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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 15.03.1988
Aktenzeichen: 63/88 R
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DER VIERTEN KAMMER VOM 15. MAERZ 1988. - CLAUDE MAINDIAUX, RAYMOND MULLER UND FRANCIS PATTERSON GEGEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS. - VORLAEUFIGER RECHTSSCHUTZ - BEAMTE - AUSSETZUNG DES VOLLZUGS - WAHL ZUR PERSONALVERTRETUNG. - RECHTSSACHE 63/88 R.

Entscheidungsgründe:

1 Die Antragsteller, Beamte des Wirtschafts - und Sozialausschusses ( im folgenden : WSA ), haben mit Schriftsatz, der am 29. Februar 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, einen Antrag gestellt auf einstweilige Anordnung der Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung des Wahlausschusses des WSA vom 8. Februar 1988, die Wahl der Mitglieder der Personalvertretung nach dem sogenannten "Supar"-Wahlsystem durchzuführen, sowie der Vertagung dieser für den 17. März 1988 vorgesehenen Wahlen.

2 Aus den Akten geht hervor, daß das Präsidium des WSA mit seinem Beschluß 1896/75 A vom 28. Juli 1975 Bestimmungen betreffend die Zusammensetzung und die Tätigkeit seiner Personalvertretung erlassen hat. Artikel 5 Absatz 1 dieses Beschlusses lautet : "Die Mitglieder der Personalvertretung werden nach Bedingungen gewählt, die von der Vollversammlung der Beamten des Wirtschafts - und Sozialausschusses festgelegt werden. Diese Versammlung muß spätestens einen Monat vor Ablauf des Mandats der bisherigen Personalvertretung stattfinden..." Das System und die Voraussetzungen der Wahlen der Personalvertretung waren zuletzt durch die Verfahrensordnung für die Wahl der Personalvertretung CP 153/83 vom 4. März 1983 festgelegt worden, mit der ein "Supar" genanntes Verhältniswahlsystem eingeführt wurde.

3 In einer am 21. März 1985 einberufenen, am 25. März 1985 abgehaltenen Vollversammlung des Personals, deren Tagesordnung unter anderem die Einsetzung eines Wahlausschusses für die Neuwahl der Personalvertretung vorsah, die die bisherige Personalvertretung, deren Amtszeit am 20. April 1985 ablief, ersetzen sollte, schlug die Union syndicale ( Gewerkschaftsbund ), ein gewerkschaftlicher Zusammenschluß von Beamten, eine Änderung der geltenden Wahlordnung vor. Die Personalversammlung zur Behandlung dieses Tagesordnungspunkts wurde auf den 19. April 1985 verschoben. An diesem Tag verabschiedete die Vollversammlung tatsächlich ein Mehrheitswahlsystem und beschloß ferner, das neue Wahlsystem sofort bei den bevorstehenden Wahlen der Personalvertretung anzuwenden.

4 Herr Müllers stellte am 22. April 1985 namens seiner Gewerkschaftsorganisation ( der Sektion der FFPE beim WSA ) beim Präsidenten des WSA einen Antrag in dem Sinne, daß die Änderung der Wahlordnung rechtswidrig sei, weil die Personalversammlung, die sie beschlossen habe, am Vortag des Ablaufs der Amtszeit der bisherigen Personalvertretung abgehalten worden sei, während sie nach Artikel 5 des Beschlusses 1896/75 A spätestens einen Monat vor diesem Zeitpunkt hätte stattfinden müssen. Herr Müllers ersuchte den Präsidenten des WSA daher, den Vorsitzenden des von der Personalversammlung vom 19. April 1985 eingesetzten Wahlausschusses darauf hinzuweisen, daß die Wahlen zur Personalvertretung für die Jahre 1985 bis 1987 gemäß dem in der Verfahrensordnung für die Wahl der Personalvertretung CP 153/83 vom 4. März 1983 vorgesehenen Wahlsystem durchzuführen seien.

5 Mit Schreiben vom 24. April 1985 lehnte der Präsident des WSA diesen Antrag ab.

6 Am 17. Mai 1985 erhoben die Herren Diezler, Deasy, Finc-Jensen, Müllers und Ricci beim Gerichtshof Klage gegen den WSA ( Rechtssache 146/85 ). Sie begehrten die Nichtigerklärung :

a ) der von der Personalversammlung des WSA am 19. April 1985 beschlossenen Regelung betreffend das Wahlsystem für die Personalvertretung;

b ) aller späteren in Anwendung dieser Regelung vorgenommenen Handlungen, insbesondere der auf den 10. Juni 1985 angesetzten Wahlen der Personalvertretung, sowie aller von der Personalvertretung ausgesprochenen Benennungen von Vertretern in verschiedenen Organen;

c ) soweit erforderlich, der am 24. April 1985 ausgesprochenen Zurückweisung der Beschwerde des vierten Klägers, Herrn Müllers.

7 Mit Schriftsatz, der am selben Tag in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden ist, beantragten die Kläger, die Wahlen der Personalvertretung bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes durch einstweilige Anordnung auszusetzen.

8 Mit Beschluß vom 11. Juni 1985 setzte der Präsident der Dritten Kammer die Wahlen der Personalvertretung bis zum Erlaß des Urteils in der Hauptsache aus.

9 Die fünf seinerzeitigen Kläger legten am 18. Juli 1985 beim Präsidenten, beim Generalsekretär und bei der Anstellungsbehörde des WSA eine Beschwerde ein, mit der sie beantragten, "festzustellen, daß die am 19. April 1985 beschlossene Wahlordnung nichtig ist", und den Vorsitzenden des Wahlausschusses darauf hinzuweisen, daß diese Wahlordnung bei den Wahlen der Personalvertretung nicht angewandt werden könne. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1985 wurde diese Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen.

10 Daraufhin erhoben die seinerzeitigen Kläger am 23. Dezember 1985 eine neue Klage ( 431/85 ), mit der sie weiter die Nichtigerklärung der von der Personalversammlung des WSA am 19. April 1985 beschlossenen Regelung über die neue Wahlordnung und aller späteren in Anwendung dieser Regelung vorgenommenen Handlungen sowie der Zurückweisung der Beschwerde vom 18. Juli 1985 durch den WSA begehrten. Mit der Klage wurde auch beantragt, dem WSA aufzugeben, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, daß die Maßnahmen, die Gegenstand der Anfechtungsklage seien, irgendeine Wirkung entfalteten.

11 Mit Beschluß vom 25. Juni 1986 verband der Gerichtshof die beiden Rechtssachen 146 und 431/85 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung.

12 Mit Urteil vom 27. Oktober 1987 ( Slg. 1987, 4283 ) wies der Gerichtshof die Klagen in der Rechtssache 146/85 mit Ausnahme der Klage des Klägers Müllers und die Klage des Klägers Müllers in der Rechtssache 431/85 als unzulässig ab und hob die von der Personalversammlung des WSA am 19. April 1985 beschlossene Regelung über das Wahlsystem für die Wahl der Personalvertretung dieser Einrichtung sowie die Entscheidungen des Präsidenten des WSA, mit denen die Beschwerde des Klägers Müllers vom 22. April 1985 und die Beschwerden der übrigen Kläger vom 18. Juli 1985 zurückgewiesen wurden, auf.

13 Im Anschluß an das Urteil des Gerichtshofes richtete der Generalsekretär des WSA am 5. November 1987 ein Schreiben an den Vorsitzenden des am 19. April 1985 eingesetzten Wahlausschusses, in dem er ihn ersuchte, die Wahlen zur Personalvertretung auf der Grundlage des am 20. März 1985 geltenden sogenannten "Supar"-Wahlsystems durchzuführen. Da sich die Mitglieder des Wahlausschusses nicht in der Lage sahen, die Wahlen auf der Grundlage dieses Systems gültig durchzuführen, reichten sie am 9. November 1987 ihren Rücktritt ein.

14 Mit Schriftsatz, der am 20. November 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, erhoben die Herren Maindiaux und andere, Streithelfer in den verbundenen Rechtssachen 146 und 431/85, eine noch anhängige Klage auf Auslegung des Urteils des Gerichtshofes vom 27. Oktober 1987.

15 Nach dem Rücktritt des Wahlausschusses berief die Personalvertretung eine Vollversammlung ein, die am 11. Dezember 1987 stattfand, und setzte einen neuen Wahlausschuß ein.

16 Der Wahlausschuß beschloß am 8. Februar 1988 nach mehreren Beratungen mit dem Generalsekretär des WSA, die Wahlen der Personalvertretung am 17. März 1988 nach dem sogenannten "Supar"-Wahlsystem durchzuführen.

17 Am 29. Februar 1988 haben die Antragsteller eine Anfechtungsklage gegen diese Entscheidung des Wahlausschusses vom 8. Februar 1988 sowie gegen andere Handlungen, Entscheidungen und Stellungnahmen des Generalsekretärs des WSA erhoben. Am gleichen Tag haben sie den vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt.

18 Der Antragsgegner hat am 8. März 1988 schriftliche Erklärungen abgegeben. Da die schriftlichen Stellungnahmen der Parteien alle zur Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung nötigen Informationen enthalten, war eine mündliche Anhörung der Parteien nicht erforderlich.

19 Nach Ansicht der Antragsteller ist der Antrag auf einstweilige Anordnung zulässig, da, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 29. September 1976 in der Rechtssache 54/75 ( De Dapper/Parlament, Slg. 1976, 1381 ) entschieden habe, die Rechtmässigkeit der Handlungen betreffend die Wahlen der Personalvertretung im Rahmen einer Klage gegen das betreffende Gemeinschaftsorgan gerichtlich überprüft werden könne. Im übrigen hätten sie zunächst Verwaltungsbeschwerden gegen die verschiedenen Entscheidungen eingelegt, die Wahlen der Mitglieder der Personalvertretung nach dem sogenannten "Supar"-Wahlsystem durchzuführen.

20 Zum Vorliegen von Klagegründen, die auf den ersten Blick eine Aussetzung des Vollzugs rechtfertigen, machen die Antragsteller geltend, daß die Entscheidung des Wahlausschusses, die Wahlen nach dem sogenannten "Supar"-Wahlsystem durchzuführen, gegen Artikel 5 des Beschlusses 1896/75 A verstosse, da nach dem Wortlaut dieser Bestimmung das Wahlsystem nur von einer Vollversammlung bei Mandatsende festgelegt werden könne und dieses System nur weitergelte, wenn die Vollversammlung dies ausdrücklich entscheide. Jede Entscheidung, die ein Wahlsystem vorschreibe, das nicht ausdrücklich von der Vollversammlung bei Ende des Mandats der vorherigen Personalvertretung beschlossen worden sei, sei daher rechtswidrig.

21 Zur Dringlichkeit führen die Antragsteller aus, das von dem Wahlausschuß eingeführte Wahlsystem wirke sich auf das Wahlergebnis aus. Sie machen darüber hinaus geltend, wenn die Wahlen nach dem sogenannten "Supar"-Wahlsystem durchgeführt und diese Wahlen vom Gerichtshof für rechtswidrig erklärt würden, würde damit auch eine Reihe nachfolgender Handlungen rechtswidrig, ohne daß die eingetretenen schweren Schäden in vollem Umfang wiedergutgemacht werden könnten, wolle man nicht eine Kette von nichtbehebbaren Störungen auslösen. Der vorliegende Rechtsstreit zwischen den Antragstellern und dem WSA sei die Konsequenz aus der Entscheidung des Generalsekretärs des WSA, die Wahlen der Mitglieder der Personalvertretung im Anschluß an das Urteil des Gerichtshofes vom 27. Oktober 1987 nach dem sogenannten "Supar"-Wahlsystem durchzuführen.

22 Der WSA meint, der Antrag auf einstweilige Anordnung sei zurückzuweisen, da weder die Notwendigkeit der Anordnung glaubhaft gemacht noch die erforderliche Dringlichkeit des Erlasses von vorläufigen Maßnahmen dargelegt worden seien.

23 Zum Nichtvorliegen der Glaubhaftmachung macht der WSA geltend, daß die Anfechtungsklage mangels Rechtsschutzinteresses der Antragsteller offensichtlich unzulässig sei. Die Anfechtungsklage vom 29. Februar 1988 und der Antrag auf einstweilige Anordnung vom selben Tage seien nämlich nur eine Wiederholung des von den Antragstellern als Streithelfer in den verbundenen Rechtssachen 146 und 431/85 vorgetragenen Vorbringens, über das der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 27. Oktober 1987 entschieden habe. Der Antrag auf einstweilige Anordnung sei darüber hinaus unzulässig, da die angeblichen Entscheidungen des Generalsekretärs des WSA in Wirklichkeit nur Stellungnahmen zu dem anzuwendenden Wahlsystem darstellten, die erforderlich gewesen seien, um die Durchführung des Urteils des Gerichtshofes gemäß Artikel 176 EWG-Vertrag zu gewährleisten. Jedenfalls sei der Antrag auf einstweilige Anordnung unbegründet, da das Urteil vom 27. Oktober 1987 hinsichtlich des von den Antragstellern vorgebrachten Problems völlig klar sei.

24 Andererseits ist der WSA der Auffassung, daß keine Dringlichkeit in dem Sinne vorliege, daß den Antragstellern ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehe, wenn ihrem Antrag auf Aussetzung der für den 17. März vorgesehenen Wahlen der Personalvertretung nicht stattgegeben werde. Im Gegenteil, die Gewährung der von den Antragstellern beantragten Maßnahmen würde zu einer schweren Beeinträchtigung der Interessen des Personals im allgemeinen führen, das seit drei Jahren von einer Personalvertretung vertreten werde, die nur die laufenden Geschäfte erledigen könne. Abschließend führt der WSA aus, daß die von den Antragstellern geforderte erneute Vertagung der Wahlen nicht für die Antragsteller, jedoch für das gesamte Personal des Organs und damit für das Organ selbst zu einem schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden führe.

25 Es ist darauf hinzuweisen, daß Klagen bei dem Gerichtshof gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag keine aufschiebende Wirkung haben. Der Gerichtshof kann jedoch, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen. Er kann darüber hinaus alle anderen erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

26 Gemäß Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes setzen eine Aussetzung des Vollzugs und die Anordnung einstweiliger Maßnahmen voraus, daß Umstände vorliegen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, und daß die Notwendigkeit solcher Maßnahmen glaubhaft gemacht wird.

27 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Frage der Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung ( Artikel 83 Absatz 2 ) danach zu beurteilen, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht ( siehe z. B. den Beschluß des Gerichtshofes vom 6. Februar 1986 in der Rechtssache 310/85 R, Deufil GmbH & Co. KG, Slg. 1986, 537 ).

28 Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, daß der Vollzug der streitigen Entscheidung ihnen gegenüber zu einem schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden führt. Im Gegenteil brächte der Erlaß der in dem Antrag auf einstweilige Anordnung geforderten Maßnahmen die Gefahr mit sich, sowohl die Interessen des WSA und seiner Verwaltung als auch die des Personals des WSA im allgemeinen schwer zu schädigen. Dieses Personal wird nämlich seit drei Jahren von einer Personalvertretung vertreten, die nur die laufenden Geschäfte erledigen kann und die daher weder in der Lage ist, effektiv zu einer ordnungsgemässen Arbeitsweise der Dienststellen beizutragen, indem sie die Meinung des Personals zufriedenstellend zum Ausdruck bringt, noch die ihr von Artikel 9 Absatz 3 des Beamtenstatuts übertragenen anderen Aufgaben vollständig zu erfuellen.

29 Da die Antragsteller die von Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung verlangte Dringlichkeit nicht dargetan haben, ist nicht zu prüfen, ob sie die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht haben.

30 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen ist.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

Der Präsident der Vierten Kammer

im Verfahren der einstweiligen Anordnung

nach Anhörung des Generalanwalts

beschlossen :

1 ) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2 ) Die Entscheidung über die Kosten bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 15. März 1988.

Ende der Entscheidung

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