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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.06.1988
Aktenzeichen: 318/86
Rechtsgebiete: Richtlinie 76/207/EWG, EWG-Vertrag


Vorschriften:

Richtlinie 76/207/EWG
EWG-Vertrag Art. 169
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die in Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 76/207 für Tätigkeiten, für deren Ausübung das Geschlecht eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, vorgesehene Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung erstreckt sich im Falle eines Amtes (" corps "), bei dem nach männlichen und weiblichen Bewerbern getrennte Einstellungsverfahren aufgrund der vorgenannten Bestimmung gerechtfertigt sind, auf die Tätigkeiten, die dem höheren Dienstgrad des betroffenen "corps" entsprechen, auch wenn einige dieser Tätigkeiten nicht notwendigerweise von Personen ausgeuebt werden müssen, die dem einen oder dem anderen Geschlecht angehören. Das ergibt sich aus der Notwendigkeit, den Beamten Laufbahnen zu eröffnen, sowie aus der Bedeutung, die der beruflichen Erfahrung beizumessen ist.

2. Die nach Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 76/207 zulässigen Ausnahmeregelungen dürfen nur spezifische berufliche Tätigkeiten betreffen. Sie müssen hinreichend durchschaubar sein, um von der Kommission wirksam kontrolliert werden zu können, und grundsätzlich für eine Anpassung an die gesellschaftliche Entwicklung geeignet sein. Diesen Anforderungen entspricht eine Praxis nicht, die darin besteht, daß bei jedem Einstellungsvorgang in einem "corps", in dem ein Rückgriff auf die vorgenannte Ausnahme nur für bestimmte Tätigkeiten gerechtfertigt ist, die jeweiligen prozentualen Anteile der Dienstposten festgesetzt werden, die mit Männern beziehungsweise mit Frauen zu besetzen sind, ohne daß eine Rechtsvorschrift hierfür irgendwelche objektiven Kriterien vorschreiben würde. Ein derartiges Vorgehen verhindert nämlich jede Form der Kontrolle seitens der Kommission, der zuständigen Gerichte oder der durch diskriminierende Maßnahmen beschwerten Personen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 30. JUNI 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN FRANZOESISCHE REPUBLIK. - GLEICHBEHANDLUNG VON MAENNERN UND FRAUEN - ZUGANG ZUR BESCHAEFTIGUNG IM OEFFENTLICHEN DIENST. - RECHTSSACHE 318/86.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 18. Dezember 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist alle zur vollständigen und genauen Durchführung der Richtlinie 76/207 des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen ( ABl. L 39, S. 40 ) erforderlichen Maßnahmen getroffen, vielmehr insbesondere eine Regelung beibehalten hat, die in Widerspruch zur Richtlinie nach Geschlecht getrennte Einstellungsverfahren für die Ernennung von Beamten in mehreren Ämtern (" corps ") vorsieht.

2 Der Rechtsstreit betrifft das in Frankreich geltende System für die Einstellungen im öffentlichen Dienst. Nach französischem Recht ist das einzige Kriterium für die Einstellung die im Anschluß an ein einziges, für weibliche und männliche Bewerber gemeinsam durchgeführtes Eingangs-Auswahlverfahren vorgenommene Einstufung des Bewerbers. Artikel 21 des Gesetzes Nr. 84-16 vom 11. Januar 1985 über den öffentlichen Dienst ( Journal Officiel de la République française - JORF - 1984, S. 271 ) sieht jedoch vor, daß bei bestimmten, in einer durch Dekret festgelegten Liste aufgeführten "corps" für Männer und Frauen jeweils getrennte Einstellungsverfahren durchgeführt werden können. Diese Verfahren sind dadurch gekennzeichnet, daß in jedem Beschluß über die Eröffnung eines Auswahlverfahrens festgelegt wird, wieviel Prozent der zu besetzenden Stellen Männern und wieviel Prozent Frauen vorbehalten sind.

3 Die erwähnte Liste wurde mit Dekret Nr. 82-886 vom 15. Oktober 1982 ( JORF 1982, S. 3154 ) festgelegt. Dieses Dekret wurde nach der vor Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 84-16 geltenden Vorschriften erlassen; die Liste wurde jedoch mit dem in Anwendung dieses Gesetzes ergangenen Dekret aufrechterhalten.

4 Nach Ansicht der Kommission ist diese Liste äusserst weitgespannt; die sich aus ihr ergebenden Einstellungsbedingungen seien mit dem Grundsatz des gleichen Zugangs von Männern und Frauen zur Beschäftigung, wie ihn die Richtlinie 76/207 ( Richtlinie ) gewährleiste, unvereinbar. Demgegenüber macht die französische Regierung geltend, bei den in der Liste aufgeführten "corps" stelle die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht eine unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung der den betroffenen Beamten obliegenden Tätigkeiten dar; die unterschiedlichen Einstellungsbedingungen stuenden daher in Einklang mit Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie.

5 Nach dieser Bestimmung steht die Richtlinie nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, solche beruflichen Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen, "für die das Geschlecht auf Grund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt ".

6 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens, der Vorgeschichte und des Gegenstands des Rechtsstreits sowie des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Nach den Akten gelangte die Kommission im Laufe des vorgerichtlichen Verfahrens zu dem Ergebnis, daß die im französischen Recht vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau bei bestimmten "corps" nicht die Grenzen des Artikels 2 Absatz 2 der Richtlinie überschritten; andererseits strich die französische Regierung bestimmte andere "corps" von der Liste. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung betraf die Klage nur noch folgende "corps ": fünf "corps" der Staatspolizei, das "corps" des Aufsichtspersonals der Strafvollzugsbehörden, soweit es sich um die mit der Leitung von Strafanstalten beauftragten "surveillants chefs" ( Chefaufseher ) handelt, die "corps" der Turn - und Sport - sowie der Hilfsturn - und Hilfssportlehrer, schließlich die "corps" des Führungs - sowie des Fach - und Berufsausbildungspersonals im Aussendienst des Strafvollzugs.

8 Nach der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ihre Klage insoweit zurückgenommen, als sie die "corps" der ( Hilfs-)Turn - und Sportlehrer betraf, da diese inzwischen durch Dekret vom 29. April 1988 von der Liste gestrichen worden waren. Die genannten "corps" gehören somit nicht mehr zum Gegenstand des Rechtsstreits.

9 Was das Führungs - sowie das Fach - und Ausbildungspersonal im Aussendienst des Strafvollzugs betrifft, so erkennt die französische Regierung an, daß die im innerstaatlichen Recht vorgesehene Ausnahme mit der Richtlinie nicht vereinbar ist. Sie hat ihre Absicht bekundet, diese "corps" von der Liste zu streichen.

10 Die Parteien streiten daher nur darüber, welche Folgen sich aus der Richtlinie für die mit der Leitung von Strafanstalten beauftragten "surveillants chefs" und die fünf "corps" der Staatspolizei ergeben.

a ) Zu den mit der Leitung von Strafanstalten beauftragten "surveillants chefs"

11 Die Gruppe der mit der Leitung von Strafanstalten beauftragten "surveillants chefs" steht nicht als solche auf der Liste, da die "surveillants chefs", um die es hier geht, kein "corps" im Sinne des französischen Rechts bilden. Dagegen ist in der Liste das "' corps' des Aufsichtspersonals" (" corps du personnel de surveillance ") aufgeführt, und zwar als Teil des "corps" des Aussendienstes im Strafvollzug, bei dem getrennte Einstellungsverfahren für Männer und Frauen vorgesehen werden können.

12 Was das Aufsichtspersonal im allgemeinen betrifft, so räumt die Kommission ein, daß die besondere Eigenart der Aufseherposten und die Bedingungen, unter denen die Beteiligten ihre Tätigkeit ausüben, es rechtfertigen, diese Posten in den Männergefängnissen hauptsächlich Männern und in den Frauengefängnissen hauptsächlich Frauen vorzubehalten. Insoweit überschritten die unterschiedlichen Bedingungen des Zugangs zum "corps" des Aufsichtspersonals, d. h. das System der nach Geschlechtern getrennten Einstellungsverfahren, nicht die Grenzen des Artikels 2 Absatz 2 der Richtlinie.

13 Anders verhalte es sich jedoch bei den mit der Leitung von Strafanstalten beauftragten "surveillants chefs ". Diese übten nämlich eine leitende Tätigkeit aus, die keine regelmässigen Kontakte mit den Häftlingen erfordere. Ihre Aufgaben seien daher mit denjenigen der "directeurs d' établissement" ( Anstaltsleiter ) vergleichbar, denn der einzige Unterschied bestehe in der Aufnahmekapazität der von den Betroffenen jeweils geleiteten Strafanstalten; die französische Regierung habe jedoch anerkannt, daß bei den Leitern der grossen Anstalten die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht keine unabdingbare Voraussetzung sei.

14 Die französische Regierung macht geltend, die Anstaltsleiter gehörten zum "corps" des Führungspersonals (" personnel de direction "), während die "surveillants chefs" stets zum "corps" des Aufsichtspersonals gehörten, selbst wenn sie eine Strafanstalt zu leiten hätten. Das für dieses Personal geltende Einstellungsverfahren stehe also mit den Erfordernissen der Richtlinie in Einklang, da - wie die Kommission eingeräumt habe - getrennte Einstellungsverfahren für das "corps" des Aufsichtspersonals im allgemeinen notwendig seien, und da die Eignungslisten für die Dienstposten der Strafanstaltsleiter ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit der Beteiligten zu einem bestimmten Geschlecht aufgestellt würden.

15 Nach den Akten umfasst das "corps" des Aufsichtspersonals verschiedene Dienstgrade, insbesondere diejenigen des "surveillant" ( Aufseher ), des "surveillant principal" ( Oberaufseher ), des "premier surveillant" ( Hauptaufseher ) und des "surveillant chef" ( Chefaufseher ). Die einschlägigen Vorschriften legen fest, daß die "surveillants chefs" zu Strafanstaltsleitern (" chefs de maison d' arrêt ") ernannt werden können, wenn die betroffene Anstalt weniger als 100 Häftlinge aufnehmen kann. Die "surveillants chefs" und - unter ihrer Leitung - die "premiers surveillants" "organisieren und leiten die Arbeit der 'surveillants' und der 'surveillants principaux' " (" sont chargés de l' encadrement des surveillants et surveillants principaux "); die zu Anstaltsleitern ernannten "surveillants chefs" sind für die Arbeit ihrer Anstalt verantwortlich.

16 Hiernach betrifft die zu untersuchende Frage ein "corps", bei dem getrennte Einstellungsverfahren für weibliche und männliche Bewerber von der Kommission als im Einklang mit Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie stehend angesehen werden, innerhalb dessen das Aufrücken in höhere Dienstgrade in nicht diskriminierender Weise vor sich geht, bei dem jedoch dieses Aufrücken in bestimmten Fällen zur Folge haben kann, daß der oder die Beteiligte Tätigkeiten auszuüben hat, die nicht so geartet sind, daß die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht eine unabdingbare Voraussetzung wäre.

17 Bei einem solchen Sachverhalt erstreckt sich die Ausnahmebestimmung des Artikels 2 Absatz 2 der Richtlinie auf die Tätigkeiten, die dem höheren Dienstgrad des betroffenen "corps" entsprechen, auch wenn einige dieser Tätigkeiten nicht unbedingt von Personen ausgeuebt werden müssen, die einem bestimmten Geschlecht angehören. Zwar trifft es zu, wie die Kommission hervorgehoben hat, daß die französischen Behörden das Problem dadurch hätten vermeiden können, daß sie ihre Dienststellen anders organisiert hätten, zum Beispiel durch Schaffung eines besonderen "corps" der Strafanstaltsleiter oder durch Einbeziehung dieser Tätigkeit in das "corps" des Führungspersonals; indessen ist andererseits anzuerkennen, daß es Gründe dafür geben kann, das Amt eines "surveillant chef" nur solchen Personen zugänglich zu machen, die tatsächlich als Aufseher gearbeitet haben. Die französische Regierung hat nun aber dargetan, daß derartige Gründe hier vorliegen, nämlich die Notwendigkeit, Beförderungsmöglichkeiten innerhalb des "corps" des Aufsichtspersonals zu schaffen, sowie die Tatsache, daß für die Ausübung der Tätigkeit des Leiters einer Strafanstalt eine in diesem "corps" erworbene Berufserfahrung wünschenswert ist. Die Kommission ihrerseits hat nicht dargetan, daß dieses Vorbringen unzutreffend wäre.

18 Die Rügen der Kommission sind daher insoweit zurückzuweisen, als sie sich auf die mit der Leitung einer Strafanstalt beauftragten "surveillants chefs" beziehen.

b ) Zu den fünf "corps" der Staatspolizei

19 Die in der streitigen Liste aufgeführten "corps" der Staatspolizei sind die folgenden : die Kommissare der Staatspolizei, die Kommandanten und "officiers de paix" der Staatspolizei, die Inspektoren der Staatspolizei, die Untersuchungsbeamten der Staatspolizei sowie die unteren Dienstgrade und Schutzleute der Staatspolizei.

20 Nach Auffassung der Kommission rechtfertigt die Tatsache, daß bestimmte polizeiliche Aufgaben nicht unterschiedslos von weiblichen und männlichen Beamten erledigt werden können, keine diskriminierende Behandlung beim Zugang zu Polizeistellen im allgemeinen. Die Anwendung von Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie könne nicht auf eine Pauschalbewertung der Gesamtheit der polizeilichen Tätigkeiten gestützt werden; sie erfordere vielmehr die gesonderte Prüfung der im Einzelfall auszuübenden Tätigkeiten.

21 Die französische Regierung führt aus, die fünf in Rede stehenden "corps" bildeten die aktive staatliche Polizeitruppe; mit den ihnen übertragenen Aufgaben könnten Tätigkeiten verbunden sein, für welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht eine unabdingbare Voraussetzung darstelle. Insbesondere müssten die Beamten der Staatspolizei zu jeder Zeit in der Lage sein, Gewalt anzuwenden, um etwaige Unruhestifter abzuschrecken. Das zwingende Gebot der Aufrechterhaltung der Ordnung stehe somit einer weitgehenden Aufnahme von Frauen in die mit entsprechenden Aufgaben betrauten Ämter entgegen.

22 Weiterhin sei das letzte Hindernis für den Zugang von Frauen zu der Gesamtheit der "corps" der Staatspolizei 1983 abgebaut worden; seither habe der Prozentsatz der mit Frauen besetzten Dienstposten in bedeutsamer Weise zugenommen. Die Eingliederung von Beamtinnen in den aktiven Polizeidienst müsse jedoch schrittweise vor sich gehen, um die ordnungsgemässe Erfuellung der Aufgaben, die der öffentlichen Sicherheit dienten, nicht zu gefährden.

23 Wie die Verhandlung vor dem Gerichtshof gezeigt hat, stimmen beide Parteien darin überein, daß bestimmte mit den Aufgaben der "corps" der Staatspolizei verbundene Tätigkeiten nur entweder von Beamten oder Beamtinnen, andere von jedem Beamten und jeder Beamtin ohne Rücksicht auf das Geschlecht ausgeuebt werden können. Dagegen streiten die Parteien über die Folgen, die sich aus dieser Sachlage für die Anwendbarkeit von Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie ergeben.

24 Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie belässt den Mitgliedstaaten die Befugnis, aus ihrem Anwendungsbereich bestimmte "berufliche Tätigkeiten" auszuschließen; Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie verpflichtet sie, diese Tätigkeiten in regelmässigen Abständen zu prüfen, um unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung festzustellen, ob es gerechtfertigt ist, die betreffenden Ausnahmen aufrechtzuerhalten. Artikel 9 Absatz 2 bestimmt weiterhin, daß die Mitgliedstaaten das Ergebnis dieser Prüfung der Kommission übermitteln.

25 Demnach dürfen die nach Artikel 2 Absatz 2 zulässigen Ausnahmeregelungen nur spezifische Tätigkeiten betreffen, die hinreichend durchschaubar zu sein haben, um von der Kommission wirksam kontrolliert werden zu können, und die grundsätzlich für eine Anpassung an die gesellschaftliche Entwicklung geeignet sein müssen. Dieses letzte Erfordernis bereitet vorliegend keine Schwierigkeiten; dagegen steht das französische Recht nicht mit den beiden anderen Erfordernissen in Einklang.

26 Zum einen mangelt es an der erforderlichen Durchschaubarkeit. Das System der getrennten Einstellungsverfahren besteht darin, daß jeder Beschluß über die Eröffnung eines Auswahlverfahrens die jeweiligen prozentualen Anteile der Dienstposten festsetzt, die mit Männern beziehungsweise mit Frauen zu besetzen sind; keine Rechtsvorschrift schreibt für diese Festsetzung irgendwelche objektiven Kriterien vor.

27 Diese mangelnde Durchschaubarkeit wirkt sich auch auf die Einhaltung des anderen von der Richtlinie aufgestellten Erfordernisses aus, bei dem es um die betroffenen Tätigkeiten geht. Das streitige Einstellungssystem macht es sowohl der Kommission und den zuständigen Gerichten als auch den durch diskriminierende Maßnahmen beschwerten Personen unmöglich, in irgendeiner Form nachzuprüfen, ob die in den getrennten Einstellungsverfahren jeweils festgesetzten prozentualen Anteile tatsächlich den spezifischen Tätigkeiten entsprechen, für die das Geschlecht im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie eine unabdingbare Voraussetzung darstellt.

28 Die französische Regierung wendet weiterhin ein, die Tatsache, daß die getrennten Einstellungsverfahren auf der Ebene der "corps" und nicht im Hinblick auf bestimmte genau umschriebene Tätigkeiten durchgeführt würden, hänge mit den Grundprinzipien des französischen Rechts des öffentlichen Dienstes zusammen. Dem ist entgegenzuhalten, daß derartige Umstände nicht dazu führen dürfen, daß Ausnahmen von einem subjektiven Recht wie dem auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen das zur Erreichung des angestrebten rechtmässigen Ziels erforderliche Maß überschreiten. Denn der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verlangt, daß die Gleichbehandlung von Männern und Frauen soweit wie möglich mit den Erfordernissen in Einklang gebracht wird, die für die Ausübung der jeweiligen spezifischen Tätigkeit entscheidend sind.

29 Die Rügen der Kommission bezueglich des Einstellungssystems für Beamte der fünf "corps" der Staatspolizei greifen somit durch.

30 Nach alledem hat die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß sie für die Ernennung von Beamten in den "corps" des Führungs - und des Fach - und Berufsausbildungspersonals im Aussendienst des Strafvollzugs sowie in der Gesamtheit der fünf "corps" der Staatspolizei ein nach Geschlecht getrenntes, von der Richtlinie 76/207 nicht gedecktes Einstellungsverfahren beibehalten hat. Im übrigen ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

31 Nach Artikel 69 § 2 ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 69 § 3 Absatz 1 kann der Gerichtshof die Kosten jedoch ganz oder teilweise gegeneinander aufheben, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Klägerin mit einem ihrer Klagegründe unterlegen ist, sind die Kosten gegeneinander aufzuheben.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß sie für die Ernennung von Beamten in den "corps" des Führungs - und des Fach - und Berufsausbildungspersonals im Aussendient des Strafvollzugs sowie in der Gesamtheit der fünf "corps" der Staatspolizei ein nach Geschlecht getrenntes, von der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen nicht gedecktes Einstellungsverfahren beibehalten hat.

2 ) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3 ) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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