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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.11.1989
Aktenzeichen: 386/87
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 1430/79


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 1430/79 Art. 19
VO Nr. 1430/79 Art. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs - und Ausfuhrabgaben sind nicht anwendbar, wenn ein Importeur bei der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats nach Inkrafttreten dieser Verordnung einen Antrag auf Erstattung von Eingangsabgaben gestellt hat, die vor ihrem Inkrafttreten entrichtet worden sind.

Mangels einer einschlägigen gemeinschaftlichen Regelung stehen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts nationalen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die für Anträge auf Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben eine zwingende Verjährungsfrist von drei Jahren vorsehen, ohne Fälle höherer Gewalt zu berücksichtigen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 9. NOVEMBER 1989. - SOCIETE BESSIN ET SALSON GEGEN ADMINISTRATION DES DOUANES ET DROITS INDIRECTS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL D'INSTANCE DE PARIS 1ER - FRANKREICH. - ERSTATTUNG VON EINGANGSABGABEN. - RECHTSSACHE 386/87.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal d' instance Paris ( Erstes Arrondissement ) hat mit Urteil vom 14. Oktober 1986, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Dezember 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Verordnung Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs - oder Ausfuhrabgaben ( ABl. L 175, S. 1 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Société Bessin et Salson und der französischen Zollverwaltung. Gegenstand der Klage ist die Erstattung von Eingangsabgaben in Höhe von 1 125 545 FF, die für Konfektionsartikel entrichtet wurden, die in die Zeit vom 25. Februar 1974 bis zum 29. April 1978 aus Marokko eingeführt wurden. Für diese Erzeugnisse bestand nach den Präferenzabkommen, die damals zwischen der Gemeinschaft und Marokko galten, Anspruch auf vollständige Befreiung von den Eingangsabgaben.

3 Der Erstattungsantrag vom 29. April 1981 war in Anwendung der dreijährigen Verjährungsfrist des französischen Code des douanes ( Zollgesetz ) abgelehnt worden. Bei den fraglichen Einfuhren hatte die Klägerin die für die Gewährung der Vorzugsbehandlung erforderlichen Ursprungszeugnisse nicht vorlegen können, weil die marokkanischen Behörden sie nicht ausgestellt hatten. Die fraglichen Zeugnisse wurden von den marokkanischen Behörden erst 1981 ausgestellt.

4 Vor dem vorlegenden Gericht führte die Klägerin aus, die Verordnung Nr. 1430/79 sei auf den vorliegenden Fall anzuwenden, da die streitige Entscheidung der französischen Verwaltung nach Inkrafttreten dieser Verordnung ergangen sei. Sie berief sich insbesondere auf Artikel 19 dieser Verordnung, wonach die dreijährige Frist zur Stellung von Anträgen auf Erstattung von zu Unrecht erhobenen Eingangsabgaben verlängert werden könne, wenn der Beteiligte nachweisen könne, daß er den Antrag infolge höherer Gewalt oder eines anderen unvorhergesehenen Ereignisses nicht fristgerecht habe stellen können. Auch könnten ihr die diesbezueglichen nationalen Verjährungsvorschriften nicht entgegengehalten werden, da die verspätete Vorlage der erforderlichen Bescheinigungen ausschließlich durch die Untätigkeit der marokkanischen Behörden verursacht worden sei.

5 Die Zollverwaltung macht geltend, die Verordnung Nr. 1430/79 gelte nur für Abgaben, die nach ihrem Inkrafttreten am 1. Juli 1980 buchmässig erfasst worden seien, so daß vor diesem Zeitpunkt ausschließlich die nationalen Verjährungsvorschriften anwendbar gewesen seien. Nach den Vorschriften dieser Verordnung könnten die Umstände, auf die sich die Klägerin des Ausgangsverfahrens berufe, nicht berücksichtigt werden.

6 Um im Ausgangsverfahren entscheiden zu können, hat das Tribunal d' instance Paris dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 ) Sind die Bestimmungen der Verordnung ( EWG ) Nr. 1430/79 des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs - oder Ausfuhrabgaben anwendbar, wenn ein Importeur bei der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats nach Inkrafttreten dieser Verordnung einen Antrag auf Erstattung von Zöllen gestellt hat, die vor ihrem Inkrafttreten entrichtet worden sind?

2 ) Falls ja, kann sich dieser Importeur auf Artikel 19 dieser Verordnung berufen, wonach die in Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung vorgesehene Frist für die Einreichung des Antrags auf Erstattung oder auf Erlaß von Eingangsabgaben verlängert werden kann, wenn der Betroffene nachgewiesen hat, daß er diesen Antrag infolge höherer Gewalt oder eines anderen unvorhergesehenen Ereignisses nicht fristgerecht stellen konnte, im vorliegenden Fall infolge der absoluten Unmöglichkeit für den Importeur, die Bescheinigung EUR 1 von den zuständigen Behörden des Drittstaats zu erhalten?

3 ) Falls die erste und folglich auch die zweite Frage verneint werden, stehen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts nicht nationalen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, die für Anträge auf Erstattung zu Unrecht erhobener Zölle eine zwingende Verjährungsfrist von drei Jahren vorsehen, auch wenn es dem Importeur tatsächlich unmöglich war, diesen Antrag innerhalb der in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Fristen zu stellen, und zwar nicht aus eigenem Verschulden, sondern wegen des völligen Untätigbleibens der zuständigen Behörde des Drittstaats in bezug auf die Ausstellung der für diesen Antrag erforderlichen Bescheinigung EUR 1, und auch wenn der Importeur den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats immer wieder erklärt hat, daß es ihm absolut unmöglich sei, diese Bescheinigungen vorzulegen, die die zuständigen Behörden des Drittstaats ihm ausstellen mussten, was sie jedoch nicht taten, und die ihm schließlich erst zehn Jahre nach Beginn der Einfuhrvorgänge nachträglich ausgestellt wurden?

4 ) Falls die ersten beiden Fragen oder die dritte Frage bejaht werden, kann der Importeur Zinsen aus dem Betrag der Zölle, deren Erstattung er beantragt, verlangen und, wenn ja, ab welchem Zeitpunkt?"

7 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

8 Mit der Verordnung Nr. 1430/79 wurde eine gemeinschaftliche Regelung der Erstattung von Eingangs - oder Ausfuhrabgaben eingeführt, die die entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften ersetzen soll. Gemäß ihrem Artikel 27 trat diese Verordnung am 1. Juli 1980 in Kraft. Sie enthält weder eine Übergangsbestimmung noch Bestimmungen, die ihr rückwirkende Kraft verleihen. Sie gilt also für die nach diesem Zeitpunkt liegenden Einfuhr - oder Ausfuhrvorgänge.

9 Zu der Frage, welche Vorgänge in den Geltungsbereich dieser neuen Regelung fallen, ist darauf hinzuweisen, daß der jedem Antrag auf Erstattung oder Erlaß von Eingangs - oder Ausfuhrabgaben zugrundeliegende Tatbestand die buchmässige Erfassung dieser Abgaben, also der Verwaltungsakt ist, mit dem die zu erhebenden Abgaben von den zuständigen Behörden festgesetzt werden. Grundsätzlich ist die fragliche Verordnung auf Verwaltungsakte, die vor ihrem Inkrafttreten ergangen sind, nicht anwendbar.

10 Das vorlegende Gericht stellt die Frage, ob dies auch gilt, wenn zwar die buchmässige Erfassung vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1430/79 erfolgt ist, der Antrag auf Erstattung der Eingangsabgaben aber erst nach diesem Zeitpunkt gestellt worden ist.

11 Der Gerichtshof hat in einem vergleichbaren Fall, in dem es um den Erlaß einer Gemeinschaftsverordnung betreffend die Nacherhebung von Eingangs - oder Ausfuhrabgaben ging, schon entschieden, daß die neue Regelung nicht auf Abgabenfestsetzungen anwendbar ist, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung vorgenommen worden sind ( Urteil vom 12. November 1981 in den verbundenen Rechtssachen 212 bis 217/80, Salumi, Slg. 1981, 2735 ).

12 Zu einem entsprechenden Ergebnis muß man in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens gelangen. Das Datum des Erstattungsantrags kann kein objektives Kriterium für die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1430/79 sein. Die Berücksichtigung dieses Zeitpunkts könnte zu einer Beeinträchtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit führen, da sie die Anwendbarkeit der neuen Regelung von individuellen Umständen abhängig machen würde. Dies gilt dagegen nicht für den Zeitpunkt der buchmässigen Erfassung der Eingangsabgaben, dessen Berücksichtigung jede Divergenz bei der zeitlichen Geltung der Verordnung verhindert.

13 Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs - und Ausfuhrabgaben nicht anwendbar sind, wenn ein Importeur bei der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats nach Inkrafttreten dieser Verordnung einen Antrag auf Erstattung von Eingangsabgaben gestellt hat, die vor ihrem Inkrafttreten entrichtet worden sind.

Zu den übrigen Fragen

14 Angesichts dieser Antwort auf die erste Frage bedarf die zweite Vorlagefrage keiner Antwort.

15 Mit der dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, inwieweit die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die für Anträge auf Erstattung zu Unrecht erhobener Zölle eine zwingende Verjährungsfrist von drei Jahren vorsehen, ohne eine durch höhere Gewalt gerechtfertigte Ausnahme zuzulassen.

16 Insoweit hat der Gerichtshof im Urteil vom 12. Juni 1980 in der Rechtssache 130/79 ( Expreß Dairy Foods, Slg. 1980, 1887 ) entschieden, daß das innerstaatliche Recht im Vergleich zu den Verfahren, in denen über gleichartige, aber rein innerstaatliche Streitigkeiten entschieden wird, ohne Diskriminierung anzuwenden ist und daß die Verfahrensmodalitäten nicht darauf hinauslaufen dürfen, daß die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht eingeräumten Rechte praktisch unmöglich wird. Im Ausgangsverfahren geht es darum, ob das einschlägige nationale Recht dem letztgenannten Gebot genügt.

17 Wenn die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine dreijährige Verjährungsfrist vorsehen und jede Möglichkeit einer Verlängerung wegen höherer Gewalt ausschließen, so stellt dies eine gesetzgeberische Entscheidung dar, die das erwähnte Gebot nicht beeinträchtigt.

18 Demgemäß ist auf die dritte Frage zu antworten, daß mangels einer gemeinschaftlichen Regelung über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs - oder Ausfuhrabgaben die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts nationalen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die für Anträge auf Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben eine zwingende Verjährungsfrist von drei Jahren vorsehen.

19 Angesichts dieser Antwort auf die dritte Frage bedarf die vierte Vorlagefrage keiner Antwort.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Vierte Kammer )

auf die ihm vom Tribunal d' instance Paris mit Urteil vom 14. Oktober 1986 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Die Verordnung Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs - oder Ausfuhrabgaben ist nicht anwendbar, wenn ein Importeur bei der zuständigen Stelle eines Mitgliedstaats nach Inkrafttreten dieser Verordnung einen Antrag auf Erstattung von Eingangsabgaben gestellt hat, die vor ihrem Inkrafttreten entrichtet worden sind.

2 ) Mangels einer gemeinschaftlichen Regelung über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs - oder Ausfuhrabgaben stehen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts nationalen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die für Anträge auf Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben eine zwingende Verjährungsfrist von drei Jahren vorsehen.

Ende der Entscheidung

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