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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.09.1988
Aktenzeichen: 302/86
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. In Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung des Inverkehrbringens der betreffenden Erzeugnisse sind Hemmnisse für den freien Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen ergeben, hinzunehmen, soweit eine solche nationale Regelung, die unterschiedslos für einheimische wie für eingeführte Erzeugnisse gilt, dadurch gerechtfertigt werden kann, daß sie notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts gerecht zu werden, und soweit sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, das heisst soweit sie das Mittel ist, das den freien Warenverkehr am wenigsten behindert. Da der Umweltschutz ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft darstellt, ist er ein solch zwingendes Erfordernis.

2. Die Verpflichtung zur Errichtung eines Pfand - und Rücknahmesystems für Leergut, die den Herstellern und Importeuren durch nationale Rechtsvorschriften im Rahmen eines Systems auferlegt ist, in dem Bier und Erfrischungsgetränke nur in Mehrwegverpackungen in den Handel gebracht werden dürfen, ist als zur Erreichung der Ziele des Umweltschutzes erforderlich anzusehen, so daß die dadurch bedingten Beschränkungen des freien Warenverkehrs nicht unverhältnismässig sind.

Dagegen ist die Verpfichtung der ausländischen Hersteller, nur Verpackungen zu verwenden, die die nationalen Behörden genehmigt haben - und deren Genehmigung sie selbst dann versagen können, wenn der Hersteller bereit ist, für die Wiederverwendung der zurückgenommenen Verpackungen zu sorgen -, oder aber jährlich nur eine bestimmte Menge an Getränken in nicht genehmigten Verpackungen in den Handel zu bringen, als unverhältnismässig und somit unzulässig anzusehen, da das System der Rücknahme nicht genehmigter Verpackungen, auch wenn es im Gegensatz zu dem für die genehmigten Verpackungen geltenden System nicht den höchsten Grad der Wiederverwendung gewährleistet, dennoch geeignet ist, die Umwelt zu schützen, zumal die Menge an Getränken, die eingeführt werden können, im Vergleich zum gesamten inländischen Verbrauch begrenzt ist, da sich das Erfordernis der Rücknahme der Verpackungen auf die Einfuhren hemmend auswirkt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 20. SEPTEMBER 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH DAENEMARK. - FREIER WARENVERKEHR - VERPACKUNGEN VON BIER UND ERFRISCHUNGSGETRAENKEN. - RECHTSSACHE 302/86.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 1. Dezember 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß das Königreich Dänemark gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen hat, indem es das durch die Verordnung Nr. 397 vom 2. Juli 1981 festgelegte obligatorische Rücknahmesystem für Verpackungen von Bier und Erfrischungsgetränken eingeführt hat und anwendet.

2 Das System, dessen Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht von der Kommission in Frage gestellt wird, ist dadurch gekennzeichnet, daß die Hersteller Bier und Erfrischungsgetränke nur in Mehrwegverpackungen auf den Markt bringen dürfen. Diese Verpackungen müssen vom nationalen Umweltamt genehmigt werden; für einen neuen Verpackungstyp kann die Genehmigung versagt werden, insbesondere wenn die Verpackung nach Ansicht des Umweltamts für ein Rücknahmesystem technisch ungeeignet ist, wenn das von den Betroffenen vorgesehene Rücknahmesystem die tatsächliche Wiederverwendung einer hinreichend grossen Zahl von Verpackungen nicht sicherstellt oder wenn eine Verpackung, die das gleiche Volumen hat, zugänglich ist und sich für die gleiche Verwendung eignet, bereits genehmigt worden ist.

3 Mit der Verordnung Nr. 95 vom 16. März 1984 wurde diese Regelung dahin geändert, daß nicht genehmigte Verpackungen, ausgenommen jede Art von Metallverpackung, für höchstens 3 000 hl je Hersteller und Jahr oder im Rahmen von Geschäften ausländischer Hersteller zur Erprobung auf dem Markt verwendet werden dürfen, sofern ein Pfand - und Rücknahmesystem errichtet wird.

4 Mit Beschluß vom 8. Mai 1987 ist das Vereinigte Königreich als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

6 Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ist zunächst darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung ( Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78, Rewe, Slg. 1979, 649; Urteil vom 10. November 1982 in der Rechtssache 261/81, Rau, Slg. 1982, 3961 ) in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung des Inverkehrbringens der betreffenden Erzeugnisse Hemmnisse für den freien Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen ergeben, hinzunehmen sind, soweit eine solche nationale Regelung, die unterschiedslos für einheimische wie für eingeführte Erzeugnisse gilt, dadurch gerechtfertigt werden kann, daß sie notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts gerecht zu werden. Die Regelung muß allerdings in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Hat ein Mitgliedstaat die Wahl zwischen verschiedenen zur Erreichung desselben Ziels geeigneten Mitteln, so hat er das Mittel zu wählen, das den freien Warenverkehr am wenigsten behindert.

7 Im vorliegenden Fall trägt die dänische Regierung vor, das in Dänemark geltende obligatorische Rücknahmesystem für Verpackungen von Bier und Erfrischungsgetränken sei durch ein zwingendes Erfordernis des Umweltschutzes gerechtfertigt.

8 Der Gerichtshof hat den Umweltschutz bereits in seinem Urteil vom 7. Februar 1985 in der Rechtssache 240/83 ( Association de défense des brûleurs d' huiles usagées, Slg. 1985, 531 ) als ein "wesentliches Ziel der Gemeinschaft" angesehen, das als solches bestimmte Beschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen kann. Diese Beurteilung ist im übrigen durch die Einheitliche Europäische Akte bestätigt worden.

9 Der Umweltschutz stellt somit ein zwingendes Erfordernis dar, das die Anwendung des Artikels 30 EWG-Vertrag einschränken kann.

10 Die Kommission macht geltend, die dänische Regelung verstosse gegen den Verhältnismässigkeitsgrundsatz, da das Ziel des Umweltschutzes mit Mitteln erreicht werden könne, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränkten.

11 Dazu ist an das erwähnte Urteil des Gerichtshofes vom 7. Februar 1985 zu erinnern, wonach zum Schutz der Umwelt erlassene Maßnahmen nicht "über die unvermeidlichen Beschränkungen hinausgehen (( dürfen )), die aus Gründen des Umweltschutzes, eines im Allgemeininteresse liegenden Ziels, gerechtfertigt sind ".

12 Es ist daher zu prüfen, ob sämtliche durch die beanstandete Regelung bedingten Beschränkungen des freien Warenverkehrs zur Erreichung der Ziele dieser Regelung erforderlich sind.

13 Was zunächst die Verpflichtung zur Errichtung eines Pfand - und Rücknahmesystems für Leergut betrifft, so ist sie ein notwendiger Bestandteil jedes Systems, das die Wiederverwendung von Verpackungen sicherstellen soll; sie ist daher zur Erreichung der Ziele der streitigen Regelung erforderlich. Somit sind die dadurch bedingten Beschränkungen des freien Warenverkehrs nicht als unverhältnismässig anzusehen.

14 Sodann ist die Verpflichtung der Hersteller und Importeure zu prüfen, nur vom nationalen Umweltamt genehmigte Verpackungen zu verwenden.

15 Die dänische Regierung hat in diesem Verfahren darauf hingewiesen, daß das derzeitige Pfand - und Rücknahmesystem zusammenbrechen würde, wenn mehr als etwa 30 Verpackungen genehmigt würden, da die dem System angeschlossenen Einzelhändler zu viele Flaschentypen wegen der damit verbundenen höheren Sortierungskosten und des grösseren Bedarfs an Lagerraum nicht akzeptierten. Aus diesem Grund sei das Umweltamt bisher so vorgegangen, daß es neue Genehmigungen in der Regel mit der Rücknahme bereits bestehender Genehmigungen verbunden habe.

16 Auch wenn diese Argumente nicht ohne Gewicht sind, ist dennoch festzustellen, daß die dänischen Behörden aufgrund des derzeit in Dänemark geltenden Systems einem ausländischen Hersteller die Genehmigung selbst dann versagen können, wenn er bereit ist, für die Wiederverwendung der zurückgenommenen Verpackungen zu sorgen.

17 Wenn der ausländische Hersteller in einem solchen Fall trotzdem in Dänemark verkaufen wollte, müsste er Verpackungen eines bereits genehmigten Typs herstellen oder kaufen, was bedeutende Mehrkosten mit sich bringen und die Einfuhr seiner Erzeugnisse nach Dänemark daher sehr erschweren würde.

18 Zur Beseitigung dieses Hemmnisses hat die dänische Regierung diese Regelung mit der Verordnung Nr. 95 vom 16. März 1984 geändert, nach der ein Hersteller bis zu 3 000 hl Bier und Erfrischungsgetränke im Jahr in nicht genehmigten Verpackungen in den Handel bringen darf, sofern er ein Pfand - und Rücknahmesystem errichtet hat.

19 Die Bestimmung der Verordnung Nr. 95, die die Menge Bier und Erfrischungsgetränke, die je Hersteller und Jahr in nicht genehmigten Verpackungen in den Handel gebracht werden darf, auf 3 000 hl beschränkt, ist von der Kommission mit der Begründung beanstandet worden, daß sie zur Erreichung der Ziele des Systems nicht erforderlich sei.

20 Dazu ist festzustellen, daß das für die genehmigten Verpackungen bestehende Rücknahmesystem zwar den höchsten Grad der Wiederverwendung und damit einen sehr wirkungsvollen Umweltschutz gewährleistet, da die leeren Verpackungen bei jedem beliebigen Getränkehändler abgegeben werden können, während die nicht genehmigten Verpackungen nur bei dem Händler zurückgegeben werden können, bei dem die Getränke gekauft worden sind, da es nicht möglich ist, auch für solche Verpackungen ein ebenso umfassendes Netz aufzubauen.

21 Dennoch ist das System der Rücknahme nicht genehmigter Verpackungen geeignet, die Umwelt zu schützen; im übrigen betrifft es, was die Einfuhren angeht, nur eine begrenzte Menge an Getränken im Vergleich zum gesamten Getränkekonsum in Dänemark, da sich das Erfordernis der Rücknahme der Verpackungen auf die Einfuhren hemmend auswirkt. Daher ist eine Begrenzung der Menge der Erzeugnisse, die von den Importeuren in den Handel gebracht werden können, im Hinblick auf das verfolgte Ziel unverhältnismässig.

22 Somit ist festzustellen, daß das Königreich Dänemark gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen hat, indem es für Bier und Erfrischungsgetränke, was die Einfuhr dieser Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten angeht, die Menge, die in nicht genehmigten Verpackungen in den Handel gebracht werden darf, auf 3 000 hl je Hersteller und Jahr begrenzt hat.

23 Im übrigen ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Der Gerichtshof kann jedoch nach § 3 Absatz 1 dieses Artikels die Kosten ganz oder teilweise gegeneinander aufheben, wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt. Da der Klage nur teilweise stattgegeben worden ist, sind die Kosten gegeneinander aufzuheben. Das Vereinigte Königreich trägt als Streithelfer seine eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Das Königreich Dänemark hat gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen, indem es für Bier und Erfrischungsgetränke, was die Einfuhr dieser Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten angeht, die Menge, die in nicht genehmigten Verpackungen in den Handel gebracht werden darf, auf 3 000 hl je Hersteller und Jahr begrenzt hat.

2 ) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3 ) Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben. Der Streithelfer trägt seine eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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