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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.02.1988
Aktenzeichen: 299/86
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 95 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß, wenn eine Privatperson einen Gegenstand aus einem anderen Mitgliedstaat einführt, ohne daß insoweit eine Steuerentlastung bei der Ausfuhr oder eine Steuerbefreiung im Einfuhrmitgliedstaat gewährt worden ist, für die Erhebung der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr der Restbetrag der im Ausfuhrmitgliedstaat entrichteten und im Zeitpunkt der Einfuhr noch im Wert des Gegenstands enthaltenen Mehrwertsteuer in der Weise zu berücksichtigen ist, daß dieser Restbetrag nicht in die Besteuerungsgrundlage einbezogen wird und von der bei der Einfuhr geschuldeten Mehrwertsteuer abgezogen wird.

2. Zwar unterscheiden sich Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr von Verstössen gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf inländische Lieferungen von Gegenständen durch verschiedene Umstände, die sowohl die Tatbestandsmerkmale des Verstosses als auch seine mehr oder weniger leichte Aufdeckung betreffen und die es mit sich bringen, daß die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, beide Kategorien von Verstössen ein und derselben Regelung zu unterwerfen, jedoch ist ein offensichtlich unverhältnismässiger Unterschied in der Strenge der für die beiden Kategorien von Verstössen vorgesehenen Sanktionen nicht gerechtfertigt. Ein solches Mißverhältnis liegt vor, wenn die für Verstösse bei der Einfuhr geltende Sanktion regelmässig Gefängnisstrafen und die Einziehung der Ware nach den Vorschriften zur Bekämpfung des Bannbruchs umfasst, während bei einem Verstoß gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf Inlandsgeschäfte vergleichbare Sanktionen nicht vorgesehen sind oder nicht allgemein verhängt werden. Eine solche Rechtslage, die den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft beeinträchtigen kann, ist mit Artikel 95 EWG-Vertrag unvereinbar.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 25. FEBRUAR 1988. - STRAFVERFAHREN GEGEN RAINER DREXL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER CORDE D'APPELLO DI GENOVA. - UMSATZSTEUER BEI DER EINFUHR VON WAREN DURCH PRIVATPERSONEN. - RECHTSSACHE 299/86.

Entscheidungsgründe:

1 Die Corte d' appello Genua hat mit Beschluß vom 12. November 1986, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Dezember 1986, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 95 EWG-Vertrag vorgelegt, um feststellen zu können, ob die italienischen Rechtsvorschriften über die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Erzeugnisse, die von einer Privatperson aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt worden sind, mit dieser Bestimmung vereinbar sind.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Strafverfahren gegen den deutschen Staatsangehörigen Rainer Drexl, wohnhaft in Loano, Italien, der wegen Bannbruchs angeklagt ist, weil er ein Kraftfahrzeug aus der Bundesrepublik Deutschland unerlaubt eingeführt haben soll, indem er dieses Fahrzeug in das italienische Hoheitsgebiet verbracht und es dort benutzt habe, ohne den Bestimmungen über die vorübergehende Einfuhr zu genügen.

3 Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß der Angeklagte in der Bundesrepublik Deutschland einen dort zugelassenen Gebrauchtwagen des Typs Volkswagen Golf gekauft hatte, während er weiterhin in Italien wohnhaft war, wo er den Beruf des Zahntechnikers ausübte.

4 Die Pretura Albenga als erstinstanzliches Gericht bezifferte die Mehrwertsteuerhinterziehung auf 1 134 000 LIT, das heisst 18 % des nicht bestrittenen Wertes des Gebrauchtfahrzeugs. Es verurteilte den Angeklagten unter Zuerkennung mildernder Umstände zu einer Geldstrafe von 1 600 000 LIT, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Fahrzeug wurde eingezogen.

5 Vor der Corte d' appello machte der Angeklagte unter anderem geltend, daß das betreffende Fahrzeug in der Bundesrepublik Deutschland ordnungsgemäß erworben und zugelassen und die Mehrwertsteuer zum Satz von 13 % in Höhe von 2 148,57 DM entrichtet worden sei.

6 Aufgrund dieser Umstände hat die Corte d' appello Genua das Verfahren ausgesetzt, um dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen :

"1 ) Verwehren die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften betreffend die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer ( Artikel 95 EWG-Vertrag ) es den Mitgliedstaaten, Einfuhren von Kraftfahrzeugen aus einem anderen Mitgliedstaat, die dort unter Zahlung der Mehrwertsteuer erworben und zugelassen wurden, der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, ohne daß der Restbetrag der im Ausfuhrmitgliedstaat entrichteten Mehrwertsteuer berücksichtigt wird, der in dem Wert der Ware zum Zeitpunkt ihrer Einfuhr noch enthalten ist?

2 ) Stellt die Mehrwertsteuer, die ein Mitgliedstaat bei der Einfuhr erhebt, ohne den Restbetrag der im Wert der Ware noch enthaltenen Steuer zu berücksichtigen, wenn eine solche Steuer bei der Lieferung der gleichen Waren unter Privatpersonen innerhalb dieses Staates nicht erhoben wird, eine inländische Abgabe dar, die höher ist als diejenige, die auf gleichartige inländische Waren erhoben wird, und somit nach Artikel 95 EWG-Vertrag verboten ist?

3 ) Stehen die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, die die Einfuhr und die Lieferung desselben Gegenstands innerhalb des Mitgliedstaats demselben Steuersatz unterwerfen, einer nationalen Regelung entgegen, die für die Nichtzahlung der Steuer bei der Einfuhr Sanktionen vorsieht, die sich nach Art und Umfang von den Sanktionen für die Nichtzahlung der Steuer für Inlandsgeschäfte unterscheiden? Stehen insbesondere die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über ein einheitliches Steuersystem und über die Abschaffung der Zölle innerhalb der Gemeinschaft in Verbindung mit den vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätzen der Verhältnismässigkeit und der Nichtdiskriminierung einer nationalen Vorschrift ( Artikel 70 des Dekrets des Präsidenten der Republik Nr. 633 vom 26. Oktober 1972 ) entgegen, die Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr aus Mitgliedstaaten im Unterschied zu gleichartigen Verstössen im Zusammenhang mit Lieferungen derselben Gegenstände innerhalb des Staates ( Artikel 50 des Dekrets des Präsidenten der Republik ) als Bannbruch behandelt und auf sie die Sanktionen ( auch strafrechtlicher Art ) anwendet, die in den zollrechtlichen Bestimmungen über Ein - und Ausgangsabgaben vorgesehen sind?"

7 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens sowie der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 In den ersten beiden Fragen, die gemeinsam zu beantworten sind, geht es darum, in welcher Höhe ein Mitgliedstaat Mehrwertsteuer bei der Einfuhr von einer Privatperson erheben kann, die einen gebrauchten Gegenstand aus einem anderen Mitgliedstaat einführt. Die dritte Frage betrifft ein anderes Problem, nämlich das der Sanktionen, die bei Verstössen gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer verhängt werden und die im Falle von Einfuhren strenger sind als bei inländischen Geschäften.

Zur ersten und zweiten Frage

9 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß aufgrund der Artikel 99 und 100 EWG-Vertrag durch Gemeinschaftsrichtlinien ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem eingeführt worden ist. Nach Artikel 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. März 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( ABl. L 145, S. 1 ) unterliegen der Mehrwertsteuer nicht nur die Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger im Inland gegen Entgelt erbringt, sondern auch die Einfuhr von Gegenständen, sei es durch einen Steuerpflichtigen oder durch eine Privatperson. Um die Neutralität des gemeinsamen Systems in bezug auf den Ursprung der Gegenstände zu wahren, soll die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr eingeführte und gleichartige einheimische Erzeugnisse hinsichtlich der steuerlichen Belastung beider Warengruppen gleichstellen.

10 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes darf die Erhebung der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr nicht zur Folge haben, daß ein eingeführtes Erzeugnis doppelt besteuert wird, weil ein solches Ergebnis gegen Artikel 95 EWG-Vertrag verstossen würde. Dieses Problem stellt sich namentlich dann, wenn eine Privatperson einen Gegenstand aus einem anderen Mitgliedstaat einführt, ohne in den Genuß einer Steuerbefreiung zu kommen; denn ein solcher Gegenstand ist schon mit der Mehrwertsteuer dieses Mitgliedstaats belastet, da es bei seiner Ausfuhr nicht zu einer Entlastung gekommen ist, wie sie dann erfolgt, wenn der Ausführer Steuerpflichtiger ist.

11 Der Gerichtshof hat hieraus den Schluß gezogen, daß bei der Einfuhr von Gegenständen aus einem anderen Mitgliedstaat durch eine Privatperson, soweit der betreffende Gegenstand bei der Ausfuhr nicht steuerlich entlastet worden ist, Einfuhrmehrwertsteuer nur insoweit erhoben werden darf, als der Restbetrag der im Ausfuhrmitgliedstaat entrichteten Mehrwertsteuer, der in dem Wert der Ware zum Zeitpunkt ihrer Einfuhr noch enthalten ist, berücksichtigt wird.

12 In seinem Urteil vom 21. Mai 1985 in der Rechtssache 47/84 ( Gaston Schul, Slg. 1985, 1491 ) hat der Gerichtshof entschieden, daß bei der Berechnung der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr der Betrag der im Ausfuhrmitgliedstaat entrichteten Mehrwertsteuer, der noch im Wert der Ware enthalten ist, in der Weise zu berücksichtigen ist, daß dieser Betrag nicht in die Besteuerungsgrundlage einbezogen wird und darüber hinaus von der bei der Einfuhr geschuldeten Steuer abgezogen wird.

13 Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, daß Artikel 95 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß, wenn eine Privatperson einen Gegenstand aus einem anderen Mitgliedstaat einführt, ohne daß insoweit eine Steuerentlastung bei der Ausfuhr oder eine Steuerbefreiung im Einfuhrmitgliedstaat gewährt worden ist, für die Erhebung der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr der Restbetrag der im Ausfuhrmitgliedstaat entrichteten und zum Zeitpunkt der Einfuhr noch im Wert des Gegenstands enthaltenen Mehrwertsteuer in der Weise zu berücksichtigen ist, daß dieser Restbetrag nicht in die Besteuerungsgrundlage einbezogen wird und von der bei der Einfuhr geschuldeten Mehrwertsteuer abgezogen wird.

Zur dritten Frage

14 Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob eine Sanktionsregelung, die für Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr strengere Sanktionen vorsieht als für solche gegen Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf Inlandsgeschäfte gegen Artikel 95 EWG-Vertrag, den Gleichbehandlungsgrundsatz und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstösst.

15 Aus den Akten geht hervor, daß die italienischen Rechtsvorschriften zwischen diesen beiden Kategorien von Verstössen unterscheiden. Auf Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr finden nämlich die Zollvorschriften Anwendung, während für Verstösse gegen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Zahlung der Mehrwertsteuer auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen im Inland eine andere Regelung gilt. Es steht fest, daß die im Rahmen der letztgenannten Regelung vorgesehenen Sanktionen im allgemeinen weniger streng sind als die Sanktionen nach den Zollvorschriften.

16 Insoweit führt die italienische Regierung zunächst aus, daß die Mitgliedstaaten die ausschließliche Zuständigkeit auf dem Gebiet der Sanktionen von Verstössen gegen ihr Steuerrecht behalten hätten und daß diese Zuständigkeit weder durch Artikel 95 EWG-Vertrag und die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismässigkeit beschränkt sei noch von der Harmonisierung auf dem Gebiet der Umsatzsteuern berührt werde, weil diese nur die materiellen Bestimmungen der nationalen Rechte unter Ausschluß strafrechtlicher Fragen betreffe.

17 Diesem Vorbringen kann in seiner Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Zwar fallen Strafrecht und Sanktionsregelungen auch auf steuerlichem Gebiet in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch zieht das Gemeinschaftsrecht Grenzen, wenn sich die nationalen Rechtsvorschriften auf die von Artikel 95 EWG-Vertrag gewollte Neutralität der inländischen Abgaben im Hinblick auf den innergemeinschaftlichen Handel und auf das reibungslose Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, wie es sich aus den Gemeinschaftsrichtlinien ergibt, auswirken.

18 Wie der Gerichtshof bereits in einem anderen Zusammenhang, und zwar zur Freizuegigkeit, entschieden hat, darf ein Sanktionssystem nicht die Wirkung haben, daß die vom EWG-Vertrag gewährten Freiheiten beeinträchtigt werden. Dies wäre der Fall, wenn eine Sanktion gegenüber der Schwere des Verstosses so unverhältnismässig wäre, daß sie zum Hindernis für die vom Gemeinschaftsrecht gewährleistete Freiheit würde ( siehe Urteil vom 3. Juli 1980 in der Rechtssache 157/79, Stanislaus Pieck, Slg. 1980, 2171 ).

19 Unter diesem Gesichtspunkt ist deshalb zu prüfen, ob ein zweigeteiltes Sanktionssystem für Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer, wie es das italienische Recht vorsieht, mit dem EWG-Vertrag vereinbar ist.

20 Der Kläger des Ausgangsverfahrens macht geltend, daß die Nichtzahlung der Mehrwertsteuer, ob bei der Einfuhr oder bei Inlandsgeschäften, als ein und derselbe Verstoß angesehen werden müsse und daß demnach eine Differenzierung des Sanktionsniveaus gegen das Gemeinschaftsrecht verstosse. Die Kommission nimmt einen ähnlichen Standpunkt ein und führt aus, daß nationale Rechtsvorschriften, die dazu führten, daß die Nichtzahlung der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr systematisch durch strengere Sanktionen geahndet werde, als sie im Falle der Nichtzahlung der Mehrwertsteuer auf inländische Lieferungen Anwendung fänden, mit Artikel 95 EWG-Vertrag unvereinbar seien.

21 Die italienische Regierung meint dagegen, daß die beiden Arten von Verstössen weder hinsichtlich ihrer Tatbestandsmerkmale noch im Hinblick auf die jeweils anwendbaren Vorschriften vergleichbar seien. Zu dem letztgenannten Punkt verweist die italienische Regierung auf Artikel 10 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie, wonach hinsichtlich des Steuertatbestands und des Steueranspruchs der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr die zollrechtlichen Bestimmungen angewandt werden könnten. Die Richtlinie erkenne somit an, daß es gerechtfertigt sei, eine Regelung über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr der für die Zölle geltenden Regelung anzugleichen. Hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale des Verstosses macht die italienische Regierung geltend, daß Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr darin bestuenden, einen Gegenstand ohne Zahlung der Steuer ins Inland zu verbringen, während Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf Inlandsgeschäfte nur von Steuerpflichtigen begangen werden könnten, die einem Komplex von Verpflichtungen hinsichtlich der Buchführung, der Rechnungstellung, der Steuererklärung usw. unterlägen.

22 Insoweit ist festzustellen, daß sich die beiden in Rede stehenden Arten von Verstössen durch verschiedene Umstände unterscheiden, die sowohl die Tatbestandsmerkmale des Verstosses als auch seine mehr oder weniger leichte Aufdeckung betreffen. Die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr wird nämlich erhoben, sowie der Gegenstand körperlich in das Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats gelangt, nicht aber aufgrund eines Geschäfts. Diese Unterschiede bringen es namentlich mit sich, daß die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, beide Kategorien von Verstössen ein und derselben Regelung zu unterwerfen.

23 Diese Unterschiede können jedoch einen offensichtlich unverhältnismässigen Unterschied in der Strenge der für die beiden Kategorien von Verstössen vorgesehenen Sanktionen nicht rechtfertigen. Ein solches Mißverhältnis besteht, wenn die für Verstösse bei der Einfuhr geltende Sanktion regelmässig Gefängnisstrafen und die Einziehung der Ware nach den Vorschriften zur Bekämpfung des Bannbruchs umfasst, während bei einem Verstoß gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf Inlandsgeschäfte vergleichbare Sanktionen nicht vorgesehen sind oder nicht allgemein verhängt werden. Eine solche Rechtslage könnte nämlich den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft beeinträchtigen und wäre deshalb mit Artikel 95 EWG-Vertrag unvereinbar.

24 Wie der Gerichtshof nämlich in seinem Urteil vom 5. Mai 1982 in der Rechtssache 15/81 ( Gaston Schul, Slg. 1982, 1409 ) ausgeführt hat, muß die Auslegung von Artikel 95 den in den Artikeln 2 und 3 zum Ausdruck gebrachten Zielen des Vertrages Rechnung tragen, zu denen an erster Stelle die Schaffung eines gemeinsamen Marktes gehört, in dem alle Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarkts möglichst nahekommen, beseitigt sind. Der Gerichtshof hat es weiter als wichtig bezeichnet, daß die Vorteile dieses Marktes über den berufsmässigen Handel hinaus auch Privatleuten zugute kommen, wenn sie grenzueberschreitende wirtschaftliche Transaktionen durchführen.

25 Somit ist die dritte Frage dahin zu beantworten, daß nationale Rechtsvorschriften, die Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr strenger bestrafen als Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Gegenständen im Inland, nicht mit Artikel 95 EWG-Vertrag vereinbar sind, wenn dieser Unterschied ausser Verhältnis zu der Verschiedenartigkeit der beiden Kategorien von Verstössen steht.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die beim Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem nationalen Gericht anhängigen Verfahrens. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )

auf die von der Corte d' appello Genua mit Beschluß vom 12. November 1986 zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Artikel 95 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß, wenn eine Privatperson einen Gegenstand aus einem anderen Mitgliedstaat einführt, ohne daß insoweit eine Steuerentlastung bei der Ausfuhr oder eine Steuerbefreiung im Einfuhrmitgliedstaat gewährt worden ist, für die Erhebung der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr der Restbetrag der im Ausfuhrmitgliedstaat entrichteten und zum Zeitpunkt der Einfuhr noch im Wert des Gegenstands enthaltenen Mehrwertsteuer in der Weise zu berücksichtigen ist, daß dieser Restbetrag nicht in die Besteuerungsgrundlage einbezogen wird und von der bei der Einfuhr geschuldeten Mehrwertsteuer abgezogen wird.

2 ) Nationale Rechtsvorschriften, die Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr strenger bestrafen als Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Gegenständen im Inland, sind nicht mit Artikel 95 EWG-Vertrag vereinbar, wenn dieser Unterschied ausser Verhältnis zu der Verschiedenartigkeit der beiden Kategorien von Verstössen steht.

Ende der Entscheidung

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