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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.03.1990
Aktenzeichen: 38/88
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Steuerpflichtiger kann sich vor einem nationalen Gericht auf Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital berufen, die es den Mitgliedstaaten verbietet, eine Gesellschaftsteuer zu erheben, wenn die Leistung, die der Gesellschaft zugute kommt, deren Gesellschaftsvermögen nicht erhöht. Dieses Verbot ist nämlich seinem Wesen nach genau und unbedingt.

2. Die Übernahme von Verlusten einer Gesellschaft durch einen Gesellschafter im Rahmen eines Ergebnisabführungsvertrags, der vor Feststellung dieser Verluste geschlossen worden ist, erhöht nicht das Gesellschaftsvermögen dieser Gesellschaft im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 28. MAERZ 1990. - WALDRICH SIEGEN WERKZEUGMASCHINEN GMBH GEGEN FINANZAMT HAGEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT MUENSTER - DEUTSCHLAND. - ANSAMMLUNG VON KAPITAL - GESELLSCHAFTSSTEUER - ERGEBNISABFUEHRUNG - VERLUSTUEBERNAHME. - RECHTSSACHE 38/88.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht Münster hat mit Beschluß vom 11. Januar 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Februar 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital ( ABl. L 249, S. 25 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Waldrich Siegen Werkzeugmaschinen GmbH ( im folgenden : "die Klägerin ") und dem Finanzamt Hagen ( im folgenden : "das Finanzamt ") über die Erhebung einer Gesellschaftsteuer auf die Übertragung von Verlusten der Klägerin auf die Ingersoll Maschinen und Werkzeuge GmbH ( im folgenden : "Firma Ingersoll "), die Alleingesellschafterin der Klägerin ist.

3 1971 schlossen die Klägerin und die Firma Ingersoll einen sogenannten Ergebnisabführungsvertrag, durch den sich die Firma Ingersoll verpflichtete, die Verluste der Klägerin zu übernehmen, während diese sich verpflichtete, ihre Gewinne auf die Firma Ingersoll zu übertragen. Die Klägerin erzielte zunächst Gewinne, schloß dann aber in vier aufeinanderfolgenden Wirtschaftsjahren jeweils mit Verlust ab. Das Finanzamt forderte die Klägerin daraufhin zur Entrichtung einer Gesellschaftsteuer in Höhe von 1 % dieser Verluste auf. Es stützte sich dabei auf § 2 des Kapitalverkehrsteuergesetzes ( KVStG ), wonach die Übernahme eines Verlustes der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft im Rahmen eines Ergebnisabführungsvertrags als der Gesellschaftsteuer unterliegende Leistung gilt.

4 Zur Begründung ihrer Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Finanzamts machte die Klägerin vor dem Finanzgericht Münster geltend, § 2 KVStG stehe im Widerspruch zu Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG. Nach dieser Vorschrift kann der Gesellschaftsteuer unterworfen werden "die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen eines Gesellschafters, die keine Erhöhung des Kapitals mit sich bringen, sondern... geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen ". Nach Ansicht der Klägerin erhöht eine Verlustübernahme durch einen Gesellschafter den Wert des Gesellschaftsvermögens nicht.

5 Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Münster das Verfahren ausgesetzt und zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 4 der Richtlinie 69/335/EWG zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese Fragen lauten wie folgt :

"1 ) Können sich Steuerpflichtige ( Individün ), die in einem Vertragsstaat ansässig sind, unmittelbar auf Artikel 4 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital vom 17. Juli 1969 berufen, nachdem die Frist des Artikels 13 dieser Richtlinie verstrichen ist?

2 ) Falls die Frage 1 zu bejahen sein sollte : Ist § 2 Absatz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Absatz 2 Nr. 1 Kapitalverkehrsteuergesetz 1972 der Bundesrepublik Deutschland mit Artikel 4 der Richtlinie 69/335/EWG vereinbar?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und der anwendbaren Regelung und wegen des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

7 Die erste Frage des Finanzgerichts geht dahin, ob sich ein Steuerpflichtiger vor seinem nationalen Gericht auf Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG berufen kann.

8 Diese Vorschrift verbietet es den Mitgliedstaaten, eine Gesellschaftsteuer zu erheben, wenn die Leistung, die der Gesellschaft zugute kommt, deren Gesellschaftsvermögen nicht erhöht. Dieses Verbot ist seinem Wesen nach genau und unbedingt. Ein Steuerpflichtiger könnte sich daher vor einem nationalen Gericht auf dieses Verbot berufen, wenn die nationalen Behörden von ihm dennoch aufgrund einer Vorschrift des nationalen Rechts die Entrichtung einer Gesellschaftsteuer verlangen würden.

9 Demgemäß ist auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß sich ein Steuerpflichtiger vor seinem nationalen Gericht auf Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital berufen kann.

Zur zweiten Frage

10 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht der Sache nach dahin, ob die Übernahme von Verlusten einer Gesellschaft durch einen Gesellschafter im Rahmen eines Ergebnisabführungsvertrags das Gesellschaftsvermögen dieser Gesellschaft im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG erhöht.

11 Nach dieser Vorschrift können nur solche Leistungen eines Gesellschafters einer Gesellschaftsteuer unterworfen werden, die es einer Kapitalgesellschaft ermöglichen, ihr Gesellschaftsvermögen zu erhöhen, ohne dadurch ihr Kapital zu erhöhen.

12 Das Gesellschaftsvermögen umfasst alle Wirtschaftsgüter, die die Gesellschafter zu einem gemeinsamen Ganzen vereinigt haben, einschließlich ihres Zuwachses. Erzielt eine Gesellschaft Gewinne und stellt sie diese in ihre Rücklagen ein, so erhöht sie dadurch ihr Gesellschaftsvermögen. Dagegen vermindert sich das Gesellschaftsvermögen einer Gesellschaft, wenn sie mit Verlust abschließt.

13 Wenn also eine Gesellschaft mit Verlust abgeschlossen hat und einer ihrer Gesellschafter sich zur Übernahme dieses Verlustes bereit erklärt, so erbringt er dadurch eine Leistung, durch die das Gesellschaftsvermögen erhöht wird. Er bringt dieses nämlich wieder auf einen Stand, den es vor Eintritt des Verlustes erreicht hatte. Anders verhält es sich, wenn der Gesellschafter Verluste aufgrund einer Verpflichtung übernimmt, die er schon vor deren Eintritt eingegangen war. Eine solche Verpflichtung bedeutet, daß sich künftige Verluste der Gesellschaft nicht auf den Umfang ihres Gesellschaftsvermögens auswirken werden.

14 Auf die zweite Frage des vorlegenden Gerichts ist daher zu antworten, daß die Übernahme von Verlusten einer Gesellschaft durch einen Gesellschafter im Rahmen eines Ergebnisabführungsvertrags, der vor der Feststellung dieser Verluste geschlossen worden ist, nicht das Gesellschaftsvermögen dieser Gesellschaft im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital erhöht.

Kostenentscheidung:

Kosten

15 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

auf die vom Finanzgericht Münster mit Beschluß vom 11. Januar 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Ein Steuerpflichtiger kann sich vor seinem nationalen Gericht auf Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital berufen.

2 ) Die Übernahme von Verlusten einer Gesellschaft durch einen Gesellschafter im Rahmen eines Ergebnisabführungsvertrags, der vor Feststellung dieser Verluste geschlossen worden ist, erhöht nicht das Gesellschaftsvermögen dieser Gesellschaft im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital.

Ende der Entscheidung

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