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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.03.1990
Aktenzeichen: 69/88
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 30
EWG-Vertrag Art. 36
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 30 EWG-Vertrag steht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die es dem Einnehmer der direkten Steuern gestatten, andere Sachen als Lagerbestände, die sich bei einem Steuerpflichtigen befinden, auch dann zu pfänden, wenn diese Sachen von einem Lieferanten aus einem anderen Mitgliedstaat stammen, der sie auf Raten unter Eigentumsvorbehalt verkauft hat.

Zum einen gilt eine solche Regelung nämlich ohne Unterschied für inländische und eingeführte Sachen und soll nicht den Warenverkehr mit den anderen Mitgliedstaaten regeln, und zum anderen ist der Umstand, daß Bürger anderer Mitgliedstaaten zögern würden, Sachen an Käufer in dem betreffenden Mitgliedstaat auf Raten zu verkaufen, weil die Gefahr bestuende, daß diese Sachen vom Steuereinnehmer gepfändet würden, wenn die Käufer ihre niederländischen Steuerschulden nicht beglichen, so ungewiß und von nur mittelbarer Bedeutung, daß eine nationale Bestimmung, die eine solche Pfändung zulässt, nicht als geeignet angesehen werden kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 7. MAERZ 1990. - H. KRANTZ GMBH & CO GEGEN ONTVANGER DER DIRECTE BELASTINGEN UND KOENIGREICH DER NIEDERLANDE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: ARRONDISSEMENTSRECHTBANK MAASTRICHT - NIEDERLANDE. - FREIER WARENVERKEHR - MASSNAHMEN GLEICHER WIRKUNG - BEFUGNIS DES FISKUS ZUR PFAENDUNG VON AUF RATEN UNTER EIGENTUMSVORBEHALT VERKAUFTEN SACHEN. - RECHTSSACHE 69/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Arrondissementsrechtbank Maastricht, Erste Kammer, hat mit Urteil vom 3. März 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 7. März 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der H. Krantz GmbH & Co. ( nachstehend : Klägerin ), Aachen, Bundesrepublik Deutschland, und dem Ontvanger der Directe Belastingen ( niederländischer Einnehmer der direkten Steuern, nachstehend : Steuereinnehmer ) sowie dem niederländischen Staat über die Entscheidung des Steuereinnehmers, der Klägerin gehörende Maschinen nach Artikel 16 des niederländischen Gesetzes vom 22. Mai 1845 über die Einziehung der direkten Steuern zu pfänden. Die Klägerin verkaufte diese Maschinen auf Raten unter Eigentumsvorbehalt an die J. J. Krantz & Zoon NV, Leiden, Niederlande, die sie bei ihrer Tochtergesellschaft, der Vaalser Textielfabriek BV in Vaals, installierte.

3 Über die Krantz & Zoon NV und ihre Tochtergesellschaft wurde Konkurs eröffnet. Zur Beitreibung einer Steuerschuld der Vaalser Textielfabriek BV pfändete der Steuereinnehmer gemäß Artikel 16 des genannten Gesetzes alle beweglichen Sachen, die sich in den Räumen dieser Firma befanden.

4 Die Klägerin machte vor den mit dem Rechtsstreit befassten Gerichten geltend, Artikel 16 des Gesetzes vom 22. Mai 1845 sei mit Sinn und Zweck des Artikels 30 EWG-Vertrag unvereinbar, weil die Ratenzahlungsverkäufe in die Niederlande zurückgehen würden, wenn die Befugnisse des Steuereinnehmers allgemein bekannt wären.

5 Da der Rechtsstreit nach Ansicht der Arrondissementsrechtbank Maastricht Probleme der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwirft, hat sie das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt :

"1 ) Ist Artikel 16 der Wet op de Invordering van 's Rijks Directe Belastingen vom 22. Mai 1845 ( Staatsblad 22 ) als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung im Sinn des Artikels 30 EWG-Vertrag anzusehen, wenn der niederländische Fiskus Gegenstände, die sich auf dem Grundstück eines Steuerpflichtigen befinden, pfändet, obwohl diese Gegenstände von einem Lieferanten aus einem anderen Mitgliedstaat stammen und in dessen Eigentum stehen?

2 ) Wenn Frage 1 bejaht wird, ist dann die Anwendung des genannten Artikels 16 nicht doch gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag aus einem der in dieser Vertragsbestimmung erwähnten Gründe gerechtfertigt?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens, des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Im Rahmen von Artikel 177 EWG-Vertrag ist es nicht Sache des Gerichtshofes, über die Vereinbarkeit von nationalen Rechtsvorschriften mit dem EWG-Vertrag zu entscheiden. Er kann aber dem nationalen Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand geben, die es diesem ermöglichen können, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über diese Vereinbarkeit zu befinden.

8 Die Fragen des vorlegenden Gerichts sind folglich dahin zu verstehen, ob Artikel 30 EWG-Vertrag nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die es dem Einnehmer der direkten Steuern gestatten, andere Sachen als Lagerbestände, die sich bei einem Steuerpflichtigen befinden, auch dann zu pfänden, wenn diese Sachen von einem Lieferanten aus einem anderen Mitgliedstaat stammen und in dessen Eigentum stehen, und, wenn ja, ob diese Rechtsvorschriften nach Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt sind.

Zur ersten Frage

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, seit dem Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 ( Dassonville, Slg. 1974, 837 ) stellt jede Maßnahme, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellt.

10 Die vom vorlegenden Gericht angesprochene nationale Rechtsvorschrift gilt jedoch ohne Unterschied für inländische und eingeführte Sachen und soll nicht den Warenverkehr mit den anderen Mitgliedstaaten regeln.

11 Daß Bürger anderer Mitgliedstaaten zögern würden, Sachen an Käufer in dem betreffenden Mitgliedstaat auf Raten zu verkaufen, weil die Gefahr bestuende, daß diese Sachen vom Steuereinnehmer gepfändet würden, wenn die Käufer ihre niederländischen Steuerschulden nicht beglichen, ist weiter so ungewiß und von nur mittelbarer Bedeutung, daß eine nationale Bestimmung, die eine solche Pfändung zulässt, nicht als geeignet angesehen werden kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern.

12 Auf die erste Frage ist somit zu antworten, daß Artikel 30 EWG-Vertrag nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die es dem Einnehmer der direkten Steuern gestatten, andere Sachen, die sich bei einem Steuerpflichtigen befinden, auch dann zu pfänden, wenn diese Sachen von einem Lieferanten aus einem anderen Mitgliedstaat stammen und in dessen Eigentum stehen.

Zur zweiten Frage

13 Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich eine Entscheidung über die zweite Vorlagefrage.

Kostenentscheidung:

Kosten

14 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

auf die ihm von der Arrondissementsrechtbank Maastricht mit Urteil vom 3. März 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Artikel 30 EWG-Vertrag steht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die es dem Einnehmer der direkten Steuern gestatten, andere Sachen als Lagerbestände, die sich bei einem Steuerpflichtigen befinden, auch dann zu pfänden, wenn diese Sachen von einem Lieferanten aus einem anderen Mitgliedstaat stammen und in dessen Eigentum stehen.

Ende der Entscheidung

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