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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 31.05.1988
Aktenzeichen: 74/87
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Vorschrift 1 d zu Kapitel 28 des Gemeinsamen Zolltarifs (" Anorganische chemische Erzeugnisse;...") ist dahin gehend auszulegen, daß die Anwendung dieses Kapitels nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil dem eingeführten chemischen Erzeugnis ein zu seinem Transport oder seiner Erhaltung notwendiges Stabilisierungsmittel zugesetzt worden ist und es infolgedessen zu einem anderen Zweck verwendet werden könnte. Kapitel 28 kann jedoch dann keine Anwendung finden, wenn der Hauptverwendungszweck der Ware durch die mögliche Verwendung des Stabilisierungsmittels und nicht durch die des chemischen Erzeugnisses bestimmt wird.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 31. MAI 1988. - DR. D. GOERRIG GMBH GEGEN HAUPTZOLLAMT DE GELDERN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM FINANZGERICHT DUESSELDORF. - TARIFIERUNG - ZUR ERHALTUNG ODER ZUM TRANSPORT VON CHEMISCHEN ELEMENTEN NOTWENDIGE STABILISIERUNGSMITTEL. - RECHTSSACHE 74/87.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit Beschluß vom 19. Februar 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 12. März 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Vorschrift 1 d zu Kapitel 28 des Gemeinsamen Zolltarifs ( GZT ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit darüber, ob eine als Kataboran A bezeichnete Chemikalie, die aus einer wäßrigen Lösung mit 12 Gew.-% Natriumborhydrid und 40 Gew.-% Natronlauge als Stabilisierungsmittel besteht, der Tarifstelle 28.57 A des GZT ( Hydride ) zuzuordnen ist.

3 Die Ware wurde bei der Einfuhr als "Natriumboranatlösung, andere Hydride" der Tarifstelle 28.57 A angemeldet. Nach der Abfertigung erließ das zuständige Zollamt einen Berichtigungsbescheid, in dem es die Ware als Natriumboranat in Natronlauge der Tarifstelle 38.19 T zuwies. Aufgrund dessen erhob es den Differenzbetrag nach, der sich aus dem Unterschied der Zollsätze ergab. Gegenüber dieser Tarifierung der Ware berief sich das einführende Unternehmen auf die Vorschriften zu Kapitel 28.

4 Nach Vorschrift 1 gehören zu Kapitel 28 isolierte chemische Elemente und isolierte chemisch einheitliche Verbindungen, auch wenn sie Verunreinigungen enthalten ( Vorschrift 1 a ), sowie wäßrige Lösungen dieser Erzeugnisse ( Vorschrift 1 b ). Ferner gehören zu Kapitel 28 die in a und in b genannten Erzeugnisse mit Zusatz eines "zu ihrer Erhaltung oder ihrem Transport notwendigen" Stabilisierungsmittels ( Vorschrift 1 d ).

5 Nach Einholung eines Gutachtens gelangte das Finanzgericht zu dem Ergebnis, daß die wäßrige Natriumboranatlösung als solche, d. h. ohne die Natronlauge, eine Lösung einer isolierten chemisch einheitlichen Verbindung im Sinne der Vorschrift 1 b darstelle. Es stellte ferner fest, daß die Natronlauge ein zur Erhaltung oder zum Transport der wäßrigen Natriumboranatlösung notwendiges Stabilisierungsmittel im Sinne der Vorschrift 1 d sei. Daher sei die Ware der Tarifstelle 28.57 A des GZT zuzuweisen.

6 Auf die Revision der Zollverwaltung hob der Bundesfinanzhof die Entscheidung des Finanzgerichts mit der Begründung auf, das Finanzgericht habe verkannt, daß eine Ware dann nicht mehr dem Kapitel 28 des GZT zugeordnet werden dürfe, wenn das darin enthaltene Stabilisierungsmittel das Erzeugnis zu Zwecken verwendbar mache, zu denen es ohne das Mittel nicht verwendbar wäre. Der Zusatz des Stabilisierungsmittel dürfe nämlich keine Erweiterung der Verwendungsmöglichkeiten des chemischen Erzeugnisses über den allgemeinen Gebrauch hinaus bewirken. Der Bundesfinanzhof wies darauf hin, daß der Charakter eines chemischen Erzeugnisses nach den Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens ( NRZZ ) durch die Zusätze nicht verändert werden dürfe; insbesondere dürfe das chemische Erzeugnis nicht die Eignung für einen anderen Verwendungszweck als für den allgemeinen Gebrauch erhalten.

7 Nach Zurückverweisung der Sache führte das Finanzgericht aus, die Erläuterungen zur NRZZ dürften die Bestimmungen des GZT, der im Unterschied zu diesen Erläuterungen verbindliches Recht sei, nicht verändern. Sodann stellte es fest, im Bereich chemischer Erzeugnisse komme es nur sehr selten vor, daß der Zusatz eines Stabilisierungsmittels nicht zur Folge haben könne, daß die eingeführte Ware auch für andere Zwecke eingesetzt werden könnte und entsprechend weiterverarbeitet werde. Die Grenze sei somit dort zu ziehen, wo "unter dem Deckmantel eines Stabilisierungsmittels" ein anderes Produkt eingeführt werde, das entsprechend anders verwendet werden solle.

8 Da seiner Ansicht nach noch Zweifel über die Tarifierung der fraglichen Ware bestehen, hat das Finanzgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt :

" Ist Vorschrift 1 d zu Kapitel 28 des GZT dahin auszulegen, daß ein zum Transport notwendiges Stabilisierungsmittel keine zusätzliche Verwendungsmöglichkeit eröffnen darf?"

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Das Hauptzollamt Geldern, der Beklagte des Ausgangsverfahrens, und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben Zweifel an der Notwendigkeit der Verwendung der Natronlauge zur Stabilisierung des Boranats geäussert; sie meinen, die verwendeten Mengen gingen über das hinaus, was zur Stabilisierung des zu transportierenden chemischen Erzeugnisses "notwendig" sei. Hierzu ist zu bemerken, daß im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 177 EWG-Vertrag die nationalen Gerichte für die Feststellung des Sachverhalts zuständig sind. Im vorliegenden Fall hat das Finanzgericht nach Einholung eines Gutachtens festgestellt, daß eine Konzentration von 40 % Natronlauge notwendig gewesen sei, um die wäßrige Natriumboranatlösung für ihren Transport zu stabilisieren. Da diese Feststellung vom Bundesfinanzhof nicht aufgehoben worden ist, hat auch der Gerichtshof hiervon auszugehen.

11 Zunächst stellt sich die Frage, ob jede Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung des chemischen Erzeugnisses, die sich eventuell aus dem Zusatz eines zu seinem Transport notwendigen Stabilisierungsmittels ergibt, die Unanwendbarkeit des Kapitels 28 des GZT zur Folge hat.

12 Die Kommission trägt hierzu vor, die Erläuterungen zu diesem Kapitel seien in ihrer Gesamtheit zu betrachten. In Vorschrift 1 c, die Lösungen chemischer Erzeugnisse, also eine Art der Aufmachung, betreffe, werde aber ausdrücklich verlangt, daß diese Aufmachung "ausschließlich aus Sicherheits - oder Transportgründen erforderlich sein" und daß "ausserdem... das Erzeugnis durch den Zusatz des Lösungsmittels keine besondere Eignung zu bestimmten Verwendungszwecken erhalten haben" dürfe. Ebenso stelle Vorschrift 1 e, die sich auf Antistaubmittel und Farbmittel beziehe, die Voraussetzung auf, daß "diese Zusätze das Erzeugnis nicht für bestimmte Verwendungszwecke geeigneter machen als für den allgemeinen Gebrauch ". Es bestehe kein Grund zu der Annahme, daß solche Voraussetzungen, wie sie für Aufmachungen, Antistaubmittel und Farbmittel vorgesehen seien, nicht auch für Stabilisierungsmittel gelten sollten.

13 Diesem Vorbringen der Kommission kann nicht gefolgt werden. Vorschrift 1 d ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie im Unterschied zu den Vorschriften 1 c und 1 e für Stabilisierungsmittel keine andere Voraussetzung als die aufstellt, daß sie zur Erhaltung oder zum Transport des chemischen Erzeugnisses "notwendig" sein müssen. Eine analoge Anwendung der für andere Stoffe geltenden Voraussetzungen käme nur in Betracht, wenn die Überlegungen, die den Vorschriften 1 c und 1 e hinsichtlich der dort genannten Stoffe zugrunde liegen, auch für Stabilisierungsmittel Gültigkeit besässen. Den Akten ist jedoch nichts zu entnehmen, was eine solche Feststellung rechtfertigen könnte. Vielmehr lässt sich das Gegenteil aus dem Umstand ableiten, daß der Transport bestimmter chemischer Erzeugnisse zum Zwecke ihrer Einfuhr nicht ohne den Zusatz eines Stabilisierungsmittels erfolgen kann, während der Umstand, daß ein chemisches Erzeugnis sich in einer bestimmten Aufmachung befindet oder aber Antistaubmittel oder Farbmittel enthält, unabhängig davon, wie nützlich dies sein mag, nicht notwendig ist, um den Transport des betreffenden chemischen Erzeugnisses zu ermöglichen.

14 Somit ist festzustellen, daß die Anwendung von Kapitel 28 nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil der Zusatz eines zum Transport oder zur Erhaltung des chemischen Erzeugnisses notwendigen Stabilisierungsmittels eine anderweitige Verwendung dieses Erzeugnisses ermöglichen könnte.

15 Ferner wird durch das Vorabentscheidungsersuchen die Frage aufgeworfen, ob Kapitel 28 auch dann anwendbar bleibt, wenn der Zusatz des Stabilisierungsmittels zu dem chemischen Erzeugnis den Charakter der eingeführten Ware völlig verändert.

16 Das einführende Unternehmen, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, hat hierzu vorgetragen, der Zusatz der Natronlauge als Stabilisierungsmittel sei notwendig gewesen, um überhaupt einen sicheren Transport des Boranats zu gewährleisten; die Natronlauge habe aber später wieder durch ein äusserst aufwendiges Verfahren entfernt werden müssen. Der vorliegende Sachverhalt unterscheide sich somit erheblich von dem Fall, daß der Hauptverwendungszweck der gesamten Ware nach der Einfuhr durch die mögliche Verwendung des Stabilisierungsmittels und nicht durch die des transportierten chemischen Erzeugnisses bestimmt werde.

17 Hierzu ist in der Tat festzustellen, daß in dem Fall, daß eine wäßrige Lösung einer isolierten chemisch einheitlichen Verbindung selbst nach Zusatz eines Stabilisierungsmittels an sich unter das Kapitel 28 fällt, dieses dann keine Anwendung finden kann, wenn der Hauptverwendungszweck der Ware durch die mögliche Verwendung des Stabilisierungsmittels bestimmt wird. Die Verwendung eines Stabilisierungsmittels zum Transport oder zur Erhaltung darf nämlich nicht dem heimlichen Zweck dienen, die Ware zollfrei oder unter Entrichtung eines niedrigeren Zolls einzuführen.

18 Nach alledem ist Vorschrift 1 d zu Kapitel 28 des Gemeinsamen Zolltarifs dahin gehend auszulegen, daß die Anwendung dieses Kapitels nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil dem eingeführten chemischen Erzeugnis ein zu seinem Transport oder seiner Erhaltung notwendiges Stabilisierungsmittel zugesetzt worden ist und es infolgedessen zu einem anderen Zweck verwendet werden könnte. Kapitel 28 kann jedoch dann keine Anwendung finden, wenn der Hauptverwendungszweck der Ware durch die mögliche Verwendung des Stabilisierungsmittels und nicht durch die des chemischen Erzeugnisses bestimmt wird.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Vierte Kammer )

auf die ihm vom Finanzgericht Düsseldorf mit Beschluß vom 19. Februar 1987 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Vorschrift 1 d zu Kapitel 28 des Gemeinsamen Zolltarifs ist dahin gehend auszulegen, daß die Anwendung dieses Kapitels nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil dem eingeführten chemischen Erzeugnis ein zu seinem Transport oder seiner Erhaltung notwendiges Stabilisierungsmittel zugesetzt worden ist und es infolgedessen zu einem anderen Zweck verwendet werden könnte. Kapitel 28 kann jedoch dann keine Anwendung finden, wenn der Hauptverwendungszweck der Ware durch die mögliche Verwendung des Stabilisierungsmittels und nicht durch die des chemischen Erzeugnisses bestimmt wird.

Ende der Entscheidung

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