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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.03.1989
Aktenzeichen: 51/88
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 77/388/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 77/388/EWG Art. 9
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Hochseegehende Segeljachten, deren Mieter diese Jachten zum Zweck der Ausübung des Segelsports nutzen, sind Beförderungsmittel im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. Die in ihrer Vermietung bestehende Dienstleistung gilt daher, dem in Artikel 9 Absatz 1 aufgestellten allgemeinen Grundsatz entsprechend, als an dem Ort erbracht, an dem der Vermieter den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 15. MAERZ 1989. - KNUT HAMANN GEGEN FINANZAMT HAMBURG-EIMSBUETTEL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM FINANZGERICHT HAMBURG. - MEHRWERTSTEUER - BEFOERDERUNGSMITTEL - HOCHSEEGEHENDE SEGELJACHT. - RECHTSSACHE 51/88.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht Hamburg hat mit Beschluß vom 22. Dezember 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Februar 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( ABl. L 145, S. 1 ) ( nachstehend : Sechste Richtlinie ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Knut Hamann und dem Finanzamt Hamburg-Eimsbüttel ( nachstehend : Finanzamt ) darüber, ob die Vercharterung hochseegehender Segeljachten zu sportlichen Zwecken durch ein in der Bundesrepublik Deutschland ansässiges Unternehmen in diesem Staat der Mehrwertsteuer unterliegt.

3 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, daß Hamann Inhaber eines in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Jachtcharterunternehmens ist. Die Jachten wurden gechartert, um überwiegend in dänischen und schwedischen Gewässern, aber auch bis Norwegen und Finnland zu segeln, und von den Charterern somit hauptsächlich ausserhalb des deutschen Erhebungsgebiets benutzt.

4 Hamann erklärte für die Geschäftsjahre 1980 und 1981 einen steuerfreien Umsatz, der vom Finanzamt vorbehaltlich einer Nachprüfung entsprechend festgesetzt wurde.

5 Bei einer 1983 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Betriebsprüfer die Auffassung, daß es sich bei der von Hamann vorgenommenen Vercharterung der hochseegehenden Jachten um eine Vermietung von Beförderungsmitteln handele, die als steuerpflichtige Inlandsleistung anzusehen sei; er errechnete deshalb für die Geschäftsjahre 1980 und 1981 die entsprechende Mehrwertsteuer. Das Finanzamt schloß sich der Auffassung des Betriebsprüfers an und änderte die Mehrwertsteuerbescheide für 1980 und 1981 ab.

6 Nach der Zurückweisung seines Einspruchs erhob Hamann vor dem Finanzgericht Hamburg Klage. Er machte geltend, die Vercharterung hochseegehender Segeljachten unterliege nach deutschem Recht nicht der Mehrwertsteuer, da der Umsatz am Ort der Verwendung der vermieteten Gegenstände und somit ausserhalb des deutschen Erhebungsgebiets erzielt worden sei. Die im deutschen Recht für die Vermietung von Beförderungsmitteln vorgesehene Vorschrift, wonach als Ort der Vermietung der Ort gelte, an dem der Vermieter seine Tätigkeit ausübe, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da die hochseegehenden Segeljachten nicht als Beförderungsmittel anzusehen seien.

7 Das Finanzamt war dagegen der Meinung, die hochseegehenden Segeljachten seien Beförderungsmittel im Sinne des deutschen Rechts, und die Vermietung dieser Gegenstände unterliege daher an dem Ort der Mehrwertsteuer, an dem der Vermieter den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit habe, d. h. im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland.

8 Das Finanzgericht Hamburg vertrat die Auffassung, die Vorschrift über die Vermietung von Beförderungsmitteln sei in die deutschen Rechtsvorschriften eingeführt worden, um die Sechste Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

9 Da das Finanzgericht der Ansicht war, daß der Rechtsstreit eine Auslegung der betreffenden gemeinschaftsrechtlichen Regelung erforderlich mache, hat es mit Beschluß vom 22. Dezember 1987 gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"Ist Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, daß hochseegehende Segeljachten, deren Mieter diese Jachten zum Zweck der Ausübung des Segelsports nutzen, als Beförderungsmittel im Sinne dieser Richtlinie anzusehen sind?"

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Zunächst ist daran zu erinnern, daß gemäß Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie "als Ort einer Dienstleistung... der Ort (( gilt )), an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort ".

12 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 9 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie eine Reihe von Ausnahmen von diesem allgemeinen Grundsatz vorsieht. Im einzelnen bestimmt Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d, daß "als Ort einer Dienstleistung bestehend aus der Vermietung von beweglichen körperlichen Gegenständen - ausser Beförderungsmitteln -, die vom Vermieter von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der dortigen Nutzung ausgeführt werden, der Ort der Nutzung (( gilt ))".

13 Daraus folgt, daß vom Anwendungsbereich der für die Vermietung von beweglichen körperlichen Gegenständen vorgesehenen Ausnahme sämtliche Beförderungsmittel ausgenommen sind, die daher der allgemeinen Regelung des Artikels 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie unterworfen bleiben.

14 Für die Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ist zu prüfen, ob hochseegehende Jachten, die zur Ausübung des Segelsports gechartert werden, Beförderungsmittel im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie sind.

15 Hamann führt dazu aus, bei der Definition des Begriffs "Beförderungsmittel" sei auf den Hauptzweck des fraglichen Gegenstands abzustellen. Hauptzweck der Charterung einer hochseegehenden Segeljacht sei jedoch nicht die Beförderung von Personen oder Gegenständen von einem Ort zum anderen, sondern die Sportausübung oder das Segeln zum Vergnügen. Daraus folge, daß die Jachten, um die es im Ausgangsverfahren gehe, nicht als Beförderungsmittel im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie anzusehen seien.

16 Die Kommission ist dagegen der Ansicht, daß der Begriff "Beförderungsmittel" weit auszulegen sei und jedes Gerät erfasse, mit dem man sich von einem Ort zum anderen begeben könne. Jede für die Seeschiffahrt geeignete Segeljacht sei daher ein Beförderungsmittel im Sinne der Sechsten Richtlinie, selbst wenn sie in erster Linie zum Zweck der Sportausübung genutzt werde.

17 Der Ansicht der Kommission ist zu folgen. Aus der siebten Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie ergibt sich nämlich, daß eines der Ziele der Richtlinie darin bestand, den Anwendungsbereich der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten insbesondere hinsichtlich der Dienstleistungen rationell abzugrenzen. So gilt aus Gründen der Vereinfachung als Anknüpfungspunkt für die Dienstleistung grundsätzlich der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Nach der vorerwähnten Begründungserwägung ist von diesem allgemeinen Grundsatz jedoch in bestimmten Fällen eine Ausnahme zu machen : So ist bei der Vermietung von beweglichen körperlichen Gegenständen der Ort der Dienstleistung der Ort der Nutzung des vermieteten Gegenstands, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, die sich aus den unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen der Mitgliedstaaten ergeben können.

18 Diese Erwägungen gelten jedoch nicht für die Vermietung von Beförderungsmitteln. Da diese nämlich leicht die Grenzen überschreiten können, ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, den Ort ihrer Nutzung zu bestimmen. Es muß jedoch in jedem Fall ein praktikables Kriterium für die Erhebung der Mehrwertsteuer vorgesehen werden. Die Sechste Richtlinie hat daher für die Vermietung sämtlicher Beförderungsmittel nicht an den Ort der Nutzung des vermieteten Gegenstands angeknüpft, sondern, dem allgemeinen Grundsatz entsprechend, an den Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat.

19 In Anbetracht der Gründe für den Ausschluß sämtlicher Beförderungsmittel von der Ausnahmeregelung des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie sowie im Hinblick darauf, daß die Ausnahmen von der allgemeinen Regelung der Sechsten Richtlinie eng auszulegen sind, sind hochseegehende Segeljachten, auch wenn sie von den Mietern zum Zweck der Sportausübung genutzt werden, als Beförderungsmittel im Sinne der vorgenannten Bestimmung der Richtlinie anzusehen. Derartige Jachten ermöglichen nämlich die Fortbewegung von Personen und Gegenständen über weite Entfernungen, so daß es schwierig ist, den Ort ihrer Nutzung zu bestimmen, und eine Anknüpfung an den Ort der Nutzung des Gegenstands mit der Gefahr verbunden wäre, daß die Vermietung solcher Schiffe entgegen der Zielsetzung der Sechsten Richtlinie der Zahlung der Mehrwertsteuer entgeht.

20 Diese Auslegung wird durch Artikel 15 Absatz 2 der Sechsten Richtline bestätigt, wonach "Sportboote" - die Kategorie, zu der hochseegehende Segeljachten gehören - zu den "Beförderungsmitteln, die privaten Zwecken dienen", gezählt werden.

21 Die gleiche Auslegung ist im übrigen auch in der Richtlinie 83/182/EWG des Rates vom 28. März 1983 über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel ( ABl. L 105, S. 59 ) vorgenommen worden, nach deren Artikel 1 Absatz 1 "Wassersportfahrzeuge" zum Anwendungsbereich dieser Richtlinie gehören und daher unter den Begriff "bestimmte Verkehrsmittel" fallen.

22 Auf die Frage des vorlegenden Gerichts ist somit zu antworten, daß hochseegehende Segeljachten, deren Mieter diese Jachten zum Zweck der Ausübung des Segelsports nutzen, Beförderungsmittel im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Die Auslagen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens istdas Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

auf die ihm vom Finanzgericht Hamburg mit Beschluß vom 22. Dezember 1987 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Hochseegehende Segeljachten, deren Mieter diese Jachten zum Zweck der Ausübung des Segelsports nutzen, sind Beförderungsmittel im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage.

Ende der Entscheidung

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