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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.07.1992
Aktenzeichen: C-102/91
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 1408/71, VO (EWG) Nr. 574/72


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 71
VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 12 Abs. 1
VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 67
VO (EWG) Nr. 574/72 Art. 84 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Begriff des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Arbeitnehmer wohnt, im Sinne des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 betrifft nur den Staat, in dem der Arbeitnehmer, obgleich in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt, weiterhin gewöhnlich wohnt und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befindet. Der Zusatz der Worte "oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren" bedeutet nur, daß der Begriff des Wohnorts in einem Staat einen nicht gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nicht zwangsläufig ausschließt.

Daher sind für die Anwendung dieser Vorschrift die Dauer und die Kontinuität des Wohnens bis zur Abwanderung des Arbeitnehmers, die Dauer und der Zweck seiner Abwesenheit, die Art der in dem anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergibt, zu berücksichtigen.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, diese Kriterien auf den konkreten Sachverhalt, mit dem es befasst ist, anzuwenden unter Berücksichtigung dessen, daß

° die Tatsache, daß ein Arbeitnehmer im Rahmen des universitären Austauschs zwei akademische Jahre lang als Lektor in einem anderen Mitgliedstaat entgeltlich beschäftigt war, daß er danach arbeitslos wurde und daß seine Versuche, Arbeit in diesem Staat zu finden, erfolglos geblieben sind, nicht den Schluß zulässt, daß er dort einen festen Arbeitsplatz gehabt hat;

° das Kriterium der Dauer der Abwesenheit nicht genau definiert und nicht das einzige zu berücksichtigende Kriterium ist, weil keine Vorschrift der Verordnung Nr. 1408/71 eine Hoechstdauer festsetzt, bei deren Überschreitung die Anwendung des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii zwangsläufig ausgeschlossen wäre;

° die Tatsache, daß der Arbeitnehmer in dem anderen Mitgliedstaat Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten und Arbeit gesucht hat, nicht entscheidend für einen Wohnort in diesem Staat im Sinne dieser Vorschrift spricht.

2. Ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist und der während seiner letzten Beschäftigung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat, verliert den Anspruch auf die in Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er wohnt oder in den er zurückkehrt, nicht dadurch, daß er zuvor vom Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn galten, Versicherungsleistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen hat.

3. Das Verbot der Kumulierung von Leistungen in Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, wonach ein Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art aus derselben Pflichtversicherungszeit aufgrund dieser Verordnung weder erworben noch aufrechterhalten werden kann, gilt für die Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Rahmen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii sowie des Artikels 67 dieser Verordnung.

4. Leistungen bei Arbeitslosigkeit sind Leistungen gleicher Art im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, wenn sie den aufgrund der Arbeitslosigkeit verlorenen Arbeitslohn ersetzen sollen und wenn sich die Unterschiede zwischen diesen Leistungen, die insbesondere in bezug auf die Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung bestehen, aus strukturellen Unterschieden zwischen den nationalen Systemen ergeben.

5. Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb und die Dauer eines Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig sind, muß in den Fällen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 der Verordnung Nr. 1408/71 gemäß Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 dieser Verordnung für die Berechnung des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit Versicherungszeiten berücksichtigen, die nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden, die für den Arbeitslosen zuletzt galten. Der Träger muß jedoch von der erworbenen Dauer des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Tage abziehen, für die Leistungen nach diesen Rechtsvorschriften bezogen worden sind.

6. Die Bescheinigung, die bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 84 Absatz 2 der Verordnung Nr. 574/72 der zuständige Träger des Mitgliedstaats ausstellt, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für den Wanderarbeitnehmer gegolten haben, stellt weder für den bei Arbeitslosigkeit zuständigen Träger eines anderen Mitgliedstaats noch für die Gerichte dieses Staates einen unwiderlegbaren Beweis dar; diesen steht es völlig frei, den Inhalt dieser Bescheinigung zu überprüfen.

7. Die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem der Arbeitslose wohnt oder in den er zurückkehrt, kann gemäß Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii Satz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 nur ausgesetzt werden, soweit die Voraussetzungen des Artikels 69 dieser Verordnung tatsächlich erfuellt sind und der Arbeitslose deshalb Leistungen in dem Mitgliedstaat erhält, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben. Im Falle der Aussetzung muß der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem der Arbeitslose wohnt, von den von ihm gezahlten Leistungen die Leistungen abziehen, die der Arbeitslose in dem Mitgliedstaat tatsächlich erhalten hat, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben. Die Zeit, in der der Arbeitslose tatsächlich Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften des letztgenannten Staates bezogen hat, ist von der Dauer des Anspruchs auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnortstaats abzuziehen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 8. JULI 1992. - DORIS KNOCH GEGEN BUNDESANSTALT FUER ARBEIT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESSOZIALGERICHT - DEUTSCHLAND. - SOZIALE SICHERHEIT - LEISTUNGEN BEI ARBEITSLOSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-102/91.

Entscheidungsgründe:

1 Das Bundessozialgericht hat mit Beschluß vom 21. Februar 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 28. März 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Artikel 12 Absatz 1, 67, 69 und 71 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 kodifizierten Fassung (ABl. L 230, S. 6) und des Artikels 84 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 kodifizierten Fassung (ABl. L 230, S. 86) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Doris Knoch (im folgenden: Klägerin) und der Bundesanstalt für Arbeit (im folgenden: Beklagte) wegen der Weigerung der Beklagten, der Klägerin Arbeitslosengeld zu gewähren.

3 Die Klägerin, eine Deutsche, war vom 1. Oktober 1982 bis 30. Juni 1983 und vom 1. Oktober 1983 bis 30. Juni 1984 als Lektorin für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Bath in Großbritannien entgeltlich beschäftigt. Diese Beschäftigung war ihr vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) vermittelt worden. Während der Beschäftigung in Großbritannien war die Klägerin sozialversichert und zahlte Beiträge zur dortigen Arbeitslosenversicherung. Gleichzeitig zahlte der DAAD ihr eine Ausgleichszulage, die sie auch in den Sommerferien vom 1. Juli bis 30. September 1983 und vom 1. Juli bis 30. September 1984 erhielt.

4 In Bath hatte die Klägerin ein Haus gemietet, ohne sich in Bruchsal, wo sie polizeilich im Hause ihrer Eltern gemeldet war, abzumelden. In den Sommerferien 1983 und auch im Juli 1984 hielt sie sich in Bruchsal auf. Anfang August 1984 begab sie sich von Bruchsal aus für drei Monate zur Arbeitssuche nach England, die indes erfolglos blieb. Im November oder Dezember 1984 kehrte sie nach Deutschland zurück.

5 Nach Beendigung ihrer Beschäftigung meldete sich die Klägerin in Bath arbeitslos. Von Anfang Juli bis 21. August 1984 bezog sie Arbeitslosenunterstützung. Nach Bruchsal zurückgekehrt, meldete sie sich am 19. Dezember 1984 beim Arbeitsamt Karlsruhe arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil die Anwartschaftszeit nicht erfuellt sei und nach dem Gemeinschaftsrecht die Zeit in Großbritannien nicht berücksichtigt werden könne.

6 Das Sozialgericht hob diesen Bescheid mit Urteil vom 28. Januar 1987 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab 19. Dezember 1984 Arbeitslosengeld im gesetzlichen Umfang zu gewähren. Das Landessozialgericht wies die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 16. August 1988 mit der Begründung zurück, daß die Anwartschaftszeit durch die Beschäftigung in Großbritannien erfuellt sei. Diese Beschäftigungszeiten seien nach Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 von der Beklagten zu berücksichtigen.

7 Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der Artikel 12 und 71 der Verordnung Nr. 1408/71. Sie meint, daß der Arbeitnehmer, der kein Grenzgänger sei, nach Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b die Möglichkeit habe, sich dem System der Leistungen bei Arbeitslosigkeit in demjenigen Staat zu unterstellen, in dem er zuletzt beschäftigt gewesen sei, oder die Leistungen des Staates in Anspruch zu nehmen, in dem er wohne. Aus dem Verbot des Zusammentreffens von Leistungen gemäß Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ergebe sich, daß ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit durch den Bezug von Arbeitslosenunterstützung nach britischem Recht ausgeschlossen gewesen sei. Die Klägerin habe lediglich ihren Anspruch nach britischem Recht gemäß Artikel 69 der Verordnung Nr. 1408/71 geltend machen können. Die Klägerin beruft sich dagegen auf Artikel 67 dieser Verordnung. Sie führt aus, daß die Beklagte die Versicherungszeiten, die die Klägerin als Arbeitnehmerin nach englischem Recht zurückgelegt habe, so berücksichtigen müsse, als ob es sich um nach deutschem Recht zurückgelegte Versicherungszeiten handele.

8 Unter diesen Umständen hat das nationale Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gesichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Erhält der vollarbeitslose Arbeitnehmer, der ° ohne Grenzgänger zu sein ° während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des zuständigen Staates wohnte, auch dann nach Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und Artikel 67 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet er wohnt oder zurückkehrt, wenn er zuvor vom Träger des zuständigen Mitgliedstaats Versicherungsleistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen hat?

2) a) Findet im Rahmen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 der Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Anwendung, wonach ein Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art aus derselben Pflichtversicherungszeit aufgrund der Verordnung weder erworben noch aufrechterhalten werden kann?

b) Wann sind Leistungen wegen Arbeitslosigkeit im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 von gleicher Art?

c) Hat der Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb eines Leistungsanspruchs wegen Arbeitslosigkeit und dessen Dauer von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, im Falle des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gemäß Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71

beim Erwerb und der Dauer des Anspruchs die Versicherungszeiten nicht zu berücksichtigen, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats als Arbeitnehmer zurückgelegt wurden, soweit diese schon zu einer Leistung gleicher Art des anderen Mitgliedstaats geführt haben,

oder

ist Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 im Bereich der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit dadurch zu verwirklichen, daß bei der Begründung des später entstehenden Anspruchs die Versicherungszeiten zwar ungeachtet des ersten Anspruchs heranzuziehen sind, von der erworbenen Dauer des späteren Anspruchs indes die Tage abgezogen werden, für die der zunächst entstandene Anspruch bezogen worden ist?

3) a) Ist die Bescheinigung, die der bei Arbeitslosigkeit zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für einen Wanderarbeitnehmer gegolten haben, gemäß Artikel 84 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 ausstellt, für den Träger eines anderen Mitgliedstaats und die Gerichte dieses Staates bindend, soweit in der Bescheinigung vermerkt ist, daß der Wanderarbeitnehmer keinen Anspruch auf Leistungen nach Artikel 69 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 hat?

b) Wann kann im Sinne des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii Satz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 der Arbeitslose gemäß Artikel 69 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Leistungen nach den Rechtsvorschriften beanspruchen, die zuletzt für ihn gegolten haben, mit der Folge, daß die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem er wohnt, zeitweise ausgesetzt wird?

c) Bedeutet im Sinne des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii Satz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 die Aussetzung der Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Arbeitslose wohnt oder in den er zurückkehrt, für den Zeitraum, für den der Arbeitslose gemäß Artikel 69 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Leistungen nach den Rechtsvorschriften beanspruchen kann, die zuletzt für ihn gegolten haben, lediglich, daß der Arbeitslose in dieser Zeit nicht die Leistung des Trägers des Wohnsitzstaats erhält, danach aber dessen Leistung in voller Dauer beziehen kann, oder hat das Aussetzen der Leistung auch zur Folge, daß die Dauer des Leistungsanspruchs um die Tage des Aussetzens verkürzt wird?

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der nationalen Regelung, des Verfahrensablaufs sowie der vor dem Gerichtshof abgegebenen schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Allgemeine Ausführungen

10 Zur Beantwortung dieser Fragen ist einleitend auf bestimmte Einzelheiten der Rechtsprechung zu den Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 bezueglich der Arbeitslosigkeit hinzuweisen.

11 Nach Artikel 67 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 müssen die Mitgliedstaaten, nach deren Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, soweit erforderlich die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten berücksichtigen, die als Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als handelte es sich um Versicherungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind; für Beschäftigungszeiten gilt dies jedoch unter der Voraussetzung, daß sie als Versicherungszeiten gegolten hätten, wenn sie nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.

12 Gemäß Artikel 67 Absatz 3 gilt diese Verpflichtung ° ausser in den in Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer ii und Buchstabe b Ziffer ii genannten Fällen ° jedoch nur für den Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften die betreffende Person unmittelbar zuvor Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt hat, nach denen die Leistungen beantragt werden.

13 Mit Artikel 71 der Verordnung Nr. 1408/71 wurden für arbeitslose Arbeitnehmer, die während ihrer letzten Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat ihrer Beschäftigung wohnten, besondere Vorschriften eingeführt.

14 Wie es im Urteil vom 22. September 1988 in der Rechtssache 236/87 (Bergemann, Slg. 1988, 5125, Randnr. 18) heisst, bezweckt Artikel 71 nach der neunten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971, dem Wanderarbeitnehmer Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu den Bedingungen zu garantieren, die für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz am günstigsten sind.

15 Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

"Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und die sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dessen Gebiet sie wohnen, oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren, erhalten bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen wären; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten..."

16 Wie der Gerichtshof bereits im Urteil vom 12. Juni 1986 in der Rechtssache 1/85 (Miethe, Slg. 1986, 1837) ausgeführt hat, können Arbeitnehmer bei Vollarbeitslosigkeit zwischen den Leistungen des Beschäftigungsstaats und denen des Wohnortstaats wählen. Dieses Wahlrecht üben sie dadurch aus, daß sie sich entweder der Arbeitsverwaltung des Staates der letzten Beschäftigung (Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i) oder der Arbeitsverwaltung des Wohnortstaats (Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii) zur Verfügung stellen.

17 Die französische Regierung lehnt die vom Bundessozialgericht vertretene Auslegung, wonach die Klägerin die Voraussetzungen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii erfuelle, vor allem insoweit ab, als dieses Gericht meine, die Klägerin habe während ihres Aufenthalts in Großbritannien weiter in Deutschland gewohnt. Nach Ansicht der französischen Regierung weist der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens eine Reihe von Merkmalen auf, aus denen sich ergebe, daß die Klägerin ihren gewöhnlichen Wohnort nicht in Deutschland gehabt habe. Zum einen habe sie sich nur vier Monate in Deutschland aufgehalten, und der Mittelpunkt ihrer Interessen habe nicht ausschließlich in diesem Mitgliedstaat gelegen, da sie in Großbritannien nach Arbeit gesucht habe. Zum anderen sei die Auslegung, wonach im vorliegenden Fall Deutschland der Wohnortstaat im Sinne des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii sei, mit dem gemeinschaftlichen Steuerrecht, insbesondere mit Artikel 7 der Richtlinie 83/182/EWG des Rates über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel (ABl. L 105, S. 59), unvereinbar.

18 Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof zwar im Rahmen des Artikels 177 EWG-Vertrag nicht befugt ist, die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auf konkrete Fälle anzuwenden, daß er aber dem nationalen Gericht die Auslegungshinweise geben kann, die dieses zur Entscheidung des Rechtsstreits benötigt.

19 Der Gerichtshof hat die allgemeinen Kriterien für die Anwendung des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii bereits in seinem Urteil vom 17. Februar 1977 in der Rechtssache 76/76 (Di Paolo, Slg. 1977, 315) festgelegt.

20 Erstens ist diese Vorschrift nach diesem Urteil eng auszulegen, weil sie eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz des Artikels 67 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 macht, daß ein Arbeitsloser nur dann Leistungen bei Arbeitslosigkeit beanspruchen kann, wenn er unmittelbar zuvor Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, zurückgelegt hat.

21 Zweitens ist nach diesem Urteil der Begriff des "Mitgliedstaats..., in dessen Gebiet sie wohnen" auf den Staat zu beschränken, in dem der Arbeitnehmer, obgleich in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt, weiterhin gewöhnlich wohnt und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befindet.

22 Der Gerichtshof hat aber darauf hingewiesen, daß, wenn ein Arbeitnehmer in einem Mitgliedstaat über einen festen Arbeitsplatz verfügt, vermutet wird, daß er dort wohnt, und daß nicht nur die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers, sondern auch die Gründe, die ihn zu der Abwanderung bewogen haben, und die Art seiner Tätigkeit zu berücksichtigen sind. Schließlich hat der Gerichtshof festgestellt, daß der Zusatz der Worte "oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren" nur bedeutet, daß der Wohnortbegriff, so wie er oben umschrieben ist, einen nicht gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nicht zwangsläufig ausschließt.

23 Nach Ansicht des Gerichtshofes sind daher für die Anwendung des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii die Dauer und die Kontinuität des Wohnens bis zur Abwanderung des Arbeitnehmers, die Dauer und der Zweck seiner Abwesenheit, die Art der in dem anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergibt, zu berücksichtigen.

24 Es ist Sache des nationalen Gerichts, diese Kriterien auf den konkreten Sachverhalts des Ausgangsverfahrens anzuwenden. Im Rahmen der ihm mit Artikel 177 EWG-Vertrag übertragenen Aufgabe hat der Gerichtshof dem nationalen Gericht Auskunft darüber zu geben, unter welchen Voraussetzungen die in der Vorabentscheidungsfrage genannten tatsächlichen Umstände für die Anwendung der oben definierten Kriterien berücksichtigt werden können.

25 Die Tatsache, daß die Klägerin im Rahmen des universitären Austauschs zwei akademische Jahre lang als Lektorin in einem anderen Mitgliedstaat entgeltlich beschäftigt war, daß sie danach arbeitslos wurde und daß ihre Versuche, Arbeit in diesem Staat zu finden, erfolglos geblieben sind, lässt nicht den Schluß zu, daß sie dort einen festen Arbeitsplatz gehabt hat.

26 Zu dem Umstand, daß der Arbeitnehmer 21 Monate im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt war, ist darauf hinzuweisen, daß das Kriterium der Dauer der Abwesenheit ° wie der Gerichtshof schon im Urteil vom 17. Februar 1977 (Di Paolo, a. a. O.) festgestellt hat ° nicht genau definiert und nicht das einzige zu berücksichtigende Kriterium ist.

27 Die Verordnung Nr. 1408/71 enthält nämlich keine Vorschrift, die eine Hoechstdauer festsetzt, bei deren Überschreitung die Anwendung des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii zwangsläufig ausgeschlossen wäre. Eine anderslautende Auslegung widerspräche dem Zweck dieser Vorschriften, dem Arbeitnehmer die besten Wiedereingliederungschancen zu sichern.

28 Die Tatsache schließlich, daß der Arbeitnehmer in dem anderen Mitgliedstaat Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten und Arbeit gesucht hat, spricht nicht entscheidend für einen Wohnort in diesem Staat im Sinne des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii. Diese Gesichtspunkte deuten allenfalls darauf hin, daß der Arbeitnehmer seinen Wohnort möglicherweise in diesen Staat verlegt hätte, wenn er dort Arbeit gefunden hätte.

29 Zu der Argumentation mit dem Begriff des gewöhnlichen Wohnsitzes in Artikel 7 der Richtlinie 83/182/EWG genügt der Hinweis, daß es sich dort um eine besondere Begriffsbestimmung aus dem Steuerrecht handelt, deren Auslegung dem Zweck und der Systematik der betreffenden Gemeinschaftsregelung Rechnung tragen muß.

Zur ersten Frage

30 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß das vorlegende Gericht mit der ersten Frage wissen möchte, ob ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer gemäß der Verordnung Nr. 1408/71 Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit in dem Mitgliedstaat behält, in dem er wohnt oder in den er zurückkehrt, wenn er zuvor vom Träger des zuständigen Mitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten hat.

31 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts, der deutschen Regierung und der Kommission ist diese Frage zu bejahen. Die französische Regierung ist dagegen der Ansicht, daß Artikel 67 der Verordnung Nr. 1408/71 die Gewährung aufeinanderfolgender Leistungen nicht zulasse. Sie beruft sich dafür auf den in Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 aufgestellten Grundsatz, daß das Recht nur eines Mitgliedstaats anwendbar sei, und auf das allgemeine Kumulierungsverbot des Artikels 12 dieser Verordnung.

32 Nach dem Urteil vom 29. Juni 1988 in der Rechtssache 58/87 (Rebmann, Slg. 1988, 3467) sieht Artikel 71 eine Ausnahme von der allgemeinen Anknüpfungsregel des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1408/71 vor, wonach für den Arbeitnehmer die Rechtsvorschriften des Staates gelten, in dem er im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist.

33 Wie der Gerichtshof in Randnummer 14 des vorliegenden Urteils ausgeführt hat, bezweckt Artikel 71, dem Wanderarbeitnehmer Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu den Bedingungen zu garantieren, die für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz am günstigsten sind. Dieser Zweck würde nicht erreicht, wenn dem Betroffenen der Anspruch auf die Leistungen nach dem System des Mitgliedstaats, in dem er wohnt, genommen würde, weil er sich ursprünglich für die Inanspruchnahme von Leistungen in dem Mitgliedstaat entschieden hatte, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn galten.

34 Nach Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii Satz 3 wird zudem die Gewährung von Leistungen für den Zeitraum ausgesetzt, für den der Arbeitslose gemäß Artikel 69 Leistungen nach den Rechtsvorschriften beanspruchen kann, die zuletzt für ihn gegolten haben. Demnach ist es nicht ausgeschlossen, daß der Arbeitslose zunächst die Leistungen des Staates seiner letzten Beschäftigung und dann die des Staates, in dem er wohnt, in Anspruch nehmen kann.

35 Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, daß ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist und der während seiner letzten Beschäftigung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat, den Anspruch auf die in Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er wohnt oder in den er zurückkehrt, nicht dadurch verliert, daß er zuvor vom Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn galten, Versicherungsleistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen hat.

Zur zweiten Frage

36 Der erste Teil der zweiten Frage geht dahin, ob Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 im Rahmen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 dieser Verordnung anwendbar ist.

37 Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 enthält ein Kumulierungsverbot. Nach Artikel 12 Absatz 1 Satz 2 gilt dieses Verbot nicht für Leistungen bei Invalidität, Alter, Tod oder Berufskrankheit. Demnach ist Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 im Rahmen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar.

38 Daher ist zu antworten, daß das in Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehene Verbot der Kumulierung von Leistungen im Rahmen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar ist.

39 Mit dem zweiten Teil der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, ob Leistungen bei Arbeitslosigkeit "Leistungen gleicher Art" im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Satz 1 sind.

40 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes sind Leistungen der sozialen Sicherheit unabhängig von den besonderen Eigenheiten der Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten als Leistungen gleicher Art zu betrachten, wenn ihr Sinn und Zweck sowie ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung völlig gleich sind. Dagegen sind rein formale Merkmale nicht als wesentliche Tatbestandsmerkmale für die Einstufung der Leistungen anzusehen.

41 Den Akten ist zu entnehmen, daß das vorlegende Gericht um eine Erläuterung des Erfordernisses der völligen Gleichheit der Berechnungsgrundlage und der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung für den Fall bittet, daß sich zwei Leistungen hinsichtlich ihrer Dauer und Höhe sowie der Dauer der verlangten Anwartschaftszeit voneinander unterscheiden.

42 Angesichts der zahlreichen Unterschiede zwischen den nationalen Systemen der sozialen Sicherheit würde die Forderung, daß die Berechnungsgrundlagen und die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung völlig gleich sein müssten, dazu führen, daß die Anwendung des Kumulierungsverbots des Artikels 12 erheblich eingeschränkt würde. Dies widerspräche dem Sinn dieses Verbots, nicht gerechtfertigte Kumulierungen von Sozialleistungen zu verhindern.

43 Dem Urteil vom 5. Juli 1983 in der Rechtssache 171/82 (Valentini, Slg. 1983, 2157) ist zu entnehmen, daß die Tatsache, daß die Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit nicht völlig gleich sind, der Anwendung des Artikels 12 Absatz 1 nicht entgegensteht, wenn die Unterschiede auf besonderen Eigenheiten der verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften beruhen. Daher sind die besonderen Eigenheiten im Rahmen des gesamten in einem Mitgliedstaat geltenden Systems der sozialen Sicherheit zu prüfen.

44 Folglich sind Leistungen bei Arbeitslosigkeit dann Leistungen gleicher Art im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, wenn sie den aufgrund der Arbeitslosigkeit verlorenen Arbeitslohn ersetzen sollen, um für den Unterhalt einer Person zu sorgen, und wenn sich die Unterschiede zwischen diesen Leistungen, die insbesondere in bezug auf die Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung bestehen, aus strukturellen Unterschieden zwischen den nationalen Systemen ergeben.

45 Demnach ist zu antworten, daß Leistungen bei Arbeitslosigkeit Leistungen gleicher Art im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 sind, wenn sie den aufgrund der Arbeitslosigkeit verlorenen Arbeitslohn ersetzen sollen, um für den Unterhalt einer Person zu sorgen, und wenn sich die Unterschiede zwischen diesen Leistungen, die insbesondere in bezug auf die Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung bestehen, aus strukturellen Unterschieden zwischen den nationalen Systemen ergeben.

46 Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, wie der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb und die Dauer eines Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig sind, in den Fällen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 der Verordnung Nr. 1408/71 das Kumulierungsverbot des Artikels 12 Absatz 1 dieser Verordnung anwenden muß.

47 Hier hat das vorlegende Gericht zwei Möglichkeiten angesprochen. In Betracht komme, daß der zuständige Träger beim Erwerb und der Dauer des Leistungsanspruchs Versicherungszeiten unberücksichtigt lasse, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats als Arbeitnehmer zurückgelegt worden seien, soweit diese schon zu einer Leistung gleicher Art des Mitgliedstaats geführt hätten, oder daß er für die Berechnung des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit Versicherungszeiten berücksichtige, die nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt worden seien, die für den Arbeitslosen zuletzt gegolten hätten, wobei der Träger jedoch von der erworbenen Dauer des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Tage abziehen müsse, für die Leistungen nach diesen Rechtsvorschriften bezogen worden seien.

48 Hierzu genügt der Hinweis, daß diese zweite Berechnungsart dazu führt, daß der Arbeitslose in dem Mitgliedstaat, in dem er wohnt, keine oder nur eine kürzere Anwartschaftszeit zurückzulegen braucht; dies erleichtert im Einklang mit dem Zweck des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b die Suche nach einem Arbeitsplatz bei seiner Rückkehr.

49 Demnach ist zu antworten, daß der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb und die Dauer eines Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig sind, in den Fällen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 der Verordnung Nr. 1408/71 gemäß Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 dieser Verordnung für die Berechnung des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit Versicherungszeiten berücksichtigen muß, die nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden, die für den Arbeitslosen zuletzt galten. Der Träger muß jedoch von der erworbenen Dauer des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Tage abziehen, für die Leistungen nach diesen Rechtsvorschriften bezogen worden sind.

Zur dritten Frage

50 Mit dem ersten Teil der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Artikel 84 Absatz 2 der Verordnung Nr. 574/72 vorgesehene Bescheinigung für den Träger eines anderen Mitgliedstaats und die Gerichte dieses Staates bindend ist.

51 Diese Bescheinigung ist ein einheitliches Formblatt, das von der in den Artikeln 80 und 81 der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer abgefasst worden ist.

52 Nach dem Urteil vom 14. Mai 1981 in der Rechtssache 98/80 (Romano, Slg. 1981, 1241) kann der Rat eine Stelle wie die Verwaltungskommission nicht ermächtigen, Rechtsakte mit normativem Charakter zu erlassen. Ein Beschluß der Verwaltungskommission kann zwar für die Sozialversicherungsträger, denen die Durchführung des Gemeinschaftsrechts auf diesem Gebiet übertragen ist, ein Hilfsmittel darstellen; er ist aber nicht geeignet, sie zu verpflichten, bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts bestimmte Methoden anzuwenden oder von einer bestimmten Auslegung auszugehen.

53 Folglich steht es dem zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in dem der Betroffene wohnt, oder dem nationalen Gericht im Rahmen eines Gerichtsverfahrens völlig frei, den Inhalt dieser Bescheinigung zu überprüfen.

54 Daher ist zu antworten, daß die gemäß Artikel 84 Absatz 2 der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte Bescheinigung weder für den bei Arbeitslosigkeit zuständigen Träger eines anderen Mitgliedstaats noch für die Gerichte dieses Staates einen unwiderlegbaren Beweis darstellt.

55 Mit dem zweiten und dem dritten Teil der dritten Frage ersucht das vorlegende Gericht um Aufschluß über die Wirkung von Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii Satz 3 der Verordnung Nr. 1408/71.

56 Nach dieser Vorschrift wird die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem der Arbeitslose wohnt, für den Zeitraum ausgesetzt, für den er gemäß Artikel 69 Leistungen nach den Rechtsvorschriften beanspruchen kann, die zuletzt für ihn gegolten haben.

57 Das vorlegende Gericht zweifelt zunächst, ob die Aussetzung nur erfolgt, wenn sämtliche Voraussetzungen nach Artikel 69 vorliegen, oder ob es genügt, daß der Arbeitnehmer diese Voraussetzungen hätte erfuellen können, dies aber nicht getan hat.

58 Nach dem Urteil vom 10. Juli 1975 in der Rechtssache 27/75 (Bonaffini, Slg. 1975, 971) soll Artikel 69 dem Wanderarbeitnehmer nur die Fortgewährung der Leistungen, die ihm bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates zustehen, unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb gewisser Grenzen auch für den Fall sichern, daß er sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt; deshalb kann dieser andere Mitgliedstaat dem Arbeitslosen die Leistungen, auf die dieser nach den Rechtsvorschriften dieses Staates Anspruch hat, nicht allein deshalb verweigern, weil der Arbeitslose die Voraussetzungen dieses Artikels nicht erfuellt hat.

59 Demnach kann die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem der Arbeitslose wohnt oder in den er zurückkehrt, gemäß Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii Satz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 nur ausgesetzt werden, soweit die Voraussetzungen des Artikels 69 dieser Verordnung tatsächlich erfuellt sind und der Arbeitslose deshalb Leistungen in dem Mitgliedstaat erhält, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben.

60 Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine solche Aussetzung lediglich bedeutet, daß der Arbeitslose in dieser Zeit nicht die Leistungen des Mitgliedstaats, in dem er wohnt, erhält, danach aber von dem zuständigen Träger dieses Staats die Gewährung der Leistungen in voller Dauer verlangen kann, oder ob das Aussetzen der Leistungen auch zur Folge hat, daß die Dauer des Leistungsanspruchs um die Tage des Aussetzens verkürzt wird.

61 Hierzu genügt die Bezugnahme auf die Ausführungen in Randnummer 48 dieses Urteils zur Anwendung des Artikels 12 der Verordnung Nr. 1408/71 in den Fällen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 dieser Verordnung.

62 Folglich ist zu antworten, daß dann, wenn gemäß Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii Satz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem der Arbeitslose wohnt, ausgesetzt wird, der zuständige Träger dieses Mitgliedstaats von den von ihm gezahlten Leistungen die Leistungen abziehen muß, die der Arbeitslose in dem Mitgliedstaat tatsächlich erhalten hat, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben. Die Zeit, in der der Arbeitslose tatsächlich Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften des letztgenannten Staates bezogen hat, ist von der Dauer des Anspruchs auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnortstaats abzuziehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

63 Die Auslagen der deutschen Regierung, der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

auf die ihm vom Bundessozialgericht mit Beschluß vom 21. Februar 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist und der während seiner letzten Beschäftigung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat, verliert den Anspruch auf die in Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er wohnt oder in den er zurückkehrt, nicht dadurch, daß er zuvor vom Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn galten, Versicherungsleistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen hat.

2) Das in Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehene Verbot der Kumulierung von Leistungen ist im Rahmen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar.

3) Leistungen bei Arbeitslosigkeit sind Leistungen gleicher Art im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, wenn sie den aufgrund der Arbeitslosigkeit verlorenen Arbeitslohn ersetzen sollen, um für den Unterhalt einer Person zu sorgen, und wenn sich die Unterschiede zwischen diesen Leistungen, die insbesondere in bezug auf die Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung bestehen, aus strukturellen Unterschieden zwischen den nationalen Systemen ergeben.

4) Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb und die Dauer eines Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig sind, muß in den Fällen des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii und des Artikels 67 der Verordnung Nr. 1408/71 gemäß Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 dieser Verordnung für die Berechnung des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit Versicherungszeiten berücksichtigen, die nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden, die für den Arbeitslosen zuletzt galten. Der Träger muß jedoch von der erworbenen Dauer des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Tage abziehen, für die Leistungen nach diesen Rechtsvorschriften bezogen worden sind.

5) Die gemäß Artikel 84 Absatz 2 der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte Bescheinigung stellt weder für den bei Arbeitslosigkeit zuständigen Träger eines anderen Mitgliedstaats noch für die Gerichte dieses Staates einen unwiderlegbaren Beweis dar.

6) Die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem der Arbeitslose wohnt oder in den er zurückkehrt, kann gemäß Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii Satz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 nur ausgesetzt werden, soweit die Voraussetzungen des Artikels 69 dieser Verordnung tatsächlich erfuellt sind und der Arbeitslose deshalb Leistungen in dem Mitgliedstaat erhält, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben.

7) Wird gemäß Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii Satz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem der Arbeitslose wohnt, ausgesetzt, so muß der zuständige Träger dieses Mitgliedstaats von den von ihm gezahlten Leistungen die Leistungen abziehen, die der Arbeitslose in dem Mitgliedstaat tatsächlich erhalten hat, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben. Die Zeit, in der der Arbeitslose tatsächlich Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften des letztgenannten Staates bezogen hat, ist von der Dauer des Anspruchs auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnortstaats abzuziehen.

Ende der Entscheidung

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