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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.07.1988
Aktenzeichen: 38/87
Rechtsgebiete:
Vorschriften:
Das Schweigen der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über das Recht der Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten auf Eintragung als ordentliches Mitglied in einem Berufsverband, die für die betreffenden Berufe den Zugang zum Beruf und dessen Ausübung möglich macht und erleichtert, führt zu Unklarheiten tatsächlicher Art, weil die betroffenen Normadressaten über ihre Möglichkeiten, sich auf die Bestimmungen der Artikel 52 und 59 EWG-Vertrag zu berufen, die unmittelbare Wirkung entfalten, im ungewissen gelassen werden. Die Aufrechterhaltung von Vorschriften, die eine solche rechtliche Lücke aufweisen, stellt deshalb eine Verletzung der Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag dar; eine einfache Verwaltungspraxis, die die Verwaltungsbehörden naturgemäß beliebig ändern können und die nur unzureichende Publizität genießt, stellt keine rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag dar.
Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um damit die Nichtbeachtung der Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht zu rechtfertigen.
URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 14. JULI 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG - DISKRIMINIERUNG AUS GRUENDEN DER STAATSANGEHOERIGKEIT - BERUFE DES ARCHITEKTEN, DES BAUINGENIEURS, DES VERMESSUNGSINGENIEURS UND DES RECHTSANWALTS - VORAUSSETZUNGEN FUER DEN ZUGANG UND DIE AUSUEBUNG. - RECHTSSACHE 38/87.
Entscheidungsgründe:
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 5. Februar 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Griechische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie den Zugang zu den Berufen des Architekten, des Bauingenieurs, des Vermessungsingenieurs und des Rechtsanwalts sowie deren Ausübung vom Besitz der griechischen Staatsangehörigkeit abhängig gemacht und ihre Rechtsvorschriften in diesem Bereich nicht an die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts angepasst hat.
2 Wegen der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften ( insbesondere Artikel 4 Absatz 2 des Nomothetiko diatagma Nr. 2728 vom 12. November 1953 und Artikel 2 des Gesetzes Nr. 1486 vom 17. Oktober 1984 ), des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
Berufe des Architekten, des Bauingenieurs und des Vermessungsingenieurs
3 Die Kommission trägt vor, daß eine Person, die im Besitz der erforderlichen Diplome und der notwendigen Erlaubnis sei, die betreffenden Berufe in der Griechischen Republik nur ausüben könne, wenn sie ordentliches Mitglied der Berufskammer der Architekten, Bauingenieure und Vermessungsingenieure, der sogenannten Ingenieurskammer Griechenlands ( im folgenden : Ingenieurskammer ), sei. Während jedoch die griechischen Staatsangehörigen von Rechts wegen ordentliche Mitglieder dieser Kammer seien, sehe das griechische Recht eine solche Mitgliedschaft für Ausländer nicht vor. Hierin liege eine Verletzung der Artikel 7, 52 und 59 EWG-Vertrag, weil der Zugang zu den fraglichen Berufen und deren Ausübung für Ausländer und griechische Staatsangehörige nicht unter den gleichen Voraussetzungen möglich seien, selbst wenn der Ingenieurskammer angesichts des Fehlens eines ausdrücklichen gesetzlichen Verbots die Möglichkeit offenstehen sollte, Ausländer als ordentliche Mitglieder aufzunehmen.
4 Die Griechische Republik macht geltend, daß die streitigen Bestimmungen lediglich den griechischen Staatsangehörigen, nicht aber den Angehörigen der Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegten, sich bei der Ingenieurskammer eintragen zu lassen, die zur Vornahme der Eintragung verpflichtet sei. Die griechischen Rechtsvorschriften ließen jedoch die Eintragung von Ausländern als ordentliche Mitglieder zu; dies sei im übrigen auch die ständige Auslegungspraxis der Ingenieurskammer.
5 Es ist unstreitig, daß der Zugang zu den betreffenden Berufen und deren Ausübung in der Griechischen Republik in jedem Fall bei Meidung von Sanktionen von der Eintragung der betreffenden Personen als ordentliches Mitglied der Ingenieurskammer abhängig sind. Ausserdem steht fest, daß diese Eigenschaft bestimmte Vorteile verschafft, z. B. bei der Einziehung von Honoraren, bei der sozialen Sicherheit und bei der beruflichen Weiterbildung.
6 Erst die Eintragung als ordentliches Mitglied der Ingenieurskammer ermöglicht den Zugang zu den betreffenden Berufen und deren Ausübung in der Griechischen Republik, und sie erleichtert sie auch. Daher müssen die Voraussetzungen für die Eintragung bei dieser Einrichtung für griechische Staatsangehörige und für die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln 52 und 59 EWG-Vertrag, die in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbieten, gleich sein.
7 Die streitigen nationalen Vorschriften geben aber den Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich das Recht, sich bei der Ingenieurskammer als ordentliches Mitglied eintragen zu lassen. Ausserdem können die einzigen beiden ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeiten der Eintragung als ordentliches Mitglied für bestimmte Ausländer griechischer Herkunft und der Eintragung als Ehrenmitglied für andere Ausländer, wie die Kommission geltend macht, als abschließend betrachtet werden, so daß die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten vom Recht auf Eintragung als ordentliches Mitglied der Ingenieurskammer ausgeschlossen wären.
8 Dem Vorbringen der Griechischen Republik, daß die streitigen nationalen Vorschriften die Eintragung von Ausländern als ordentliches Mitglied der Ingenieurskammer zuließen und dies deren ständige Auslegungspraxis sei, kann nicht gefolgt werden.
9 Zum einen führt das Schweigen der Vorschriften über das Recht der Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten auf Eintragung als ordentliches Mitglied der Ingenieurskammer zu Unklarheiten tatsächlicher Art, weil die betroffenen Normadressaten über ihre Möglichkeiten, sich auf die erwähnten, unmittelbare Wirkung entfaltenden Vertragsbestimmungen zu berufen, im ungewissen gelassen werden. Die Aufrechterhaltung von Vorschriften, die eine solche rechtliche Lücke aufweisen, stellt deshalb eine Verletzung der Verpflichtungen der Griechischen Republik aus dem EWG-Vertrag dar.
10 Zum anderen stellt eine einfache Verwaltungspraxis, die die Verwaltungsbehörden naturgemäß beliebig ändern können und die nur unzureichende Publizität genießt, keine rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag dar ( siehe Urteil vom 15. Oktober 1986 in der Rechtssache 168/85, Kommission/Italien, Slg. 1986, 2945 ).
11 Ferner hat die Ständige Vertretung der Griechischen Republik der Kommission in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mitgeteilt, daß die zuständigen nationalen Ministerien bezueglich der noch bestehenden Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit beim Zugang zu den betreffenden Berufen das Verfahren der Ausarbeitung von Rechtsvorschriften eingeleitet hätten, mit denen das Staatsangehörigkeitserfordernis aufgehoben werden solle.
12 Somit ist festzustellen, daß die Griechische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie Rechtsvorschriften aufrechterhalten hat, die nicht ausdrücklich das Recht der Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten auf Eintragung als ordentliches Mitglied der Ingenieurskammer vorsehen, obwohl erst die Eintragung in dieser Eigenschaft den Zugang zu den betreffenden Berufen und deren Ausübung in der Griechischen Republik ermöglicht und sie auch erleichtert.
13 Diese Feststellung betrifft lediglich die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit; mit ihr ist nichts über die Frage ausgesagt, ob eine Verpflichtung zur Eintragung als ordentliches Mitglied der Ingenieurskammer gegenüber den Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, die den Betroffenen deshalb auferlegt wird, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Erbringung der Dienstleistung ansässig sind. Diese Frage ist nämlich nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Zum Beruf des Rechtsanwalts
14 Die Kommission weist darauf hin, daß der Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß Artikel 3 der in der Form eines Nomothetiko diatagma erlassenen Rechtsanwaltsordnung vom 6./8. Oktober 1954 griechischen Staatsangehörigen vorbehalten ist. Die Griechische Republik bestreitet dies nicht, macht aber geltend, daß hinsichtlich des Zugangs zu diesem Beruf und seiner Ausübung das Verfahren zum Erlaß der Rechtsvorschriften im Gang sei, mit denen das in der Rechtsanwaltsordnung vorgesehene Staatsangehörigkeitserfordernis aufgehoben werde. Dieses Verfahren werde jedoch voraussichtlich eine ziemlich lange Zeit in Anspruch nehmen, da es zugleich auch auf eine Vereinheitlichung der Vorschriften über die Gleichwertigkeit der Hochschulabschlüsse der verschiedenen Mitgliedstaaten und auf die Ausarbeitung einer auch für andere Berufe geltenden Standesordnung gerichtet sei.
15 Es ist also unstreitig, daß die von der Kommission beanstandeten Vorschriften mit den Artikeln 52 und 59 EWG-Vertrag unvereinbar sind.
16 Die von der Griechischen Republik vorgebrachten Verteidigungsmittel sind als unbegründet zurückzuweisen. Ein Mitgliedstaat kann sich nämlich nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um damit die Nichtbeachtung seiner Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht zu rechtfertigen ( siehe insbesondere Urteil vom 12. Februar 1987 in der Rechtssache 69/86, Kommission/Italien, Slg. 1987, 773 ).
17 Somit ist festzustellen, daß die Griechische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie Rechtsvorschriften aufrechterhalten hat, die den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts und dessen Ausübung vom Besitz der griechischen Staatsangehörigkeit abhängig machen.
Kostenentscheidung:
Kosten
18 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Griechische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden :
1 ) Die Griechische Republik hat gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EWG-Vertrag verstossen, indem sie Rechtsvorschriften aufrechterhalten hat, die nicht ausdrücklich das Recht der Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten auf Eintragung als ordentliches Mitglied der Ingenieurskammer Griechenlands vorsehen, obwohl erst die Eintragung in dieser Eigenschaft den Zugang zu den Berufen des Architekten, des Bauingenieurs und des Vermessungsingenieurs ermöglicht und sie auch erleichtert.
2 ) Die Griechische Republik hat gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EWG-Vertrag verstossen, indem sie Rechtsvorschriften aufrechterhalten hat, die den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts und dessen Ausübung vom Besitz der griechischen Staatsangehörigkeit abhängig machen.
3 ) Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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