter Umständen verbotene Lieferungen von Hanferzeugnissen vorgenommen werden können, ohne daß strafrechtlich eingegriffen wird, zu einer anderen Beurteilung der Frage führen, ob bei der Lieferung derartiger Erzeugnisse eine Umsatzsteuerschuld entsteht?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits und der vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

7 Diese Frage geht im Kern dahin, ob Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie in dem Sinne auszulegen ist, daß bei der unerlaubten Lieferung von Betäubungsmitteln innerhalb eines Mitgliedstaats keine Umsatzsteuerschuld entsteht.

8 In dem bereits erwähnten Urteil vom 28. Februar 1984 hat der Gerichtshof Artikel 2 Nr. 2 der Sechsten Richtlinie dahin ausgelegt, daß bei der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in die Gemeinschaft, die nicht Gegenstand des von den zuständigen Stellen streng überwachten Vertriebs zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke sind, keine Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht.

9 Die Vereniging Happy Family und die Kommission sind der Ansicht, diese Rechtsprechung müsse auf den Bereich der Inlandsumsätze übertragen werden. Der Gerichtshof habe seine Entscheidung nämlich im wesentlichen auf die Erwägung gestützt, daß Betäubungsmittel als solche einem vollständigen Einfuhr - und Verkehrsverbot in der Gemeinschaft unterlägen; daher falle auch die Lieferung derartiger Betäubungsmittel im Inland nicht in den Geltungsbereich der Sechsten Richtlinie.

10 Die niederländische und die französische Regierung sowie die Bundesregierung machen geltend, das genannte Urteil betreffe nur die unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln und präjudiziere daher nicht die Entscheidung über deren Lieferung im Inland, zumal der Gerichtshof in jenem Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß wirtschaftliche und rechtliche Unterschiede zwischen diesen beiden Umsätzen bestuenden. Bei der Einfuhr sei der Entstehungstatbestand für die Mehrwertsteuer nämlich im Kern derselbe wie für den Zoll, während die Lieferung im Inland nur steuerbar sei, wenn sie ein Steuerpflichtiger als solcher gegen Entgelt ausführe.

11 In Anbetracht dieser unterschiedlichen Argumente ist daran zu erinnern, daß die Mehrwertsteuer nach Artikel 2 der Sechsten Richtlinie Anwendung findet auf

"1 ) Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2 ) die Einfuhr von Gegenständen."

12 In diesem Zusammenhang ist vorab festzustellen, daß sich die Vorabentscheidungsfrage des vorlegenden Gerichts ausschließlich auf die unerlaubte Lieferung von Betäubungsmitteln innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats bezieht. Die Frage, ob ein derartiger Umsatz der Mehrwertsteuer unterliegt, war noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Gerichtshofes; abgesehen von den Urteilen über die zollrechtliche Behandlung eingeschmuggelter Betäubungsmittel war der Gerichtshof in dem erwähnten Urteil vom 28. Februar 1984 nur mit der Auslegung von Artikel 2 Nr. 2 der Sechsten Richtlinie im Zusammenhang mit der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in die Gemeinschaft befasst. Jenes Urteil enthält keine Aussage zur Frage unerlaubter Lieferungen im Inland.

13 Da die Richtlinie keine ausdrücklichen Bestimmungen hierzu enthält, stellt sich zunächst die Frage, ob die unerlaubte Lieferung von Betäubungsmitteln im Inland einen steuerbaren Umsatz darstellt oder ob die Richtlinie dahin auszulegen ist, daß sie die Entscheidung darüber den Mitgliedstaaten überlässt.

14 Dazu ist festzustellen - wie der Gerichtshof in dem erwähnten Urteil in bezug auf die Einfuhr von Betäubungsmitteln ausgeführt hat -, daß die Richtlinie nicht dahin ausgelegt werden kann, als klammere sie diese Frage aus ihrem Anwendungsbereich aus. Diese Auslegung wäre unvereinbar mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel einer umfassenden Harmonisierung auf diesem Gebiet, insbesondere hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer.

15 Sodann ist zu prüfen, ob sich aus dem Zusammenhang und der Zielsetzung der Sechsten Richtlinie ergibt, daß diese der Erhebung der Mehrwertsteuer auf Betäubungsmittel bei deren unerlaubter Lieferung im Inland entgegensteht.

16 Insoweit ist festzustellen, daß die Sechste Richtlinie auf die Artikel 99 und 100 EWG-Vertrag gestützt ist und die Harmonisierung bzw. Angleichung des Umsatzsteuerrechts der Mitgliedstaaten "im Interesse des Gemeinsamen Marktes" zum Ziel hat. Nach ihrer dritten und vierten Begründungserwägung soll die Einführung eines gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zur effektiven Freizuegigkeit der Personen, zur effektiven Liberalisierung des Güter -, Dienstleistungs - und Kapitalverkehrs und zur Verflechtung der Volkswirtschaften sowie zur Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes beitragen, auf dem ein gesunder Wettbewerb herrscht und der mit einem echten Binnenmarkt vergleichbare Merkmale aufweist.

17 Da die Schädlichkeit der Betäubungsmittel allgemein anerkannt ist, ist ihr Vertrieb in allen Mitgliedstaaten verboten; lediglich ein streng überwachter Handel, der der Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke dient, ist davon ausgenommen. Wie der Gerichtshof in dem Urteil vom 28. Februar 1984 zur Frage ihrer unerlaubten Einfuhr in die Gemeinschaft bereits entschieden hat, unterliegen diese Erzeugnisse als solche in der Gemeinschaft einem vollständigen Einfuhr - und Verkehrsverbot. Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, daß derartige Erzeugnisse, deren Einführung in den Wirtschafts - und Handelskreislauf der Gemeinschaft völlig ausgeschlossen ist und deren unerlaubte Einfuhr nur Anlaß zu Strafverfolgungsmaßnahmen geben kann, zu den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie über die Definition der Bemessungsgrundlage und somit zu den Bestimmungen über das Entstehen einer Umsatzsteuerschuld in keinerlei Beziehung stehen.

18 Diese Erwägungen gelten auch für die Erhebung der Mehrwertsteuer bei der Lieferung im Inland. Der unerlaubte Handel mit Betäubungsmitteln im Inland, der ebenfalls nur Anlaß zu Strafverfolgungsmaßnahmen geben kann, steht nämlich ebensowenig wie die unerlaubte Einfuhr dieser Betäubungsmittel in irgendeiner Beziehung zu den vorerwähnten Zielen der Sechsten Richtlinie und somit zum Entstehen einer Umsatzsteuerschuld.

19 Die gegenteilige Auffassung der drei Regierungen, die dem Verfahren beigetreten sind, scheint von der Befürchtung bestimmt zu sein, daß sich der unerlaubte Handel mit Betäubungsmitteln in der Rechtsprechung nicht von anderen illegalen wirtschaftlichen Tätigkeiten abgrenzen lasse, so daß durch eine steuerliche Begünstigung des illegalen Handels im allgemeinen der Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität des Mehrwertsteuersystems verletzt werde.

20 Dazu ist festzustellen, daß der Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität bei der Erhebung der Mehrwertsteuer tatsächlich eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften verbietet. Dies gilt jedoch nicht für die Lieferung von Erzeugnissen wie Betäubungsmittel, die insoweit besondere Merkmale aufweisen, als sie - mit Ausnahme eines streng überwachten Vertriebs zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke - schon nach ihrem Wesen in allen Mitgliedstaaten einem vollständigen Verkehrsverbot unterliegen. In einer derartigen besonderen Situation, in der jeder Wettbewerb zwischen einem legalen und einem illegalen Wirtschaftssektor ausgeschlossen ist, kann die Freistellung von der Mehrwertbesteuerung den Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität nicht berühren.

21 Aus demselben Grund kann den drei Regierungen auch nicht gefolgt werden, soweit sie sich in diesem Zusammenhang auf Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie berufen, wonach jede wirtschaftliche Tätigkeit der Mehrwertsteuer unterliegt, "gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis" sie ausgeuebt wird. Zwar erfasst diese Bestimmung mit der Definition des Begriffs des Steuerpflichtigen allgemein wirtschaftliche Tätigkeiten, ohne zwischen erlaubten und unerlaubten Tätigkeiten zu unterscheiden; dies ist jedoch für die steuerliche Behandlung von Betäubungsmitteln ohne Bedeutung, da diese Erzeugnisse bereits von dem in Artikel 2 der Sechsten Richtlinie festgelegten Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer ausgenommen sind.

22 Diese Feststellung berührt in keiner Weise die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, Verstösse gegen ihre Betäubungsmittelvorschriften durch angemessene Sanktionen zu verfolgen, und zwar mit allen Rechtsfolgen auch finanzieller Art, die sich daraus ergeben können.

23 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß bei der unerlaubten Lieferung von Betäubungsmitteln innerhalb eines Mitgliedstaats keine Umsatzsteuerschuld entsteht, soweit diese Erzeugnisse nicht Gegenstand des von den zuständigen Behörden streng überwachten Vertriebs zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke sind.

Zur zweiten und zur dritten Frage

24 Diese Fragen gehen im wesentlichen dahin, ob auch die unerlaubte Lieferung von Betäubungsmitteln aus Hanf dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer entzogen ist, und zwar auch in dem besonderen Fall, daß die Behörden eines Mitgliedstaats im Rahmen einer selektiven Strafverfolgungspolitik gegen den Kleinhandel mit diesen Betäubungsmitteln nicht systematisch strafrechtlich vorgehen.

25 Dazu ist einleitend zu bemerken, daß ausweislich der Akten für Betäubungsmittel aus Hanf, selbst wenn sie in dem einen oder anderen Mitgliedstaat als "weiche Drogen" eingestuft werden, in der Gemeinschaft ein vollständiges gesetzliches Einfuhr - und Verkehrsverbot gilt. Ausserdem gehört diese Art von Betäubungsmittel zu den Stoffen, bei denen nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe ( Recüil des traités des Nations unies, 520, Nr. 7515 ), dem alle Mitgliedstaaten beigetreten sind, unter anderem die Einfuhr und der Handel ausschließlich auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke zu beschränken sind.

26 Die Antwort auf die erste Vorlagefrage gilt also auch für Betäubungsmittel aus Hanf als solche.

27 Zu der Frage, ob eine andere Entscheidung geboten ist, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats wie im vorliegenden Fall unter bestimmten Umständen davon absehen, gegen den Kleinhandel mit diesen Betäubungsmitteln vorzugehen, trägt die Kommission vor, in einem solchen Fall habe man es mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu tun, die nicht nach ihrer Natur illegal sei. Mit ihrem Verzicht auf Strafverfolgung duldeten die zuständigen Behörden nämlich diese Tätigkeit, was praktisch auf deren Legalisierung hinauslaufe. Es sei aber nicht gerechtfertigt, eine derartige wirtschaftliche Tätigkeit der Mehrwertsteuer zu entziehen.

28 Die niederländische Regierung macht geltend, selbst wenn gegen den Verkauf von Betäubungsmitteln aus Hanf unter bestimmten Umständen nicht systematisch strafrechtlich vorgegangen werde, bleibe dieses Geschäft dennoch gesetzlich verboten. An dieser Illegalität ändere die Tatsache nichts, daß zum Zwecke einer effizienten Strafverfolgung eine gewisse Priorität der Verfolgung anderer Straftaten eingeräumt werde, die die zuständigen Behörden als gefährlicher einschätzten. Diese Politik sei Ausdruck des in den Niederlanden anerkannten strafrechtlichen Grundsatzes, wonach die Staatsanwaltschaft nicht alle ihr zur Kenntnis gebrachten Straftaten verfolgen müsse, sondern in diesem Bereich nach Opportunitätsgesichtspunkten vorgehen könne.

29 Dazu ist zunächst festzustellen, daß das vollständige Verkehrsverbot für Betäubungsmittel nicht schon dadurch eingeschränkt wird, daß die mit seiner Durchsetzung betrauten nationalen Behörden in Anbetracht der erwiesenermassen begrenzten personellen und materiellen Ausstattung und in dem Bestreben, die zur Drogenbekämpfung verfügbaren Mittel konzentriert einzusetzen, der Verfolgung einer bestimmten Art des Drogenhandels eine geringere Priorität einräumen, weil sie andere Arten für gefährlicher halten. Eine solche Vorgehensweise kann insbesondere nicht zur Gleichstellung des unerlaubten Drogenhandels mit dem von den zuständigen Stellen streng überwachten Vertrieb im medizinischen und wissenschaftlichen Bereich führen. Dieser Vertrieb ist nämlich tatsächlich legalisiert, während der verbotene Handel, selbst wenn er in bestimmten Grenzen toleriert wird, unerlaubt bleibt und gegen ihn jederzeit polizeilich vorgegangen werden kann, wenn die zuständigen Behörden dies für angebracht halten.

30 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die auf Gemeinschaftsebene erreichte Harmonisierung des Mehrwertsteuersystems beeinträchtigt würde, wenn der Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer in bezug auf ein unerlaubtes Geschäft von den jeweiligen Verfolgungspraktiken in dem einen oder anderen Mitgliedstaat abhinge, obwohl das für dieses Geschäft geltende grundsätzliche Verbot in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht in Frage gestellt ist.

31 Auf die zweite und die dritte Frage ist daher zu antworten, daß auch die unerlaubte Lieferung von Betäubungsmitteln aus Hanf nicht der Mehrwertsteuer unterliegt, und zwar auch dann nicht, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats im Rahmen einer selektiven Strafverfolgungspolitik gegen den Kleinhandel mit diesen Betäubungsmitteln nicht systematisch strafrechtlich vorgehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

32 Die Auslagen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, des Königreichs der Niederlande und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )

auf die ihm vom Gerechtshof Amsterdam mit Urteil vom 28. Oktober 1986 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ist dahin auszulegen, daß bei der unerlaubten Lieferung von Betäubungsmitteln innerhalb eines Mitgliedstaats keine Umsatzsteuerschuld entsteht, soweit diese Erzeugnisse nicht Gegenstand des von den zuständigen Behörden streng überwachten Vertriebs zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke sind.

2 ) Dies gilt auch für die unerlaubte Lieferung von Betäubungsmitteln aus Hanf, und zwar auch dann, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats im Rahmen einer selektiven Strafverfolgungspolitik gegen den Kleinhandel mit diesen Betäubungsmitteln nicht systematisch strafrechtlich vorgehen.

Ende der Entscheidung

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