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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.09.1999
Aktenzeichen: C-102/97
Rechtsgebiete: Richtlinie 75/439


Vorschriften:

Richtlinie 75/439 Art. 3 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Aus Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 über die Altölbeseitigung in der Fassung der Richtlinie 87/101 ergibt sich, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Bezugnahme auf die "technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge" keine begrenzten Ausnahmen von einem normativen Grundsatz aufstellen, sondern den Geltungsbereich und den Inhalt einer positiven Verpflichtung festlegen wollte, den Vorrang der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung zu gewährleisten.

Diese Bestimmung ist als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit zu sehen. Dies bedeutet, daß die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zu treffen haben, die insoweit zu dem Ziel, der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang einzuräumen, in einem angemessenen Verhältnis stehen, als das Bestehen dieser Sachzwänge, deren Definition ausserdem nicht in das ausschließliche Ermessen der Mitgliedstaaten fallen kann, die Grenze dieser positiven Verpflichtung darstellt.

Dieser Verpflichtung genügt ein Mitgliedstaat nicht, der, obwohl es eine Reihe von Maßnahmen gab, die zu dem mit der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung angestrebten Ziel hätten beitragen können und deren Erlaß technisch, wirtschaftlich und organisatorisch möglich war, keine dieser Maßnahmen getroffen, sondern vielmehr eine dieser Maßnahmen nicht weiter angewandt und auch nicht in einer anderen geeigneten Weise versucht hat, dieses Ziel zu erreichen.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 9. September 1999. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung - Richtlinie 87/101/EWG - Altölbeseitigung - Umsetzung. - Rechtssache C-102/97.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 10. März 1997 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung (ABl. L 194, S. 23) in der Fassung der Richtlinie 87/101/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 (ABl. 1987, L 42, S. 43) verstossen hat, daß sie der stofflichen Verarbeitung von Altöl keinen Vorrang gegenüber der thermischen Verarbeitung eingeräumt hat, obwohl dem keine technischen, wirtschaftlichen oder organisatorischen Sachzwänge entgegenstanden.

2 Die erste und die zweite Begründungserwägung der Richtlinie 87/101 lauten:

"Nach der Richtlinie 75/439/EWG sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur schadlosen Sammlung und Beseitigung von Altölen zu ergreifen und dafür zu sorgen, daß die Beseitigung von Altölen soweit möglich durch Wiederverwendung (Aufbereitung und/oder Verbrennung zu anderen Zwecken als dem der Vernichtung) erfolgt.

Die Aufbereitung ist wegen den damit verbundenen Energieeinsparungen im allgemeinen die rationellste Altölnutzung. Daher sollte der Behandlung von Altöl im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt werden, sofern dies angesichts der technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge möglich ist."

3 Artikel 3 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung lautet:

"(1) Sofern keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstehen, treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen dafür, daß der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt wird.

(2) Erfolgt aufgrund der in Absatz 1 genannten Sachzwänge keine Aufbereitung des Altöls, so treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jegliches Verbrennen von Altölen nach umweltfreundlichen Verfahren gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie erfolgen kann, soweit dieses Verbrennen technisch, wirtschaftlich und organisatorisch durchführbar ist.

(3) Erfolgt aufgrund der in den Absätzen 1 und 2 genannten Sachzwänge weder die Aufbereitung noch das Verbrennen von Altölen, so treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um ihre schadlose Vernichtung oder kontrollierte Lagerung oder Ablagerung zu gewährleisten."

4 Artikel 5 Absätze 2 und 3 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung bestimmt:

"(2) In Fällen, in denen die in den Artikeln 2, 3 und 4 genannten Ziele nicht anders erreicht werden können, treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen dahin gehend, daß ein oder mehrere Unternehmen die ihnen von den Besitzern angebotenen Altöle gegebenenfalls in dem ihnen von der zuständigen Behörde zugewiesenen Bezirk sammeln und/oder beseitigen.

(3) Zur Erreichung der in den Artikeln 2 und 4 festgelegten Ziele können die Mitgliedstaaten beschließen, für Altöle alle in Artikel 3 genannten Behandlungsverfahren vorzuschreiben. Zu diesem Zweck können sie entsprechende Kontrollen einführen."

5 Die Artikel 14 und 15 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung lauten:

"Artikel 14

Als Ausgleich für die Verpflichtungen, welche die Mitgliedstaaten den Unternehmen, die Altöle sammeln und/oder beseitigen, gemäß Artikel 5 auferlegen, können diese Unternehmen für die erbrachte Dienstleistung Zuschüsse erhalten. Diese Zuschüsse dürfen die ungedeckten, tatsächlich festgestellten jährlichen Kosten der Unternehmen unter Berücksichtigung eines angemessenen Gewinns nicht übersteigen.

Diese Zuschüsse dürfen weder zu nennenswerten Wettbewerbsverzerrungen führen noch künstliche Handelsströme schaffen.

Artikel 15

Die Mittel für die Zuschüsse können unter anderem durch eine Abgabe auf die Erzeugnisse, durch deren Verwendung Altöle entstehen, oder auf Altöle aufgebracht werden.

Die Mittel für die Zuschüsse müssen im Einklang mit dem "Verursacherprinzip" aufgebracht werden."

6 Nach Artikel 2 der Richtlinie 87/101 hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dieser Richtlinie zum 1. Januar 1990 nachzukommen.

7 In einer Mitteilung vom 11. April 1991 wies die deutsche Regierung die Kommission darauf hin, daß die Richtlinie 87/101 umgesetzt worden sei

- durch das Abfallgesetz (BGBl. 1986 I S. 1410) sowie, in Durchführung dieses Gesetzes, durch

- die Altölverordnung (BGBl. 1987 I S. 2335) und

- die Abfallbestimmungsverordnung, die Reststoffbestimmungsverordnung sowie die Abfall- und Reststoffüberwachungsverordnung (BGBl. 1990 I S. 613 ff.).

8 Da die Kommission der Ansicht war, daß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung mit diesen Vorschriften nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sei, weil der stofflichen Verarbeitung von Altöl kein Vorrang eingeräumt, sondern diese als gleichrangig mit der thermischen Verarbeitung betrachtet werde, ohne daß technische, wirtschaftliche oder organisatorische Sachzwänge dies rechtfertigten, gab sie der Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 10. August 1992 Gelegenheit, sich binnen zwei Monaten zu diesem Verstoß zu äussern.

9 Die deutsche Regierung antwortete am 10. März 1993, um den Vorrang der stofflichen Verwertung abzusichern, dürften die besonders zur Aufarbeitung geeigneten Altöle nach den §§ 2 und 4 der Altölverordnung nicht mit anderen Altölen oder Abfällen vermischt werden. Ausserdem bestuenden technische und wirtschaftliche Sachzwänge wie die fehlende Nachfrage nach Aufarbeitungsprodukten, die hohen Kosten für die Aufarbeitung und die Einstellung der Zahlung von Zuschüssen nach dem früheren Altölgesetz.

10 Da die Kommission jedoch der Meinung war, daß die genannten Vorschriften keinen Vorrang der Aufbereitung gewährleisteten und daß der Hinweis auf bestimmte Umstände nicht ausreiche, um Sachzwänge im Sinne von Artikel 3 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung zu belegen, richtete sie am 14. März 1995 gemäß Artikel 169 des Vertrages eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland, in der sie diese aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Verpflichtungen aus der genannten Richtlinie binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe der Stellungnahme nachzukommen.

11 Die deutsche Regierung antwortete mit Schreiben vom 22. Juni 1995, zur Umsetzung von Artikel 3 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung sei nicht der Erlaß von Vorschriften erforderlich, die den Vorrang der Aufbereitung ausdrücklich anordneten, sofern die in diesem Artikel vorgesehene Rangfolge durch bindende Vorschriften gewährleistet sei. Dies sei im deutschen Recht der Fall.

12 Da die Kommission die Antwort der deutschen Regierung nicht für ausreichend hielt und die deutsche Regierung keine weiteren Informationen über den Erlaß neuer Maßnahmen mitgeteilt hatte, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

13 Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, das mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 19. September 1997 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Bundesrepublik Deutschland zugelassen worden war, hat seinen Antrag auf Zulassung als Streithelfer zurückgenommen und ist mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 26. März 1998 im Register als Streithelfer gestrichen worden.

Zur Zulässigkeit

14 Die deutsche Regierung hat eine Unzulässigkeitseinrede erhoben, mit der sie geltend macht, die Kommission habe bei der Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme und bei der Klageerhebung gegen das Kollegialprinzip verstossen. Angesichts des Urteils des Gerichtshofes vom 29. September 1998 in der Rechtssache C-191/95 (Kommission/Deutschland, Slg. 1998, I-5449) hat sie diese Einrede in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Daher besteht kein Anlaß, über diese Frage zu entscheiden.

Zur Begründetheit

15 Die Kommission wirft der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung keinen Vorrang eingeräumt, ohne dargetan zu haben, daß dem technische, wirtschaftliche oder organisatorische Sachzwänge entgegenstuenden; damit habe sie gegen Artikel 3 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung verstossen.

16 Die deutsche Regierung weist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes hin, wonach für die Umsetzung einer Richtlinie unter bestimmten Umständen ein allgemeiner rechtlicher Kontext genügen könne. Dies treffe auf Artikel 3 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung zu. Der Vorrang, der der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung eingeräumt sei, ergebe sich namentlich aus der Altölverordnung, nach deren §§ 2 bis 4 es verboten sei, aufarbeitbare Altöle mit anderen Altölen zu mischen, damit alle zur Aufarbeitung geeigneten Öle zu diesem Zweck zur Verfügung stuenden. Auch § 5b des Abfallgesetzes von 1986 gewährleiste über ein Rücknahmesystem, daß die für die Aufarbeitung besonders geeigneten Verbrennungsmotorenöle der Aufarbeitung zur Verfügung gestellt würden.

17 Die deutsche Regierung hält aufgrund der technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge, mit denen sie konfrontiert sei, eine Festlegung des Vorrangs der Aufbereitung über die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen hinaus nicht für erforderlich.

18 Das Wort "Sachzwang" in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung sei nicht eng auszulegen. Schon aus der Formulierung dieses Artikels ergebe sich, daß der Vorrang, der der Aufbereitung einzuräumen sei, von der negativen Voraussetzung abhängig sei, daß keine Sachzwänge entgegenstuenden. Hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Bezugnahme auf die Sachzwänge einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand schaffen wollen, so hätte er die Aufbereitung zum Grundsatz erhoben und eine Ausnahme vorgesehen, die er anders formuliert hätte.

19 Daß die Sachzwänge bei dieser Formulierung nicht eng auszulegen seien, habe insbesondere zur Folge, daß sie nicht isoliert und abstrakt, sondern kumulativ und in einer Gesamtschau zu betrachten seien.

20 Ausserdem werde in der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung an keiner Stelle definiert, was technische, wirtschaftliche und organisatorische Sachzwänge seien; der Inhalt dieser Begriffe sei besonders vage. Demzufolge hätten die Mitgliedstaaten bezueglich der Frage, ob Sachzwänge im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 dieser Richtlinie bestuenden, einen weiten Beurteilungsspielraum.

21 Die deutsche Regierung nennt als technische Sachzwänge mangelnde Kapazitäten für die Aufbereitung von Altölen zu Grundölen und die geringere Qualität bestimmter Zweitraffinate, die nicht den Erwartungen der Verbraucher entspreche.

22 Wirtschaftliche Sachzwänge ergäben sich vor allem daraus, daß die Zweitraffinierung insbesondere infolge des niedrigen Grundölpreises, des Rückgangs der Nachfrage nach diesem Erzeugnis und der Schwierigkeit des Absatzes zweitraffinierter Öle nicht rentabel sei. Würde der Aufbereitung von Altölen ein noch weiter gehender Vorrang eingeräumt, könnte dies Unternehmen zu Fehlinvestitionen verleiten, z. B. dazu, die vorhandenen Kapazitäten zur Herstellung von Grundölen zu erweitern, obwohl es hierfür keine Nachfrage auf dem Markt gebe. Ausserdem würde ein weiter gehender Vorrang der Aufbereitung die Struktur des Marktes ändern und sich nachteilig auf die Situation anderer Wirtschaftsteilnehmer wie der freien Altölsammler oder der Zementindustrie und der sonstigen Unternehmen auswirken, die Altöl als Brennstoff verwendeten.

23 Bezueglich der organisatorischen Sachzwänge bemerkt die deutsche Regierung schließlich, daß es in Deutschland nur zwei Unternehmen gebe, die durch Aufbereitung von Altöl Grundöle herstellten, und daß bei einem weiter gehenden Vorrang der Aufbereitung die Gefahr bestuende, daß diese Unternehmen eine Monopolstellung erhielten.

24 Unter Berücksichtigung dieses Kontextes äussert die deutsche Regierung Zweifel hinsichtlich der rechtlichen Möglichkeit, der Aufbereitung weiter gehenden Vorrang einzuräumen. Eine Verpflichtung, Altöl zunächst den Unternehmen anzubieten, die Grundöle herstellten, sei mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar. Auch freiwillige Vereinbarungen über die Aufteilung des Altöls seien kartellrechtswidrig. Ausserdem seien die Subventionen für die Aufbereitung von Altöl zu Grundölen abgeschafft worden, und die Bundesregierung wolle sie nicht wiedereinführen, da sie andere Unternehmen benachteiligten und nach dem Vertrag verbotene Beihilfen darstellten. Da Schmierstoffe in Deutschland nicht spezifisch besteuert würden, sei es auch nicht möglich, durch Steuervergünstigungen zugunsten der Aufbereitung lenkend einzugreifen. Schließlich lehne es der Bundesrat ab, zur Verbrennung benutztes Altöl zu besteuern, weil dies nur eine Erhöhung der Kosten von Unternehmen bewirken würde, die, wie die Zementwerke, Altöl als Brennstoff benutzten, ohne daß dadurch das Altöl zu den Aufbereitungsunternehmen umgeleitet würde. Die deutsche Regierung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Bundesrepublik Deutschland durch die Entscheidung 97/425/EG des Rates vom 30. Juni 1997 zur Ermächtigung bestimmter Mitgliedstaaten, gemäß dem Verfahren der Richtlinie 92/81/EWG ermässigte Verbrauchsteuersätze oder Verbrauchsteuerbefreiungen für Mineralöle mit bestimmten Verwendungszwecken anzuwenden und beizubehalten (ABl. L 182, S. 22), ermächtigt worden sei, für Altöl, das als Heizstoff genutzt werde, die in der Richtlinie 92/81/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle (ABl. L 316, S. 12) vorgesehene Verbrauchsteuerbefreiung zu verlängern, und daß die Kommission von einem Mitgliedstaat nicht verlangen könne, das zu tun, wovon er nach einer Richtlinie des Rates befreit sei.

25 Die Kommission weist darauf hin, daß die von der Bundesrepublik Deutschland genannten Vorschriften, mit denen die Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung angeblich umgesetzt worden sei, zwar die Voraussetzungen für die Aufbereitung von Altölen festlegten, der Aufbereitung aber keinen Vorrang einräumten. Dafür spreche auch eine Entschließung des Bundesrates vom 31. Januar 1997, in der die Bundesregierung aufgefordert werde, die "Richtlinie 75/439/EWG umzusetzen, die den Vorrang der Behandlung von Altölen im Wege der Aufarbeitung festlegt".

26 Zu der Erwähnung der technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung vertritt die Kommission die Auffassung, daß es sich um eine Ausnahmevorschrift handele, die als solche eng auszulegen sei.

27 Nach Ansicht der Kommission hat die deutsche Regierung nicht das Bestehen technischer Sachzwänge nachgewiesen, da zum einen neue Produktionskapazitäten geschaffen werden könnten, wenn die Bundesrepublik Deutschland der Aufbereitung von Altölen Vorrang einräume, und zum anderen durch Einsatz anderer Verfahrenstechniken bei der Aufbereitung erreicht werden könne, daß die erzeugten Produkte den technischen Anforderungen und der Verbrauchernachfrage entsprächen.

28 Der wirtschaftliche Sachzwang, der sich nach Darstellung der deutschen Regierung aus der Unwirtschaftlichkeit der Aufbereitung ergebe, solle mit der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung durch Förderung der Aufbereitung gerade bekämpft werden.

29 Die Gefahr, daß es zu einer Monopolstellung der Aufbereitungsunternehmen käme, falls der Aufbereitung von Altölen Vorrang eingeräumt würde, hält die Kommission für gering, da eine wirtschaftlich interessantere Aufbereitung ein Anhalten des Schrumpfungsprozesses bei den Aufbereitungsunternehmen zur Folge hätte. Im übrigen sei eine prognostizierte Veränderung der Marktstruktur kein bereits bestehender organisatorischer Sachzwang.

30 Die Kommission erklärt, sie könne nicht erkennen, inwiefern organisatorische Sachzwänge im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung dem Erlaß der von der Bundesrepublik Deutschland geprüften Maßnahmen entgegenstuenden. Sie bemerkt insoweit, daß eine "Andienungspflicht" für Altöle bei den Aufbereitungsunternehmen nicht zwangsläufig gemeinschaftsrechtswidrig sei, und verweist auf Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung, der ein solches System u. a. für den Fall vorsehe, daß das in Artikel 3 genannte Ziel nicht anders erreicht werden könne. Daß der Bundesrat eine Besteuerung von für die Verbrennung eingesetztem Altöl ablehne, beruhe auf einer politischen Bewertung, nicht aber auf einem organisatorischen Sachzwang im Sinne von Artikel 3 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung. Eine solche Besteuerung könnte eine Lenkungswirkung zugunsten der Aufbereitung haben, und nach der Richtlinie 92/81 bestehe die Verpflichtung zur Anordnung einer solchen Verbrauchsteuer. Die Bundesrepublik Deutschland sei nur ausnahmsweise ermächtigt worden, die Verbrauchsteuerbefreiung für Altöl, das als Heizstoff genutzt werde, zu verlängern.

31 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ausserdem angeführt, da in den Artikeln 14 und 15 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen sei, den Unternehmen, die Altöle sammelten und/oder beseitigten, Zuschüsse zu gewähren, könnten diese nicht als mit Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) unvereinbare Beihilfen angesehen werden.

32 Die Prüfung des deutschen Rechts hat ergeben, daß keine nationale Vorschrift ausdrücklich einen Vorrang der Aufbereitung bei der Behandlung von Altölen vorsieht.

33 Die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht erfordert nach ständiger Rechtsprechung, worauf die deutsche Regierung hinweist, nicht notwendigerweise eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche, besondere Vorschrift, sondern ihr kann durch einen allgemeinen rechtlichen Kontext Genüge getan werden, wenn dieser tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie hinreichend klar und bestimmt gewährleistet (vgl. insbesondere Urteil vom 15. März 1990 in der Rechtssache C-339/87, Kommission/Niederlande, Slg. 1990, I-851, Randnr. 6).

34 Die Vorschriften, mit denen nach Darstellung der deutschen Regierung die Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung umgesetzt wird, bilden zwar einen rechtlichen Kontext, der durch die Organisation von Altölsammlungen und durch die Verpflichtung zur Trennung zwischen zur Aufbereitung geeigneten und anderen Altölen die Voraussetzungen für eine Behandlung im Wege der Aufbereitung gewährleistet, und sind Zeichen dafür, daß dieser Art der Behandlung eine grössere Bedeutung zuerkannt wird, doch ergibt sich aus diesem Kontext keineswegs, daß dieser Behandlung gegenüber anderen Arten der Behandlung - sei es im Wege des Zwanges oder durch Anreize - Vorrang eingeräumt wird.

35 Eines der Hauptziele der Richtlinie 87/101 bestand darin, der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang einzuräumen. Dieses Ziel, das in der zweiten Begründungserwägung dieser Richtlinie genannt ist, beruht darauf, daß die Aufbereitung wegen der damit verbundenen Energieeinsparungen die rationellste Altölnutzung ist.

36 Verhindern in einem Mitgliedstaat technische, wirtschaftliche und organisatorische Sachzwänge, daß der Behandlung im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt wird, so gilt die in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung aufgestellte subsidiäre Verpflichtung, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jegliches Verbrennen von Altölen nach umweltfreundlichen Verfahren gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie erfolgen kann. Diese Verpflichtung ist ihrerseits von der Voraussetzung in Artikel 3 Absatz 2 a. E. abhängig, daß "dieses Verbrennen technisch, wirtschaftlich und organisatorisch durchführbar ist".

37 Nur wenn aufgrund der in Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung genannten Sachzwänge weder die Aufbereitung noch das Verbrennen von Altölen erfolgt, unterliegen die Mitgliedstaaten der weiter subsidiären Verpflichtung in Artikel 3 Absatz 3, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die schadlose Vernichtung der Öle oder ihre kontrollierte Lagerung oder Ablagerung zu gewährleisten.

38 Bezueglich der in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung genannten "technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge" ist festzustellen, daß diese Wendung Teil einer Vorschrift ist, die insgesamt die den Mitgliedstaaten auferlegte Verpflichtung zum Ausdruck bringt, und daß sie als solche nicht gemäß dem Vorbringen der Kommission eng auszulegen ist.

39 Aus Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung ergibt sich, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Bezugnahme auf die "technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge" keine begrenzten Ausnahmen von einem normativen Grundsatz aufstellen, sondern den Geltungsbereich und den Inhalt einer positiven Verpflichtung festlegen wollte, den Vorrang der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung zu gewährleisten.

40 Entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung kann die Definition dieser Sachzwänge nicht in das ausschließliche Ermessen der Mitgliedstaaten fallen. Eine Auslegung allein durch die Mitgliedstaaten liefe nicht nur dem Grundsatz der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuwider, sondern hätte auch zur Folge, daß aus der Vereinbarkeit der Behandlung im Wege der Aufbereitung mit technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwängen eine Voraussetzung würde, deren Erfuellung ganz vom guten Willen des betreffenden Mitgliedstaats abhinge; dieser könnte die ihm auferlegte Verpflichtung somit zunichte machen.

41 Daher ist die Bestimmung über die technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge im Interesse der praktischen Wirksamkeit der gesamten Regelung im Hinblick auf die anderen Bestimmungen der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung auszulegen.

42 Diese Bestimmung über die Sachzwänge ist als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit zu sehen. Dies bedeutet, daß die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zu treffen haben, die insoweit zu dem Ziel, der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang einzuräumen, in einem angemessenen Verhältnis stehen, als das Bestehen der in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung genannten technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge die Grenze dieser positiven Verpflichtung darstellt.

43 Ginge man mit der deutschen Regierung davon aus, daß die in einem Mitgliedstaat bestehende technische, wirtschaftliche und organisatorische Situation zwangsläufig Sachzwänge darstellt, die dem Erlaß der in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung vorgesehenen Maßnahmen entgegenstehen, so liefe dies darauf hinaus, daß dieser Vorschrift jede praktische Wirksamkeit genommen würde, da die den Mitgliedstaaten auferlegte Verpflichtung durch die Wahrung des Status quo begrenzt wäre und so durch diese Vorschrift keine wirkliche Verpflichtung auferlegt würde.

44 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland keine konkrete Maßnahme erlassen hat, um den Vorrang der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung zu gewährleisten, und gegenwärtig lediglich durch Berufung auf ihre eigene Definition der Sachzwänge und auf die in ihrem Hoheitsgebiet bestehende Situation das völlige Ausbleiben von Maßnahmen zur Durchführung von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung zu rechtfertigen versucht.

45 Im Gegenteil wurde ein Zuschuß durch ein neueres Gesetz aufgehoben, obwohl er einen Anreiz zur Aufbereitung darstellte und die Zahlung eines solchen Zuschusses grundsätzlich im Einklang mit Artikel 14 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung stand.

46 Die Bundesrepublik Deutschland hat sich auch dafür entschieden, als Heizstoff genutztes Altöl weiterhin von der Mineralölsteuer zu befreien. Sie hat damit entgegen dem Ziel der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung das Verbrennen dieser Öle unterstützt, obwohl deren Besteuerung im allgemeinen Rahmen der Richtlinie 92/81 vorgesehen ist und eine spezifische Besteuerung auch nach Artikel 15 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung grundsätzlich zulässig ist.

47 Die mit einer Entscheidung des Rates vom 30. Juni 1997 gebilligte Möglichkeit, die Verbrauchsteuerbefreiung von zur Verbrennung bestimmten Altölen zu verlängern, hat nicht zur Folge, daß die steuerlichen Maßnahmen, die die Bundesrepublik Deutschland hätte erlassen können, um ihrer Verpflichtung zur Durchführung von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung nachzukommen, nicht berücksichtigt werden dürften.

48 Es ist nämlich zwar nicht Aufgabe des Gerichtshofes, festzustellen, welche Maßnahmen ein Mitgliedstaat hätte treffen müssen, um Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung durchzuführen; er hat aber im Rahmen der Nachprüfung, ob Sachzwänge im Sinne dieses Artikels bestehen, zu prüfen, ob es möglich war, Maßnahmen mit dem Ziel, der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang einzuräumen, zu erlassen, die dem Kriterium der technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Durchführbarkeit genügen.

49 Insoweit genügt die Feststellung, daß es eine Reihe von Maßnahmen gab, die zu dem Ziel, der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang einzuräumen, hätten beitragen können und deren Erlaß technisch, wirtschaftlich und organisatorisch möglich war, daß aber die Bundesrepublik Deutschland keine dieser Maßnahmen getroffen, sondern vielmehr eine dieser Maßnahmen nicht weiter angewandt und auch nicht in einer anderen geeigneten Weise versucht hat, das mit der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung angestrebte Ziel zu erreichen.

50 Demzufolge ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439 in der geänderten Fassung verstossen hat, indem sie, obwohl keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstanden, nicht die erforderlichen Maßnahmen dafür getroffen hat, daß der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt wird.

Kostenentscheidung:

Kosten

51 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, die Bundesrepublik Deutschland zur Tragung der Kosten zu verurteilen, und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung in der Fassung der Richtlinie 87/101/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 verstossen, indem sie, obwohl keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstanden, nicht die erforderlichen Maßnahmen dafür getroffen hat, daß der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt wird.

2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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