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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.04.1989
Aktenzeichen: 66/86
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, VO (EWG) Nr. 3975/87


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 85 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 88
EWG-Vertrag Art. 89
EWG-Vertrag Art. 5
EWG-Vertrag Art. 90
VO (EWG) Nr. 3975/87 Art. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen über Fluglinientarife sind nach Artikel 85 Absatz 2 EWG-Vertrag nichtig,

- soweit es sich um Tarife für Flüge zwischen Flughäfen ein und desselben Mitgliedstaats oder zwischen einem solchen Flughafen und einem Flughafen eines Drittlandes handelt, wenn entweder die Behörden des Mitgliedstaats, in dem eines der beteiligten Luftfahrtunternehmen seinen Sitz hat, nach Artikel 88 oder die Kommission nach Artikel 89 die Unvereinbarkeit der Vereinbarung mit Artikel 85 festgestellt haben;

- soweit es sich um Tarife für internationale Flüge zwischen Flughäfen der Gemeinschaft handelt, wenn bei der Kommission kein Antrag nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 3975/87 auf Freistellung der Vereinbarung vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 gestellt worden ist oder wenn ein solcher Antrag zwar gestellt worden ist, aber innerhalb von 90 Tagen nach Veröffentlichung des Antrags im Amtsblatt zu einer negativen Reaktion der Kommission geführt hat, oder wenn die Frist von 90 Tagen zwar ohne Reaktion der Kommission verstrichen ist, aber die in Artikel 5 vorgesehene sechsjährige Geltungsdauer der Freistellung abgelaufen ist oder die Kommission die Freistellung innerhalb dieses Zeitraums aufgehoben hat.

2. Der einzige Grund für die weitere Anwendung der Übergangsvorschriften der Artikel 88 und 89 EWG-Vertrag liegt darin, daß Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 nach Artikel 85 Absatz 3 freigestellt werden können und daß die Wettbewerbspolitik durch die Bewilligung oder Ablehnung derartiger Freistellungen gestaltet wird, über die die für zuständig erklärten Stellen nach den aufgrund von Artikel 87 erlassenen Durchführungsbestimmungen entscheiden. Dagegen kann für die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung keine wie auch immer geartete Freistellung gewährt werden; ein solches Verhalten ist nach dem Vertrag schlichtweg verboten, und je nach Fallgestaltung haben die zuständigen nationalen Behörden oder aber die Kommission aus diesem Verbot im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Konsequenzen zu ziehen. Das Verbot des Artikels 86 EWG-Vertrag gilt daher uneingeschränkt für den ganzen Luftfahrtsektor.

3. Artikel 85 EWG-Vertrag gilt nicht für abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen, die als Mutter - und Tochtergesellschaft ein und demselben Konzern angehören, vorausgesetzt, daß die Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, in deren Rahmen die Tochtergesellschaft ihr Vorgehen auf dem Markt nicht wirklich autonom bestimmen kann.

4. Die Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag können nebeneinander anwendbar sein, wenn eine Tarifvereinbarung zwischen zwei oder mehr Unternehmen lediglich die formelle Bestätigung einer wirtschaftlichen Realität darstellt, die dadurch gekennzeichnet ist, daß es einem Unternehmen in beherrschender Stellung gelungen ist, die Anwendung der fraglichen Tarife durch andere Unternehmen durchzusetzen.

5. Die Anwendung von Fluglinientarifen, die sich aus bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen ergeben, kann unter bestimmten Umständen eine mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem fraglichen Markt darstellen, und zwar insbesondere dann, wenn es einem Unternehmen in beherrschender Stellung gelungen ist, anderen Verkehrsunternehmen die Anwendung überhöhter oder übermässig niedriger Tarife oder aber die Anwendung eines einzigen Tarifs auf einer bestimmten Linie aufzuzwingen.

6. Zwar betreffen die Wettbewerbsregeln der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag das Verhalten von Unternehmen und nicht die von den Behörden der Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen. Gleichwohl verpflichtet Artikel 5 EWG-Vertrag aber auch letztere, keine Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmungen ausschalten könnten. Ein solcher Fall ist insbesondere gegeben, wenn ein Mitgliedstaat Artikel 85 zuwiderlaufende Kartellabsprachen vorschreibt oder erleichtert oder deren Auswirkungen verstärkt.

Hieraus ergibt sich, daß die Genehmigung von gegen Artikel 85 Absatz 1 verstossenden Tarifvereinbarungen durch die Luftverkehrsbehörden mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit Artikel 5 EWG-Vertrag, nicht vereinbar ist und daß die Luftverkehrsbehörden alles zu unterlassen haben, was als Ermutigung der Luftfahrtunternehmen zum Abschluß von solchen gegen den Vertrag verstossenden Tarifvereinbarungen angesehen werden könnte.

Für Fluglinientarife im besonderen wird diese Auslegung des Vertrags durch Artikel 90 Absatz 1 EWG-Vertrag bestätigt, wonach die nationalen Behörden in bezug auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, wie etwa das Recht, allein oder gemeinsam mit einem oder zwei anderen Unternehmen eine Strecke zu befliegen, keine mit den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag unvereinbaren Maßnahmen treffen oder beibehalten dürfen. Ausserdem wird in den Begründungserwägungen der Verordnungen Nrn. 3975/87 und 3976/87 des Rates klargestellt, daß diese Verordnungen die Anwendung des Artikels 90 EWG-Vertrag nicht berühren.

7. Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag kann auf Verkehrsunternehmen Anwendung finden, die durch Hoheitsakt dazu verpflichtet worden sind, Linien zu bedienen, die zwar aus kommerzieller Sicht nicht rentabel sind, deren Bedienung aber aus Gründen des allgemeinen Interesses erforderlich ist. Die Wirkung der Wettbewerbsregeln kann aber nur dann gemäß dieser Vorschrift durch die Erfordernisse beschränkt werden, die sich aus der Erfuellung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe ergeben, wenn die für die Genehmigung von Tarifen zuständigen nationalen Behörden wie auch die mit Rechtsstreitigkeiten hierüber befassten Gerichte feststellen können, um welche Erfordernisse es sich dabei genau handelt und wie sich diese auf die Struktur der von den betroffenen Luftfahrtunternehmen angewandten Tarife auswirken.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 11. APRIL 1989. - AHMED SAEED FLUGREISEN UND SILVER LINE REISEBUERO GMBH GEGEN ZENTRALE ZUR BEKAEMPFUNG UNLAUTEREN WETTBEWERBS E. V. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM BUNDESGERICHTSHOF. - WETTBEWERB - FLUGTARIFE. - RECHTSSACHE 66/86.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluç vom 30. Januar 1986, beim Gerichtshof eingegangen am 6. März 1986, gemäç Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 5, 85, 86, 88, 89 und 90 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob bestimmte Praktiken bei der Festsetzung von Tarifen für den Fluglinienverkehr mit diesen Vorschriften vereinbar sind.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., einem deutschen Verein, und zwei Reisevermittlern, die von Luftfahrtunternehmen oder Reisebüros in einem anderen Staat auf dessen Währung lautende Flugscheine bezogen hatten. In diesen Flugscheinen war als Erstabflugsort ein Flughafen in dem genannten Staat angegeben; tatsächlich sollen die Käufer dieser Flugscheine den Flug aber von einem deutschen Flughafen aus angetreten haben, auf dem das Linienflugzeug zwischenlandete. Den beiden deutschen Reisevermittlern wird vorgeworfen, durch den Verkauf dieser Flugscheine gegen § 21 Absatz 2 Satz 3 des deutschen Luftverkehrsgesetzes verstoçen zu haben, der es verbietet, in der Bundesrepublik Deutschland nicht vom zuständigen Bundesminister genehmigte Flugtarife anzuwenden. Dies soll auçerdem ein unlauteres Wettbewerbsverhalten darstellen, da die Preise der von ihnen verkauften Flugscheine unter den genehmigten Tarifen lagen, die ihre Konkurrenten anwandten.

3 Die Gerichte der ersten Instanz und der Berufungsinstanz gaben der Klage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. statt und verboten den beiden Reisevermittlern unter Androhung von Ordnungsmitteln den weiteren Verkauf derartiger Flugscheine. Der Bundesgerichtshof, bei dem Revision eingelegt wurde, ist der Ansicht, daç das den Reisevermittlern vorgeworfene Verhalten gegen geltendes deutsches Recht verstöçt. Er stellt sich jedoch die Frage, ob die einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften nicht im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht, insbesondere zu den Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrags, stehen.

4 Der Bundesgerichtshof hat unter diesen Umständen das Verfahren ausgesetzt, um dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen :

"1 ) Sind bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen über Linienflugtarife ( z. B. IATA-Resolutionen ), an denen mindestens ein Luftfahrtunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beteiligt ist, wegen Verstoçes gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nichtig im Sinne des Artikels 85 Absatz 2 EWG-Vertrag, auch wenn weder die Behörde des Mitgliedstaats ( Artikel 88 EWG-Vertrag ) noch die Kommission ( Artikel 89 Absatz 2 EWG-Vertrag ) ihre Unvereinbarkeit mit den Bestimmungen des Artikels 85 EWG-Vertrag festgestellt hat?

2 ) Liegt in der Erhebung ausschlieçlich solcher Tarife für Linienfluege die miçbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt im Sinne des Artikels 86 EWG-Vertrag?

3 ) Ist die Genehmigung solcher Tarife durch die Genehmigungsbehörde eines Mitgliedstaats mit Artikel 5 Absatz 2 EWG-Vertrag und Artikel 90 Absatz 1 EWG-Vertrag unvereinbar und nichtig, auch wenn die Kommission die Genehmigung nicht beanstandet ( Artikel 90 Absatz 3 EWG-Vertrag )?"

5 Der Gerichtshof hat während des schriftlichen Verfahrens in der vorliegenden Rechtssache am 30. April 1986 in den Rechtssachen 209 bis 213/84 ( Asjes ) ein Urteil ( Slg. 1986, 1457 ) erlassen, wonach das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 und die in Artikel 85 Absatz 2 vorgesehene Nichtigkeit mangels einer vom Rat nach Artikel 87 zu erlassenden Regelung über die Anwendung von Artikel 85 auf den Luftverkehr nur bei denjenigen Vereinbarungen von Unternehmen und denjenigen Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen zum Tragen kommen können, bezueglich deren entweder die Behörden der Mitgliedstaaten aufgrund von Artikel 88 entschieden haben, daç sie unter Artikel 85 Absatz 1 fallen und nicht nach Artikel 85 Absatz 3 freigestellt werden können, oder die Kommission die in Artikel 89 Absatz 2 vorgesehene Feststellung getroffen hat. Demnach sind mangels Durchführungsbestimmungen für den Luftverkehr die Übergangsvorschriften der Artikel 88 und 89 anwendbar geblieben.

6 Nach einer ersten mündlichen Verhandlung in der vorliegenden Rechtssache hat der Rat am 14. Dezember 1987 eine Reihe von Rechtsakten erlassen, die unter anderem die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen betreffen. Aufgrund dieser Entwicklung hat der Gerichtshof die mündliche Verhandlung wiedereröffnet, um den Beteiligten eine Stellungnahme zu den Auswirkungen dieser neuen Vorschriften auf die Beantwortung der Fragen des nationalen Gerichts zu ermöglichen.

7 Gestützt auf die vom Rat erlassenen Vorschriften hat die Kommission am 26. Juli 1988 mehrere Verordnungen zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen erlassen.

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der anwendbaren nationalen Regelung, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Im Hinblick auf die Frage, welche Bedeutung die neuen Vorschriften über die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf den Luftverkehr für die Lösung der mit den Vorlagefragen aufgeworfenen Probleme haben, ist zunächst der Inhalt dieser Vorschriften zu prüfen, deren Vereinbarkeit mit dem Vertrag im übrigen in der vorliegenden Rechtssache nicht in Frage steht. Sodann sind gesondert die beiden Materien zu prüfen, auf die sich diese Fragen beziehen, nämlich zum einen die bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen und zum anderen die Genehmigung der sich aus solchen Vereinbarungen ergebenden Tarife durch die Luftverkehrsbehörden. Demgemäç wird sich der Gerichtshof zunächst mit der Auslegung der Artikel 85 ( erste Frage ) und 86 ( zweite Frage ), die das Verhalten der Unternehmen betreffen, und daran anschlieçend mit der Auslegung der Artikel 5 und 90 ( dritte Frage ) befassen, die insbesondere die Rolle der Behörden betreffen.

a ) Zu den neuen Vorschriften

10 Bei den vom Rat am 14. Dezember 1987 erlassenen Rechtsakten handelt es sich um die Verordnung Nr. 3975/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen ( ABl. L 374, S. 1 ), die Verordnung Nr. 3976/87 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Luftverkehr ( ABl. L 374, S. 9 ), die Richtlinie 87/601/EWG über Tarife im Fluglinienverkehr zwischen Mitgliedstaaten ( ABl. L 374, S. 12 ) und die Entscheidung 87/602/EWG über die Aufteilung der Kapazitäten für die Personenbeförderung zwischen Luftfahrtunternehmen im Fluglinienverkehr zwischen Mitgliedstaaten und über den Zugang von Luftfahrtunternehmen zu Strecken des Fluglinienverkehrs zwischen Mitgliedstaaten ( ABl. L 374, S. 19 ).

11 Alle diese Rechtsakte gelten nur für den internationalen Luftverkehr zwischen Flughäfen der Gemeinschaft ( Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3975/87, Artikel 1 der Verordnung Nr. 3976/87, Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 87/601 und Artikel 1 der Entscheidung 87/602 ) und somit weder für den Luftverkehr zwischen den Flughäfen ein und desselben Mitgliedstaats noch für den Flugverkehr zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland.

12 Die Verordnung Nr. 3975/87 regelt die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den so abgegrenzten Bereich. Nach ihren Begründungserwägungen bezweckt sie insbesondere, der Kommission die Mittel zur Untersuchung von Fällen zur Verfügung zu stellen, in denen in diesem Bereich ein Verstoç gegen die Artikel 85 und 86 vermutet wird, und ihr die Befugnis einzuräumen, angemessene Entscheidungen oder Zwangsmaçnahmen zu erlassen, um die von ihr festgestellten Verstöçe abzustellen. Die Artikel 8 bis 18 dieser Verordnung enthalten eine Reihe von Vorschriften über die von der Kommission durchzuführenden Untersuchungen, über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Behörden der Mitgliedstaaten, über die Geldbuçen und Zwangsgelder, die festgesetzt werden können, und über das einzuhaltende Verfahren.

13 Die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 durch die Kommission ist in den Artikeln 5 bis 7 der Verordnung geregelt, die hierfür ein besonderes Verfahren, das sogenannte "Widerspruchsverfahren", vorsehen. Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, die eine Freistellung nach dieser Vertragsbestimmung begehren, müssen bei der Kommission einen entsprechenden Antrag stellen. Sind dem Antrag die erforderlichen Unterlagen beigefügt und ist hinsichtlich der Vereinbarung, des Beschlusses oder der abgestimmten Verhaltensweise kein Verfahren wegen einer Zuwiderhandlung anhängig, so veröffentlicht die Kommission, wenn sie den Antrag für zulässig hält, dessen wesentlichen Teil im Amtsblatt. Teilt die Kommission den Antragstellern nicht innerhalb von 90 Tagen nach der Veröffentlichung im Amtsblatt mit, daç erhebliche Zweifel an der Möglichkeit einer Freistellung bestehen, so gilt die Freistellung als bewilligt. Eine so gewährte Freistellung, die Rückwirkung entfaltet, gilt für längstens sechs Jahre nach dem Tag der Veröffentlichung im Amtsblatt. Die Kommission kann aber nach Ablauf der Frist von 90 Tagen, jedoch vor Ablauf der Sechsjahresfrist entscheiden, daç die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 nicht gegeben sind und daç das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 anwendbar ist. In bestimmten in der Verordnung festgelegten Fällen ( Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 2 ) kann diese Entscheidung mit rückwirkender Kraft ergehen.

14 Die Verordnung Nr. 3976/87 ermächtigt die Kommission, im Einklang mit Artikel 85 Absatz 3 durch Verordnung Artikel 85 Absatz 1 auf bestimmte, in der Verordnung ( Artikel 2 Absatz 2 ) festgelegte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen für nicht anwendbar zu erklären. Nach ihren Begründungserwägungen liegt der Verordnung der Gedanke zugrunde, daç für den Luftverkehr bisher eine Reihe internationaler Übereinkommen, bilateraler Abkommen zwischen Staaten sowie bilateraler und multilateraler Vereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen gilt und daç die für einen gröçeren Wettbewerb notwendigen Änderungen dieser internationalen Regelungen schrittweise erfolgen sollten, um dem betroffenen Sektor genügend Zeit zur Anpassung zu lassen.

15 Die Kommission hat von dieser Ermächtigung durch den Erlaç der Verordnungen Nrn. 2671, 2672 und 2673/88 vom 26. Juli 1988 ( ABl. L 239, S. 9, 13 und 17 ) Gebrauch gemacht. Durch diese Verordnungen werden Gruppenfreistellungen im Sinne der Verordnung Nr. 3976/87 für Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen gewährt, die die gemeinsame Planung und Koordinierung der Kapazität, der Aufteilung der Einnahmen, der Tarifkonsultationen im Fluglinienverkehr sowie die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen ( Nr. 2671/88 ), computergesteuerte Buchungssysteme für den Luftverkehr ( Nr. 2672/88 ) und Versorgungsleistungen auf Flughäfen ( Nr. 2673/88 ) betreffen.

16 Die Richtlinie 87/601 des Rates legt gemeinsame Vorschriften für die Kriterien zur Genehmigung der Tarife im Fluglinienverkehr durch die Luftverkehrsbehörden der Mitgliedstaaten und das Verfahren fest, nach dem Luftfahrtunternehmen Vorschläge über Fluglinientarife unterbreiten können. Wie sich aus der fünften Begründungserwägung dieser Richtlinie ergibt, liegt ihr der Gedanke zugrunde, daç es den Luftfahrtunternehmen freistehen sollte, Fluglinientarife unabhängig voneinander vorzuschlagen oder vorher andere Luftfahrtunternehmen zu konsultieren, und zwar insbesondere zur Festlegung der Bedingungen für Interlining-Abkommen, da diese beträchtliche Vorteile bieten. Die Richtlinie sieht eine automatische Genehmigung von Rabatt - und Superrabatt-Tarifen vor, die die Voraussetzungen ihres Artikels 5 erfuellen.

17 Die Verordnung Nr. 2671/88 der Kommission dehnt die Freistellung auf die Durchführung von Konsultationen zur gemeinsamen Erarbeitung von Tarifvorschlägen aus und legt die Voraussetzungen für die Freistellung dieser Tarifkonsultationen fest. Sie sieht insbesondere vor, daç die Konsultationen nicht zu Tarifvereinbarungen führen dürfen und daç die sich aus ihnen eventuell ergebenden Tarifvorschläge die Beteiligten nicht binden dürfen, sondern daç diese das Recht behalten müssen, abweichende Tarife vorzuschlagen und nach Genehmigung anzuwenden ( Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben a, e und f ).

18 All diese Vorschriften sind bei der Prüfung der Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln des Vertrages auf die von dem nationalen Gericht angeführten Vereinbarungen zu berücksichtigen.

b ) Zu Artikel 85

19 Die Vorlagefragen beziehen sich auf Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr Luftfahrtunternehmen zur Festsetzung der Tarife für eine oder mehrere Fluglinien. Vorab ist festzustellen, daç derartige Vereinbarungen Kartelle in der Form der unmittelbaren oder mittelbaren Festsetzung der An - oder Verkaufspreise im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 Buchstabe a EWG-Vertrag darstellen. Sie können sogar bewirken, daç auf den Fluglinien, auf die sie sich beziehen, jeder Preiswettbewerb zwischen den verschiedenen Unternehmen der Passagierluftfahrt ganz ausgeschaltet ist.

20 Wie der Gerichtshof jedoch in dem bereits erwähnten Urteil vom 30. April 1986 ausgeführt hat, kann die in Artikel 85 Absatz 2 EWG-Vertrag vorgesehene Sanktion der Nichtigkeit Preisabsprachen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 erst nach Inkrafttreten gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften treffen, die aufgrund von Artikel 87 zur näheren Ausgestaltung der Befugnis der Kommission erlassen werden, Freistellungen nach Artikel 85 Absatz 3 zu bewilligen und so vorbehaltlich der Anwendung der Artikel 88 und 89 die vom Vertrag gewollte Wettbewerbspolitik durchzuführen.

21 Wie oben bereits ausgeführt, gelten die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den Luftverkehr nur für den internationalen Luftverkehr zwischen Flughäfen der Gemeinschaft. Hieraus ist abzuleiten, daç für Inlandsfluege und für den Luftverkehr mit Flughäfen in Drittländern weiterhin die Übergangsbestimmungen der Artikel 88 und 89 und die im Urteil vom 30. April 1986 beschriebene Regelung gelten.

22 Daher ist zu prüfen, wie die Sanktion der Nichtigkeit gegenüber den Vereinbarungen eingreifen kann, die unter die neuen vom Rat erlassenen Vorschriften fallen, d. h. gegenüber den Tarifen im Fluglinienverkehr zwischen Flughäfen verschiedener Mitgliedstaaten.

23 Hierzu ist zunächst festzustellen, daç für derartige Vereinbarungen keine Gruppenfreistellung aufgrund von Verordnungen der Kommission gewährt werden kann, da die Verordnung Nr. 3976/87 des Rates dies nicht vorsieht. Auçerdem bestimmt Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe f der Verordnung Nr. 2671/88 der Kommission ausdrücklich, daç die Gruppenfreistellung für Vereinbarungen über die Durchführung von Tarifkonsultationen nur gilt, wenn diese Konsultationen keine Vereinbarung über Entgelte für Agenturen oder "sonstige Bestandteile der erörterten Tarife" einschlieçen.

24 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daç Vereinbarungen über Tarife für internationale Flüge innerhalb der Gemeinschaft nach Artikel 85 Absatz 2 nichtig sind, jedoch vorbehaltlich der Anwendung des das Widerspruchsverfahren betreffenden Artikels 5 der Verordnung Nr. 3975/87 des Rates.

25 Es kann nämlich der Fall eintreten, daç ein Luftfahrtunternehmen eine Tarifvereinbarung als Teil einer umfassenderen Übereinkunft ansieht, für die wegen ihrer positiven wirtschaftlichen Auswirkungen eine Einzelfreistellung nach Artikel 85 Absatz 3 bewilligt werden könnte, und daç dieses Unternehmen gemäç Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3975/87 einen entsprechenden Antrag an die Kommission richtet. Im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 5 Absätze 2 bis 4 gilt die Vereinbarung antragsgemäç als freigestellt, wenn nach der Veröffentlichung des Antrags im Amtsblatt 90 Tage verstrichen sind, ohne daç die Kommission erhebliche Zweifel daran geäuçert hat, daç die Vereinbarung den Erfordernissen des Artikels 85 Absatz 3 genügt.

26 Demgemäç kann die Sanktion der Nichtigkeit nur eingreifen, wenn einer der drei folgenden Fälle gegeben ist :

- Bei der Kommission ist kein Antrag nach Artikel 5 gestellt worden.

- Der Antrag hat innerhalb der erwähnten Frist von 90 Tagen zu einer negativen Reaktion der Kommission geführt.

- Die Frist ist zwar ohne Reaktion der Kommission verstrichen, aber die sechsjährige Geltungsdauer der Freistellung ist abgelaufen, oder die Kommission hat die Freistellung innerhalb dieses Zeitraums aufgehoben.

27 Zwar kann es Schwierigkeiten bereiten, festzustellen, ob eine Vereinbarung zwischen zwei Luftfahrtunternehmen über Linienfluege auf einer bestimmten Linie eine nach Artikel 85 EWG-Vertrag verbotene Preisabsprache einschlieçt oder nur Tarifkonsultationen betrifft, die nach der Richtlinie 87/601 des Rates zulässig und durch die Verordnung Nr. 2671/88 der Kommission von der Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 freigestellt sind. Jedoch enthält diese Verordnung einige Elemente, die insoweit als Orientierung dienen können. So müssen die Konsultationen nach Artikel 4 der Verordnung ausschlieçlich die gemeinsame Erarbeitung von Vorschlägen über Flugtarife betreffen, die für die Beteiligten nicht verbindlich sein dürfen, so daç diese das Recht behalten, den zuständigen Luftverkehrsbehörden abweichende Tarife vorzuschlagen und solche Tarife nach Genehmigung anzuwenden. Auçerdem müssen die Konsultationen jedem Luftfahrtunternehmen offenstehen, das an der betreffenden Linie interessiert ist.

28 Dem ist hinzuzufügen, daç Vereinbarungen oder Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen über Tarife für unter die neue Regelung fallende Linienfluege, d. h. für internationale Flüge zwischen Flughäfen der Gemeinschaft, stets geeignet sein werden, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

29 Bezueglich der Anwendung von Artikel 85 EWG-Vertrag ist dem nationalen Gericht somit zu antworten, daç bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen über Fluglinientarife nach Artikel 85 Absatz 2 nichtig sind,

- soweit es sich um Tarife für Flüge zwischen Flughäfen ein und desselben Mitgliedstaats oder zwischen einem solchen Flughafen und einem Flughafen eines Drittlandes handelt, wenn entweder die Behörden des Mitgliedstaats, in dem eines der beteiligten Luftfahrtunternehmen seinen Sitz hat, nach Artikel 88 oder die Kommission nach Artikel 89 die Unvereinbarkeit der Vereinbarung mit Artikel 85 festgestellt haben;

- soweit es sich um Tarife für internationale Flüge zwischen Flughäfen der Gemeinschaft handelt, wenn bei der Kommission kein Antrag nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 3975/87 auf Freistellung der Vereinbarung vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 gestellt worden ist oder wenn ein solcher Antrag zwar gestellt worden ist, aber innerhalb von 90 Tagen nach Veröffentlichung des Antrags im Amtsblatt zu einer negativen Reaktion der Kommission geführt hat, oder wenn die Frist von 90 Tagen zwar ohne Reaktion der Kommission verstrichen ist, aber die in Artikel 5 vorgesehene sechsjährige Geltungsdauer der Freistellung abgelaufen ist oder die Kommission die Freistellung innerhalb dieses Zeitraums aufgehoben hat.

c ) Zu Artikel 86

30 Zunächst ist zu prüfen, ob bei der Anwendung von Artikel 86 ebenso wie bei der von Artikel 85 zwischen internationalen Flügen zwischen Flughäfen der Mitgliedstaaten und anderen Flügen zu unterscheiden ist.

31 Die Kommission und das Vereinigte Königreich schlagen vor, diese Frage zu bejahen. Sie machen geltend, mangels der für die systematische Durchführung des Artikels 86 wie auch des Artikels 85 erforderlichen Durchführungsbestimmungen könne die miçbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung nur über die Artikel 88 und 89 EWG-Vertrag beanstandet werden. Zur Begründung dieser Ansicht verweisen sie auf den Wortlaut dieser beiden Vorschriften, in denen nicht zwischen Artikel 85 und Artikel 86 unterschieden werde, sowie darauf, daç die vorzunehmenden Bewertungen des wettbewerbswidrigen Verhaltens der Unternehmen in beiden Fällen im wesentlichen die gleichen seien.

32 Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Der einzige Grund für die weitere Anwendung der Übergangsvorschriften der Artikel 88 und 89 liegt nämlich darin, daç Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 nach Artikel 85 Absatz 3 freigestellt werden können und daç die Wettbewerbspolitik durch die Bewilligung oder Ablehnung derartiger Freistellungen gestaltet wird, über die die für zuständig erklärten Stellen nach den aufgrund von Artikel 87 erlassenen Durchführungsbestimmungen entscheiden. Dagegen kann für die miçbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung keine wie auch immer geartete Freistellung gewährt werden; ein solches Verhalten ist nach dem Vertrag schlichtweg verboten, und je nach Fallgestaltung haben die zuständigen nationalen Behörden oder aber die Kommission aus diesem Verbot im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Konsequenzen zu ziehen.

33 Hieraus ist abzuleiten, daç das Verbot des Artikels 86 EWG-Vertrag uneingeschränkt für den ganzen Luftfahrtsektor gilt.

34 Sodann ist im Rahmen der zweiten Vorlagefrage zu prüfen, ob die Anwendung eines Tarifs grundsätzlich eine miçbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung darstellen kann, wenn sie das Ergebnis einer Absprache zwischen zwei Unternehmen ist, die als solche unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 fallen kann.

35 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist Artikel 85 dann nicht anwendbar, wenn die fragliche Absprache zwischen Unternehmen getroffen worden ist, die als Mutter - und Tochtergesellschaft ein und demselben Konzern angehören, vorausgesetzt, daç die Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, in deren Rahmen die Tochtergesellschaft ihr Vorgehen auf dem Markt nicht wirklich autonom bestimmen kann ( zuletzt Urteil vom 14. Mai 1988 in der Rechtssache 30/87, Bodson, Slg. 1988, 2479 ). Das Verhalten einer solchen wirtschaftlichen Einheit auf dem Markt kann jedoch unter Artikel 86 fallen.

36 Der typische Fall eines von Artikel 85 erfaçten Kartells liegt dagegen vor, wenn zwei wirtschaftlich voneinander unabhängige Unternehmen gemeinsam durch Absprache auf dem fraglichen Markt Preisfestsetzungen oder andere Wettbewerbsbeschränkungen vornehmen.

37 Diese Erwägungen schlieçen nicht aus, daç eine Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Unternehmen lediglich die formelle Bestätigung einer wirtschaftlichen Realität darstellen kann, die dadurch gekennzeichnet ist, daç es einem Unternehmen in beherrschender Stellung gelungen ist, die Anwendung der fraglichen Tarife durch andere Unternehmen durchzusetzen. In einem solchen Fall können die Artikel 85 und 86 durchaus nebeneinander anwendbar sein. Den neuen Verordnungen des Rates liegt im übrigen dieselbe Auslegung der Artikel 85 und 86 zugrunde, da sie vorsehen, daç Artikel 86 auf eine Absprache anwendbar sein kann, für die zunächst eine Gruppenfreistellung ( Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3976/87 ) oder aber eine im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erwirkte Einzelfreistellung ( Artikel 5 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 3975/87 ) gegolten hat.

38 Daraus ergibt sich, daç die Anwendung von Tarifen auf einer oder mehreren Fluglinien, die durch bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen zwischen Luftfahrtunternehmen festgesetzt worden sind, in bestimmten Fällen unter Artikel 86 fallen kann, sofern dessen Tatbestandsmerkmale erfuellt sind. Es sind daher die Auslegungskriterien zu ermitteln, anhand deren das nationale Gericht gegebenenfalls diese Vorschrift anwenden kann.

39 Im Hinblick auf die Frage, ob ein Luftfahrtunternehmen, das Linienfluege veranstaltet, eine beherrschende Stellung auf dem Markt innehat, ist zunächst der Markt der relevanten Beförderungsleistungen abzugrenzen. Hierzu sind vor dem Gerichtshof zwei Ansichten vertreten worden, von denen die eine dahin geht, daç der Linienflugsektor einen gesonderten Markt darstellt, während nach der anderen alternative Transportmöglichkeiten wie der Charterflug -, der Eisenbahn - oder der Straçenverkehr sowie Linienfluege auf anderen Linien, die als Ersatz in Betracht kommen, zu berücksichtigen sein sollen.

40 Entscheidend ist, ob die besonderen Merkmale des Linienflugs auf einer bestimmten Linie im Vergleich zu den alternativen Transportmöglichkeiten so kennzeichnend sind, daç er mit ihnen nur in geringem Maç austauschbar und ihrem Wettbewerb nur in wenig spürbarer Form ausgesetzt ist.

41 Die Anwendung dieses Kriteriums führt in den verschiedenen Fallgestaltungen nicht notwendigerweise zu übereinstimmenden Ergebnissen, da für bestimmte Flugstrecken eine Situation besteht, in der ein echter Wettbewerb nicht möglich ist. Grundsätzlich kann jedoch, insbesondere im innergemeinschaftlichen Linienverkehr, die wirtschaftliche Macht eines Luftfahrtunternehmens auf einer Fluglinie von der Wettbewerbslage anderer Transportunternehmen abhängen, die dieselbe Linie oder eine als Ersatz in Betracht kommende Linie befliegen.

42 Stellt die zuständige nationale Behörde fest, daç ein Luftfahrtunternehmen eine beherrschende Stellung auf dem fraglichen Markt innehat, so hat sie weiter zu prüfen, ob in der Anwendung von Tarifen, die dieses Unternehmen anderen Luftfahrtunternehmen aufgezwungen hat, eine miçbräuchliche Ausnutzung dieser beherrschenden Stellung liegt. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die aufgezwungenen Tarife als den Konkurrenten oder den Fluggästen gegenüber unangemessene Beförderungsbedingungen anzusehen sind.

43 Solche unangemessenen Bedingungen können sich zunächst daraus ergeben, daç die aufgezwungenen Tarife überhöht sind oder daç sie übermäçig niedrig festgesetzt worden sind, um an der Vereinbarung nicht beteiligte Unternehmen vom Markt auszuschlieçen. Für die Beurteilung der Frage, ob der Tarif in diesem Sinn überhöht oder übermäçig niedrig ist, lassen sich aus der Richtlinie 87/601, die die von den Luftverkehrsbehörden bei der Genehmigung von Tarifen einzuhaltenden Grundsätze festlegt, bestimmte Auslegungskriterien ableiten. Insbesondere ergibt sich aus Artikel 3 der Richtlinie, daç die Tarife in einem angemessenen Verhältnis zu den langfristig voll zugewiesenen Kosten des Luftfahrtunternehmens stehen müssen, wobei die Bedürfnisse der Verbraucher, die Notwendigkeit einer angemessenen Kapitalverzinsung, die Wettbewerbslage einschlieçlich der Tarife anderer dieselbe Strecke bedienender Luftfahrtunternehmen und die Notwendigkeit der Vermeidung von Dumpingpreisen zu berücksichtigen sind.

44 Unangemessene Bedingungen können sodann vorliegen, wenn auf einer bestimmten Linie nur ein einziger Tarif angewandt wird. Ist die Anwendung eines einzigen Tarifs nämlich eine Folge des Verhaltens eines Unternehmens in beherrschender Stellung und nicht der Politik der Luftverkehrsbehörden, so ermöglicht sie es diesem Unternehmen, durch eine miçbräuchliche Praxis jeden Preiswettbewerb auszuschalten.

45 Steht fest, daç ein Unternehmen eine beherrschende Stellung auf dem Markt miçbräuchlich ausgenutzt hat und daç dies den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist, so fällt das Verhalten des betreffenden Unternehmens unter das Verbot des Artikels 86. Wenn die Kommission nicht von ihren Befugnissen aus dem Vertrag und den dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen Gebrauch gemacht hat, um die Zuwiderhandlung abzustellen oder zu ahnden, ist es Sache der zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden oder Gerichte, aus der Anwendbarkeit des Verbots die Konsequenzen zu ziehen und, mangels einschlägiger gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften gestützt auf ihr nationales Recht, eventuell die Nichtigkeit der fraglichen Vereinbarung festzustellen.

46 Hinsichtlich der Anwendung von Artikel 86 EWG-Vertrag ist auf die Vorlagefragen somit zu antworten, daç die Anwendung von Fluglinientarifen, die sich aus bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen ergeben, unter bestimmten Umständen eine miçbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem fraglichen Markt darstellen kann, und zwar insbesondere dann, wenn es einem Unternehmen in beherrschender Stellung gelungen ist, anderen Verkehrsunternehmen die Anwendung überhöhter oder übermäçig niedriger Tarife oder aber die Anwendung eines einzigen Tarifs auf einer bestimmten Linie aufzuzwingen.

d ) Zu den Artikeln 5 und 90

47 Die dritte Frage betrifft die Rechtmäçigkeit der Genehmigung von gegen Artikel 85 Absatz 1 oder Artikel 86 EWG-Vertrag verstoçenden Tarifen durch die Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats. Das nationale Gericht fragt insbesondere, ob eine solche Genehmigung mit Artikel 5 Absatz 2 und Artikel 90 Absatz 1 EWG-Vertrag unvereinbar ist, auch wenn die Kommission sie nicht nach Artikel 90 Absatz 3 EWG-Vertrag beanstandet hat.

48 Zunächst ist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes hinzuweisen, wonach die Wettbewerbsregeln der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag zwar das Verhalten von Unternehmen und nicht die von den Behörden der Mitgliedstaaten getroffenen Maçnahmen betreffen, aber gleichwohl Artikel 5 EWG-Vertrag auch letztere verpflichtet, keine Maçnahmen zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmungen ausschalten könnten. Ein solcher Fall ist insbesondere gegeben, wenn ein Mitgliedstaat Artikel 85 zuwiderlaufende Kartellabsprachen vorschreibt oder erleichtert oder deren Auswirkungen verstärkt ( zuletzt Urteil vom 1. Oktober 1987 in der Rechtssache 311/85, Vereniging van Vlaamse Reisbureaus, Slg. 1987, 3801 ).

49 Hieraus folgt, daç die Genehmigung von gegen Artikel 85 Absatz 1 verstoçenden Tarifvereinbarungen durch die Luftverkehrsbehörden mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit Artikel 5 EWG-Vertrag, nicht vereinbar ist. Ferner ergibt sich daraus, daç die Luftverkehrsbehörden alles zu unterlassen haben, was als Ermutigung der Luftfahrtunternehmen zum Abschluç von gegen den Vertrag verstoçenden Tarifvereinbarungen angesehen werden könnte.

50 Für Fluglinientarife im besonderen wird diese Auslegung des Vertrags durch Artikel 90 Absatz 1 EWG-Vertrag bestätigt, wonach die nationalen Behörden in bezug auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschlieçliche Rechte gewähren, wie etwa das Recht, allein oder gemeinsam mit einem oder zwei anderen Unternehmen eine Strecke zu befliegen, keine mit den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag unvereinbaren Maçnahmen treffen oder beibehalten dürfen. Auçerdem wird in den Begründungserwägungen der Verordnungen Nrn. 3975 und 3976/87 des Rates klargestellt, daç diese Verordnungen die Anwendung des Artikels 90 EWG-Vertrag nicht berühren.

51 Zwar hat der Rat in den Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 3976/87 sein Bestreben zum Ausdruck gebracht, den Wettbewerb im Luftverkehr nur schrittweise zu verstärken, um dem Luftfahrtsektor genügend Zeit zu lassen, sich an ein anderes als das derzeit bestehende System anzupassen, das in einer Reihe von Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten und zwischen Luftfahrtunternehmen besteht. Dieses Bestreben kann jedoch nur in den vom Vertrag gezogenen Grenzen Beachtung finden.

52 Wenn also die neuen vom Rat und von der Kommission erlassenen Vorschriften den Gemeinschaftsorganen und den Behörden der Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen, die Luftfahrtunternehmen zur Durchführung gegenseitiger Konsultationen über die Tarife für bestimmte Fluglinien, wie z. B. jene, die Gegenstand der Richtlinie 87/601 sind, anzuregen, so verbietet ihnen der Vertrag doch ausdrücklich jede wie auch immer geartete Förderung des Zustandekommens von Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Gebiet der Tarife, die Artikel 85 Absatz 1 oder gegebenenfalls Artikel 86 widersprechen.

53 Das nationale Gericht führt auçerdem Artikel 90 Absatz 3 an; diese Vorschrift ist aber für die Beantwortung der durch die vorliegende Rechtssache aufgeworfenen Fragen nicht einschlägig. Sie verpflichtet nämlich die Kommission, auf die Anwendung des Artikels 90 zu achten, und gibt ihr die Befugnis, erforderlichenfalls geeignete Richtlinien oder Entscheidungen an die Mitgliedstaaten zu richten, ohne daç sie deswegen die Anwendung der Absätze 1 und 2 des Artikels 90 bei Untätigkeit der Kommission ausschlieçt.

54 Dagegen könnten sich aus Artikel 90 Absatz 2 Folgen für die Entscheidungen der Luftverkehrsbehörden über die Genehmigung von Tarifen ergeben. Diese Vorschrift sieht unter anderem vor, daç für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, die Wettbewerbsregeln des Vertrages nur gelten, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfuellung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe verhindert.

55 Artikel 90 Absatz 2 kann nämlich auf Verkehrsunternehmen Anwendung finden, die von den Behörden dazu verpflichtet worden sind, Linien zu bedienen, die zwar aus kommerzieller Sicht nicht rentabel sind, deren Bedienung aber aus Gründen des allgemeinen Interesses erforderlich ist. Es ist Sache der zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden oder Gerichte, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob das betroffene Luftfahrtunternehmen tatsächlich durch Hoheitsakte der öffentlichen Gewalt mit der Bedienung solcher Linien betraut worden ist ( Urteil vom 27. März 1974 in der Rechtssache 127/73, BRT II, Slg. 1974, 313 ).

56 Die Wirkung der Wettbewerbsregeln kann aber nur dann gemäç Artikel 90 Absatz 2 durch die Erfordernisse beschränkt werden, die sich aus der Erfuellung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe ergeben, wenn die für die Genehmigung von Tarifen zuständigen nationalen Behörden wie auch die mit Rechtsstreitigkeiten hierüber befaçten Gerichte feststellen können, um welche Erfordernisse es sich dabei genau handelt und wie sich diese auf die Struktur der von den betroffenen Luftfahrtunternehmen angewandten Tarife auswirken.

57 Wenn nämlich keine wirkliche Transparenz der Tarifstruktur besteht, läçt sich nur schwer oder überhaupt nicht beurteilen, welchen Einfluç die im allgemeinen Interesse liegende Aufgabe auf die Geltung der Wettbewerbsregeln im Bereich der Tarife hat. Es ist Sache des nationalen Gerichts, insoweit die erforderliche Sachverhaltsaufklärung durchzuführen.

58 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die dritte Frage des nationalen Gerichts somit zu antworten, daç die Artikel 5 und 90 EWG-Vertrag dahin gehend auszulegen sind,

- daç sie es den nationalen Behörden verbieten, den Abschluç von gegen Artikel 85 Absatz 1 oder gegebenenfalls gegen Artikel 86 EWG-Vertrag verstoçenden Tarifvereinbarungen zu fördern,

- daç sie der Genehmigung von sich aus solchen Vereinbarungen ergebenden Tarifen durch die nationalen Behörden entgegenstehen,

-daç sie einer Beschränkung der Wirkungen der Wettbewerbsregeln nicht entgegenstehen, soweit diese für die Erfuellung einer im allgemeinen Interesse liegenden, bestimmten Luftfahrtunternehmen übertragenen Aufgabe unerläçlich ist und sofern die Natur dieser Aufgabe sowie ihre Auswirkung auf die Tarifstruktur eindeutig feststehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

59 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Bundesgerichtshof mit Beschluç vom 30. Januar 1986 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1)Bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen über Fluglinientarife sind nach Artikel 85 Absatz 2 nichtig,

- soweit es sich um Tarife für Flüge zwischen Flughäfen ein und desselben Mitgliedstaats oder zwischen einem solchen Flughafen und einem Flughafen eines Drittlandes handelt, wenn entweder die Behörden des Mitgliedstaats, in dem eines der beteiligten Luftfahrtunternehmen seinen Sitz hat, nach Artikel 88 oder die Kommission nach Artikel 89 die Unvereinbarkeit der Vereinbarung mit Artikel 85 festgestellt haben;

- soweit es sich um Tarife für internationale Flüge zwischen Flughäfen der Gemeinschaft handelt, wenn bei der Kommission kein Antrag nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 3975/87 auf Freistellung der Vereinbarung vom Verbot des Artikels 85 Absatz 1 gestellt worden ist oder wenn ein solcher Antrag zwar gestellt worden ist, aber innerhalb von 90 Tagen nach Veröffentlichung des Antrags im Amtsblatt zu einer negativen Reaktion der Kommission geführt hat, oder wenn die Frist von 90 Tagen zwar ohne Reaktion der Kommission verstrichen ist, aber die in Artikel 5 vorgesehene sechsjährige Geltungsdauer der Freistellung abgelaufen ist oder die Kommission die Freistellung innerhalb dieses Zeitraums aufgehoben hat.

2 ) Die Anwendung von Fluglinientarifen, die sich aus bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen ergeben, kann unter bestimmten Umständen eine miçbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem fraglichen Markt darstellen, und zwar insbesondere dann, wenn es einem Unternehmen in beherrschender Stellung gelungen ist, anderen Verkehrsunternehmen die Anwendung überhöhter oder übermäçig niedriger Tarife oder aber die Anwendung eines einzigen Tarifs auf einer bestimmten Linie aufzuzwingen.

3 ) Die Artikel 5 und 90 EWG-Vertrag sind dahin gehend auszulegen,

- daç sie es den nationalen Behörden verbieten, den Abschluç von gegen Artikel 85 Absatz 1 oder gegebenenfalls gegen Artikel 86 EWG-Vertrag verstoçenden Tarifvereinbarungen zu fördern,

- daç sie der Genehmigung von sich aus solchen Vereinbarungen ergebenden Tarifen durch die nationalen Behörden entgegenstehen,

- daç sie einer Beschränkung der Wirkungen der Wettbewerbsregeln nicht entgegenstehen, soweit diese für die Erfuellung einer im allgemeinen Interesse liegenden, bestimmten Luftfahrtunternehmen übertragenen Aufgabe unerläçlich ist und sofern die Natur dieser Aufgabe sowie ihre Auswirkung auf die Tarifstruktur eindeutig feststehen.

Ende der Entscheidung

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