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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 23.03.1988
Aktenzeichen: 76/88 R
Rechtsgebiete:
Vorschriften:
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DER ZWEITEN KAMMER VOM 23. MAERZ 1988. - EVELINE LA TERZA GEGEN GERICHTSHOF DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - VORLAEUFIGER RECHTSSCHUTZ - BEAMTE - EINSTWEILIGE ANORDNUNGEN - TEILZEITBESCHAEFTIGUNG. - RECHTSSACHE 76/88 R.
Entscheidungsgründe:
1 Die Antragstellerin wurde am 15. Juni 1973 als Hilfskraft beim Gerichtshof eingestellt und am 1. Mai 1974 zur Beamtin auf Lebenszeit der Besoldungsgruppe C 3 ernannt. Am 1. Januar 1978 wurde sie in die Besoldungsgruppe C 2 befördert, am 1. Juli 1984 in die Besoldungsgruppe C 1. Sie ist der Direktion Bibliothek, wissenschaftlicher Dienst und Dokumentation zugewiesen.
2 Der Ehegatte der Antragstellerin ist Beamter der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg und seit kurzem in eine Planstelle als Kraftfahrer eingewiesen. Seine Arbeitszeiten sind unregelmässig, er ist manchmal mehrere Tage nacheinander von zu Hause abwesend. Die Antragstellerin ist Mutter von zwei Kindern im Alter von zwölf und neun Jahren.
3 Am 24. Oktober 1984 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Halbzeitbeschäftigung ab dem 1. Januar 1985 unter Hinweis darauf, daß ihre Anwesenheit zu Hause für die Beaufsichtigung und Erziehung ihrer Kinder, die damals im Alter von sechs und neun Jahren waren, unerläßlich sei. Die Verwaltung des Gerichtshofes lehnte diesen Antrag am 15. November 1984 mit der Begründung ab, daß die zuständigen Leiter der Dienststelle meinten, die dienstlichen Erfordernisse erlaubten eine positive Bescheidung nicht; die Frage könne erneut überprüft werden, falls es möglich sei, die Antragstellerin auf eine andere Dienststelle zu versetzen. Die Verwaltung des Gerichtshofes machte jedoch ihre negative Entscheidung rückgängig und genehmigte mit Wirkung vom 1. April 1985 die Halbzeitbeschäftigung.
4 Diese Genehmigung wurde zweimal verlängert, zuletzt bis zum 31. Dezember 1987. Anläßlich der Verlängerung der Genehmigung für das Jahr 1986 erklärte die Verwaltung des Gerichtshofes, daß "weitere Verlängerungen der Genehmigung der Halbzeitbeschäftigung nicht als sicher angesehen werden können ".
5 Die Antragstellerin beantragte am 8. Oktober 1987 eine Verlängerung ihrer Halbzeitbeschäftigung für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1988. Mit Entscheidung vom 13. November 1987 lehnte die Personalabteilung diese Verlängerung unter Hinweis darauf ab, daß gemäß Artikel 55 a des Statuts die Halbzeitbeschäftigung mit dem wohlverstandenen Interesse des Organs in Einklang stehen müsse; da ihre Vorgesetzten der Auffassung seien, daß die Verlängerung dieser Genehmigung geeignet sei, die Arbeitsweise der Dienststelle zu stören, sei die Anstellungsbehörde zu der Auffassung gelangt, daß eine Verlängerung nach Lage der Akten nicht möglich sei.
6 Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin am 28. Januar 1988 Beschwerde im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts ein, mit der sie geltend machte, daß ihr Interesse an einer Halbzeitbeschäftigung durch den Wunsch begründet sei, die Zukunft ihrer Kinder zu schützen, daß die Genehmigung der Halbzeitbeschäftigung nicht geeignet sei, die Arbeitsweise der Dienststelle zu stören, und daß die Ablehnung ihres Antrages unzureichend begründet sei.
7 Am 9. März 1988 hat die Antragstellerin Klage gegen die Entscheidung der Personalabteilung vom 13. November 1987 erhoben.
8 Mit Schriftsatz, der am gleichen Tag bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, mit dem sie beantragt,
a ) festzustellen, daß die Ablehnung ihres Antrages vorläufig ausgesetzt werden muß;
b ) zu entscheiden, daß die frühere Genehmigung der Halbzeitbeschäftigung auch weiterhin die Beziehungen der Parteien zueinander bestimmt;
c ) die Kostenentscheidung vorzubehalten.
9 Der Antragsgegner hat seine schriftliche Stellungnahme am 21. März 1988 eingereicht. Da die schriftlichen Stellungnahmen der Parteien alle zur Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung wesentlichen Informationen enthielten, war es nicht erforderlich, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
10 Zur Rechtfertigung ihres Antrags auf einstweilige Anordnung verweist die Antragstellerin auf ihre soziale und familiäre Lage und trägt vor, daß jede Verzögerung der Entscheidung, wie auch immer sie ausfalle, nicht wiedergutzumachende Folgen sowohl für sie selbst als auch für ihre zwei Kinder mit sich bringe.
11 Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der vorliegenden Beschwerde und macht geltend, daß kein Umstand vorliege, aus dem sich die Dringlichkeit ergebe, und daß die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung nicht erfuellt seien.
12 Zur Dringlichkeit bemerkt der Antragsgegner, die Tatsache, daß die Antragstellerin mit der Erhebung der Klage fast zweieinhalb Monate gewartet habe, zeige, daß keine Dringlichkeit vorliege.
13 Zur Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der Aussetzung der angefochtenen Entscheidung macht der Antragsgegner geltend, daß Artikel 55 a und Anhang IV a des Statuts der Anstellungsbehörde einen weiten Beurteilungsspielraum einräumten. Die Anstellungsbehörde habe ihre Entscheidung unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters der Genehmigung der Halbzeitbeschäftigung, der vom Beamten vorgetragenen Gründe und des Interesses des Organs zu treffen. Insoweit sei zu berücksichtigen, daß die Antragstellerin in die höchste Besoldungsgruppe der Laufbahngruppe C eingestuft sei und gewisse Koordinations - und Überwachungsaufgaben wahrnehmen müsse. Darüber hinaus habe die Antragstellerin gewusst, daß ihre Halbzeitbeschäftigung nach Ansicht ihrer Vorgesetzten zu Schwierigkeiten bei der Organisation der Dienststelle führe und nicht im wohlverstandenen Interesse des Organs liege.
14 Es ist daran zu erinnern, daß gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag Klagen bei dem Gerichtshof keine aufschiebende Wirkung haben. Der Gerichtshof kann jedoch, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen. Der Gerichtshof kann gemäß Artikel 186 EWG-Vertrag auch in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.
15 Nach Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes setzt der Erlaß einstweiliger Anordnungen voraus, daß Umstände vorliegen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, und daß die Notwendigkeit solcher Anordnungen glaubhaft gemacht wird.
16 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Frage der Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung danach zu beurteilen, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht.
17 Im Lichte dieser Vorschriften und der dazu ergangenen Rechtsprechung sind die Anträge zu prüfen.
18 Zum Vorliegen von Umständen, aus denen sich die Dringlichkeit der beantragten Anordnungen ergibt, ist darauf hinzuweisen, daß die Antragstellerin bereits seit dem 1. April 1985 mit Genehmigung der Anstellungsbehörde wegen der Erfordernisse der Beaufsichtigung und Erziehung ihrer kleinen Kinder einer Halbzeitbeschäftigung nachgeht. Selbst wenn die Kinder jetzt neun und zwölf Jahre alt sind, bleiben diese Erfordernisse im wesentlichen insbesondere deshalb die gleichen, weil der Ehegatte der Antragstellerin in eine Planstelle als Kraftfahrer eingewiesen ist, so daß er manchmal mehrere Tage nacheinander von zu Hause abwesend ist. Unter diesen Umständen lässt sich nicht ausschließen, daß die Durchführung der Weigerung, die Genehmigung der Halbzeitbeschäftigung der Antragstellerin zu verlängern, für sie und ihre Kinder zu einem schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden führen kann.
19 Die Anstellungsbehörde hat andererseits nicht das Vorliegen neuer Umstände dargetan, die die sofortige Beendigung der Halbzeitbeschäftigung der Antragstellerin notwendig machten. Diese war nämlich schon bei der ersten Genehmigung in die höchste Besoldungsgruppe der Laufbahngruppe C eingewiesen, und bereits damals hatten sich ihre Vorgesetzten gegen die Erteilung einer solchen Genehmigung ausgesprochen.
20 Unter diesen Umständen ist Dringlichkeit gegeben.
21 Was die Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der beantragten Anordnungen betrifft, so ist richtig, daß die einschlägigen Vorschriften des Statuts der Anstellungsbehörde einen weiten Beurteilungsspielraum in bezug auf das "wohlverstandene Interesse des Organs" einräumen und daß es ausser im Fall des offensichtlichen Irrtums oder Ermessensmißbrauchs nicht Aufgabe des Gerichtshofes ist, diese Beurteilung zu überprüfen. Die Begründung der Ablehnung, so wie sie sich aus der streitigen Entscheidung ergibt, ist jedoch derartig knapp und stereotyp, daß sie allein schon den Wunsch der Antragstellerin auf gerichtliche Nachprüfung durch den Gerichtshof rechtfertigt.
22 Da beide Voraussetzungen somit vorliegen, ist die streitige Entscheidung auszusetzen und festzustellen, daß die Antragstellerin berechtigt ist, bis zum 31. Dezember 1988 oder, falls dieses früher ergeht, bis zum Erlaß des Urteils in der Hauptsache, einer Halbzeitbeschäftigung nachzugehen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER PRÄSIDENT DER ZWEITEN KAMMER
gemäß Artikel 9 § 4 und Artikel 96 der Verfahrensordnung im Verfahren der einstweiligen Anordnung
beschlossen :
1 ) Die Entscheidung der Verwaltung des Gerichtshofes vom 13. November 1987, mit der es abgelehnt wurde, die Genehmigung der Halbzeitbeschäftigung der Antragstellerin bis zum 31. Dezember 1988 zu verlängern, wird ausgesetzt, und die Genehmigung wird bis zu diesem Zeitpunkt verlängert, wenn nicht das Urteil in der Rechtssache vorher verkündet wird.
2 ) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Luxemburg, den 23. März 1988.
Ende der Entscheidung
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