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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 21.06.1988
Aktenzeichen: 416/85
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Klage wegen Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats, die von der Kommission gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag erhoben worden ist und deren Zweckmässigkeit allein diese beurteilt, hat objektiven Charakter. Im Rahmen des vom Vertrag geschaffenen institutionellen Gleichgewichts steht es dem Gerichtshof nicht zu, zu prüfen, welche Ziele mit einer solchen Klage verfolgt werden. Seine Aufgabe ist es vielmehr, festzustellen, ob die gerügte Vertragsverletzung vorliegt oder nicht.

2. Die Bestimmung der "genau definierten sozialen Gründe", aufgrund deren gemäß Artikel 17 letzter Gedankenstrich der Zweiten Richtlinie und Artikel 28 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie bei der Mehrwertsteuer bestimmte ermässigte Sätze und Befreiungen vorübergehend beibehalten werden können, hängt grundsätzlich von politischen Entscheidungen der Mitgliedstaaten ab und kann nur insoweit Gegenstand einer gemeinschaftsrechtlichen Nachprüfung sein, als sie infolge einer Verfälschung dieses Begriffs zu Maßnahmen führen würde, die in ihren Wirkungen und ihren wirklichen Zielen diesen Rahmen überschritten.

Da Endverbraucher im allgemeinen Mehrwertsteuersystem derjenige ist, der einen Gegenstand oder eine Dienstleistung zum persönlichen Gebrauch im Gegensatz zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit erwirbt und deshalb die Steuer trägt, muß die zweite Voraussetzung, der die genannten Vorschriften die Beibehaltung bestimmter ermässigter Sätze und Befreiungen unterwerfen, nämlich daß diese Vorteile "zugunsten der Endverbraucher" vorgesehen sein müssen, unter Berücksichtigung der sozialen Zweckbestimmung des Artikels 17 dahin ausgelegt werden, daß der Begünstigte die steuerfreien Gegenstände oder Dienstleistungen nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit verwenden darf. Auch die Leistungen, die auf einer früheren Stufe der Produktions - oder Absatzkette erbracht werden, sind als zugunsten der so definierten Endverbraucher erbracht anzusehen, wenn die Stufe so nahe bei den Verbrauchern liegt, daß ihnen diese Leistungen zugute kommen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 21. JUNI 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN VEREINIGTES KOENIGREICH GROSSBRITANNIEN UND NORDIRLAND. - MEHRWERTSTEUER - BESTEUERUNG ZUM NULLSATZ. - RECHTSSACHE 416/85.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 13. Dezember 1985 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland die Bestimmungen der Richtlinie 77/388 des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( ABl. L 145, S. 1; im folgenden : Sechste Richtlinie ) verletzt und damit gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, indem es bei der Mehrwertsteuer den Nullsatz für bestimmte Gruppen von Gegenständen und Dienstleistungen beibehält.

2 Artikel 28 der Sechsten Richtlinie enthält Übergangsbestimmungen, die in bestimmten Bereichen eine schrittweise Anpassung der nationalen Rechtsvorschriften gestatten. Absatz 2 dieses Artikels bestimmt :

"Die ermässigten Steuersätze und die Steuerbefreiungen mit Erstattung der auf der vorausgehenden Stufe entrichteten Steuern, die am 31. Dezember 1975 galten und den im letzten Gedankenstrich des Artikels 17 der zweiten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 genannten Kriterien entsprechen, können bis zu einem Zeitpunkt beibehalten werden, der vom Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig festgesetzt wird und der nicht später liegen darf als der Zeitpunkt der Beseitigung der Besteuerung der Einfuhr und der steuerlichen Entlastung der Ausfuhr im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten erlassen Vorschriften, die es ermöglichen, von den Steuerpflichtigen die Angaben zu erlangen, die erforderlich sind, um die mit diesen Umsätzen zusammenhängenden eigenen Einnahmen feststellen zu können.

Alle fünf Jahre überprüft der Rat auf der Grundlage eines Berichts der Kommission die vorstehend genannten ermässigten Steuersätze und Steuerbefreiungen und trifft gegebenenfalls auf Vorschlag der Kommission einstimmig die erforderlichen Maßnahmen zu deren schrittweiser Beseitigung."

3 Artikel 17 letzter Gedankenstrich der Richtlinie 67/228 des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ( ABl. Nr. 71 vom 14. 4. 1967, S. 1303; im folgenden : Zweite Richtlinie ), auf den Artikel 28 der Sechsten Richtlinie Bezug nimmt, bestimmt :

"Die Mitgliedstaaten können...

...

- bis zur Beseitigung der Besteuerung der Einfuhr und der steuerlichen Entlastung der Ausfuhr im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten aus genau definierten sozialen Gründen zugunsten der Endverbraucher ermässigte Sätze oder sogar Befreiungen mit etwaiger Erstattung der auf der vorausgehenden Stufe entrichteten Steuern vorsehen, soweit sich diese Maßnahmen insgesamt nicht stärker auswirken als die bei dem derzeitigen System angewandten Erleichterungen."

4 Gestützt auf Artikel 28 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie hat das Vereinigte Königreich ein System des sogenannten "Nullsatzes" beibehalten. Ursprünglich enthielten die Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs im Anhang 4 des Finance Act 1972 eine Liste von 17 Gruppen von Gegenständen und Dienstleistungen, die zum Nullsatz besteuert wurden. Diese Liste ist später fast vollständig in Anhang 5 des Valü Added Tax Act 1983 übernommen worden.

5 Da die Kommission der Meinung war, daß einige der in den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs in Form des Nullsatzes vorgesehenen Steuerbefreiungen nicht den in Artikel 17 letzter Gedankenstrich der Zweiten Richtlinie genannten Kriterien entsprächen, forderte sie das Vereinigte Königreich mit Schreiben vom 19. Oktober 1981 gemäß Artikel 169 Absatz 1 EWG-Vertrag auf, sich dazu zu äussern.

6 Da das Vereinigte Königreich die ihm vorgeworfene Vertragsverletzung nicht einräumte, gab die Kommission am 4. September 1984 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Weil das Vereinigte Königreich dieser Stellungnahme nicht nachgekommen ist, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes

8 Das Vereinigte Königreich ist der Ansicht, daß die Klage der Kommission auf einem politischen Beweggrund beruhe, auf den als solchen ein Verfahren wegen Vertragsverletzung gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag nicht gestützt werden könne. Die von der Kommission erhobene Klage wegen Vertragsverletzung sei in Wirklichkeit darauf gerichtet, im Wege eines Gerichtsverfahrens ein Ziel zu erreichen, das nur durch eine Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers verwirklicht werden könne. Aus der Erwiderung der Kommission ergebe sich nämlich, daß sie mit ihrer Klage die Verfahrenserfordernisse des Artikels 28 der Sechsten Richtlinie umgehen wolle, wonach es Sache des Rates sei, einstimmig die Beseitigung der in dieser Vorschrift vorgesehenen Steuerbefreiungen zu beschließen. Deshalb ist es nach Ansicht des Vereinigten Königreichs nicht Aufgabe des Gerichtshofes, "an die Stelle der in Artikel 28 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen politischen Verfahren sein eigenes Handeln zu setzen und einem Mitgliedstaat eine unmittelbare Verpflichtung zu der mit diesem Artikel angestrebten schrittweisen Harmonisierung aufzuerlegen ".

9 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Im Rahmen des vom Vertrag geschaffenen institutionellen Gleichgewichts steht es dem Gerichtshof nicht zu, zu prüfen, welche Ziele mit einer bei ihm gemäß Artikel 169 des Vertrages eingereichten Klage wegen Vertragsverletzung verfolgt werden. Seine Aufgabe ist es vielmehr, festzustellen, ob die gerügte Vertragsverletzung vorliegt oder nicht. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. Dezember 1968 in der Rechtssache 7/68 ( Kommission/Italienische Republik, Slg. 1968, 642 ) entschieden hat, hat eine Klage wegen Vertragsverletzung, deren Zweckmässigkeit allein die Kommission beurteilt, objektiven Charakter.

Zur Begründetheit

10 Zunächst ist festzustellen, daß die Kommission das Nullsatzsystem nicht grundsätzlich beanstandet, das sie als mit dem System der in Artikel 28 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen im wesentlichen gleichwertig ansieht, wie sie bereits ausdrücklich in ihrem dem Rat am 29. Juni 1973 vorgelegten Vorschlag einer Sechzehnten Richtlinie anerkannt hat. Sie führt jedoch aus, daß die Voraussetzungen des Artikels 17 letzter Gedankenstrich der Zweiten Richtlinie, wonach Steuerbefreiungen nur aus "genau definierten sozialen Gründen zugunsten der Endverbraucher" gerechtfertigt seien, nicht erfuellt seien, soweit es bestimmte im Anhang 5 des Valü Added Tax Act 1983 aufgeführte Gruppen von Gegenständen und Dienstleistungen angehe.

11 Es ist daher zu prüfen, ob die Anwendung des Nullsatzes auf die genannten Gegenstände und Dienstleistungen den Voraussetzungen der angeführten Bestimmungen entspricht.

Zum Begriff der "genau definierten sozialen Gründe"

12 Hinsichtlich der ersten Voraussetzung, wonach die Steuerbefreiung nur aus genau definierten sozialen Gründen zulässig ist, erkennen die Parteien übereinstimmend an, daß die Festlegung der innerstaatlichen Sozialpolitik im Ermessen der Mitgliedstaaten stehe. Sie räumen jedoch ein, daß dieses Ermessen einer gemeinschaftsrechtlichen Nachprüfung unterliegen könne.

13 Im einzelnen räumt das Vereinigte Königreich ein, daß die Kommission eine bestimmte Maßnahme beanstanden könne, wenn der soziale Grund nicht als genau definiert anzusehen sei, wenn der geltend gemachte soziale Grund die ergriffene Maßnahme nicht rechtfertigen könne oder wenn die besondere Maßnahme völlig unverhältnismässig sei. Nach Ansicht der Kommission bezieht sich der Begriff der sozialen Gründe auf Maßnahmen, die in erster Linie zu allgemeinen sozialen Zwecken und nicht hauptsächlich aus industriellen, sektoralen oder steuerlichen Gründen erlassen würden; sie räumt jedoch ein, daß sie die im Rahmen der Sozialpolitik eines Mitgliedstaats ergriffenen Maßnahmen nur beanstanden könne, wenn sie nachweise, daß diese Sozialpolitik nicht hinreichend klar bestimmt sei oder daß diese Maßnahmen entweder nicht gerechtfertigt oder in einem Mißverhältnis zu den angeführten sozialen Gründen stuenden.

14 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß die Bestimmung der sozialen Gründe grundsätzlich von politischen Entscheidungen der Mitgliedstaaten abhängt und nur insoweit Gegenstand einer gemeinschaftsrechtlichen Nachprüfung sein kann, als sie infolge einer Verfälschung dieses Begriffs zu Maßnahmen führen würde, die in ihren Wirkungen und ihren wirklichen Zielen diesen Rahmen überschritten.

Zum Begriff "zugunsten des Endverbrauchers"

15 Die Kommission betrachtet die Personen als "Endverbraucher", die, da sie sich auf der Endstufe der Produktions - und Absatzkette befinden, keine Möglichkeit zum Vorsteuerabzug haben, also die Nichtsteuerpflichtigen.

16 Das Vereinigte Königreich ist der Ansicht, daß es im allgemeinen Mehrwertsteuersystem keinen Anhaltspunkt dafür gebe, den Endverbraucher mit dem Nichtsteuerpflichtigen gleichzusetzen. Vielmehr sei Endverbraucher die natürliche oder juristische Person am Ende einer bestimmten Produktions - oder Absatzkette eines bestimmten Erzeugnisses oder einer bestimmten Dienstleistung, auch wenn dieses Erzeugnis oder diese Dienstleistung in die Produktion anderer Erzeugnisse oder die Erbringung anderer Dienstleistungen eingehe, unabhängig davon, ob es sich um einen Steuerpflichtigen oder Nichtsteuerpflichtigen handele.

17 Hierzu ist festzustellen, daß Endverbraucher im allgemeinen Mehrwertsteuersystem derjenige ist, der einen Gegenstand oder eine Dienstleistung zum persönlichen Gebrauch im Gegensatz zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit erwirbt und deshalb die Steuer trägt. Daraus folgt, daß der Begriff des Endverbrauchers unter Berücksichtigung der sozialen Zweckbestimmung des Artikels 17 nur auf denjenigen anzuwenden ist, der die steuerfreien Gegenstände oder Dienstleistungen nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit verwendet. Auch die Leistungen, die auf einer früheren Stufe der Produktions - oder Absatzkette erbracht werden, sind als zugunsten der so definierten Endverbraucher erbracht anzusehen, wenn die Stufe so nahe bei den Verbrauchern liegt, daß ihnen diese Leistungen zugute kommen.

Zur Anwendung des Nullsatzes in den streitigen Fällen

A - Gruppe 1 - Nahrungsmittel ( 2. Futtermittel; 3. Samen oder andere Mittel der Vermehrung von unter Posten 1 oder 2 erfassten Pflanzen; 4. solche lebenden Tiere, die im allgemeinen als Nahrung für den menschlichen Verzehr verwendet werden oder solche liefern oder erzeugen )

18 Die Kommission trägt im wesentlichen vor, die Anwendung des Nullsatzes auf diese Erzeugnisse erfuelle nicht die in Artikel 17 letzter Gedankenstrich der Zweiten Richtlinie aufgestellte zweite Voraussetzung. Die Umsätze, die sich auf diese Erzeugnisse erstreckten, seien von den fertigen Nahrungsmitteln, die dem Nullsatz unterlägen, zu weit entfernt, als daß sie die Voraussetzung einer Begünstigung der Endverbraucher erfuellten.

19 Das Vereinigte Königreich macht geltend, die Anwendung eines positiven Mehrwertsteuersatzes auf die genannten Erzeugnisse würde zu einer Erhöhung der Nahrungsmittelpreise führen und damit die Verwirklichung der von ihm verfolgten sozialen Ziele gefährden. Es tritt ausserdem dem Argument der Kommission in bezug auf die Entfernung zu den Enderzeugnissen entgegen.

20 Hierzu ist festzustellen, daß alle in Rede stehenden Lieferungen zur Erzeugung von Substanzen, die zum menschlichen Verzehr bestimmt sind, beitragen und nahe genug bei den Endverbrauchern liegen, um diesen zugute zu kommen. Zudem lassen sich negative Auswirkungen einer Besteuerung der betroffenen Erzeugnisse auf die Lebensmittelpreise nicht ausschließen, deren Anstieg für den Endverbraucher, dem selbst ein Nullsatz zugute kommt, besonders spürbar ist.

21 Daraus folgt, daß die behauptete Vertragsverletzung für die genannten Erzeugnisse dieser Gruppe nicht nachgewiesen ist.

B - Gruppe 2 - Dienstleistungen der Abwasserbeseitigung und Wasser

22 Die von der Kommission geltend gemachte Vertragsverletzung betrifft der Industrie erbrachte Dienstleistungen in bezug auf das Entleeren von Sicker - und Klärgruben, die bei Fehlen einer Abwasserkanalisation notwendig sind, und ausserdem die Wasserlieferungen an die Industrie.

23 In keinem dieser beiden Fälle ist davon auszugehen, daß die der Industrie erbrachten Dienstleistungen die in Artikel 17 aufgestellte zweite Voraussetzung erfuellen, da die Industrie nicht als Endverbraucher betrachtet werden kann.

24 Speziell zu den Wasserlieferungen an die Industrie hat das Vereinigte Königreich geltend gemacht, daß in einem anderen Mitgliedstaat diese Lieferungen von der Steuer befreit seien. Die Kommission hat im Laufe des Verfahrens erklärt, daß diese Steuerbefreiung auf Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie beruhe, wonach die Mitgliedstaaten während der Übergangszeit die in Anhang F aufgeführten Umsätze, hier "die Lieferungen von Wasser durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts", weiterhin befreien können. Das Vereinigte Königreich hat sich im übrigen nicht auf diese Bestimmung berufen.

25 Eine Vertragsverletzung in bezug auf diese Erzeugnisse und Dienstleistungen ist also erwiesen.

C - Gruppe 6 - Bestimmten Unternehmen erbrachte Informationsdienstleistungen

26 Das Vorbringen der Kommission betrifft Informationsdienstleistungen, die Unternehmen erbracht werden, deren Dienstleistungen nicht einem Nullsatz unterliegen, wie Banken oder Versicherungsgesellschaften.

27 Das Vereinigte Königreich macht geltend, die fraglichen Leistungen stellten "Nebenvorteile" dar und die wesentlichen Merkmale dieser Informationsdienstleistungen blieben die gleichen, ob sie nun einer Bank oder einer dem Nullsatz unterliegenden Zeitung erbracht würden.

28 Abgesehen von der Tatsache, daß ein Nebenvorteil wie der vom Vereinigten Königreich geltend gemachte nicht unter den Begriff des Vorteils zugunsten des Endverbrauchers fällt, wie er sich aus Artikel 28 der Sechsten Richtlinie ergibt, ist festzustellen, daß die Unternehmen, die Empfänger der fraglichen Informationsdienstleistungen sind, wie die Banken und Versicherungsgesellschaften, nicht als Endverbraucher angesehen werden können und die in Artikel 17 aufgestellte zweite Voraussetzung im vorliegenden Fall daher nicht erfuellt ist.

29 Die Vertragsverletzung in bezug auf diese Dienstleistungen ist daher erwiesen.

D - Gruppe 7 - Brennstoffe und Energie ( Kohle, Koks, Kohlengas, Wassergas, Erdölgas, Heizöl, Gasöl, Elektrizität usw.)

30 Die Kommission beanstandet die Anwendung eines Nullsatzes auf die Brennstoff - und Energielieferungen, wenn sie nicht den Endverbrauchern erbracht werden.

31 Das Vereinigte Königreich macht im wesentlichen die ungünstigen Auswirkungen geltend, die die Besteuerung der Brennstoff - und Energielieferungen in sozialer Hinsicht insbesondere auf die Schulen und Krankenhäuser hätte.

32 Ohne daß die sozialen Zielsetzungen, die dieser Politik zugrunde liegen, in Frage gestellt werden, ist festzustellen, daß die streitigen Dienstleistungen nicht als zugunsten der Endverbraucher erbracht angesehen werden können, da die Endverbraucher, wie sie oben definiert worden sind, nur sehr mittelbar von dem Nullsatz profitieren. Diese Dienstleistungen erfuellen daher nicht die in Artikel 17 der Zweiten Richtlinie aufgestellte zweite Voraussetzung.

33 Was das vom Vereinigten Königreich hilfsweise vorgetragene Argument angeht, daß die Schwierigkeiten bei der Verwaltung der Steuer im Falle der Anwendung des Nullsatzes nur auf die für die Endverbraucher bestimmten Lieferungen wahrscheinlich unüberwindlich wären, so ist festzustellen, daß, wenn ein Mitgliedstaat sich auf die fraglichen Ausnahmebestimmungen berufen will, er alle konkreten Maßnahmen ergreifen muß, die eine korrekte Anwendung dieser Bestimmungen gestattet. Hält er diese Maßnahmen für nicht realisierbar, so muß er auf die Anwendung des Nullsatzes verzichten.

34 Die geltend gemachte Vertragsverletzung ist also erwiesen.

E - Gruppe 8 - Bau von Gebäuden ( insbesondere einschließlich des ersten Verkaufs neuer Gebäude, der von einem Unternehmer, der für einen Kunden, der der Grundstückseigentümer ist, ein neues Gebäude baut, erbrachten Dienstleistungen, des Baus von Gebäuden für den kommerziellen und industriellen Gebrauch, der Ingenieurbauten, des Baus von Strassen, Schienen und Flughäfen )

35 Die Kommission ist der Ansicht, daß die Anwendung eines Nullsatzes auf die Posten der Gruppe 8 mit Ausnahme der von den Gemeinden gebauten Wohnungen eine Vertragsverletzung darstelle. Was den Wohnungsbausektor betrifft, macht die Kommission geltend, daß die unterschiedslose Anwendung des Nullsatzes auf den gesamten Sektor unabhängig von der Art der betreffenden Wohnungen einen Verstoß gegen die in Artikel 17 letzter Gedankenstrich aufgestellte erste Voraussetzung darstelle, da sie ausser Verhältnis zu den Zielen der Sozialpolitik des Vereinigten Königreichs im Wohnungsbau stehe. Zu den Gebäuden für den kommerziellen und industriellen Gebrauch sowie den öffentlichen Gebäuden und den Ingenieurbauten meint die Kommission, daß irgendein Vorteil für den Endverbraucher zu weit entfernt sei, um der in Artikel 17 letzter Gedankenstrich aufgestellten zweiten Voraussetzung zu genügen.

36 Was die zu Wohnzwecken bestimmten Gebäude betrifft, so kann dem Vorbringen der Kommission nicht gefolgt werden. Die Maßnahmen, die das Vereinigte Königreich ergriffen hat, um im Wohnungsbereich seine Sozialpolitik durchzuführen, nämlich für die Gesamtbevölkerung die Bildung von Grundeigentum zu fördern, fallen unter den Begriff der "sozialen Gründe" im Sinne von Artikel 17 letzter Gedankenstrich der Zweiten Richtlinie.

37 Das Vereinigte Königreich hat also mit der Anwendung des Nullsatzes auf die in Gruppe 8 erfassten Tätigkeiten in bezug auf von Gemeinden wie auch von Privatpersonen gebaute Wohnungen Artikel 17 letzter Gedankenstrich der Zweiten Richtlinie nicht verletzt.

38 Dagegen kann von den in Gruppe 8 aufgeführten Tätigkeiten in bezug auf den Bau von Gebäuden für den industriellen und kommerziellen Gebrauch sowie auf öffentliche Gebäude und Ingenieurbauten nicht gesagt werden, daß sie dem Endverbraucher einen Vorteil bringen.

39 Daraus folgt, daß die von der Kommission geltend gemachte Vertragsverletzung erwiesen ist, soweit der Nullsatz auf die streitigen Dienstleistungen in bezug auf den Bau von Gebäuden für den industriellen und kommerziellen Gebrauch sowie auf öffentliche Gebäude und Ingenieurbauten angewendet wird.

F - Gruppe 17 - Kleidung und Schuhe ( Schutzstiefel und -helme )

40 Die Kommission beanstandet, daß auf die Lieferungen dieser Erzeugnisse an die Arbeitgeber für den Gebrauch durch ihr Personal der Nullsatz angewendet werde, da sie nicht als Produktionsfaktoren (" Inputs ") in der Produktionskette der Erzeugnisse, denen eine Steuerbefreiung zugute komme, angesehen werden könnten.

41 Das Vereinigte Königreich macht geltend, diese Erzeugnisse seien selbständig zu betrachten und nicht als Teil eines Produktionsprozesses. Der Arbeitgeber müsse als Endverbraucher dieser Gegenstände angesehen werden.

42 Im Lichte der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, daß die Personen, denen die genannten Gegenstände geliefert werden, nicht als Endverbraucher betrachtet werden können.

43 Die geltend gemachte Vertragsverletzung ist also erwiesen.

44 Aus alledem folgt, daß das Vereinigte Königreich die Bestimmungen der Richtlinie 77/388 verletzt hat und damit gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, indem es bei der Mehrwertsteuer den Nullsatz für die obengenannten Gruppen von Gegenständen und Dienstleistungen beibehält.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Vereinigte Königreich mit seinem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hat die Bestimmungen der Richtlinie 77/388 des Rates vom 17. Mai 1977 verletzt und damit gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, indem es bei der Mehrwertsteuer den Nullsatz beibehält

- für die in Gruppe 2 des Anhangs 5 des Valü Added Tax Act 1983 aufgeführten Wasserlieferungen und Dienstleistungen der Abwasserbeseitigung ( Entleeren von Sicker - und Klärgruben ) an die Industrie, soweit sie nicht Endverbrauchern erbracht werden,

- für die in Gruppe 6 aufgeführten Informationsdienstleistungen, soweit sie nicht Endverbrauchern erbracht werden,

- für die Lieferungen der in Gruppe 7 aufgeführten Brennstoffe und Energie sowie der in Gruppe 17 aufgeführten Schutzstiefel und -helme, soweit sie nicht Endverbrauchern erbracht werden,

- für die Lieferungen der in Gruppe 8 aufgeführten Gegenstände und Dienstleistungen in bezug auf den Bau von Gebäuden zum industriellen und kommerziellen Gebrauch sowie von öffentlichen Gebäuden und Ingenieurbauten, soweit sie nicht Endverbrauchern erbracht werden.

2 ) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3 ) Das Vereinigte Königreich trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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