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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.05.1991
Aktenzeichen: 361/88
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 80/779/EWG, BImSchG


Vorschriften:

EWGV Art. 169
RL Nr. 80/779/EWG Art. 2
RL Nr. 80/779/EWG Art. 3
BImSchG § 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht erfordert nicht notwendig eine förmliche und wörtliche Übernahme ihres Inhalts in eine ausdrückliche, besondere Rechtsvorschrift. Je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Kontext genügen, wenn dieser tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie mit hinreichender Klarheit und Genauigkeit gewährleistet, um die Begünstigten - soweit die Richtlinie Ansprüche des einzelnen begründen soll - in die Lage zu versetzen, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

Die Übereinstimmung einer Praxis mit den Schutzgeboten einer Richtlinie kann kein Grund dafür sein, diese Richtlinie in der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht durch Bestimmungen umzusetzen, die so bestimmt, klar und transparent sind, daß der einzelne wissen kann, welche Rechte und Pflichten er hat. Um die volle Anwendung der Richtlinie in rechtlicher und nicht nur in tatsächlicher Hinsicht zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen auf dem betreffenden Gebiet bereitstellen.

2. Die in Artikel 2 der Richtlinie 80/779 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Grenzwerte vorzuschreiben, die während bestimmter Zeiträume und unter bestimmten Bedingungen nicht überschritten werden dürfen, ist insbesondere zum Schutz der menschlichen Gesundheit geschaffen worden. Dies bedeutet, daß die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung der Grenzwerte die menschliche Gesundheit gefährden könnte, in der Lage sein müssen, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können. Im übrigen ist die Festlegung von Grenzwerten in einer Vorschrift, deren Verbindlichkeit unbestreitbar ist, auch deshalb geboten, damit all jene, deren Tätigkeiten Immissionen zur Folge haben können, genau wissen, welche Verpflichtungen sie haben.

3. Bei einer Klage nach Artikel 169 EWG-Vertrag wird der Streitgegenstand durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt, und für die Klage ist auch dann, wenn der darin gerügte Mangel nach Ablauf der gemäß Artikel 169 Absatz 2 gesetzten Frist behoben wird, noch ein Rechtsschutzinteresse insoweit gegeben, als die Grundlage für eine Haftung geschaffen wird, die einen Mitgliedstaat wegen seiner Pflichtverletzung möglicherweise gegenüber anderen Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft oder einzelnen trifft.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 30. MAI 1991. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - RICHTLINIE - NATUR DER MASSNAHME ZUR UMSETZUNG IN INNERSTAATLICHES RECHT - LUFTVERSCHMUTZUNG. - RECHTSSACHE 361/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 13. Dezember 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie nicht alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um die Richtlinie 80/779/EWG des Rates vom 15. Juli 1980 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub (ABl. L 229, S. 30) vollständig in innerstaatliches Recht umzusetzen.

2 Diese Richtlinie soll zum einen die Ungleichheit der Wettbewerbsbedingungen beseitigen oder verhindern, die sich aus den Unterschieden zwischen den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften über den zulässigen Gehalt der Luft an Schwefeldioxid und Schwebestaub ergeben kann, und zum anderen die menschliche Gesundheit und die Qualität der Umwelt schützen. Zu diesem Zweck schreibt sie eine Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften vor.

3 Nach Artikel 2 der Richtlinie dürfen die im Anhang I der Richtlinie festgelegten Grenzwerte, das heisst die Konzentrationen von Schwefeldioxid und Schwebestaub, "insbesondere im Hinblick auf den Gesundheitsschutz im gesamten Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten während bestimmter Zeiträume unter den in den folgenden Artikeln festgelegten Bedingungen nicht überschritten werden".

4 Nach Artikel 3 Absatz 1 haben die Mitgliedstaaten unbeschadet bestimmter in Absatz 2 näher bezeichneter Ausnahmen geeignete Maßnahmen zu treffen, damit die Konzentrationen von Schwefeldioxid und Schwebestaub in der Atmosphäre ab 1. April 1983 nicht über den in Anhang I genannten Grenzwerten liegen.

5 Artikel 10 Absatz 2 ermächtigt die Mitgliedstaaten jedoch, vorübergehend - sofern sie bestimmte Probenahme- und Analysemethoden anwenden - statt der Grenzwerte des Anhangs I die im Anhang IV festgelegten Grenzwerte zu verwenden.

6 Gemäß Artikel 15 Absatz 1 hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um der Richtlinie innerhalb von 24 Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen. Die Richtlinie wurde der Bundesrepublik Deutschland am 18. Juli 1980 bekanntgegeben und musste daher spätestens am 18. Juli 1982 in deutsches Recht umgesetzt sein.

7 Die Kommission legt der Bundesrepublik Deutschland zur Last, sie sei der Verpflichtung aus Artikel 2 der Richtlinie nicht nachgekommen, eine zwingende Regelung zu erlassen, die das Überschreiten der in Anhang I der Richtlinie festgelegten Grenzwerte im gesamten Hoheitsgebiet unter Androhung wirksamer Sanktionen ausdrücklich verbiete. Sie wirft der Bundesrepublik Deutschland ausserdem vor, sie habe keine angemessenen Maßnahmen erlassen, um sicherzustellen, daß diese Grenzwerte tatsächlich eingehalten würden, wie es Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie vorschreibe.

8 Die Bundesrepublik Deutschland entgegnet, der mit der Richtlinie angestrebte Schutz entspreche dem Schutz, der sich aus dem Bundesgesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge vom 15. März 1974 (BGBl. I, S. 721, im folgenden: Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG) und aus seinen Durchführungsbestimmungen ergebe. Ausserdem entsprächen die konkreten Resultate, die sie im Bereich der Verschmutzung durch Schwefeldioxid und Schwebestaub erreicht habe, vollauf den Anforderungen der Richtlinie.

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Rechtsstreits, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zum Fehlen einer allgemeinen zwingenden Regelung

10 § 3 BImSchG definiert schädliche Umwelteinwirkungen als "Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen". In diesem Gesetz wird jedoch ein Schwellenwert, von dem an diese Immissionen als schädlich für die Umwelt anzusehen sind, nicht festgelegt. Nach § 48 BImSchG ist es Sache der Bundesregierung, nach Anhörung der beteiligten Kreise mit Zustimmung des Bundesrates "zur Durchführung dieses Gesetzes... allgemeine Verwaltungsvorschriften" zu erlassen.

11 Auf der Grundlage des § 48 erließ die Regierung der Bundesrepublik Deutschland 1974 die Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft). Diese wurde mehrfach, unter anderem am 27. Februar 1986 (GMBl. S. 95), geändert. Unstreitig werden in Nr. 2.5.1 der TA Luft für Schwefeldioxid und Schwebestaub Immissionswerte festgelegt, die den Werten in Anhang IV der Richtlinie entsprechen.

12 Die Kommission ist jedoch der Auffassung, die TA Luft sei keine zwingende Regelung. Darüber hinaus sei ihr Anwendungsbereich beschränkter als derjenige der Richtlinie.

13 In der deutschen Rechtsordnung seien Verwaltungsvorschriften im allgemeinen nicht als Rechtsvorschriften anerkannt. Das Grundgesetz, insbesondere Artikel 80 Absatz 1, mache den Erlaß von Verordnungen durch die Verwaltung von bestimmten Voraussetzungen, insbesondere verfahrensmässiger Art, abhängig, die im vorliegenden Fall nicht erfuellt seien. Ausserdem werde sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Lehre eingeräumt, daß Verwaltungsvorschriften nicht zwingend eingehalten werden müssten, wenn ein atypischer Sachverhalt vorliege, das heisst ein Sachverhalt, den der Vorschriftengeber bei der von ihm vorzunehmenden generellen Betrachtung nicht habe regeln können oder wollen. Im übrigen gälten die Vorschriften TA Luft nicht für andere Verschmutzungsquellen als die darin genannten Industrieanlagen.

14 Die Bundesrepublik Deutschland macht geltend, die TA Luft sei keine gewöhnliche Verwaltungsvorschrift. Erstens sei sie nach einem besonderen Verfahren unter Mitwirkung der Vertreter der Wissenschaft, der Betroffenen, der beteiligten Wirtschaft, des beteiligten Verkehrswesens und der obersten Landesbehörden erlassen und dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt worden. Da sie eine verbindliche Norm ausfuellen solle, sei sie ebenso verbindlich wie diese. Dabei lasse sie der Verwaltung keinen Ermessensspielraum. Diese Auffassung werde durch die nationale Rechtsprechung bestätigt. Der allgemeine Begriff der "schädlichen Umwelteinwirkungen" im Immissionsschutzgesetz sei durch die in der TA Luft vorgeschriebenen Grenzwerte konkretisiert worden; diese Grenzwerte gälten daher für alle Fälle, in denen die Atmosphäre Schwefeldioxid und Schwebestaub enthalte.

15 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (siehe u. a. Urteil vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-131/88, Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-825) verlangt die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise, daß ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in einer ausdrücklichen besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden; je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Rahmen genügen, wenn er tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, daß - soweit die Richtlinie Ansprüche des einzelnen begründen soll - die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

16 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die in Artikel 2 der Richtlinie vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Grenzwerte vorzuschreiben, die während bestimmter Zeiträume und unter bestimmten Bedingungen nicht überschritten werden dürfen, "insbesondere zum Schutz der menschlichen Gesundheit" geschaffen worden ist. Dies bedeutet, daß die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung der Grenzwerte die menschliche Gesundheit gefährden könnte, in der Lage sein müssen, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können. Im übrigen ist die Festlegung von Grenzwerten in einer Vorschrift, deren Verbindlichkeit unbestreitbar ist, auch deshalb geboten, damit all jene, deren Tätigkeiten Immissionen zur Folge haben können, genau wissen, welche Verpflichtungen sie haben.

17 Es ist aber erstens festzustellen, daß die in der Richtlinie vorgeschriebenen Grenzwerte nur in der TA Luft enthalten sind und daß diese nur einen beschränkten Anwendungsbereich hat.

18 Entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland gilt diese Verwaltungsvorschrift nicht für alle Anlagen. Nach ihrer Nr. 1 gilt sie nämlich nur für die nach § 4 BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlagen, das heisst für Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Masse geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen. Nr. 1 der TA Luft begründet Verpflichtungen der Verwaltungsbehörden im wesentlichen nur bei der Prüfung der Anträge auf Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung, zum Betrieb oder zur Änderung derartiger Anlagen oder beim Erlaß nachträglicher Anordnungen für diese Anlagen oder aber bei der Anordnung über Ermittlungen von Art und Ausmaß der von diesen Anlagen ausgehenden Emissionen oder der Immissionen im Einwirkungsbereich dieser Anlagen.

19 Anwendungsbereich der Verwaltungsvorschrift ist damit die unmittelbare Nachbarschaft ganz bestimmter Bauten oder Einrichtungen, während die Richtlinie einen weiteren Anwendungsbereich hat, der sich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten erstreckt. Wie die Kommission zutreffend ausführt, können die durch Schwefeldioxid und Schwebestaub verursachten Immissionen andere Ursachen als genehmigungsbedürftige Anlagen haben, wie zum Beispiel ein hohes Verkehrsaufkommen, private Heizungen oder eine aus einem anderen Staat herrührende Verunreinigung. Dem allgemeinen Charakter der Richtlinie wird eine Umsetzung nicht gerecht, die auf bestimmte Quellen der Überschreitung der in ihr festgelegten Grenzwerte und auf bestimmte von den Verwaltungsbehörden zu treffende Maßnahmen beschränkt ist.

20 Zweitens wird dem Bestreben, es dem einzelnen zu ermöglichen, seine Rechte geltend zu machen, aber auch im eigentlichen Anwendungsbereich der Verwaltungsvorschrift, das heisst bei den genehmigungsbedürftigen Anlagen, nicht Genüge getan. Die Bundesrepublik Deutschland und die Kommission streiten nämlich darüber, inwieweit in der deutschen Lehre und Rechtsprechung technischen Verwaltungsvorschriften zwingender Charakter zuerkannt wird. Die Kommission hat auf Rechtsprechung hingewiesen, in der ein solcher Charakter insbesondere im Bereich des Steuerrechts verneint wird; die Bundesrepublik Deutschland hat ihrerseits Rechtsprechung angeführt, in der ein solcher Charakter im Bereich der Kernenergie anerkannt wird. Es ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland im konkreten Fall der TA Luft keine nationale Gerichtsentscheidung angeführt hat, mit der dieser Verwaltungsvorschrift über ihre Verbindlichkeit für die Verwaltung hinaus unmittelbare Wirkung gegenüber Dritten zuerkannt würde. Es lässt sich also nicht sagen, daß der einzelne Gewißheit über den Umfang seiner Rechte haben kann, um sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend machen zu können, noch auch daß diejenigen, deren Tätigkeiten geeignet sind, Immissionen zu verursachen, über den Umfang ihrer Verpflichtungen hinreichend unterrichtet sind.

21 Somit ist nicht nachgewiesen, daß die Durchführung des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit erfolgt ist, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen.

Zum Fehlen von Maßnahmen, die geeignet sind, die Einhaltung der Grenzwerte sicherzustellen

22 Die Kommission legt der Bundesrepublik Deutschland zur Last, sie habe keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, daß die in der Richtlinie vorgeschriebenen Grenzwerte tatsächlich eingehalten würden, wie es Artikel 3 der Richtlinie verlange. Es gebe keine Smog-Verordnung in den Ländern Bremen und Schleswig-Holstein. Auch mit den Luftreinhalteplänen, die die Länder gemäß §§ 44 bis 47 BImSchG aufstellen und durchsetzen müssten, wenn die Gefahr bestehe, daß schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen aufträten, lasse sich nicht sicherstellen, daß die in der Richtlinie festgelegten Grenzwerte tatsächlich eingehalten würden. Erstens beträfen diese Maßnahmen nicht alle Regionen, sondern nur bestimmte, in den Verordnungen der Länder festgelegte Gebiete. Zweitens stehe die Entscheidung über die Aufstellung dieser Luftreinhaltepläne im Ermessen der Verwaltungsbehörden. Drittens gehe aus keiner Rechtsvorschrift hervor, daß bei diesen Plänen die Grenzwerte der Richtlinie zu beachten seien.

23 Die Bundesrepublik Deutschland macht geltend, die in der Richtlinie vorgeschriebenen Grenzwerte seien seit 1983 tatsächlich nicht mehr überschritten worden. Smog-Verordnungen seien nur in den Gebieten vorgesehen, in denen eine Luftverunreinigung auftreten könne. Es sei reiner Formalismus, Vorbeugemaßnahmen in Gebieten vorzuschreiben, in denen keine Überschreitung der in der Richtlinie vorgeschriebenen Grenzwerte drohe. Die Verwaltungsbehörden hätten bei der Entscheidung über die Durchführung von Luftreinhalteplänen keinen Ermessensspielraum, wenn konkrete Gefahren sich deutlich abzeichneten. Seit dem 1. September 1990 seien bei diesen Plänen die Grenzwerte der Richtlinie zu beachten.

24 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Übereinstimmung einer Praxis mit den Schutzgeboten einer Richtlinie kein Grund dafür sein kann, diese Richtlinie nicht in der innerstaatlichen Rechtsordnung durch Bestimmungen umzusetzen, die so bestimmt, klar und transparent sind, daß der einzelne wissen kann, welche Rechte und Pflichten er hat. Wie der Gerichtshof im Urteil vom 15. März 1990 in der Rechtssache 339/87 (Kommission/Niederlande, Slg. 1990, 851, Randnr. 25) entschieden hat, müssen die Mitgliedstaaten, um die volle Anwendung der Richtlinien in rechtlicher und nicht nur in tatsächlicher Hinsicht zu gewährleisten, einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen auf dem betreffenden Gebiet bereitstellen.

25 Das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, daß in der Praxis kein Fall eines Verstosses gegen die Richtlinie verzeichnet worden sei, ist daher unerheblich.

26 Es ist somit zu prüfen, ob die von der Bundesrepublik Deutschland angeführten Bestimmungen eine ordnungsgemässe Durchführung der Richtlinie gewährleisten.

27 Nach § 44 BImSchG haben die nach Landesrecht zuständigen Behörden in bestimmten Belastungsgebieten Art und Umfang bestimmter Luftverunreinigungen in der Atmosphäre, die schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen können, fortlaufend festzustellen. Zeigen diese Feststellungen, daß im gesamten Belastungsgebiet oder Teilen des Gebietes schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen auftreten oder zu erwarten sind, so sollen diese zuständigen Behörden für dieses Gebiet einen Luftreinhalteplan aufstellen (§ 47 in seiner bei Klageerhebung geltenden Fassung).

28 Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie schreibt vor, daß die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu treffen haben, damit die Konzentrationen von Schwefeldioxid und Schwebestaub in der Atmosphäre nicht über den Grenzwerten liegen.

29 Hierzu ist festzustellen, daß die zuständigen Behörden der Länder Luftreinhaltepläne nur dann aufstellen sollen, wenn sie schädliche Umwelteinwirkungen feststellen. Wie oben ausgeführt, ist aber im BImSchG der Schwellenwert, von dem an Umwelteinwirkungen als schädlich anzusehen sind, nicht festgelegt. Die TA Luft ihrerseits begründet Verpflichtungen der Verwaltungsbehörden nur bei ganz bestimmten Maßnahmen und in bezug auf bestimmte Anlagen. Es gibt daher keine allgemeinen und zwingenden Vorschriften, aufgrund deren die Verwaltungsbehörden verpflichtet wären, in sämtlichen Fällen Maßnahmen zu ergreifen, in denen die Gefahr besteht, daß die Grenzwerte der Richtlinie überschritten werden.

30 Artikel 3 der Richtlinie ist folglich in der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht so umgesetzt worden, daß er alle denkbaren Fälle erfasst, und die nationale Regelung hat nicht den zwingenden Charakter, der notwendig ist, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen.

31 Der Umstand, daß die deutschen Rechtsvorschriften nach Klageerhebung geändert worden sind, kann an dieser Beurteilung nichts ändern. Es ist nämlich ständige Rechtsprechung, daß der Streitgegenstand bei einer Klage nach Artikel 169 EWG-Vertrag durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt wird und daß für die Klage auch dann, wenn der darin gerügte Mangel nach Ablauf der gemäß Artikel 169 Absatz 2 gesetzten Frist behoben wird, noch ein Rechtsschutzinteresse insoweit gegeben ist, als die Grundlage für eine Haftung geschaffen wird, die einen Mitgliedstaat wegen seiner Pflichtverletzung möglicherweise gegenüber anderen Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft oder einzelnen trifft.

32 Nach alledem ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist alle erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um der Richtlinie 80/779/EWG des Rates vom 15. Juli 1980 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub nachzukommen.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist alle erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um der Richtlinie 80/779/EWG des Rates vom 15. Juli 1980 über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub nachzukommen.

2) Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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