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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 01.04.2004
Aktenzeichen: C-1/02
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor, Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor in der sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1001/98 der Kommission vom 13. Mai 1998 ergebenden Fassung, MGV


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2
Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor in der sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1001/98 der Kommission vom 13. Mai 1998 ergebenden Fassung Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2
MGV § 11 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 1. April 2004. - Privat-Molkerei Borgmann GmbH & Co. KG gegen Hauptzollamt Dortmund. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Düsseldorf - Deutschland. - Landwirtschaft - Zusatzabgabe auf Milch - Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 - Jährliche Abrechnung der an den Abnehmer gelieferten Milchmengen - Übermittlungsfrist - Art der Frist - Strafbeträge. - Rechtssache C-1/02.

Parteien:

In der Rechtssache C-1/02

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Privat-Molkerei Borgmann GmbH & Co. KG

gegen

Hauptzollamt Dortmund

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit des Artikels 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl. L 57, S. 12) in der sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1001/98 der Kommission vom 13. Mai 1998 (ABl. L 142, S. 22) ergebenden Fassung

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer, der Richter C. Gulmann, J.-P. Puissochet und R. Schintgen sowie der Richterin N. Colneric (Berichterstatterin),

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Privat-Molkerei Borgmann GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt S. Büscher,

- der französischen Regierung, vertreten durch J. Géraud de Bergues und A. Colomb als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Niejahr als Bevollmächtigten,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Privat-Molkerei Borgmann GmbH & Co. KG und der Kommission in der Sitzung vom 9. April 2003,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

3. Juli 2003,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit Beschluss vom 19. Dezember 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Januar 2002, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Gültigkeit des Artikels 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl. L 57, S. 12) in der sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1001/98 der Kommission vom 13. Mai 1998 (ABl. L 142, S. 22) ergebenden Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der PrivatMolkerei Borgmann GmbH & Co. KG (im Folgenden: Molkerei Borgmann) und dem Hauptzollamt Dortmund (zuständig seit dem 1. Januar 2002 anstelle des ursprünglich zuständigen Hauptzollamts Bochum, im Folgenden ohne Unterscheidung: HZA) wegen eines Strafbetrags, den das HZA aufgrund der angeblichen Nichteinhaltung der in Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 536/93 festgesetzten Frist für die Übermittlung der dort genannten Angaben gegen die Molkerei Borgmann verhängt hat.

Rechtlicher Rahmen

3. Die Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl. L 405, S. 1) hat die seit 2. April 1984 geltende Abgabenregelung für weitere sieben Zwölfmonatszeiträume ab 1. April 1993 verlängert und Grundregeln für die verlängerte Regelung festgelegt. Nach Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 1 dieser Verordnung wird die Abgabe auf alle Milch- oder Milchäquivalenzmengen erhoben, die in dem betreffenden Zwölfmonatszeitraum vermarktet werden und die eine der beiden in Artikel 3 für Lieferungen und Direktverkäufe genannten Mengen überschreiten. Sie wird auf die Erzeuger verteilt, die zur Mengenüberschreitung beigetragen haben.

4. In der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3950/92 wird festgestellt, dass der Abnehmer als der Abgabepflichtige zu bestimmen ist, damit es nicht zu Verzögerungen bei der Erhebung und Zahlung der Abgabe kommt. Nach Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 3950/92 obliegt es dem Abnehmer, den fälligen Betrag bis zu einem bestimmten Zeitpunkt und nach festzulegenden Bedingungen an die zuständige Stelle des jeweiligen Mitgliedstaats zu entrichten; er behält den Betrag bei der Zahlung des Milchpreises an die die Abgabe schuldenden Erzeuger ein bzw. erhebt ihn auf andere geeignete Weise.

5. Unter anderem auf Grundlage von Artikel 11 der Verordnung Nr. 3950/92 erließ die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Verordnung Nr. 536/93. Gemäß Artikel 3 Absatz 4 dieser Verordnung oblag es dem abgabenpflichtigen Abnehmer, den geschuldeten Betrag vor dem 1. September jedes Jahres nach den vom Mitgliedstaat festgelegten Modalitäten zu zahlen. Außerdem war der Abnehmer nach Artikel 3 Absatz 2 unter Androhung von Strafbeträgen verpflichtet, der zuständigen Behörde vor dem 15. Mai jedes Jahres die erforderlichen Daten zu übermitteln.

6. Die fünfte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 536/93 hat folgenden Wortlaut:

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Regelung infolge erheblicher Verzögerungen bei der Übermittlung der Zahlen über die Lieferungen oder Direktverkäufe sowie bei der Zahlung der Abgabe nicht voll wirksam sein konnte. Daraus sind die erforderlichen Folgerungen zu ziehen, indem strenge Anforderungen in Form von Übermittlungs- und Zahlungsfristen gestellt werden, die mit Strafmaßnahmen bewehrt sein müssen.

7. In seiner ursprünglichen Fassung lautete Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 536/93 wie folgt:

Vor dem 15. Mai jedes Jahres übermittelt der Abnehmer der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats eine Aufstellung der Abrechnungen für jeden Erzeuger bzw. unterrichtet sie aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Mitgliedstaats über die Gesamtmenge, die gemäß Artikel 2 Absatz 2 berichtigte Menge und den Durchschnittsfettgehalt der Milch und/oder des Milchäquivalents, die bzw. das ihm von Erzeugern geliefert worden ist, sowie über die Summe der einzelbetrieblichen Referenzmengen und den jeweils für diese Erzeuger ermittelten repräsentativen Durchschnittsfettgehalt.

Bei Nichteinhaltung der Frist muss der Abnehmer einen Strafbetrag zahlen, der der Abgabe entspricht, die bei einer Überschreitung in Höhe von 0,1 % der ihm von den Erzeugern gelieferten Milch- oder Milchäquivalentmengen zu entrichten ist. Dieser Strafbetrag darf 20 000 ECU nicht überschreiten.

8. In seinem Urteil vom 6. Juli 2000 in der Rechtssache C356/97 (Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen, Slg. 2000, I5461) entschied der Gerichtshof, dass Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 536/93 in seiner ursprünglichen Fassung insoweit ungültig ist, als er bei Nichtbeachtung der in Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 genannten Frist die Verhängung einer finanziellen Sanktion gegen den Abnehmer vorschreibt, ohne dass dabei das Ausmaß der Fristüberschreitung berücksichtigt werden kann.

9. Bereits vor Erlass dieses Urteils hatte die Kommission die Verordnung Nr. 1001/98 erlassen, nach der Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 536/93 folgende Fassung erhielt:

Der vom Abnehmer im Fall einer Fristüberschreitung zu zahlende Strafbetrag wird wie folgt berechnet:

- Erfolgt die im ersten Unterabsatz genannte Mitteilung vor dem 1. Juni, entspricht er der Abgabe, die bei einer Überschreitung der ihm von den Erzeugern gelieferten Milch- und Milchäquivalentmengen um 0,1 % zu entrichten ist. Dieser Strafbetrag beträgt mindestens 500 und höchstens 20 000 ECU;

- erfolgt die im ersten Unterabsatz genannte Mitteilung nach dem 31. Mai und vor dem 16. Juni, entspricht er der Abgabe, die bei einer Überschreitung der ihm von den Erzeugern gelieferten Milch- und Milchäquivalentmengen um 0,2 % zu entrichten ist. Dieser Strafbetrag beträgt mindestens 1 000 und höchstens 40 000 ECU;

- erfolgt die im ersten Unterabsatz genannte Mitteilung nach dem 15. Juni und vor dem 1. Juli, entspricht er der Abgabe, die bei einer Überschreitung der ihm von den Erzeugern gelieferten Milch- und Milchäquivalentmengen um 0,3 % zu entrichten ist. Dieser Strafbetrag beträgt mindestens 1 500 und höchstens 60 000 ECU;

- erfolgt die im ersten Unterabsatz genannte Mitteilung nicht bis zum 1. Juli, entspricht er dem unter dem dritten Gedankenstrich genannten und, für jeden Tag der Verspätung im Juli, um 3 % erhöhten Betrag. Dieser Strafbetrag beläuft sich auf höchstens 100 000 ECU.

Werden jedoch dem Abnehmer je Zwölfmonatszeitraum weniger als 100 000 kg geliefert, verringern sich die unter den drei ersten Gedankenstrichen genannten Mindeststrafen auf 100, 200 bzw. 300 ECU.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10. Die Molkerei Borgmann ist eine private Molkerei. Mit Schreiben vom 10. April 2000 forderte das HZA sie auf, ihm bis zum 14. Mai 2000 die in Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 536/93 und in § 11 Absatz 3 der deutschen Milchmengen-Garantie-Verordnung (MGV) vorgesehene Mitteilung für den Zwölfmonatszeitraum 1. April 1999 bis 31. März 2000 mittels der dem Schreiben beigefügten Vordrucke zu übersenden, und wies sie auf die für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist angedrohten finanziellen Sanktionen hin.

11. Die auf den 11. Mai 2000 datierte und laut eidesstattlicher Erklärung der beteiligten Mitarbeiter noch am selben Tag zur Post gegebene Mitteilung der Molkerei Borgmann ging jedoch erst am 16. Mai 2000 beim HZA ein.

12. Gestützt auf Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 536/93 in der durch die Verordnung Nr. 1001/98 geänderten Fassung setzte das HZA daraufhin mit Bescheid vom 29. Mai 2000 eine finanzielle Sanktion gegen die Molkerei Borgmann in Höhe von 39 311,60 DM (20 000,00 ECU) wegen verspäteter Übermittlung der Mitteilung fest.

13. Zur Begründung führte es aus, dass aufgrund der Nichteinhaltung der Abgabefrist ein Strafbetrag zu erheben sei, der der Abgabe für eine Überschreitung der dem Abnehmer/Käufer im betreffenden Zwölfmonatszeitraum tatsächlich angelieferten Menge um 0,1 % entspreche. Dieser Strafbetrag dürfe 500 ECU nicht unter- und 20 000 ECU nicht überschreiten. In Anbetracht der Angaben der Molkerei Borgmann zur angelieferten Milchmenge wäre ein Strafbetrag in Höhe von 55 985,36 DM zu erheben gewesen, der wegen des Hoechstbetrags von 20 000 ECU auf 39 311,60 DM ermäßigt worden sei.

14. Das HZA wies den Einspruch der Molkerei Borgmann gegen die Entscheidung vom 29. Mai 2000 mit Entscheidung vom 9. Juli 2001 zurück. Am 13. Juli 2001 erhob die Molkerei Borgmann Klage beim Finanzgericht Düsseldorf.

15. Gestützt auf das Urteil Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen, in dem der Gerichtshof Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 536/93 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für ungültig erklärt hat, äußert das Finanzgericht Zweifel an der Rechtmäßigkeit der durch die Verordnung Nr. 1001/98 eingeführten und ihm zufolge im Ausgangsverfahren anwendbaren Strafbetragsregelung. Das Finanzgericht hält sie ebenfalls für unverhältnismäßig. Sie stelle für den Milchabnehmer gegenüber der früheren, vom Gerichtshof für ungültig erklärten Regelung sogar eine Verschlechterung dar. Für denjenigen Abnehmer von Milch, der die Frist für die Abgabe der Mitteilung nur geringfügig überschreite, sehe die Regelung immer noch einen Strafbetrag von bis zu 20 000 ECU vor. Für denjenigen Abnehmer, der seine Mitteilung erst nach dem 31. Mai abgebe, erhöhe sich der Strafbetrag sogar fühlbar gegenüber der für unwirksam erklärten Regelung.

16. Nach Auffassung des Finanzgerichts ist zumindest der im Fall der Molkerei Borgmann gebildete Zeitraum vom 15. Mai bis 1. Juni zu weit gefasst. Er sei insofern unverhältnismäßig, als er auch dann zur Verhängung des vollen Strafbetrags führen könne, wenn die Frist nur um einen Tag überschritten werde, ohne dass erkennbar sei, dass sich die Überschreitung ernsthaft auf die Zahlung der Abgabe durch den Abnehmer vor dem 1. September nach Artikel 3 Absatz 4 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 536/93 ausgewirkt habe. Damit stuenden die für den Abnehmer von Milch mit der (vollen) Strafbetragszahlung verbundenen Nachteile erkennbar außer Verhältnis zu dem mit der Regelung verfolgten Ziel.

17. Das vorlegende Gericht führt außerdem weitere Gründe für die Unverhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Strafbetragsregelung an.

18. Aus diesen Gründen hat das Finanzgericht Düsseldorf das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verstößt die Strafbetragsregelung in Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 536/93 in der Fassung aufgrund der Verordnung Nr. 1001/98 in Fällen, in denen nur eine geringfügige Fristüberschreitung vorliegt, die zudem noch unverschuldet herbeigeführt worden ist, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?

Zur Vorlagefrage

19. Um zu einer Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, die für das nationale Gericht von Nutzen ist, ist zu bemerken, dass die Vorlagefrage u. a. auf der Prämisse beruht, dass die Molkerei Borgmann im Ausgangsverfahren die in Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 536/93 vorgesehene Frist nicht eingehalten hat.

20. Diese Prämisse impliziert, dass es sich dabei um eine Frist für den Eingang und nicht um eine für die Absendung der verlangten Angaben handelt. Im ersten Fall müssen diese vor dem 15. Mai bei der zuständigen Behörde eingehen. Im zweiten Fall müssen sie vor diesem Tag abgesendet worden sein.

21. Daher ist zunächst die Art der fraglichen Frist zu bestimmen, da sich die Frage einer eventuellen Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Fall einer geringfügigen Fristüberschreitung angesichts der Umstände des Ausgangsverfahrens nur dann stellt, wenn es sich bei der vorgesehenen Frist um eine Zugangsfrist handelt.

22. Der Wortlaut der verschiedenen Sprachfassungen von Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 536/93 bietet keine eindeutigen Anhaltspunkte für eine der beiden Auslegungen der Fristbestimmung.

23. Wie der Generalanwalt in Nummer 44 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist in den meisten Sprachfassungen davon die Rede, dass der Abnehmer der zuständigen nationalen Behörde die Aufstellungen über die Abrechnungen für jeden Milcherzeuger vor dem 15. Mai jedes Jahres übermittelt oder sie darüber unterrichtet. Solche Formulierungen deuten eher darauf hin, dass die Daten vor Ablauf der Frist abgesendet werden müssen.

24. Die griechische (??????p??e??), die niederländische (bezorgt) und die finnische (antaa tiedoksi) Fassung der fraglichen Bestimmung sprechen jedoch eher dafür, dass die Daten vor Ablauf der Frist zugegangen sein müssen.

25. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Gemeinschaftstextes voneinander ab, so muss die fragliche Vorschrift nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. Urteil vom 9. März 2000 in der Rechtssache C437/97, EKW und Wein & Co., Slg. 2000, I1157, Randnr. 42).

26. In dieser Hinsicht ergibt sich aus der fünften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 536/93, dass diese bezweckt, strenge Anforderungen in Form von Übermittlungs- und Zahlungsfristen zu stellen.

27. Auch wenn die Beachtung des Termins 15. Mai erforderlich ist, um das ordnungsgemäße Funktionieren der Regelung sicherzustellen, damit die rechtzeitige Zahlung der geschuldeten Beträge gewährleistet ist, darf daraus jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass die Einhaltung dieses Termins für das ordnungsgemäße Funktionieren der Regelung absolut unabdingbar ist, denn eine geringfügige Fristüberschreitung würde die Zahlung der Zusatzabgabe auf Milch vor dem 1. September nicht gefährden (vgl. Urteil Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen, Randnr. 41).

28. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sie keine Einwände dagegen erhebt, dass der 15. Mai als der Termin angesehen wird, vor dem die Angaben abgesendet worden sein müssen. Der Zeitraum zwischen dem 15. Mai und dem 1. September sei lang genug, um unüberwindliche praktische Schwierigkeiten auszuschließen.

29. Weder die allgemeine Systematik noch der Zweck der fraglichen Regelung widersprechen somit einem Verständnis der in Rede stehenden Frist als Absendungsfrist mit der Folge, dass die zu übermittelnden Daten der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats eventuell erst einige Tage nach dem 15. Mai zugehen.

30. Außerdem ist eine Bestimmung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts möglichst so auszulegen, dass sie mit dem Vertrag und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts vereinbar ist (Urteil vom 27. Januar 1994 in der Rechtssache C98/91, Herbrink, Slg. 1994, I223, Randnr. 9), insbesondere mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit.

31. Dieser Grundsatz verlangt u. a., dass eine Regelung wie die vorliegende, die dazu führen kann, dass den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern Belastungen auferlegt werden, klar und deutlich ist, damit diese ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und somit ihre Vorkehrungen treffen können (vgl. Urteil vom 12. Februar 2004 in der Rechtssache C236/02, Slob, Slg. 2004, I0000, Randnr. 37).

32. In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der eine Bestimmung des abgeleiteten Rechts unterschiedliche Auslegungen zulässt und in der keine der in Betracht kommenden Auslegungen die mit der Bestimmung verfolgten Ziele beeinträchtigt, ist die in Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 536/93 festgesetzte Frist als Absendefrist zu verstehen.

33. Da die Molkerei Borgmann, wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, im Ausgangsverfahren dieses Erfordernis erfuellt hat, besteht unter diesen Umständen keine Veranlassung, die Frage des vorlegenden Gerichts in der Form zu beantworten, in der sie dem Gerichtshof gestellt worden ist.

34. Dem vorlegenden Gericht ist somit zu antworten, dass Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 536/93 in der durch die Verordnung Nr. 1001/98 geänderten Fassung so auszulegen ist, dass der Milchabnehmer die dort vorgesehene Frist einhält, wenn er die verlangten Daten vor dem 15. Mai des betreffenden Jahres an die zuständige Behörde absendet.

Kostenentscheidung:

Kosten

35. Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 19. Dezember 2001 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor in der sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1001/98 der Kommission vom 13. Mai 1998 ergebenden Fassung ist so auszulegen, dass der Milchabnehmer die dort vorgesehene Frist einhält, wenn er die verlangten Daten vor dem 15. Mai des betreffenden Jahres an die zuständige Behörde absendet.

Ende der Entscheidung

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