Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.09.1988
Aktenzeichen: 31/87
Rechtsgebiete: Richtlinie 71/305 vom 26. Juli 1971
Vorschriften:
Richtlinie 71/305 vom 26. Juli 1971 Art. 1 b | |
Richtlinie 71/305 vom 26. Juli 1971 Art. 7 Abs. 2 | |
Richtlinie 71/305 vom 26. Juli 1971 Art. 20 | |
Richtlinie 71/305 vom 26. Juli 1971 Art. 26 | |
Richtlinie 71/305 vom 26. Juli 1971 Art. 29 Abs. 1 | |
Richtlinie 71/305 vom 26. Juli 1971 Art. 29 Abs. 2 |
1. Eine Einrichtung, deren Zusammensetzung und Aufgaben gesetzlich geregelt sind und die insoweit von der öffentlichen Hand abhängig ist, als diese ihre Mitglieder ernennt, die Beachtung der sich aus ihren Handlungen ergebenden Verpflichtungen gewährleistet und die von ihr vergebenen öffentlichen Aufträge finanziert, ist als dem Staat im Sinne von Artikel 1 der Richtlinie 71/305 zugehörig anzusehen; diese ist daher auf die von der genannten Einrichtung vergebenen öffentlichen Bauaufträge anwendbar.
2. Bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 71/305 fallen,
- ist das Kriterium der "für die auszuführenden Arbeiten erforderlichen spezifischen Erfahrung" im Hinblick auf die Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmer im Sinne der Artikel 20 und 26 der Richtlinie ein zulässiges Kriterium für die Bewertung der technischen Leistungsfähgikeit. Ist ein solches Kriterium in einer staatlichen Rechtsvorschrift vorgesehen, auf die die Bekanntmachung der Ausschreibung verweist, so ist es nach der Richtlinie besonderen Anforderungen betreffend die Veröffentlichung in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen nicht unterworfen;
- kann das in einer staatlichen Rechtsvorschrift vorgesehene Kriterium des "günstigsten Angebots" mit der Richtlinie vereinbar sein, wenn es das Beurteilungsermessen zum Ausdruck bringt, über das die öffentlichen Auftraggeber verfügen, um nach objektiven Gesichtspunkten das wirtschaftlich vorteilhafteste Angebot zu ermitteln, und somit kein willkürliches Auswahlelement enthält. Aus Artikel 29 Absätze 1 und 2 der Richtlinie geht hervor, daß die öffentlichen Auftraggeber - falls sie bei der Erteilung des Zuschlags nicht ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises anwenden, sondern sich auf verschiedene Kriterien stützen, um dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen - gehalten sind, diese Kriterien entweder in der Bekanntmachung der Ausschreibung oder in den Verdingungsunterlagen anzugeben;
- ist die Bedingung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen mit der Richtlinie vereinbar, wenn sie nicht unmittelbar oder mittelbar zu einer Diskriminierung der Bieter aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft führt. Eine solche besondere zusätzliche Bedingung muß in der Bekanntmachung der Ausschreibung angegeben werden.
Der einzelne kann sich vor den staatlichen Gerichten auf die Artikel 20, 26 und 29 der Richtlinie 71/305 berufen.
3. Die sich aus einer Richtlinie ergebene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag, alle zur Erfuellung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, obliegen allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Hieraus folgt, daß die Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Anwendung ihres heimischen Rechts, namentlich der Bestimmungen eines speziell zur Ausführung einer Richtlinie erlassenen staatlichen Gesetzes, dieses Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen haben, um das in Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages genannte Ziel zu erreichen.
4. In all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, sind die einzelnen berechtigt, sich gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen zu berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umsetzt oder eine unzutreffende Umsetzung der Richtlinie vornimmt.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 20. SEPTEMBER 1988. - GEBROEDERS BEENTJES BV GEGEN KOENIGREICH DER NIEDERLANDE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM ARRONDISSEMENTSRECHTBANK DEN HAAG. - VERFAHREN ZUR VERGABE OEFFENTLICHER BAUAUFTRAEGE. - RECHTSSACHE 31/87.
Entscheidungsgründe:
1 Die Arrondissementsrechtsbank Den Haag hat mit Urteil vom 28. Januar 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Februar 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen über die Auslegung der Richtlinie 71/305 des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge ( ABl. L 185, S. 5 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Firma Beentjes BV und dem niederländischen Ministerium für Landwirtschaft und Fischerei über die öffentliche Ausschreibung eines Bauauftrags im Rahmen von Maßnahmen zur Flurbereinigung.
3 Im Ausgangsverfahren machte die klagende Beentjes BV geltend, die Entscheidung des Auftraggebers, sie nicht zu berücksichtigen, obwohl sie das niedrigste Angebot unterbreitet habe, und den Zuschlag stattdessen der Firma mit dem zweitniedrigsten Angebot zu erteilen, verstosse gegen die genannte Richtlinie.
4 Die Arrondissementsrechtsbank hat daraufhin das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die folgenden Fragen ersucht :
1 ) Ist eine Körperschaft mit den charakteristischen Merkmalen einer "Örtlichen Kommission" im Sinne der Ruilverkavelingswet 1954, wie sie unter 5.3 dieses Urteils beschrieben ist, für die Anwendung der Richtlinie des Rates vom 26. Juli 1971 ( ABl. L 185, S. 5 ) als der "Staat" oder eine seiner "Gebietskörperschaften" anzusehen?
2 ) Ist es nach der genannten Richtlinie zulässig, einen Bieter aufgrund von Überlegungen, wie sie unter 6.2 dieses Urteils wiedergegeben sind, auszuschließen, wenn bei der Ausschreibung selbst insoweit keine Eignungskriterien genannt worden sind ( sondern nur eine Verweisung auf allgemeine Bedingungen erfolgt ist, die einen allgemeinen Vorbehalt, wie er im vorliegenden Fall vom Staat gemacht wurde, enthalten )?
3 ) Können sich Einzelpersonen wie die Beentjes BV in einem Zivilprozeß wie dem vorliegenden auf Bestimmungen der genannten Richtlinie berufen, die vorsehen, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen ein Bieter wegen fehlender Eignung von der Ausschreibung ausgeschlossen werden kann, auch wenn bei der Übernahme dieser Bestimmungen in die staatlichen Rechtsvorschriften dem Auftraggeber weitergehende Befugnisse zur Verweigerung der Auftragsvergabe eingeräumt worden sind, als es die Richtlinie zulässt?
5 Was die zweite Frage betrifft, so ist klarzustellen, daß die dort angesprochenen Ausführungen im Vorlageurteil die Gründe betreffen, aus denen der Auftraggeber den Zuschlag nicht der Beentjes BV erteilt hat; danach fehlte es dieser Firma an einer für die auszuführenden Arbeiten ausreichenden spezifischen Erfahrung, ihr Angebot erschien weniger günstig und sie schien nicht in der Lage zu sein, Langzeitarbeitslose einzustellen. Aus den Akten geht hervor, daß die beiden erstgenannten Kriterien in Artikel 21 des Uniform Aanbestedingsreglement vom 21. Dezember 1971 ( Einheitliche Ausschreibungsregelung; nachstehend : UAR ), auf die in der Bekanntmachung der streitigen Ausschreibung verwiesen worden war, vorgesehen waren, während die Bedingung bezueglich der Einstellung von Langzeitarbeitslosen in dieser Bekanntmachung selbst ausdrücklich genannt war.
6 Wegen weiterer Einzelheiten der Vorgeschichte des Ausgangsverfahrens, der einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und des staatlichen Rechts, der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen und des Verfahrensablaufs wird auf den Sitzungsberichts verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
Zur ersten Frage
7 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob die Richtlinie 71/305 auf die Vergabe öffentlicher Bauaufträge durch eine Einrichtung wie die Örtliche Flurbereinigungskommission anwendbar ist.
8 Aus den Akten geht hervor, daß die Örtliche Flurbereinigungskommission keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, daß ihre Aufgaben und ihre Zusammensetzung gesetzlich geregelt sind und daß ihre Mitglieder vom Provinzialausschuß der jeweiligen Provinz ernannt werden. Sie hat Anweisungen einer Zentralkommission auszuführen, die durch Königliche Verordnung geschaffen wurde und deren Mitglieder von der Krone ernannt werden. Der Staat gewährleistet die Beachtung der Verpflichtungen, die sich aus den Rechtshandlungen der Kommission ergeben, und finanziert die öffentlichen Arbeiten, die von ihr ausgeschrieben werden.
9 Die Richtlinie 71/305 bezweckt die Koordinierung der staatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, die in den Mitgliedstaaten für Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts vergeben werden.
10 Gemäß Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie gelten als öffentliche Auftraggeber der Staat, die Gebietskörperschaften und die in Anhang I aufgeführten juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
11 Der in dieser Bestimmung verwendete Begriff des Staates ist im funktionellen Sinne zu verstehen. Das Ziel der Richtlinie, die die tatsächliche Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge anstrebt, wäre gefährdet, wenn sie allein deswegen unanwendbar wäre, weil ein öffentlicher Bauauftrag von einer Einrichtung vergeben wird, die geschaffen wurde, um ihr durch Gesetz zugewiesene Aufgaben zu erfuellen, die jedoch nicht förmlich in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist.
12 Eine Einrichtung der hier in Rede stehenden Art, deren Zusammensetzung und Aufgaben gesetzlich geregelt sind und die insoweit von der öffentlichen Hand abhängig ist, als diese ihre Mitglieder ernennt, die Beachtung der sich aus ihren Handlungen ergebenden Verpflichtungen gewährleistet und die von ihr vergebenen öffentlichen Aufträge finanziert, ist daher als dem Staat im Sinne der vorgenannten Bestimmung zugehörig anzusehen, auch wenn sie formell kein Bestandteil desselben ist.
13 Auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts ist daher zu antworten, daß die Richtlinie 71/305 auf öffentliche Bauaufträge anwendbar ist, die von einer Einrichtung wie der Örtlichen Flurbereinigungskommission vergeben werden.
Zur zweiten Frage
14 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht zunächst darüber Auskunft erhalten, ob die Richtlinie 71/305 dem Ausschluß eines Bieters aus einem der folgenden Gründe entgegensteht :
- Dem Bieter fehlt es an der für die auszuführenden Arbeiten erforderlichen spezifischen Erfahrung;
- sein Angebot ist nach Ansicht des öffentlichen Auftraggebers nicht das günstigste;
- er ist nicht in der Lage, Langzeitarbeitslose zu beschäftigen.
Falls diese Kriterien als mit der Richtlinie vereinbar anzusehen sein sollten, wünscht das vorlegende Gericht weiterhin zu erfahren, welche Anforderungen die Richtlinie im Falle der Anwendung derartiger Kriterien an deren vorherige öffentliche Bekanntgabe stellt.
15 Nach der Systematik der Richtlinie, insbesondere des Abschnitts IV ( Gemeinsame Teilnahmebestimmungen ), stellen im Rahmen der Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags die Prüfung der Eignung der Unternehmer für die Ausführung der zu vergebenden Arbeiten einerseits und der Zuschlag des Auftrags andererseits zwei verschiedene Vorgänge dar. In Artikel 20 heisst es nämlich, daß der Auftrag zugeschlagen wird, nachdem die fachliche Eignung der Unternehmer geprüft wurde.
16 Die Richtlinie, die die Koordinierung der staatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge bei weitestmöglicher Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Verfahren und Verwaltungspraktiken anstrebt ( zweite Begründungserwägung ), schließt es zwar nicht aus, daß die Prüfung der fachlichen Eignung der Bieter und der Zuschlag des Auftrags gleichzeitig erfolgen, sie unterwirft jedoch die beiden Vorgänge unterschiedlichen Regeln.
17 Gemäß Artikel 20 prüfen die öffentlichen Auftraggeber die fachliche Eignung der Unternehmer nach den in den Artikeln 25 bis 28 genannten Kriterien der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit. Zweck dieser Artikel ist es nicht, die Mitgliedstaaten in ihrer Befugnis zu beschneiden, darüber zu entscheiden, welcher Standard der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit für die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen erforderlich ist, sondern zu bestimmen, mit welchen Nachweisen oder Beweismitteln die finanzielle, wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit des Unternehmers dargetan werden kann ( vgl. das Urteil vom 9. Juli 1987 in den verbundenen Rechtssachen 27 bis 29/86, CEI und Bellini, Slg. 1987, 3347, Randnr. 13 ). Gleichwohl geht aus diesen Bestimmungen hervor, daß die öffentlichen Auftraggeber die fachliche Eignung der Unternehmer nur auf der Grundlage von Kriterien prüfen können, die sich auf die wirtschaftliche, finanzielle und technische Leistungsfähigkeit der Betroffenen beziehen.
18 Was die Kriterien für die Erteilung des Zuschlags betrifft, so bestimmt Artikel 29 Absatz 1, daß die öffentlichen Auftraggeber entweder ausschließlich auf den niedrigsten Preis, oder, wenn der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt, auf verschiedene, je nach Auftrag wechselnde Kriterien abstellen, z. B. Preis, Ausführungsfrist, Betriebskosten, Rentabilität und technischen Wert.
19 Zwar überlässt die zweite Möglichkeit den öffentlichen Auftraggebern die Auswahl der Kriterien, auf die sie für die Erteilung des Zuschlags abzustellen beabsichtigen, jedoch kann sich die Auswahl nur auf Kriterien erstrecken, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen. In der Tat gestattet es Artikel 29 Absatz 4 nur ausnahmsweise, für die Erteilung des Zuschlags andere Kriterien zugrunde zu legen, nämlich allein "im Rahmen einer Regelung, bei der bestimmten Bietern eine Bevorzugung im Sinne einer Beihilfe gewährt wird..., sofern die angewandte Regelung mit dem Vertrag, insbesondere mit den Artikeln 92 ff., vereinbar ist ".
20 Es ist darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie kein einheitliches und erschöpfendes Gemeinschaftsrecht schafft, sondern daß es den Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Beachtung aller einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Verbote, die aus den vom Vertrag aufgestellten Grundsätzen auf dem Gebiet des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs folgen, unbenommen bleibt, materiellrechtliche oder verfahrensrechtliche Bestimmungen auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge aufrechtzuerhalten oder zu erlassen ( siehe das genannte Urteil vom 9. Juli 1987, Randnr. 15 ).
21 Schließlich müssen die öffentlichen Auftraggeber die für jede Ausschreibung geltenden Kriterien und Bedingungen in angemessener Weise bekanntmachen, um dem Ziel der Richtlinie Rechnung zu tragen, die Entwicklung eines echten Wettbewerbs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge sicherzustellen.
22 Zu diesem Zweck enthält Abschnitt III der Richtlinie Regeln für die Veröffentlichung der von den öffentlichen Auftraggebern der Mitgliedstaaten erstellten Bekanntmachungen von Ausschreibungen auf Gemeinschaftsebene, um den in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmern eine ausreichende Kenntnis der zu erbringenden Bauleistungen und der hiermit verbundenen Bedingungen zu vermitteln und ihnen auf diese Weise ein Urteil darüber zu ermöglichen, ob die vorgesehenen Aufträge für sie von Interesse sind. Ferner müssen die zusätzlichen Angaben über die Aufträge, wie in den Mitgliedstaaten üblich, in den Verdingungsunterlagen für jeden einzelnen Auftrag oder in allen gleichwertigen Unterlagen enthalten sein ( vgl. die neunte und zehnte Begründungserwägung der Richtlinie ).
23 Vor diesem Hintergrund sind die verschiedenen Aspekte der Frage des vorlegenden Gerichts zu prüfen.
24 Die für die auszuführenden Arbeiten erforderliche spezifische Erfahrung ist ein Gesichtspunkt für die Beurteilung der technischen Leistungsfähigkeit der Bieter. Es handelt sich daher um ein zulässiges Kriterium für die Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmer im Sinne der Artikel 20 und 26 der Richtlinie.
25 Was den Ausschluß eines Bieters aus dem Grunde betrifft, daß sein Angebot dem öffentlichen Auftraggeber weniger günstig erschien, so ergibt sich aus den Akten, daß dieses Kriterium in Artikel 21 UAR vorgesehen ist. Nach Absatz 3 dieses Artikels wird nämlich "der Zuschlag dem Bieter erteilt, dessen Angebot dem Auftraggeber am günstigsten erscheint ".
26 Ob eine solche Bestimmung mit der Richtlinie vereinbar ist, hängt von ihrer Auslegung im Rahmen des staatlichen Rechts ab. Sie wäre mit Artikel 29 der Richtlinie nicht vereinbar, wenn sie den Auftraggebern eine uneingeschränkte Freiheit bei der Auswahl des Bieters einräumte, dem der Zuschlag für einen bestimmten Auftrag erteilt werden soll.
27 Dagegen ist eine solche Bestimmung mit der Richtlinie nicht unvereinbar, wenn sie dahin auszulegen ist, daß sie den öffentlichen Auftraggebern die Freiheit lässt, die verschiedenen Angebote miteinander zu vergleichen und aufgrund objektiver Kriterien wie den in Artikel 29 Absatz 2 der Richtlinie beispielhaft aufgezählten das günstigste Angebot zu wählen.
28 Was den Ausschluß eines Bieters mit der Begründung anbelangt, daß er nicht in der Lage sei, Langzeitarbeitslose zu beschäftigen, so ist zunächst festzustellen, daß eine solche Bedingung weder mit der Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmer im Hinblick auf deren wirtschaftliche, finanzielle und technische Leistungsfähigkeit noch mit den in Artikel 29 genannten Kriterien für die Erteilung des Zuschlags etwas zu tun hat.
29 Wie sich aus dem genannten Urteil vom 9. Juli 1987 ergibt, muß eine solche Bedingung, um mit der Richtlinie vereinbar zu sein, alle einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts beachten, und zwar insbesondere die Verbote, die aus den für das Gebiet des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs vom Vertrag aufgestellten Grundsätzen folgen.
30 Das Erfordernis der Einstellung von Langzeitarbeitslosen könnte insbesondere gegen das in Artikel 7 Absatz 2 des Vertrages ausgesprochene Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verstossen, wenn sich herausstellen sollte, daß eine solche Bedingung nur von einheimischen Bietern oder daß sie von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten nur mit grösseren Schwierigkeiten erfuellt werden könnte. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des Sachverhalts zu prüfen, ob die Aufstellung einer solchen Bedingung unmittelbar oder mittelbar zu Diskriminierungen führt.
31 Auch wenn die vorstehend erörterten Kriterien als solche nicht mit der Richtlinie unvereinbar sind, müssen sie doch unter Beachtung aller Verfahrensvorschriften der Richtlinie, insbesondere der Publizitätsvorschriften, angewendet werden. Diese Vorschriften sind daher im folgenden auszulegen, damit festgestellt werden kann, welchen Anforderungen die vom vorlegenden Gericht bezeichneten Kriterien genügen müssen.
32 Wie aus den Akten hervorgeht, waren das Kriterium der für die auszuführenden Arbeiten erforderlichen spezifischen Erfahrungen und dasjenige des günstigsten Angebots weder in den Verdingungsunterlagen noch in der Bekanntmachung der Ausschreibung erwähnt, ergeben sich aber aus Artikel 21 UAR, auf das die Bekanntmachung allgemein verweist. Was dagegen die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen anbelangt, so enthielten die Verdingungsunterlagen hierzu besondere Bestimmungen; ausserdem ist diese Bedingung in der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Bekanntmachung der Ausschreibung ausdrücklich erwähnt.
33 Hinsichtlich des Kriteriums der für die auszuführenden Arbeiten erforderlichen spezifischen Erfahrung ist festzustellen, daß die öffentlichen Auftraggeber nach Artikel 26 letzter Absatz der Richtlinie in der Bekanntmachung zwar anzugeben haben, welche Nachweise ihnen für die technische Leistungsfähigkeit des Unternehmens jeweils vorzulegen sind, jedoch nicht zur Nennung der Kriterien verpflichtet sind, auf die sie sich bei der Prüfung der fachlichen Eignung stützen wollen.
34 Damit die Bekanntmachung ihre Funktion erfuellen kann, den in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmern ein Urteil darüber zu ermöglichen, ob ein Auftrag für sie von Interesse ist, muß sie jedoch einen, sei es auch knappen, Hinweis auf die besonderen Bedingungen enthalten, denen ein Bieter zu genügen hat, um als geeignet für die Teilnahme am Verfahren zur Vergabe des Auftrags angesehen werden zu können. Ein solcher Hinweis kann jedoch nicht gefordert werden, wenn es sich wie im vorliegenden Falle nicht um eine besondere Eignungsbedingung handelt, sondern um ein Kriterium, das mit der Prüfung der Eignung untrennbar verbunden ist.
35 Zum Kriterium des "günstigsten Angebots" ist festzustellen, daß auch dann, wenn ein solches Kriterium unter den oben dargelegten Umständen mit der Richtlinie vereinbar sein sollte, die öffentlichen Auftraggeber nach dem Wortlaut von Artikel 29 Absätze 1 und 2 der Richtlinie - falls sie bei der Erteilung des Zuschlags nicht ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises anwenden, sondern sich auf verschiedene Kriterien stützen, um dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen - gehalten sind, diese Kriterien entweder in der Bekanntmachung der Ausschreibung oder in den Verdingungsunterlagen anzugeben. Eine allgemeine Verweisung auf eine staatliche Rechtsvorschrift vermag diesem Publizitätserfordernis daher nicht zu genügen.
36 Was eine Bedingung wie die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen betrifft, so handelt es sich um eine besondere zusätzliche Bedingung, die in der Bekanntmachung erwähnt werden muß, damit die Unternehmer in der Lage sind, von ihrem Bestehen Kenntnis zu nehmen.
37 Auf die zweite Frage des vorlegenden Gerichts ist daher wie folgt zu antworten :
- Das Kriterium der "für die auszuführenden Arbeiten erforderlichen spezifischen Erfahrung" ist im Hinblick auf die Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmer ein zulässiges Kriterium für die Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit. Ist ein solches Kriterium in einer staatlichen Rechtsvorschrift vorgesehen, auf die die Bekanntmachung der Ausschreibung verweist, so ist es nach der Richtlinie besonderen Anforderungen betreffend die Veröffentlichung in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen nicht unterworfen.
- Das in einer staatlichen Rechtsvorschrift vorgesehene Kriterium des "günstigsten Angebots" kann mit der Richtlinie vereinbar sein, wenn es das Beurteilungsermessen zum Ausdruck bringt, über das die öffentlichen Auftraggeber verfügen, um nach objektiven Gesichtspunkten das wirtschaftlich vorteilhafteste Angebot zu ermitteln, und somit kein willkürliches Auswahlelement enthält. Aus Artikel 29 Absätze 1 und 2 der Richtlinie geht hervor, daß die öffentlichen Auftraggeber - falls sie bei der Erteilung des Zuschlags nicht ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises anwenden, sondern sich auf verschiedene Kriterien stützen, um dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen - gehalten sind, diese Kriterien entweder in der Bekanntmachung der Ausschreibung oder in den Verdingungsunterlagen anzugeben.
- Die Bedingung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen ist mit der Richtlinie vereinbar, wenn sie nicht unmittelbar oder mittelbar zu einer Diskriminierung der Bieter aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft führt. Eine solche besondere zusätzliche Bedingung muß in der Bekanntmachung der Ausschreibung angegeben werden.
Zur dritten Frage
38 Die dritte Frage zielt im wesentlichen darauf ab, ob sich der einzelne vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf die Artikel 20, 26 und 29 der Richtlinie 71/305 berufen kann.
39 Hierzu ist zunächst daran zu erinnern, daß - wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83 ( Von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891, Randnr. 26 ) entschieden hat - die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag, alle zur Erfuellung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten obliegen, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Hieraus folgt, daß die Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Anwendung ihres nationalen Rechts, namentlich der Bestimmungen eines speziell zur Ausführung einer Richtlinie erlassenen staatlichen Gesetzes, dieses Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen haben, um das in Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages genannte Ziel zu erreichen.
40 Weiterhin ist daran zu erinnern, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ( siehe zuletzt das Urteil vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 152/84, Marshall, Slg. 1986, 723, Randnr. 46 ) in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, die einzelnen berechtigt sind, sich gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen zu berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umsetzt oder eine unzutreffende Umsetzung der Richtlinie vornimmt.
41 Es ist daher zu prüfen, ob die in Rede stehenden Bestimmungen der Richtlinie 71/305 inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, damit sich der einzelne gegenüber dem Staat auf sie berufen kann.
42 Wie der Gerichtshof bereits im Urteil vom 10. Februar 1982 in der Rechtssache 76/81 ( Transporoute, Slg. 1982, 417 ) zu Artikel 29 festgestellt hat, sollen die Vorschriften der Richtlinie über die Teilnahme und die Publizität den Bieter vor der Willkür des öffentlichen Auftraggebers schützen.
43 Zu diesem Zweck sehen die in Rede stehenden Rechtsvorschriften, wie bereits in der Antwort auf die zweite Frage dargelegt, insbesondere vor, daß die öffentlichen Auftraggeber sich bei der Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmer auf Kriterien der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit stützen können und daß bei der Erteilung des Zuschlags entweder ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises oder verschiedene auf das Angebot bezogene Kriterien anzuwenden sind; weiterhin legen sie die Anforderungen betreffend die Veröffentlichung der von den Auftraggebern angewendeten Kriterien sowie der von den Auftraggebern verlangten Nachweise und Beweismittel fest. Da für die Erfuellung dieser Anforderungen keine besondere Ausführungsmaßnahme notwendig ist, sind die sich hieraus für die Mitgliedstaaten ergebenden Verpflichtungen somit unbedingt und hinreichend genau.
44 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, daß der einzelne sich vor den staatlichen Gerichten auf die Artikel 20, 26 und 29 der Richtlinie 71/305 berufen kann.
Kostenentscheidung:
Kosten
45 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und der Italienischen Republik, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF ( Vierte Kammer )
auf die ihm von der Arrondissementsrechtbank Den Haag mit Urteil vom 28. Januar 1987 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :
1 ) Die Richtlinie 71/305 ist auf öffentliche Bauaufträge anwendbar, die von einer Einrichtung wie der Örtlichen Flurbereinigungskommission vergeben werden.
2 ) - Das Kriterium der "für die auszuführenden Arbeiten erforderlichen spezifischen Erfahrung" ist im Hinblick auf die Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmer ein zulässiges Kriterium für die Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit. Ist ein solches Kriterium in einer staatlichen Rechtsvorschrift vorgesehen, auf die die Bekanntmachung der Ausschreibung verweist, so ist es nach der Richtlinie besonderen Anforderungen betreffend die Veröffentlichung in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen nicht unterworfen.
- Das in einer staatlichen Rechtsvorschrift vorgesehene Kriterium des "günstigsten Angebots" kann mit der Richtlinie vereinbar sein, wenn es das Beurteilungsermessen zum Ausdruck bringt, über das die öffentlichen Auftraggeber verfügen, um nach objektiven Gesichtspunkten das wirtschaftlich vorteilhafteste Angebot zu ermitteln, und somit kein willkürliches Auswahlelement enthält. Aus Artikel 29 Absätze 1 und 2 der Richtlinie geht hervor, daß die öffentlichen Auftraggeber - falls sie bei der Erteilung des Zuschlags nicht ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises anwenden, sondern sich auf verschiedene Kriterien stützen, um dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen - gehalten sind, diese Kriterien entweder in der Bekanntmachung der Ausschreibung oder in den Verdingungsunterlagen anzugeben.
- Die Bedingung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen ist mit der Richtlinie vereinbar, wenn sie nicht unmittelbar oder mittelbar zu einer Diskriminierung der Bieter aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft führt. Eine solche besondere zusätzliche Bedingung muß in der Bekanntmachung der Ausschreibung angegeben werden.
3 ) Der einzelne kann sich vor den staatlichen Gerichten auf die Artikel 20, 26 und 29 der Richtlinie 71/305 berufen.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.