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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.02.1988
Aktenzeichen: 324/86
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 77/187/EWG
Vorschriften:
EWGV Art. 177 | |
RL Nr. 77/187/EWG Art. 1 Abs. 1 |
1. Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen ist dahin auszulegen, daß die Richtlinie Anwendung findet, wenn nach Beendigung eines nicht übertragbaren Pachtverhältnisses der Inhaber des Unternehmens dieses an einen neuen Pächter verpachtet, der das Unternehmen ohne Unterbrechung mit demselben Personal, dem zuvor bei Beendigung des ersten Pachtverhältnisses gekündigt worden war, fortführt.
2. Ein Arbeitnehmer kann selbst dann nicht auf die Rechte verzichten, die ihm aufgrund der zwingenden Vorschriften der Richtlinie 77/187 zustehen, wenn die sich für ihn aus diesem Verzicht ergebenden Nachteile durch Vorteile solcher Art ausgeglichen werden, daß er insgesamt gesehen nicht schlechter gestellt ist. Die Richtlinie steht jedoch einer mit dem neuen Unternehmensinhaber vereinbarten Änderung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen, wenn das anwendbare innerstaatliche Recht eine solche Änderung unabhängig von einem Unternehmensübergang zulässt.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 10. FEBRUAR 1988. - FORENINGEN AF ARBEJDSLEDERE I DANMARK GEGEN DADDY'S DANCE HALL A/S. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM HOEJESTERET DANMARK. - WAHRUNG VON ANSPRUECHEN DER ARBEITNEHMER BEIM UEBERGANG VON UNTERNEHMEN. - RECHTSSACHE 324/86.
Entscheidungsgründe:
1 Das Höjesteret, Kopenhagen, hat mit Beschluß vom 18. Dezember 1986, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Dezember 1986, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung einiger Bestimmungen der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ( ABl. L 61, S. 26 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Verfahren, das die Forening af Arbejdsledere i Danmark als Mandatar für Kim Erik Tellerup gegen die Firma Daddy' s Dance Hall A/S angestrengt hat.
3 Herr Tellerup war als Restaurantleiter bei der Irma Catering A/S angestellt, mit der die A/S Palads Teatret für einige ihrer Restaurants und Bars ein nicht übertragbares Pachtverhältnis eingegangen war. Als der Pachtvertrag aufgehoben wurde, kündigte die Irma Catering A/S am 28. Januar 1983 ihren Angestellten, darunter Herrn Tellerup, unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist, d. h. im Fall von Herrn Tellerup zum 30. April 1983. Die Irma Catering führte den Betrieb dieser Lokale mit derselben Belegschaft bis zum 25. Februar 1983 weiter.
4 Mit Wirkung von diesem Tag wurde ein neuer Pachtvertrag zwischen der A/S Palads Teatret und der Firma Daddy' s Dance Hall abgeschlossen. Letztere stellte die Angestellten der früheren Pächterin, darunter auch Herrn Tellerup, sogleich wieder für die Tätigkeiten ein, die sie vorher ausgeuebt hatten. Der mit Herrn Tellerup neu geschlossene Leitervertrag sah jedoch statt der früheren Entlohnung auf Provisionsbasis von da ab ein festes Gehalt vor. Ausserdem wurde auf Wunsch von Herrn Tellerup eine dreimonatige Probezeit vereinbart, in der für beide Seiten eine vierzehntägige Kündigungsfrist galt. Aufgrund dieser Bestimmung wurde Herrn Tellerup am 26. April 1983 unter Einhaltung der vierzehntägigen Kündigungsfrist gekündigt. Im Ausgangsrechtsstreit geht es im wesentlichen um die Frage, auf welche Kündigungsfrist sich der Betroffene berufen konnte.
5 Da das Höjesteret der Ansicht ist, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG abhängt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :
"1 ) Ist Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen so zu verstehen, daß die Richtlinie Anwendung findet, wenn ein nicht übertragbares Pachtverhältnis über einen Betrieb beendet wird und der Eigentümer daraufhin - ohne daß der Betrieb unterbrochen wird - diesen an einen neuen Pächter verpachtet, der die Angestellten, denen gekündigt wurde, die aber noch nicht aus dem Betrieb ausgeschieden sind, wieder einstellt und das Warenlager des früheren Pächters kauft?"
Bei Bejahung der Frage 1 wird ausserdem um Beantwortung folgender Frage gebeten :
"2 ) Kann ein Arbeitnehmer beim Abschluß eines Vertrags mit dem Erwerber eines Betriebs auf Rechte aus dieser Richtlinie verzichten, wenn er im Zusammenhang damit solche Vorteile erhält, daß die Änderung der Anstellungsbedingungen ihn insgesamt gesehen nicht schlechter stellt? "
6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben als die Begründung des Urteils dies erfordert.
Zur ersten Frage
7 Mit der ersten Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 dahin auszulegen ist, daß die Richtlinie Anwendung findet, wenn nach Beendigung eines nicht übertragbaren Pachtverhältnisses der Inhaber des Unternehmens dieses an einen neuen Pächter verpachtet, der das Unternehmen ohne Unterbrechung mit demselben Personal, dem zuvor bei Beendigung des ersten Pachtverhältnisses gekündigt worden war, fortführt.
8 Das Vereinigte Königreich und die Kommission schlagen übereinstimmend vor, diese Frage zu bejahen. Wenn davon auszugehen sei, daß die Richtlinie bei dem Übergang eines Unternehmens von einem Pächter auf einen anderen anwendbar sei, wenn der Pächter vertragliche Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern übernommen habe, müsse ebenso davon ausgegangen werden, daß die Richtlinie anwendbar sei, wenn der Vorgang in zwei Schritten in der Weise erfolge, daß das Unternehmen zunächst vom ersten Pächter auf den Eigentümer übertragen werde, der es dann in einem zweiten Schritt dem neuen Pächter übertrage. In einem solchen Fall befänden sich die Arbeitnehmer in derselben Lage wie bei einer unmittelbaren Übertragung und hätten daher Anspruch auf denselben Schutz.
9 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, zuletzt im Urteil vom 17. Dezember 1987 in der Rechtssache 287/86 ( Ny Mölle Kro, Slg. 1987, 0000 ) soll die Richtlinie 77/187/EWG die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers soweit wie möglich gewährleisten, indem sie den Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, wie sie mit dem Veräusserer vereinbart waren. Wenn durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung des Unternehmens die natürliche oder juristische Person, die für den Betrieb des Unternehmens verantwortlich ist und insoweit gegenüber den in dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeitgeberverpflichtungen eingeht, wechselt, ist die Richtlinie daher anwendbar, ohne daß es darauf ankommt, ob das Eigentum an dem Unternehmen übertragen worden ist.
10 Infolgedessen kann, wenn der Pächter als Inhaber eines Unternehmens bei Beendigung des Pachtvertrags diese Eigenschaft verliert und ein Dritter sie aufgrund eines mit dem Eigentümer abgeschlossenen neuen Pachtvertrags erwirbt, dieser Vorgang in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wie er in Artikel 1 Absatz 1 umschrieben ist. Daß in diesem Fall die Übertragung in zwei Schritten in der Weise erfolgt, daß das Unternehmen zunächst vom ersten Pächter auf den Eigentümer zurückübertragen wird, der es anschließend dem neuen Pächter überträgt, schließt die Anwendbarkeit der Richtlinie nicht aus, soweit die betroffene wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn wie im vorliegenden Fall der Betrieb des Unternehmens von dem neuen Pächter ohne Unterbrechung mit dem Personal fortgeführt wird, das auch schon vor dem Übergang in dem Unternehmen beschäftigt war.
11 Aus diesen Gründen ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 dahin auszulegen ist, daß die Richtlinie Anwendung findet, wenn nach Beendigung eines nicht übertragbaren Pachtverhältnisses der Inhaber des Unternehmens dieses an einen neuen Pächter verpachtet, der das Unternehmen ohne Unterbrechung mit demselben Personal, dem zuvor bei Beendigung des ersten Pachtverhältnisses gekündigt worden war, fortführt.
Zur zweiten Frage
12 Mit der zweiten Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob ein Arbeitnehmer auf die Rechte verzichten kann, die ihm aufgrund der Richtlinie 77/187/EWG zustehen, wenn die sich für ihn aus diesem Verzicht ergebenden Nachteile durch Vorteile solcher Art ausgeglichen werden, daß er insgesamt gesehen nicht schlechter gestellt ist.
13 Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs und der Kommission ist diese Frage insoweit zu verneinen, als ein Arbeitnehmer gegenüber seinem neuen Arbeitgeber nicht auf Rechte verzichten kann, die ihm aufgrund zwingender Bestimmungen der Richtlinie zustehen. Das Vereinigte Königreich führt jedoch weiter aus, daß dem Arbeitnehmer eine solche Möglichkeit zuzugestehen sei, wenn er sie auch gegenüber dem Veräusserer gehabt hätte. Der Erwerber befinde sich nämlich in der Lage, in der sich der Veräusserer in einem solchen Fall befunden hätte; ein Arbeitnehmer könne daher eine Änderung seines Arbeitsvertrags mit dem Erwerber innerhalb der Grenzen vereinbaren, die für den Veräusserer gegolten hätten. Dieser Ansicht ist zu folgen.
14 Wie oben festgestellt worden ist, soll die Richtlinie 77/187/EWG sicherstellen, daß den durch den Übergang des Unternehmens betroffenen Arbeitnehmern ihre Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis erhalten bleiben. Da dieser Schutz des zwingenden Rechts ist und daher der Verfügung der Parteien des Arbeitsvertrags entzogen ist, sind die Bestimmungen der Richtlinie, insbesondere die über den Schutz der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung aufgrund des Übergangs als zwingend in dem Sinne anzusehen, daß von ihnen nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer abgewichen werden darf.
15 Daraus folgt, daß die betroffenen Arbeitnehmer nicht auf die Rechte verzichten können, die ihnen aufgrund der Richtlinie zustehen, und daß eine Verkürzung dieser Rechte selbst mit ihrer Zustimmung unzulässig ist. An dieser Auslegung ändert auch der Umstand nichts, daß der Arbeitnehmer, wie im vorliegenden Fall, als Ausgleich für die Nachteile, die ihm aufgrund einer Änderung seines Arbeitsverhältnisses entstehen, neue Vorteile solcher Art erhält, daß er insgesamt gesehen nicht schlechter gestellt ist als vorher.
16 Jedoch ist darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie 77/187/EWG, wie der Gerichtshof im Urteil vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 105/84 ( Mikkelsen, Slg. 1985, 2639, 2646 ) festgestellt hat, nur eine teilweise Harmonisierung auf dem betreffenden Gebiet vornimmt, indem sie hauptsächlich den den Arbeitnehmern durch die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten selbst bereits gewährten Schutz auch auf den Fall des Unternehmensübergangs ausdehnt. Sie will kein für die gesamte Gemeinschaft aufgrund gemeinsamer Kriterien einheitliches Schutzniveau schaffen. Die Richtlinie kann daher nur in Anspruch genommen werden, um sicherzustellen, daß der betroffene Arbeitnehmer in seinen Rechtsbeziehungen zum Erwerber in gleicher Weise geschützt ist, wie er es nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats in seinen Beziehungen zum Veräusserer war.
17 Soweit daher nach nationalem Recht unabhängig vom Fall des Unternehmensübergangs das Arbeitsverhältnis, insbesondere hinsichtlich des Kündigungsschutzes, zum Nachteil des Arbeitnehmers abgeändert werden kann, wird diese Möglichkeit nicht allein dadurch ausgeschlossen, daß das Unternehmen in der Zwischenzeit übertragen und die Vereinbarung daher mit dem neuen Unternehmensinhaber geschlossen worden ist. Da der Erwerber nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie in die Rechte und Pflichten des Veräusserers aus dem Arbeitsverhältnis eintritt, kann dieses gegenüber dem Erwerber in demselben Umfang geändert werden, wie dies gegenüber dem Veräusserer möglich war; der Unternehmensübergang als solcher stellt jedoch keinesfalls einen Grund für eine solche Änderung dar.
18 Aus diesen Gründen ist auf die zweite Frage zu antworten, daß ein Arbeitnehmer selbst dann nicht auf die Rechte verzichten kann, die ihm aufgrund der zwingenden Vorschriften der Richtlinie 77/187/EWG zustehen, wenn die sich für ihn aus diesem Verzicht ergebenden Nachteile durch Vorteile solcher Art ausgeglichen werden, daß er insgesamt gesehen nicht schlechter gestellt ist. Die Richtlinie steht jedoch einer mit dem neuen Unternehmensinhaber vereinbarten Änderung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen, wenn das anwendbare innerstaatliche Recht eine solche Änderung unabhängig von einem Unternehmensübergang zulässt.
Kostenentscheidung:
Kosten
19 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF ( Dritte Kammer )
auf die ihm vom Höjesteret, Kopenhagen, mit Beschluß vom 18. Dezember 1986 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :
1 ) Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 ist dahin auszulegen, daß die Richtlinie Anwendung findet, wenn nach Beendigung eines nicht übertragbaren Pachtverhältnisses der Inhaber des Unternehmens dieses an einen neuen Pächter verpachtet, der das Unternehmen ohne Unterbrechung mit demselben Personal, dem zuvor bei Beendigung des ersten Pachtverhältnisses gekündigt worden war, fortführt.
2 ) Ein Arbeitnehmer kann selbst dann nicht auf die Rechte verzichten, die ihm aufgrund der zwingenden Vorschriften der Richtlinie 77/187/EWG zustehen, wenn die sich für ihn aus diesem Verzicht ergebenden Nachteile durch Vorteile solcher Art ausgeglichen werden, daß er insgesamt gesehen nicht schlechter gestellt ist. Die Richtlinie steht jedoch einer mit dem neuen Unternehmensinhaber vereinbarten Änderung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen, wenn das anwendbare innerstaatliche Recht eine solche Änderung unabhängig von einem Unternehmensübergang zulässt.
Ende der Entscheidung
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