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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.05.1989
Aktenzeichen: 382/87
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Gesetzt Nr. 72-1137 vom 22.12.1972 über den Schutz der Verbraucher auf dem Gebiet der Werbung und des Verkaufs an der Haustür


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 30
Gesetzt Nr. 72-1137 vom 22.12.1972 über den Schutz der Verbraucher auf dem Gebiet der Werbung und des Verkaufs an der Haustür Art. 8 II
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Anwendung eines in staatlichen Rechtsvorschriften über den Verbraucherschutz enthaltenen Verbots der Kundenwerbung an der Haustür für den Verkauf von pädagogischem Material auf eingeführte Erzeugnisse ist nicht unvereinbar mit Artikel 30 EWG-Vertrag. Ein solches Verbot ist nicht unverhältnismässig, da davon ausgegangen werden darf, daß auf diesem Gebiet die Einräumung eines Rücktrittsrechts zugunsten der Verbraucher zu deren Schutz nicht ausreicht und daß es zur Erreichung dieses Zwecks notwendig ist, die Kundenwerbung an der Haustür völlig zu verbieten.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 16. MAI 1989. - R. BUET UND SARL EDUCATIONAL BUSINESS SERVICES GEGEN MINISTERE PUBLIC. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER COUR D'APPEL PARIS. - VERBOT DER KUNDENWERBUNG - FREIER WARENVERKEHR. - RECHTSSACHE 382/87.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour d' appel Paris hat mit Urteil vom 27. November 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Dezember 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 30 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um die Vereinbarkeit eines Verbots der Haustürwerbung für den Verkauf von pädagogischem Material mit dieser Bestimmung beurteilen zu können.

2 Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen den Geschäftsführer der französischen Gesellschaft Educational Busineß Services ( EBS ), R. Büt. Die Vertreter dieser Gesellschaft suchen potentielle Kunden in ihrer Wohnung auf, um ihnen Material zum Erlernen der englischen Sprache zu verkaufen. Die Firma EBS erzielt 90 % ihres Umsatzes auf diese Weise und den Rest auf Messen und Ausstellungen.

3 Das Tribunal de grande instance Paris verurteilte R. Büt wegen eines hierin liegenden Verstosses gegen Artikel 8 II des Gesetzes Nr. 72-1137 vom 22. Dezember 1972 über den Schutz der Verbraucher auf dem Gebiet der Werbung und des Verkaufs an der Haustür ( JORF vom 23. 12. 1972, S. 13348 ), der die Haustürwerbung für den Verkauf von pädagogischem Material verbietet, zu einer Freiheitsstrafe und einer Geldbusse und erklärte die Firma EBS für zivilrechtlich haftbar. Mit dem Erlaß der genannten Vorschrift sollte das Verbot der Haustürwerbung für den Abschluß eines Unterrichtsvertrags ergänzt werden, das Artikel 13 des Gesetzes Nr. 71-556 vom 12. Juli 1971 über die Gründung und die Arbeitsweise von privaten Fernunterrichtsveranstaltern sowie die von Unterrichtsveranstaltern betriebene Werbung und Kundenwerbung an der Haustür ( JORF vom 13. 7. 1971, S. 6907 ) aufstellt. Einige dieser Veranstalter hatten nämlich versucht, dieses Verbot dadurch zu umgehen, daß sie an der Haustür nicht den Abschluß eines Unterrichtsvertrags, sondern vielmehr pädagogisches Material zum Verkauf anboten.

4 R. Büt, die Firma EBS und die Staatsanwaltschaft legten Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein. Vor der Cour d' appel Paris machte R. Büt im wesentlichen geltend, der Haustürverkauf von Material zum Erlernen einer Fremdsprache falle, da es an einer pädagogischen Kontrolle durch den Verkäufer fehle, nicht unter das Verbot der Haustürwerbung nach Artikel 8 II des Gesetzes Nr. 72-1137. Die Anwendung des Verbots der Haustürwerbung auf ihn verstosse gegen die Bestimmungen der Artikel 30 ff. EWG-Vertrag, da sie ihn zwinge, eine besonders wirksame Verkaufstechnik aufzugeben, und beschränke damit den Absatz von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat auf dem französischen Markt.

5 Die Cour d' appel wies das Vorbringen von R. Büt zum Anwendungsbereich des in Rede stehenden Verbots zurück, entschied jedoch gleichwohl, das Verfahren auszusetzen und den Gerichtshof um Vorabentscheidung darüber zu ersuchen, ob das mit Artikel 13 des Gesetzes Nr. 71-556 vom 12. Juli 1971 und Artikel 8 II des Gesetzes Nr. 72-1137 vom 22. Dezember 1972 ausgesprochene Verbot der Kundenwerbung an der Haustür mit Artikel 30 EWG-Vertrag vereinbar ist.

6 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens sowie des Ablaufs des Verfahrens vor dem Gerichtshof und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als es die Begründung des Urteils erfordert.

a ) Zum Bestehen eines Hindernisses für den freien Warenverkehr

7 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 15. Dezember 1982 in der Rechtssache 286/81 ( Oosthök, Slg. 1972, 4575 ) entschieden hat, ist nicht auszuschließen, daß der für den betroffenen Unternehmer bestehende Zwang, sich entweder für die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlicher Systeme der Werbung und Absatzförderung zu bedienen oder ein System, das er für besonders wirkungsvoll hält, aufzugeben, selbst dann ein Einfuhrhindernis darstellen kann, wenn eine solche Regelung unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse gilt.

8 Diese Feststellung gilt erst recht, wenn die fragliche Regelung es dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht verwehrt, sich eines Systems der Werbung zu bedienen, sondern ihm die Möglichkeit nimmt, eine Vertriebsmethode anzuwenden, mit der er fast seinen gesamten Umsatz erzielt.

9 Die Anwendung eines Verbots der Haustürwerbung für den Verkauf von aus einem anderen Mitgliedstaat stammendem Material zum Erlernen einer Fremdsprache ist daher als ein Einfuhrhindernis anzusehen.

b ) Zu der Möglichkeit, das Einfuhrhindernis mit dem Erfordernis des Verbraucherschutzes zu rechtfertigen

10 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ( siehe zuerst das Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/87, Rewe, Slg. 1979, 649 ) müssen in Ermangelung gemeinschaftlicher Regelungen Hemmnisse für den freien Warenverkehr, die sich aus Unterschieden der nationalen Regelungen ergeben, hingenommen werden, soweit diese Regelungen unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse gelten und notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen wie denen des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerecht zu werden.

11 Es steht fest, daß der französische Gesetzgeber das in Rede stehende Verbot der Haustürwerbung in dem Bestreben erlassen hat, die Verbraucher vor der Gefahr unüberlegter Käufe zu schützen. Wie der Gerichtshof jedoch wiederholt entschieden hat ( siehe u. a. das Urteil vom 14. Juli 1988 in der Rechtssache 407/85, 3 Glocken, Slg. 1988, 4233 ), muß die Regelung in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen; verfügt ein Mitgliedstaat über weniger einschneidende Mittel zur Erreichung desselben Zwecks, so muß er diese einsetzen.

12 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Werbung an der Haustür den potentiellen Käufer der Gefahr eines unüberlegten Kaufs aussetzt. Um dieser Gefahr zu begegnen, genügt es in der Regel, den Käufern ein Recht zum Rücktritt von einem im Bereich ihrer Wohnung geschlossenen Vertrag zu garantieren.

13 Die Gefahr eines unüberlegten Kaufs ist jedoch besonders ausgeprägt, wenn sich die Werbung an der Haustür auf den Abschluß eines Unterrichtsvertrags oder den Kauf von pädagogischem Material richtet. Der potentielle Kunde gehört nämlich häufig zu einer Kategorie von Personen, die aus dem einen oder anderen Grund einen Bildungsrückstand haben, den sie aufholen wollen. Dies macht sie besonders schutzlos gegenüber Verkäufern von pädagogischem Material, die sie davon zu überzeugen versuchen, daß die Benutzung dieses Materials ihnen eine berufliche Zukunft sichert. Wie sich zudem aus den Akten ergibt, erließ der Gesetzgeber das in Rede stehende Verbot der Haustürwerbung nach zahlreichen Beschwerden über Mißbräuche, wie etwa den Verkauf veralteter Kurse.

14 Hervorzuheben ist schließlich, daß es sich bei Unterrichtsleistungen nicht um Güter des täglichen Bedarfs handelt, so daß ein unüberlegter Kauf für den Käufer nachteilige Wirkungen haben kann, die nach Art und Dauer über einen blossen finanziellen Verlust hinausgehen. So ist - unabhängig von jeder Beurteilung der Qualität des Materials, um das es im vorliegenden Fall geht - anzuerkennen, daß der Kauf von ungeeignetem oder minderwertigem Material die Möglichkeit für den Verbraucher gefährden kann, sich weiterzubilden und damit seine Stellung auf dem Arbeitsmarkt zu stärken.

15 Unter diesen Umständen darf der Gesetzgeber eines Mitgliedstaats davon ausgehen, daß die Einräumung eines Rücktrittsrechts zugunsten der Verbraucher zu deren Schutz nicht außreicht und daß es notwendig ist, die Kundenwerbung an der Haustür zu verbieten.

16 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ( ABl. L 372, S. 31 ) die Mitgliedstaaten verpflichtet, diesen Verbrauchern das Recht zum Rücktritt von einem in ihrer Wohnung abgeschlossenen Kaufvertrag zu garantieren, daß sie den Mitgliedstaaten aber darüber hinaus in Artikel 8 erlaubt, noch günstigere Verbraucherschutzbestimmungen zu erlassen oder beizubehalten. In der letzten Begründungserwägung dieser Richtlinie hat der Rat ausdrücklich anerkannt, daß die Mitgliedstaaten das Verbot des Abschlusses von Verträgen ausserhalb von Geschäftsräumen teilweise oder vollständig beibehalten oder einführen können.

17 Unter diesen Umständen ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß die Anwendung eines Verbots der Kundenwerbung an der Haustür für den Verkauf von pädagogischem Material, wie es das Gesetz über den Schutz der Verbraucher auf dem Gebiet der Werbung und des Verkaufs an der Haustür ausspricht, auf eingeführte Erzeugnisse nicht unvereinbar mit Artikel 30 EWG-Vertrag ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der französischen und der dänischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Fünfte Kammer )

auf die ihm von der Cour d' appel Paris mit Urteil vom 27. November 1987 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Die Anwendung eines Verbots der Kundenwerbung an der Haustür für den Verkauf von pädagogischem Material, wie es das Gesetz über den Schutz der Verbraucher auf dem Gebiet der Werbung und des Verkaufs an der Haustür ausspricht, auf eingeführte Erzeugnisse ist nicht unvereinbar mit Artikel 30 EWG-Vertrag.

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