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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.09.1988
Aktenzeichen: 302/87
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Beschluss 87/373 EWG


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 145
EWG-Vertrag Art. 173
EWG-Vertrag Art. 203
EWG-Vertrag Art. 184
EWG-Vertrag Art. 155
Beschluss 87/373 EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Dem Parlament kann nicht die Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag zuerkannt werden.

Artikel 173 stellt nämlich das Klagerecht der Organe, das in Absatz 1 geregelt ist, dem Klagerecht der einzelnen, nämlich natürlicher und juristischer Personen, gegenüber, dessen Voraussetzungen in Absatz 2 festgelegt sind. Das Parlament, das eines der in Artikel 4 EWG-Vertrag genannten Gemeinschaftsorgane ist, ist keine juristische Person.

Im übrigen wäre das System des Artikels 173 Absatz 2 ohnehin ungeeignet für eine Nichtigkeitsklage des Parlaments. Die Kläger, auf die sich Artikel 173 Absatz 2 bezieht, müssen nämlich unmittelbar und individuell vom Inhalt der angefochtenen Handlung betroffen sein. Es ist jedoch nicht der Inhalt der Handlung, der das Parlament beschweren kann, sondern die Nichteinhaltung der Verfahrensregeln, die seine Mitwirkung vorschreiben. Im übrigen betrifft Artikel 173 Absatz 2 nur eine begrenzte Kategorie von Handlungen, nämlich solche mit individueller Geltung, während das Parlament erreichen möchte, daß ihm ein Klagerecht gegen Handlungen mit allgemeiner Geltung zuerkannt wird.

2. Dem Parlament ist, wie sich aus dem Wortlaut von Artikel 175 Absatz 1 EWG-Vertrag ergibt, das Recht verliehen worden, die Untätigkeit der Kommission oder des Rates feststellen zu lassen und auf diese Weise dafür zu sorgen, daß eine Lähmung der Entscheidungsmechanismen, die es an der Ausübung seiner Befugnisse hindern könnte, beendet wird. Aus diesem Recht, eine Untätigkeit feststellen zu lassen, ergibt sich nicht, daß dem Parlament auch die Möglichkeit eingeräumt werden müsste, eine Nichtigkeitsklage zu erheben.

Es besteht kein notwendiger Zusammenhang zwischen Nichtigkeitsklage und Untätigkeitsklage. Das ergibt sich daraus, daß es die Untätigkeitsklage dem Europäischen Parlament erlaubt, die Annahme von Akten herbeizuführen, die nicht in jedem Fall Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein können. So kann das Europäische Parlament, solange der Rat noch keinen Haushaltsentwurf vorgelegt hat, ein Urteil erlangen, das die Untätigkeit des Rates feststellt, während der Entwurf, der eine vorbereitende Handlung darstellt, nicht nach Artikel 173 angefochten werden könnte.

3. Gegenüber einer Weigerung des Rates oder der Kommission, auf eine Aufforderung nach Artikel 175 EWG-Vertrag hin tätig zu werden, so ausdrücklich diese Weigerung auch sein mag, kann der Gerichtshof auf der Grundlage dieses Artikels angerufen werden, da sie die Untätigkeit nicht beendet.

4. Aus dem dem Parlament durch Artikel 37 der Satzung des Gerichtshofes der EWG zuerkannten Recht, den beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreitigkeiten beizutreten, ergibt sich nicht, daß dem Parlament das Recht zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage zusteht.

Es besteht nämlich kein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Recht zum Streitbeitritt und der Möglichkeit der Klageerhebung. Zum einen setzt das Beitrittsrecht nach Artikel 37 Absatz 2 nur "ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines bei dem Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits" voraus, während die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage einzelner davon abhängt, daß die Handlung, deren Nichtigerklärung sie beantragen, an sie gerichtet ist oder daß sie zumindest unmittelbar und individuell von dieser Handlung betroffen sind. Zum anderen kann das Parlament nach Artikel 37 Absatz 1 Rechtsstreitigkeiten wie etwa solchen, in denen es um Vertragsverletzungen der Mitgliedstaaten geht, beitreten, während die Möglichkeit, diese Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichtshof zu bringen, der Kommission und den Mitgliedstaaten vorbehalten ist.

5. Um das System des Vertrages zu wahren, mit dem ein umfassendes System des Rechtsschutzes gegen Handlungen der Gemeinschaftsorgane geschaffen werden sollte, ist es zwar geboten, daß die Handlungen des Parlaments, die derartige Wirkungen entfalten, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein können, doch schließt dies keineswegs ein, daß dem Parlament das Recht zuerkannt werden müsste, selbst eine solche Klage gegen die Handlungen des Rates oder der Kommission zu erheben.

Im System der Verträge ist das Parlament, wie der Vergleich zwischen den Artikeln 33 und 38 EGKS-Vertrag zeigt, auch dann, wenn seine Handlungen einer Rechtmässigkeitskontrolle unterstellt worden sind, gleichwohl nicht ermächtigt worden, von sich aus eine direkte Klage gegen die Handlungen der anderen Organe zu erheben.

6. Das in Artikel 203 EWG-Vertrag geregelte Haushaltsverfahren umfasst eine Reihe von vorbereitenden Handlungen der beiden die Haushaltsbehörde bildenden Organe, die zur Ausarbeitung des Haushaltsplans führen. Dieser erlangt seine rechtliche Bindungswirkung erst am Ende des Verfahrens, nämlich dann, wenn der Präsident des Parlaments als eines seiner Organe feststellt, daß der Haushaltsplan festgestellt ist.

Daraus ergibt sich, daß die einzige anfechtbare Handlung im Bereich der Verabschiedung des Haushaltsplans von einem Organ des Parlaments herrührt und daher diesem Gemeinschaftsorgan selbst zuzurechnen ist. Folglich kann sich das Parlament nicht auf seine haushaltsrechtlichen Befugnisse berufen, um das Recht zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen die Handlungen der Kommission und des Rates geltend zu machen.

7.Bei ihrem gegenwärtigen Stand erlauben es die anwendbaren Bestimmungen dem Gerichtshof nicht, dem Europäischen Parlament die Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage zuzuerkennen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 27. SEPTEMBER 1988. - EUROPAEISCHES PARLAMENT GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEFUGNIS DES EUROPAEISCHEN PARLAMENTS ZUR ERHEBUNG EINER NICHTIGKEITSKLAGE. - RECHTSSACHE 302/87.

Entscheidungsgründe:

1 Das Europäische Parlament hat mit Klageschrift, die am 2. Oktober 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung des Beschlusses 87/373/EWG des Rates vom 13. Juli 1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse ( ABl. L 197, S. 33 ).

2 Mit diesem Beschluß, der auf Artikel 145 EWG-Vertrag in der Fassung des Artikels 10 der Einheitlichen Europäischen Akte gestützt ist, legte der Rat die Modalitäten fest, an die er die Ausübung der Befugnisse knüpfen kann, die er der Kommission zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften überträgt, und erließ die Bestimmungen über die Zusammensetzung, die Arbeitsweise und die Aufgabe der Ausschüsse der Vertreter der Mitgliedstaaten, deren Mitwirkung vorgesehen ist.

3 Der Rat hat die Einrede der Unzulässigkeit gemäß Artikel 91 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes erhoben und beantragt, über diese Einrede vorab zu entscheiden.

4 Zur Begründung seiner Einrede macht der Rat geltend, Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag sehe nicht ausdrücklich vor, daß das Europäische Parlament eine Nichtigkeitsklage erheben könne. Diese Befugnis könne ihm auch nicht aus Erwägungen zuerkannt werden, die auf die Notwendigkeit gestützt seien, die Geschlossenheit des Rechtsschutzsystems sicherzustellen. Denn der Streitbeitritt und die Untätigkeitsklage, die dem Europäischen Parlament offenstuenden, wie der Gerichtshof in den Urteilen vom 29. Oktober 1980 in der Rechtssache 138/79 ( Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333 ) und in der Rechtssache 139/79 ( Maïzena GmbH/Rat, Slg. 1980, 3393 ) sowie vom 22. Mai 1985 in der Rechtssache 13/83 ( Europäisches Parlament/Rat, "Verkehr", Slg. 1985, 1513 ) festgestellt habe, seien von der Nichtigkeitsklage unabhängig.

5 Der Rat führt weiter aus, weder das Urteil vom 23. April 1986 in der Rechtssache 294/83 ( Parti Écologiste "Les Verts"/Europäisches Parlament, Slg. 1986, 1339 ) noch das Urteil vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache 34/86 ( Rat/Europäisches Parlament, "Haushalt", Slg. 1986, 2155 ) ließen den Schluß zu, daß der Gerichtshof dem Europäischen Parlament stillschweigend die Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage zuerkannt habe. Das Urteil "Les Verts" vom 23. April 1986 sei auf die Notwendigkeit gestützt, einen Rechtsschutz gegen alle Handlungen sicherzustellen, die Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalten könnten, und zwar unabhängig davon, welches Organ Urheber der Handlung sei. Daraus ergebe sich nicht, daß es einen Parallelismus zwischen der Passivbeteiligung und der Aktivbeteiligung des Parlaments an Rechtsstreitigkeiten über die Rechtmässigkeit geben müsse. Dieser Parallelismus lasse sich auch nicht aus dem Urteil "Haushalt" vom 3. Juli 1986 ableiten, da alle Handlungen, die der Rat im Rahmen des Haushaltsverfahrens vornehmen könne, in jedem Fall nur vorbereitenden Charakter hätten.

6 Der Gerichtshof hat am 20. Januar 1988 beschlossen, über die Einrede des Rates vorab zu entscheiden.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Einleitend ist darauf hinzuweisen, daß die Parteien ihre Ausführungen zu Recht in den Rahmen von Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag gestellt haben.

9 Artikel 173 stellt nämlich das Klagerecht der Organe, das in Absatz 1 geregelt ist, dem Klagerecht der einzelnen, nämlich natürlicher und juristischer Personen, gegenüber, dessen Voraussetzungen in Absatz 2 festgelegt sind. Das Europäische Parlament, das eines der in Artikel 4 EWG-Vertrag genannten Gemeinschaftsorgane ist, ist keine juristische Person.

10 Im übrigen wäre das System des Artikels 173 Absatz 2 ohnehin ungeeignet für eine Nichtigkeitsklage des Europäischen Parlaments. Die Kläger, auf die sich Artikel 173 Absatz 2 bezieht, müssen nämlich unmittelbar und individuell vom Inhalt der angefochtenen Handlung betroffen sein. Es ist jedoch nicht der Inhalt der Handlung, der das Europäische Parlament beschweren kann, sondern die Nichteinhaltung der Verfahrensregeln, die seine Mitwirkung vorschreiben. Im übrigen betrifft Artikel 173 Absatz 2 nur eine begrenzte Kategorie von Handlungen, nämlich solche mit individueller Geltung, während das Europäische Parlament erreichen möchte, daß ihm ein Klagerecht gegen Handlungen mit allgemeiner Geltung zuerkannt wird.

11 Es ist daher zu prüfen, ob dem Europäischen Parlament im Wege der Auslegung von Artikel 173 Absatz 1 die Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen Handlungen des Rates oder der Kommission zuerkannt werden kann.

12 Wie sich aus den Artikeln 143 und 144 EWG-Vertrag ergibt, steht dem Europäischen Parlament die Befugnis zu, die Kommission politisch zu kontrollieren, die nach Artikel 155 "für die Anwendung dieses Vertrages sowie der von den Organen aufgrund dieses Vertrages getroffenen Bestimmungen Sorge zu tragen" hat, und ihr gegebenenfalls das Misstrauen auszusprechen, falls sie sich dieser Aufgabe nicht ordnungsgemäß entledigt. Das Europäische Parlament übt seine politische Kontrolle ferner durch die Debatten aus, die es über Einzelfragen oder allgemeine Fragen abhalten kann und die es ihm erlauben, Anträge zu der vom Rat oder von der Kommission verfolgten Politik anzunehmen.

13 Ausserdem ist das Europäische Parlament unabhängig von den haushaltsrechtlichen Befugnissen, die ihm im Luxemburger Vertrag vom 22. April 1970 und im Brüsseler Vertrag vom 22. Juli 1975 eingeräumt worden sind, und von der Befugnis zur Mitentscheidung, die ihm nach der Einheitlichen Europäischen Akte auf dem Gebiet von Beitritt und Assoziierungsabkommen zusteht, in der Lage, Einfluß auf den Inhalt der vom Rat angenommenen Rechtsetzungsakte auszuüben, sei es durch die Stellungnahmen, die es im Rahmen des Konsultierungsverfahrens abgibt, sei es durch die Positionen, die es im Rahmen des Kooperationsverfahrens bezieht.

14 Es ist hervorzuheben, daß dem Europäischen Parlament, wie sich aus dem Wortlaut von Artikel 175 Absatz 1 EWG-Vertrag ergibt, das Recht verliehen worden ist, die Untätigkeit der Kommission oder des Rates feststellen zu lassen und auf diese Weise dafür zu sorgen, daß eine Lähmung der Entscheidungsmechanismen, die es an der Ausübung seiner Befugnisse hindern könnte, beendet wird. Das Europäische Parlament hat auch die Möglichkeit, seine Stimme vor dem Gerichtshof zu Gehör zu bringen, indem es den dort anhängigen Rechtsstreitigkeiten beitritt, wie sich aus Artikel 37 der Satzung des Gerichtshofes der EWG ergibt.

15 Aus diesem Recht, eine Untätigkeit feststellen zu lassen und den beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreitigkeiten beizutreten, ergibt sich entgegen der Auffassung des Europäischen Parlaments nicht, daß diesem auch die Möglichkeit eingeräumt werden müsste, eine Nichtigkeitsklage zu erheben.

16 Es besteht kein notwendiger Zusammenhang zwischen Nichtigkeitsklage und Untätigkeitsklage. Das ergibt sich daraus, daß es die Untätigkeitsklage dem Europäischen Parlament erlaubt, die Annahme von Akten herbeizuführen, die nicht in jedem Fall Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein können. So kann das Europäische Parlament, wie das Urteil vom 12. Juli 1988 in der Rechtssache 377/87 ( Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1988, 0000 ) zeigt, solange der Rat noch keinen Haushaltsentwurf vorgelegt hat, ein Urteil erlangen, das die Untätigkeit des Rates feststellt, während der Entwurf, der eine vorbereitende Handlung darstellt, nicht nach Artikel 173 angefochten werden könnte.

17 Es ist noch vorgetragen worden, daß es dem Europäischen Parlament, wenn es keine Nichtigkeitsklage erheben könnte, nicht möglich wäre, für den Fall, daß es den Rat oder die Kommission im Sinne von Artikel 175 aufgefordert habe, tätig zu werden, und diese ein Tätigwerden ausdrücklich abgelehnt hätten, gegen diese Weigerung vorzugehen. Dieses Vorbringen beruht jedoch auf einer unzutreffenden Prämisse. Gegenüber einer Weigerung, tätig zu werden, so ausdrücklich sie auch sein mag, kann nämlich der Gerichtshof auf der Grundlage von Artikel 175 angerufen werden, da sie die Untätigkeit nicht beendet.

18 Es besteht auch kein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Recht zum Streitbeitritt und der Möglichkeit der Klageerhebung. Zum einen setzt das Beitrittsrecht nach Artikel 37 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes der EWG nur "ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines bei dem Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits" voraus, während die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage einzelner davon abhängt, daß die Handlung, deren Nichtigerklärung sie beantragen, an sie gerichtet ist oder daß sie zumindest unmittelbar und individuell von dieser Handlung betroffen sind. Zum anderen kann das Europäische Parlament nach Artikel 37 Absatz 1 Rechtsstreitigkeiten wie etwa solchen, in denen es um Vertragsverletzungen der Mitgliedstaaten geht, beitreten, während die Möglichkeit, diese Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichtshof zu bringen, der Kommission und den Mitgliedstaaten vorbehalten ist.

19 Das Europäische Parlament führt ferner aus, Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag sei Ausdruck eines Grundsatzes der Gleichheit der Gemeinschaftsorgane, die dort ausdrücklich genannt seien, in dem Sinne, daß jedes dieser Organe Klage gegen die Handlungen des anderen erheben könne und daß umgekehrt seine eigenen Handlungen von dem anderen Organ dem Gerichtshof zur Beurteilung unterbreitet werden könnten. Nachdem der Gerichtshof entschieden habe, daß die Handlungen des Europäischen Parlaments, die Rechtswirkungen entfalten könnten, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein könnten, müsse er, um das institutionelle Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, entscheiden, daß das Europäische Parlament befugt sei, die Handlungen des Rates und der Kommission anzufechten.

20 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof im Urteil vom 23. April 1986 ( Parti Écologiste "Les Verts"/Europäisches Parlament, a. a. O.) entschieden hat, daß die Handlungen des Europäischen Parlaments, die Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalten, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein können, weil eine Auslegung, die diese Handlungen vom Bereich dieser Klage ausgeschlossen hätte, zu einem Ergebnis geführt hätte, das dem System des Vertrages zuwidergelaufen wäre, mit dem ein umfassendes System des Rechtsschutzes gegen Handlungen der Gemeinschaftsorgane geschaffen werden sollte, die Rechtswirkungen entfalten können.

21 Der Vergleich zwischen Artikel 38 EGKS-Vertrag, auf den der Gerichtshof im Urteil "Les Verts" besonders abgestellt hat, und Artikel 33 EGKS-Vertrag zeigt jedoch, daß das Europäische Parlament im System der Verträge auch dann, wenn seine Handlungen einer Rechtmässigkeitskontrolle unterstellt worden sind, gleichwohl nicht ermächtigt worden ist, von sich aus eine direkte Klage gegen die Handlungen der anderen Organe zu erheben. Die Auffassung des Europäischen Parlaments, in Rechtsstreitigkeiten über die Rechtmässigkeit müsse es einen Parallelismus zwischen Passiv - und Aktivbeteiligung geben, ist daher zurückzuweisen.

22 Das Europäische Parlament macht weiter geltend, der Gerichtshof habe ihm im Urteil vom 3. Juli 1986 ( Rat/Europäisches Parlament, "Haushalt", a. a. O.) stillschweigend die Befugnis zur Erhebung von Nichtigkeitsklagen zuerkannt.

23 Hierzu ist festzustellen, daß das in Artikel 203 Absätze 4, 5 und 6 beschriebene Haushaltsverfahren durch aufeinanderfolgende Beschlußfassungen der beiden Organe, die die Haushaltsbehörde bilden, gekennzeichnet ist, bei denen jedes dieser Organe unter den im Vertrag festgelegten Abstimmungsvoraussetzungen auf die Stellungnahmen des anderen reagieren kann. Diese Beschlußfassungen stellen ebenso viele vorbereitende Handlungen dar, die zur Ausarbeitung des Haushaltsplans führen. Wie sich aus dem Urteil vom 3. Juli 1986 ( Rat/Europäisches Parlament, "Haushalt", a. a. O.) ergibt, erlangt der Haushaltsplan seine rechtliche Bindungswirkung erst am Ende dieses Verfahrens, nämlich dann, wenn der Präsident des Europäischen Parlaments als eines seiner Organe nach Artikel 203 Absatz 7 EWG-Vertrag feststellt, daß der Haushaltsplan endgültig festgestellt ist.

24 Daraus ergibt sich, daß die einzige anfechtbare Handlung im Bereich der Verabschiedung des Haushaltsplans von einem Organ des Europäischen Parlaments herrührt und daher diesem Gemeinschaftsorgan selbst zuzurechnen ist. Folglich kann sich das Europäische Parlament nicht auf die haushaltsrechtlichen Befugnisse, die ihm in den genannten Verträgen von Luxemburg und Brüssel übertragen worden sind und um die es im übrigen in dieser Rechtssache nicht geht, berufen, um das Recht zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen die Handlungen der Kommission und des Rates geltend zu machen.

25 Das Europäische Parlament hat noch ausgeführt, daß es, wenn es keine Nichtigkeitsklage erheben könnte, nicht in der Lage sei, seine eigenen Prärogativen gegenüber den anderen Organen zu verteidigen.

26 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß dem Europäischen Parlament schon zu Beginn die Befugnis verliehen worden ist, beratend am Prozeß der Erarbeitung der Rechtsetzungsakte teilzunehmen, daß ihm jedoch nicht die Möglichkeit zugestanden worden ist, Nichtigkeitsklage zu erheben. Die Prärogativen des Europäischen Parlaments sind durch die Einheitliche Europäische Akte verstärkt worden, die dem Parlament eine Befugnis zur Mitentscheidung auf dem Gebiet des Beitritts und der Assoziierungsabkommen verliehen und ein Verfahren der Kooperation in bestimmten Fällen geschaffen hat, ohne daß jedoch Artikel 173 EWG-Vertrag geändert worden wäre.

27 Neben den vorstehend genannten Rechten, die der Vertrag dem Europäischen Parlament in Artikel 175 einräumt, bietet der Vertrag die Möglichkeit, den Gerichtshof gegen Handlungen des Rates anzurufen, die unter Missachtung der Prärogativen des Parlaments ergangen sind. Während Artikel 173 Absatz 1 allgemein allen Mitgliedstaaten die Nichtigkeitsklage gegen solche Handlungen zur Verfügung stellt, überträgt Artikel 155 EWG-Vertrag im besonderen der Kommission die Aufgabe, über die Beachtung der Prärogativen des Parlaments zu wachen und hierzu die gegebenenfalls erforderlichen Nichtigkeitsklagen zu erheben. Im übrigen kann jede natürliche oder juristische Person im Falle der Missachtung der Prärogativen des Europäischen Parlaments die Verletzung wesentlicher Formvorschriften oder die Verletzung des Vertrages geltend machen, um die Nichtigerklärung der betreffenden Handlung oder nach Artikel 184 EWG-Vertrag eine Inzidentfeststellung zu erreichen, daß diese Handlung unanwendbar ist. Die Rechtswidrigkeit einer Handlung wegen Verletzung der Prärogativen des Europäischen Parlaments kann ebenfalls vor einem innerstaatlichen Gericht geltend gemacht werden, und die betreffende Handlung kann dem Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens zur Beurteilung ihrer Gültigkeit vorgelegt werden.

28 Aus alledem ergibt sich, daß es die anwendbaren Bestimmungen bei ihrem gegenwärtigen Stand dem Gerichtshof nicht erlauben, dem Europäischen Parlament die Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage zuzuerkennen.

29 Die Einrede der Unzulässigkeit greift somit durch, und die Klage ist als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

30 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Europäische Parlament mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2)Das Europäische Parlament trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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