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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.06.1989
Aktenzeichen: 48/88
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, RiLi 79/7


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
RiLi 79/7 Art. 2
RiLi 79/7 Art. 3 Abs. 1a
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Richtlinie 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist nach ihrem Artikel 2 weder auf Personen, die keine Erwerbstätigkeit ausgeuebt haben, noch auf Personen anwendbar, die eine nicht durch eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken unterbrochene Erwerbstätigkeit ausgeuebt haben, soweit diese Personen nicht auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind.

Es macht insoweit keinen Unterschied, ob der Betroffene noch vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie aufgehört hat zu arbeiten und dem Arbeitsmarkt anschließend nicht mehr zur Verfügung stand.

Wer also vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen ist, kann sich nicht auf deren Artikel 4 berufen, der den Inhalt des Grundsatzes der Gleichbehandlung festlegt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 27. JUNI 1989. - J. E. G. ACHTERBERG-TE RIELE UND ANDERE GEGEN SOCIALE VERZEKERINGSBANK. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RAAD VAN BEROEP UTRECHT - NIEDERLANDE. - GLEICHBEHANDLUNG VON MAENNERN UND FRAUEN - SOZIALE SICHERHEIT - PERSOENLICHER GELTUNGSBEREICH DER RICHTLINIE 79/7. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN 48/88, 106/88 UND 107/88.

Entscheidungsgründe:

1 Der Raad van Beroep Utrecht und der Raad van Beroep Groningen haben mit drei Beschlüssen vom 12. Februar bzw. 29. März 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Februar bzw. 31. März 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei bzw. drei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 79/7 des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ( ABl. 1979, L 6, S. 24 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt, mit denen um die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht wird.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen dreier Rechtsstreitigkeiten zwischen niederländischen Staatsangehörigen weiblichen Geschlechts und der Sociale Verzekeringsbank insbesondere dahin, ob Personen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung standen, sich im Hinblick auf die Anwendung der niederländischen Rechtsvorschriften über die Altersrenten auf die Richtlinie 79/7, deren Umsetzungsfrist am 23. Dezember 1984 abgelaufen ist, berufen können.

3 Nach den Akten wurde mit dem Allgemeinen Niederländischen Gesetz über die Altersrenten zugunsten von in den Niederlanden ansässigen sowie nichtansässigen Personen, die der Lohnsteuer für eine in den Niederlanden ausgeuebte Erwerbstätigkeit unterliegen und 65 Jahre alt sind, ein allgemeines System der Altersrenten eingeführt wurde, in dem Rentenansprüche auf der Grundlage von zurückgelegten Versicherungszeiten erworben werden. Nach diesem System, das bis zum 1. April 1985 galt, als eine Gesetzesänderung in Kraft trat, war eine in den Niederlanden wohnende verheiratete Frau, deren ebenfalls in den Niederlanden wohnender Ehemann nicht versichert war, da er im Ausland eine Erwerbstätigkeit ausübte und dort versichert war, selbst in den betreffenden Zeiträumen von der Versicherung ausgeschlossen; dagegen blieb ein in den Niederlanden wohnender verheirateter Mann, dessen Ehefrau von der Versicherung ausgeschlossen war, dem Rentensystem angeschlossen.

4 Bei Vollendung ihres 65. Lebensjahres wurde den drei Klägerinnen, von denen zwei eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausübten, die sie freiwillig aufgaben, während die dritte niemals eine Erwerbstätigkeit ausgeuebt hatte, die Gewährung einer vollen Rente von der Sociale Verzekeringsbank mit der Begründung verweigert, daß ihre in den Niederlanden wohnenden Ehemänner während bestimmter Zeiträume eine Erwerbstätigkeit im Ausland ausgeuebt hätten und dort versichert gewesen seien.

5 Da der Raad van Beroep Utrecht und der Raad van Beroep Groningen der Ansicht waren, daß die gegen die Entscheidungen der Sociale Verzekeringsbank erhobenen Klagen eine Auslegung der Richtlinie 79/7 erforderlich machten, haben sie das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

In der Rechtssache 48/88

"1 ) Fallen unter den Begriff 'Erwerbsbevölkerung' im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 79/7 auch Personen, die in einem Mitgliedstaat eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeuebt haben, jedoch zum Zeitpunkt des Eintritts eines der in Artikel 3 dieser Richtlinie aufgeführten Risiken dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen?

2 ) Verpflichtet Artikel 5 der Richtlinie 79/7 die Mitgliedstaaten, in einem System, in dem der Leistungsbetrag von der Versicherungsdauer abhängt, die nachteilige Wirkung zu beseitigen, die eine durch diese Richtlinie verbotene Unterscheidung bei der Begründung von Leistungsansprüchen auf die Höhe von nach dem 22. Dezember 1984 aufgrund eigener Ansprüche zu gewährenden Leistungen bei Alter hat?

In der Rechtssache 106/88

"1 ) Fällt eine Person, die in einem Mitgliedstaat keine Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger ausgeuebt und die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden hat, weil sie den Familienhaushalt versorgt hat, unter den in Artikel 2 der Richtlinie 79/7 umschriebenen Personenkreis?

2 ) Kann sich ein einzelner, der nicht unter den in Artikel 2 der Richtlinie 79/7 umschriebenen Personenkreis fällt, auf Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 gegenüber einer Vorschrift der AOW berufen, die möglicherweise nicht mit dem in dieser Bestimmung enthaltenen Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist, nachdem der niederländische Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, diesen Grundsatz der Richtlinie 79/7 in der AOW ohne Ansehen der Person durchzuführen?

3 ) Liegt eine nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor, wenn eine Rechtsvorschrift dazu führt, daß die Altersrente einer Frau, auf die nach dem 22. Dezember 1984 ein Anspruch besteht, wegen fehlender Versicherungszeiten vor dem 23. Dezember 1984 gekürzt wird, während die Kürzung bei einem mit der Frau vergleichbaren Mann nicht erfolgen kann, weil sich das Fehlen von Versicherungszeiten vor dem 23. Dezember 1984 aus dem Status der Ehefrau ergab?"

In der Rechtssache 107/88

"1. a)Fällt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Tätigkeit als Arbeitnehmer ausgeuebt hat, jedoch unmittelbar vor wie auch bei Erreichen des Alters im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 der Richtlinie diese Tätigkeit wegen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nicht mehr ausübt und nach deren Eintritt dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht, weil sie den Familienhaushalt versorgt, unter den in Artikel 2 der Richtlinie 79/7 umschriebenen Personenkreis?

1. b)Macht es hierbei einen Unterschied, ob der Betreffende noch vor Inkrafttreten der Richtlinie 79/7 aufgehört hat zu arbeiten und dem Arbeitsmarkt anschließend nicht mehr zur Verfügung stand?

1. c)Wie lautet - falls die Frage 1. a bejaht wird - die Antwort auf folgende Frage :

Kann sich ein einzelner, der nicht unter den in Artikel 2 der Richtlinie 79/7 umschriebenen Personenkreis fällt, auf Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 gegenüber einer Vorschrift der AOW berufen, die möglicherweise nicht mit dem in dieser Bestimmung enthaltenen Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist, nachdem der niederländische Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, diesen Grundsatz der Richtlinie 79/7 in der AOW ohne Ansehen der Person durchzuführen?

2)Liegt eine nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor, wenn eine Rechtsvorschrift dazu führt, daß die Altersrente einer Frau, auf die nach dem 22. Dezember 1984 ein Anspruch besteht, wegen fehlender Versicherungszeiten vor dem 23. Dezember 1984 gekürzt wird, während die Kürzung bei einem mit der Frau vergleichbaren Mann nicht erfolgen kann, weil sich das Fehlen von Versicherungszeiten vor dem 23. Dezember 1984 aus dem Status der Ehefrau ergab?"

6 Mit Beschluß vom 13. Dezember 1988 wurden die Rechtssachen 48, 106 und 107/88 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts der Ausgangsverfahren, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Die erste Frage in den Rechtssachen 48/88 und 106/88 sowie die Frage 1. a in der Rechtssache 107/88 gehen dahin, ob die Richtlinie 79/7 nach ihrem Artikel 2 auf Personen, die keine Erwerbstätigkeit ausgeuebt haben und nicht auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind, sowie auf Personen anwendbar ist, die eine nicht durch eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken unterbrochene Erwerbstätigkeit ausgeuebt haben und die nicht auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind.

9 Der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie wird in Artikel 2 festgelegt, wonach diese auf die Erwerbsbevölkerung, die Arbeitsuchenden sowie die Arbeitnehmer Anwendung findet, deren Erwerbstätigkeit durch eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a aufgezählten Risiken, nämlich Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Arbeitslosigkeit, unterbrochen worden ist.

10 Wenn die Richtlinie gemäß ihrem Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a auch auf die gesetzlichen Systeme Anwendung findet, die Schutz gegen Alter bieten, und es in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten um ein derartiges System geht, so betrifft sie doch gemäß ihren Artikeln 2 und 3 nur Personen, die zu dem Zeitpunkt, in dem sie Anspruch auf eine Altersrente erwerben, arbeiten oder deren Erwerbstätigkeit zuvor durch eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a genannten Risiken unterbrochen wurde.

11 Die Richtlinie ist demnach nicht auf Personen anwendbar, die dem Arbeitsmarkt niemals zur Verfügung standen oder ihm nicht mehr zur Verfügung stehen, ohne daß der Grund dafür im Eintritt eines der in der Richtlinie genannten Risiken liegt.

12 Diese Auslegung entspricht der Zielsetzung des Gemeinschaftsrechts und dem Wortlaut der übrigen Vorschriften, in deren Rahmen die Richtlinie 79/7 sich einfügt. Artikel 119 EWG-Vertrag sowie die Richtlinien 75/117 des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ( ABl. L 45, S. 19 ) und 76/207 des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen ( ABl. L 39, S. 39 ) bezwecken nämlich die Verwirklichung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen nicht allgemein, sondern nur in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer.

13 Auf die erste Frage in den Rechtssachen 48/88 und 106/88 sowie auf die Frage 1. a in der Rechtssache 107/88 ist daher zu antworten, daß die Richtlinie 79/7 nach ihrem Artikel 2 weder auf Personen, die keine Erwerbstätigkeit ausgeuebt haben und nicht auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind, noch auf Personen anwendbar ist, die eine nicht durch eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken unterbrochene Erwerbstätigkeit ausgeuebt haben und die nicht auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind.

14 Auf die Frage 1. b in der Rechtssache 107/88 ist zu antworten, daß es für die Antwort auf die Frage 1. a in dieser Rechtssache keinen Unterschied macht, ob der Betroffene noch vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie aufgehört hat zu arbeiten und dem Arbeitsmarkt anschließend nicht mehr zur Verfügung stand.

15 Die zweite Frage in der Rechtssache 106/88 und die Frage 1. c in der Rechtssache 107/88 gehen dahin, ob eine Person, die nicht unter Artikel 2 der Richtlinie 79/7 fällt, sich auf deren Artikel 4 berufen kann.

16 Aus der inneren Logik der Richtlinie ergibt sich, daß Artikel 4, der den Inhalt des Grundsatzes der Gleichbehandlung festlegt, nur innerhalb des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie gilt.

17 Auf die zweite Frage in der Rechtssache 106/88 und auf die Frage 1. c in der Rechtssache 107/88 ist daher zu antworten, daß eine Person, die nicht unter Artikel 2 der Richtlinie 79/7 fällt, sich nicht auf deren Artikel 4 berufen kann.

18 Angesichts der Antworten auf diese Fragen brauchen die zweite Frage in der Rechtssache 48/88, die dritte Frage in der Rechtssache 106/88 und die zweite Frage in der Rechtssache 107/88 nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen des Königreichs der Niederlande, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

auf die ihm vom Raad van Beroep Utrecht und vom Raad van Beroep Groningen durch die Beschlüsse vom 12. Februar und 29. März 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Die Richtlinie 79/7 des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist nach ihrem Artikel 2 weder auf Personen, die keine Erwerbstätigkeit ausgeuebt haben und nicht auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind, noch auf Personen anwendbar, die eine nicht durch eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken unterbrochene Erwerbstätigkeit ausgeuebt haben und die nicht auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind.

2 ) Für die vorstehende Antwort macht es keinen Unterschied, ob der Betroffene noch vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie aufgehört hat zu arbeiten und dem Arbeitsmarkt anschließend nicht mehr zur Verfügung stand.

3 ) Eine Person, die nicht unter Artikel 2 der Richtlinie 79/7 fällt, kann sich nicht auf deren Artikel 4 berufen.

Ende der Entscheidung

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