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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.03.1997
Aktenzeichen: C-103/96
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 3677/86, Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 über den aktiven Veredelungsverkehr
Vorschriften:
Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 Artikel 9 | |
Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 über den aktiven Veredelungsverkehr |
3 Die zum Erlaß von Vorschriften zur Durchführung einer Grundverordnung ermächtigte Gemeinschaftsbehörde darf beim Erlaß dieser Vorschriften nicht die Befugnisse überschreiten, die ihr durch diese Verordnung zur Durchführung der in ihr enthaltenen Bestimmungen übertragen sind.
Eine solche Überschreitung kann nicht in dem Umstand gesehen werden, daß Artikel 9 der im Regelungsausschußverfahren zur Durchführung der Grundverordnung Nr. 1999/85 über den aktiven Veredelungsverkehr erlassenen Verordnung Nr. 3677/86 für die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs die Voraussetzung eingeführt hat, daß die Ersatzwaren zu derselben Tarifstelle des Gemeinsamen Zolltarifs gehören wie die Einfuhrwaren, obwohl die Grundverordnung nur verlangt, daß die Ersatzwaren die gleiche Qualität und die gleiche Beschaffenheit aufweisen wie die Einfuhrwaren.
Denn zum einen sieht Artikel 2 Absatz 4 der Grundverordnung vor, daß die im Wege der Ermächtigung zu erlassenden Durchführungsmaßnahmen die Inanspruchnahme des Systems des Ersatzes durch äquivalente Waren, das im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehr Ausnahmecharakter hat, untersagen oder einschränken können. Zum anderen wird mit dem Erfordernis der Zugehörigkeit zu derselben Tarifstelle ein Kriterium angewandt, das klar und präzise ist und zugleich zur Verwirklichung des Zieles, Mißbräuche bei der Durchführung des aktiven Veredelungsverkehrs zu verhindern, beitragen kann, das in der Grundverordnung ausdrücklich genannt wird und dem das allgemeine Ziel des aktiven Veredelungsverkehrs, nämlich die Förderung der Ausfuhrtätigkeit der Unternehmen der Gemeinschaft, nicht entgegengehalten werden kann.
4 Die Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs, die durch Artikel 9 der Verordnung Nr. 3677/86 eingeführt wurde und nach der die Ersatzwaren zu derselben Tarifstelle des Gemeinsamen Zolltarifs gehören müssen wie die Einfuhrwaren, stellt keine Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes dar, da sie nicht in einem offensichtlich unangemessenen Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Ziel, der Bekämpfung betrügerischer Machenschaften, steht. Sie verstösst auch nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, denn sie versetzt die Wirtschaftsteilnehmer - auch wenn sie ein Kriterium heranzieht, das zu einer anderen Regelung gehört, die ihrem Wesen nach periodischen Modifikationen unterliegt - in eine Lage, in der sie jederzeit klar und genau erkennen können, ob die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren möglich ist.
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 13. März 1997. - Directeur général des douanes et droits indirects gegen Eridania Beghin-Say SA. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal d'instance de Lille - Frankreich. - Zollrecht - Aktiver Veredelungsverkehr - System des Ersatzes durch äquivalente Waren - Rohrzucker und Rübenzucker. - Rechtssache C-103/96.
Entscheidungsgründe:
1 Das Tribunal d'instance Lille hat mit Urteil vom 19. März 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 28. März 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Gültigkeit von Artikel 9 der Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 über den aktiven Veredelungsverkehr (ABl. L 351, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Directeur général des douanes et droits indirects (im folgenden: Kläger) und der Eridania Beghin-Say SA (im folgenden: Beklagte) wegen der Zahlung von Zöllen, Abgaben und Abschöpfungen, die von diesem Unternehmen wegen der Einfuhr von rohem Rohrzucker aus einem Drittland verlangt wurden, für den der Ersatz durch äquivalente Waren, nämlich rohen Rübenzucker, den dieses Unternehmen in Form von Weißzucker aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft ausgeführt hatte, nach Vornahme von Überprüfungen nicht zugelassen worden war.
3 Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 des Rates vom 16. Juli 1985 über den aktiven Veredelungsverkehr (ABl. L 188, S. 1; im folgenden: Grundverordnung) bestimmt u. a., daß im aktiven Veredelungsverkehr unter den in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen Nichtgemeinschaftswaren, die zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft in Form von Veredelungserzeugnissen bestimmt sind, innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft einem oder mehreren Veredelungsvorgängen unterzogen werden können, ohne daß für diese Waren Eingangsabgaben erhoben werden. Nach Artikel 1 Absatz 3 Buchstaben h und i gelten als Veredelungserzeugnisse alle Erzeugnisse, die aus Veredelungsvorgängen wie etwa der Bearbeitung oder Verarbeitung von Waren entstanden sind.
4 Nach Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe n der Grundverordnung wird diese Form des aktiven Veredelungsverkehrs als "Nichterhebungsverfahren" bezeichnet.
5 Nach Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a gelten als Einfuhrwaren u. a. die Nichtgemeinschaftswaren, für die im Rahmen des Nichterhebungsverfahrens die Förmlichkeiten für die Überführung in den aktiven Veredelungsverkehr durchgeführt worden sind.
6 Nach Buchstabe d dieser Vorschrift werden die Gemeinschaftswaren, die anstelle von Einfuhrwaren zur Herstellung von Veredelungserzeugnissen verwendet werden, als "Ersatzwaren" bezeichnet.
7 Nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 Satz 1 der Grundverordnung lässt es die Zollbehörde zu, daß Veredelungserzeugnisse aus Ersatzwaren hergestellt werden, soweit die Ersatzwaren die gleiche Beschaffenheit und die gleiche Qualität wie die Einfuhrwaren aufweisen. Hierbei handelt es sich im Gegensatz zu dem in Randnummer 3 dieses Urteils beschriebenen System "der Veredelung der gleichen Waren" um das sogenannte System "des Ersatzes durch äquivalente Waren".
8 Artikel 2 Absatz 4 der Grundverordnung bestimmt, daß Maßnahmen, die die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren untersagen oder einschränken, im sogenannten "Regelungsausschußverfahren" nach Artikel 31 Absätze 2 und 3 erlassen werden können.
9 Artikel 18 Absatz 1 Satz 1 der Grundverordnung bestimmt, daß der "aktive Veredelungsverkehr... für die Einfuhrwaren beendet [ist], wenn die Veredelungserzeugnisse unter zollamtlicher Überwachung aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft ausgeführt worden sind, sofern alle Voraussetzungen für die Anwendung des Verfahrens eingehalten wurden".
10 Nach Artikel 31 Absatz 1 der Grundverordnung werden "die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Vorschriften im Verfahren nach den Absätzen 2 und 3 erlassen".
11 Die im Regelungsausschußverfahren erlassene Verordnung Nr. 3677/86 (im folgenden: Durchführungsverordnung) sieht in ihrem Artikel 9 vor, daß die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren nur möglich ist, wenn die Ersatzwaren zu derselben Tarifstelle gehören und dieselbe Handelsqualität und dieselben technischen Merkmale besitzen wie die Einfuhrwaren.
12 Die Beklagte führte 11 923 910 kg rohen Rohrzucker aus Kuba ein, den sie am 22. April 1991 in das Zollverfahren des aktiven Veredelungsverkehrs in Form des Nichterhebungsverfahrens überführte.
13 Vor August 1991 führte sie zur Beendigung des aktiven Veredelungsverkehrs 11 268 097 kg Weißzucker aus, der aus rohem Rübenzucker oder aus Zuckerrüben hergestellt worden war.
14 Nach Vornahme von Überprüfungen durch die Zolldirektion vertrat der Kläger die Auffassung, daß gemäß Artikel 9 der Durchführungsverordnung das Nichterhebungsverfahren im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs deshalb unanwendbar sei, weil der rohe Rohrzucker und der rohe Rübenzucker zu zwei verschiedenen Tarifstellen gehörten. Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 1994 erhob er deshalb beim Tribunal d'instance Lille gegen die Beklagte Klage auf Zahlung eines Betrages von 38 476 561 FF, der den nicht erhobenen Zöllen, Abgaben und Abschöpfungen entspreche.
15 Vor diesem Gericht bestritt die Beklagte die Gültigkeit von Artikel 9 der Durchführungsverordnung, weil diese Vorschrift weder mit der Grundverordnung noch mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts wie der Normenhierarchie, der Verhältnismässigkeit, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit übereinstimme.
16 Das Tribunal d'instance Lille führt dazu aus, daß das Verfahren des Ersatzes durch äquivalente Waren nach Artikel 2 der Grundverordnung dann Anwendung finde, wenn die Veredelungserzeugnisse aus Ersatzwaren hergestellt würden, d. h. aus Waren, die die gleiche Beschaffenheit und die gleiche Qualität wie die Einfuhrwaren aufwiesen. Für die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren sei nach Artikel 9 der Durchführungsverordnung aber in jedem Fall Voraussetzung, daß die Ersatzwaren zu derselben Tarifstelle des Gemeinsamen Zolltarifs gehörten wie die Einfuhrwaren.
17 Gerade diese Voraussetzung hat das nationale Gericht veranlasst, die Gültigkeit von Artikel 9 der Durchführungsverordnung im Hinblick auf folgende Grundsätze in Frage zu stellen:
- der Normenhierarchie, da diese Vorschrift eine dritte, in der Grundverordnung nicht vorgesehene Voraussetzung hinzufüge;
- der Verhältnismässigkeit, da das Erfordernis der Identität der einschlägigen Tarifstellen des Zolltarifs ein Hindernis für die Verwirklichung des mit der Grundverordnung verfolgten Zieles, die Ausfuhrtätigkeit der Unternehmen der Gemeinschaft zu fördern, darstelle;
- des Vertrauensschutzes, weil in einem Zeitraum von wenigen Jahren nacheinander drei unterschiedliche Regelungen gegolten hätten. Das vorlegende Gericht führt dazu aus, daß nach dem 1987 geltenden Gemeinsamen Zolltarif (Verordnung [EWG] Nr. 3618/86 des Rates vom 24. November 1986; ABl. L 345, S. 1) roher Rübenzucker und roher Rohrzucker zu derselben Tarifstelle gehört hätten, daß die durch die Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 (ABl. L 256, S. 1) eingeführte Kombinierte Nomenklatur rohen Rübenzucker und rohen Rohrzucker ab 1. Januar 1988 zwei unterschiedlichen Unterpositionen zugeordnet habe und daß die Verordnung (EWG) Nr. 3709/92 der Kommission vom 21. Dezember 1992 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2228/91 der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 1999/85 (ABl. L 378, S. 6) seit dem 1. Januar 1992 zwischen rohem Rohrzucker und rohem Zucker aus Zuckerrüben den Ersatz durch äquivalente Waren zulasse, obwohl diese beiden Waren unter verschiedene Unterpositionen (Codes) fielen;
- der Rechtssicherheit, da es die Anwendung des Artikels 9 der Durchführungsverordnung und der Kombinierten Nomenklatur in der Zeit vom 1. Januar 1988 bis zum 1. Januar 1992 unmöglich gemacht habe, in bezug auf Rohrzucker und Rübenzucker auf den aktiven Veredelungsverkehr mit Ersatz durch äquivalente Waren zurückzugreifen.
18 Das Tribunal d'instance Lille hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 9 der Verordnung Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 1999/85 über den aktiven Veredelungsverkehr, soweit er die Einordnung als Ersatzwaren davon abhängig macht, daß die betreffende Ware zu derselben Tarifstelle gehört wie die eingeführte Ware, gültig, obwohl die Grundverordnung Nr. 1999/85 vom 16. Juli 1985 eine solche Voraussetzung nicht vorsieht?
2. Ist Artikel 9 der Verordnung Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986, soweit er die Einordnung als Ersatzwaren davon abhängig macht, daß die betreffende Ware zu derselben Tarifstelle gehört wie die eingeführte Ware, gültig, obwohl eine solche Voraussetzung unverhältnismässige Folgen für die Wirtschaftsteilnehmer hat?
3. Ist Artikel 9 der Verordnung Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986, soweit er die Einordnung als Ersatzwaren davon abhängig macht, daß die betreffende Ware zu derselben Tarifstelle gehört wie die eingeführte Ware, im Hinblick auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit gültig, obwohl dieser Artikel in Verbindung mit den Bestimmungen der Verordnung Nr. 2658/87 über die Kombinierte Nomenklatur unvermittelt ab 1. Januar 1988 und nur bis zum 1. Januar 1992 dazu geführt hat, daß in bezug auf Rübenzucker und Rohrzucker die Inanspruchnahme des aktiven Veredelungsverkehrs mit Ersatz durch äquivalente Waren nicht möglich war?
Zur ersten Frage
19 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 9 der Durchführungsverordnung, soweit er die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren davon abhängig macht, daß die Ersatzwaren zu derselben Tarifstelle des Gemeinsamen Zolltarifs gehören wie die Einfuhrwaren, ungültig ist, weil er gegen die Grundverordnung und insbesondere gegen Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 Satz 1 dieser Verordnung verstösst.
20 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die zum Erlaß von Vorschriften zur Durchführung einer Grundverordnung ermächtigte Gemeinschaftsbehörde beim Erlaß dieser Vorschriften nicht die Befugnisse überschreiten darf, die ihr durch diese Verordnung zur Durchführung der in ihr enthaltenen Bestimmungen übertragen sind (in diesem Sinne Urteil vom 23. März 1983 in der Rechtssache 162/82, Cousin, Slg. 1983, 1101, Randnr. 15).
21 Nach Auffassung der Beklagten stimmt Artikel 9 der Durchführungsverordnung nicht mit dem Grundsatz der Wahrung der Normenhierarchie überein, weil er den beiden in der Grundverordnung aufgestellten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren aus dem Nichts die Voraussetzung hinzugefügt habe, daß die Waren zu derselben Tarifposition gehören müssten. Diese dritte Voraussetzung diene nicht zur Präzisierung der beiden anderen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren, sondern stelle ein neues Kriterium dar, das restriktiver sei als die beiden in der Grundverordnung festgelegten Kriterien und zudem anderen Zielen als denen dieser Verordnung entspreche. Denn die Grundverordnung lasse in Anbetracht des Umstands, daß der aktive Veredelungsverkehr eine wirtschaftliche Zielsetzung habe, da er die Ausfuhrtätigkeit von Unternehmen der Gemeinschaft fördern solle, den Ersatz durch äquivalente Waren zu, soweit die betreffenden Waren bestimmten wirtschaftlichen Kriterien genügten. Mit der Tarifnomenklatur würden aber andere Ziele verfolgt, nämlich die Anwendung der Zölle und die Erfassung der Warenbewegungen zu statistischen Zwecken.
22 Zwar ist die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 Satz 1 der Grundverordnung nur möglich, soweit die Ersatzwaren zwei Voraussetzungen erfuellen, nämlich die gleiche Qualität und die gleiche Beschaffenheit wie die Einfuhrwaren aufweisen, doch überträgt Absatz 4 dieses Artikels der zuständigen Behörde eine weitgehende Befugnis, im Regelungsausschußverfahren nach Artikel 31 Absätze 2 und 3 Maßnahmen zu erlassen, die die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren untersagen oder einschränken.
23 Soweit Artikel 9 der in diesem Verfahren erlassenen Durchführungsverordnung die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren nicht nur davon abhängig macht, daß die Ersatzwaren dieselbe Handelsqualität und dieselben technischen Merkmale besitzen wie die Einfuhrwaren, sondern auch davon, daß sie zu derselben Tarifstelle des Gemeinsamen Zolltarifs gehören, soll er, wie dies Artikel 2 Absatz 4 der Grundverordnung vorsieht, die Inanspruchnahme des Systems des Ersatzes durch äquivalente Waren einschränken. Falls nämlich die Ersatzwaren und die Einfuhrwaren dieselbe Handelsqualität und dieselben technischen Merkmale besitzen, ohne jedoch zu derselben Tarifstelle zu gehören, wäre die Inanspruchnahme des Systems des Ersatzes durch äquivalente Waren ausgeschlossen.
24 Die Möglichkeit, den Anwendungsbereich dieses Systems einzuschränken, entspricht im übrigen dem Ausnahmecharakter des Systems im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs, wie er sich aus der allgemeinen Systematik der Grundverordnung und insbesondere aus dem Umstand ergibt, daß diese, wie aus ihrer achten Begründungserwägung hervorgeht, die Grundsätze der Richtlinie 69/73/EWG des Rates vom 4. März 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den aktiven Veredelungsverkehr (ABl. L 58, S. 1) übernommen hat, nach deren Artikel 24 es sich bei dem System des Ersatzes durch äquivalente Waren um eine Ausnahme handelt.
25 Zudem gestattet es das Kriterium der Tarifierung, die Warengruppen, die für das System des Ersatzes durch äquivalente Waren in Betracht kommen, nach einem klaren und präzisen Parameter abzugrenzen, und im Widerspruch zu dem, was die Beklagte im wesentlichen vorgetragen hat, hängt dieses Kriterium auch mit den wirtschaftlichen Merkmalen der Waren zusammen, auf die es sich bezieht. Jedenfalls steht fest, daß dieses Kriterium insbesondere zur Verwirklichung des in der vierten Begründungserwägung der Grundverordnung genannten Zieles, Mißbräuche bei der Durchführung des aktiven Veredelungsverkehrs zu verhindern, beitragen kann.
26 Unter diesen Umständen kann das allgemeine Ziel des aktiven Veredelungsverkehrs, wie es sich aus der zweiten Begründungserwägung der Grundverordnung ergibt und wie es die Beklagte geltend gemacht hat, nämlich die Förderung der Ausfuhrtätigkeit der Unternehmen der Gemeinschaft, der Anwendung des streitigen Kriteriums nicht entgegenstehen.
27 Somit ist auf erste Frage zu antworten, daß die Prüfung der streitigen Punkte nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Artikel 9 der Durchführungsverordnung beeinträchtigen könnte.
Zur zweiten Frage
28 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 9 der Durchführungsverordnung, soweit er die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren davon abhängig macht, daß die Ersatzwaren zu derselben Tarifstelle des Gemeinsamen Zolltarifs gehören wie die Einfuhrwaren, wegen Verstosses gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit ungültig ist.
29 Die Beklagte trägt im wesentlichen vor, daß Artikel 9 der Durchführungsverordnung, soweit er zwei Produkte mit derselben Handelsqualität und denselben technischen Merkmalen allein deshalb von dem System des Ersatzes durch äquivalente Waren ausschließe, weil sie unter zwei verschiedene Tarifstellen fielen, über das hinausgehe, was zur Verhinderung von Mißbräuchen bei der Anwendung dieses Systems erforderlich sei. Zur Stützung dieser Auffassung führt sie aus, daß das Kriterium der Tarifstelle für die Erreichung dieses Zieles nicht hinreichend präzise sei; übrigens habe der Rat gerade aus diesem Grund in Anhang IV der Durchführungsverordnung zusätzliche Kriterien für verschiedene Arten von Reis aufgenommen, die unter dieselbe Tarifstelle fielen. Das Kriterium der Tarifstelle könnte deshalb nur gültig sein, wenn es lediglich Indizcharakter hätte, d. h., wenn es sich dabei um eine hinreichende, aber nicht um eine notwendige Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Systems des Ersatzes durch äquivalente Waren handeln würde.
30 Da die zum Erlaß der Vorschriften zur Durchführung der Grundverordnung ermächtigte Behörde, wie in Randnummer 22 dieses Urteils dargelegt, über eine weitgehende Befugnis zum Erlaß von Maßnahmen verfügt, die die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren untersagen oder einschränken, können diese Maßnahmen nur dann als ungültig angesehen werden, wenn sie offensichtlich in keinem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen (in diesem Sinne Urteil vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-331/88, Fedesa u. a., Slg. 1990, I-4023, Randnr. 14).
31 Es kann aber nicht angenommen werden, daß Artikel 9 der Durchführungsverordnung, soweit er die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren davon abhängig macht, daß die Ersatzwaren zu derselben Tarifstelle gehören wie die Einfuhrwaren, offensichtlich ausser Verhältnis zu dem Ziel steht, Mißbräuche bei der Durchführung des aktiven Veredelungsverkehrs zu verhindern.
32 Im übrigen kann der Umstand, daß der Rat in Anhang IV der Durchführungsverordnung in bezug auf verschiedene Arten von Reis, die unter dieselbe Tarifstelle des Gemeinsamen Zolltarifs fallen, zusätzliche Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren aufgenommen hat, nicht in Frage stellen, daß das Kriterium der Tarifstelle zur Verwirklichung des oben erwähnten Zieles geeignet ist. Tatsächlich handelt es sich um eine Maßnahme, durch die die Inanspruchnahme des Systems des Ersatzes durch äquivalente Waren noch weiter eingeschränkt werden soll.
33 Somit ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß die Prüfung der zweiten Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Artikel 9 der Durchführungsverodnung beeinträchtigen könnte.
Zur dritten Frage
34 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 9 der Durchführungsverordnung, soweit er die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren davon abhängig macht, daß die Ersatzwaren zu derselben Tarifstelle des Gemeinsamen Zolltarifs gehören wie die Einfuhrwaren, wegen Verstosses gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit ungültig ist, da es nach dem Erlaß der Verordnung Nr. 2658/87 über die Kombinierte Nomenklatur in der Zeit vom 1. Januar 1988 bis zum 31. Dezember 1991 unmöglich war, für Rübenzucker und Rohrzucker den Ersatz durch äquivalente Waren in Anspruch zu nehmen (vgl. Randnr. 17 dieses Urteils).
Zur angeblichen Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes
35 Nach Auffassung der Beklagten ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes hinsichtlich des aktiven Veredelungsverkehrs mit Zucker nicht eingehalten worden, weil in einem Zeitraum von wenigen Jahren nacheinander drei unterschiedliche Regelungen gegolten hätten. Sie führt dazu aus, daß in der Zeit vom 1. Januar 1987 bis zum 31. Dezember 1987 der aktive Veredelungsverkehr mit Ersatz durch äquivalente Waren in bezug auf Rohrzucker und Rübenzucker möglich gewesen sei, weil diese beiden Erzeugnisse zu derselben Tarifstelle gehört hätten, daß eine solche Transaktion ab 1. Januar 1988 nicht mehr möglich gewesen sei, weil die neue Tarifnomenklatur Rübenzucker und Rohrzucker zwei verschiedenen Unterpositionen zugewiesen habe, und daß diese Form des aktiven Veredelungsverkehrs nunmehr, ab 1. Januar 1992, aufgrund der Verordnung Nr. 3709/92 wieder möglich sei.
36 Dazu ist festzustellen, daß Artikel 9 der Durchführungsverordnung, soweit danach die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren davon abhängig ist, daß die betreffenden Waren zu derselben Tarifstelle gehören, den Anwendungsbereich dieses Systems von einem Kriterium abhängig macht, das zu einer anderen Regelung als der über den aktiven Veredelungsverkehr gehört und dessen Bedeutung sich insbesondere aufgrund der periodischen Modifikationen der Tarifnomenklatur ändern kann.
37 Folglich kann ein Wirtschaftsteilnehmer wie die Beklagte, soweit es um die Voraussetzung der Identität der einschlägigen Tarifstellen geht, aufgrund der erwähnten Vorschrift keine anderen berechtigten Erwartungen hegen als die, daß ihm die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren möglich ist, wenn die betreffenden Waren nach der zum Zeitpunkt der Transaktion geltenden Nomenklatur zu derselben Tarifstelle gehören.
Zur angeblichen Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit
38 Nach Auffassung der Beklagten ist der Grundsatz der Rechtssicherheit im vorliegenden Fall verletzt worden, weil die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren in unklarer, weil indirekter Weise durch die Änderung der Tarifnomenklatur in Frage gestellt worden seien.
39 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.
40 Wie nämlich der Generalanwalt in Nummer 51 seiner Schlussanträge im wesentlichen dargelegt hat, gibt Artikel 9 der Durchführungsverordnung den Wirtschaftsteilnehmern für die Klärung der Frage, ob im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren in bezug auf zwei bestimmte Waren möglich ist, ein klares und präzises Kriterium, das der Tarifierung, an die Hand. Der in Randnummer 36 dieses Urteils erwähnte Umstand, daß sich die Tarifnomenklatur ändern kann, kann die Klarheit und Genauigkeit dieses Kriteriums nicht in Frage stellen.
41 Daher ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß die Prüfung der dritten Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Artikel 9 der Durchführungsverordnung in Frage stellen könnte.
Kostenentscheidung:
Kosten
42 Die Auslagen der französischen Regierung sowie des Rates der Europäischen Union und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Tribunal d'instance Lille mit Urteil vom 19. März 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Die Prüfung von Artikel 9 der Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 über den aktiven Veredelungsverkehr hat im Lichte der Vorlageentscheidung nichts ergeben, was die Gültigkeit dieser Vorschrift beeinträchtigen könnte.
Ende der Entscheidung
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