Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.05.2000
Aktenzeichen: C-104/98
Rechtsgebiete: Richtlinie 79/7/EWG, EGV


Vorschriften:

Richtlinie 79/7/EWG
EGV Art. 177 a.F.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit steht diese Richtlinie der Befugnis der Mitgliedstaaten nicht entgegen, die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen. Die zeitlich begrenzte Aufrechterhaltung eines für Männer und Frauen unterschiedlichen Rentenalters kann auch nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie den Erlaß von Maßnahmen, die untrennbar mit dieser Ausnahmeregelung von der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit verbunden sind, sowie die Änderung derartiger Maßnahmen erforderlich machen. Dieser Vorschrift würde nämlich ihre praktische Wirksamkeit genommen, wenn ein Mitgliedstaat, der für Männer und Frauen ein unterschiedliches Rentenalter festgesetzt hat, nach Ablauf der Umsetzungsfrist keine damit zusammenhängenden Maßnahmen erlassen oder ändern dürfte. (vgl. Randnrn. 4, 23-24)

2 Die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit vorgesehene Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist nicht auf eine Leistung wie eine vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit anwendbar, die nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie in das Recht eines Mitgliedstaats eingeführt wurde und deren Auszahlung von der Vollendung des 55. Lebensjahres für Frauen und des 57. Lebensjahres für Männer abhängig gemacht wird.

Denn diese Diskriminierung hinsichtlich der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit, die nur Personen gewährt wird, die infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwächen ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande sind, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist nicht notwendig und objektiv mit dem unterschiedlichen Rentenalter verbunden. Zum einen ist sie nicht für die Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit notwendig, da diese Leistung Männern und Frauen hauptsächlich aus Haushaltsgründen von einem unterschiedlichen Alter an gewährt wird. Zum anderen ist sie nicht objektiv notwendig, um die Kohärenz zwischen der Altersrente und der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewährleisten, denn zwischen dem Mindestalter für den Bezug der fraglichen Leistung und dem gesetzlichen Rentenalter in dem betreffenden Mitgliedstaat, das bei 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer liegt, besteht kein direkter Zusammenhang. (vgl. Randnrn. 11, 20, 26-36 und Tenor )

3 Der Gerichtshof kann sich nur ausnahmsweise aufgrund des der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit veranlaßt sehen, mit Wirkung für alle Betroffenen die Möglichkeit zu beschränken, sich auf die von ihm einer Bestimmung gegebene Auslegung zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen.

Es besteht kein Anlaß für den Gerichtshof, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, wenn es sich um ein Urteil handelt, nach dem die Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, die Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7 hinsichtlich des Rentenalters zuläßt, eine diskriminierende Unterscheidung zwischen Männern und Frauen bei der Festsetzung des Alters, von dem an eine vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt wird, nicht gestattet, da bereits bei Erlaß der innerstaatlichen Regelung, durch die diese Diskriminierung eingeführt wurde, eine Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Anwendung dieser Vorschrift vorlag, die es dem betreffenden Mitgliedstaat ermöglichte, die Vereinbarkeit dieser innerstaatlichen Regelung mit der Richtlinie zu prüfen, und da die finanziellen Konsequenzen, die er eventuell wegen der Verletzung des Diskriminierungsverbots zu gewärtigen hat, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen eines Vorabentscheidungsurteils rechtfertigen. (vgl. Randnrn. 39-42)


Urteil des Gerichtshofes vom 23. Mai 2000. - Johann Buchner u. a. gegen Sozialversicherungsanstalt der Bauern. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberster Gerichtshof - Österreich. - Richtlinie 79/7/EWG - Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit - Vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit - Festsetzung eines für Männer und Frauen unterschiedlichen Rentenalters. - Rechtssache C-104/98.

Parteien:

In der Rechtssache C-104/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom österreichischen Obersten Gerichtshof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Johann Buchner u. a.

gegen

Sozialversicherungsanstalt der Bauern

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 7 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24)

erläßt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten D. A. O. Edward und L. Sevón sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann und H. Ragnemalm (Berichterstatter),

Generalanwalt: S. Alber

Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- von J. Buchner u. a., vertreten durch Rechtsanwalt J. Winkler, Linz,

- der österreichischen Regierung, vertreten durch Oberrätin C. Pesendorfer, Bundeskanzleramt, als Bevollmächtigte,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Assistant Treasury Solicitor J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand von C. Vajda, QC,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater J. P. Kuijper und durch M. Wolfcarius, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt T. Eilmansberger, Brüssel,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von J. Buchner u. a., vertreten durch Rechtsanwalt J. Winkler, der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse, Bundeskanzleramt, als Bevollmächtigten, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins im Beistand von C. Vajda, und der Kommission, vertreten durch M. Wolfcarius im Beistand von Rechtsanwalt T. Eilmansberger, in der Sitzung vom 8. Juni 1999,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. September 1999,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluß vom 31. März 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 14. April 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 7 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24, im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Johann Buchner und zwölf anderen Klägern (im folgenden: Kläger) und der Sozialversicherungsanstalt der Bauern (im folgenden: Beklagte) wegen deren Weigerung, den Klägern eine vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Das Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie verbietet jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere bei der Berechnung der Leistungen.

4 Eine solche Diskriminierung kann nur nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie gerechtfertigt sein, wonach diese der Befugnis der Mitgliedstaaten nicht entgegensteht, die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen.

5 Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten überprüfen in regelmäßigen Abständen die aufgrund des Absatzes 1 ausgeschlossenen Bereiche, um festzustellen, ob es unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung in dem Bereich gerechtfertigt ist, die betreffenden Ausnahmen aufrechtzuerhalten."

6 Artikel 8 der Richtlinie lautet:

"(1) Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie binnen sechs Jahren nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen. Sie unterrichten hiervon unverzüglich die Kommission.

(2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der Rechts- und Verwaltungsvorschriften mit, die sie im Anwendungsbereich dieser Richtlinie erlassen, einschließlich der von ihnen in Anwendung von Artikel 7 Absatz 2 getroffenen Maßnahmen.

Sie unterrichten die Kommission über die Gründe, die eine etwaige Beibehaltung der geltenden Bestimmungen in den unter Artikel 7 Absatz 1 genannten Bereichen rechtfertigen, sowie über die Möglichkeiten einer diesbezüglichen späteren Revision."

7 Artikel 9 der Richtlinie bestimmt:

"Binnen sieben Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission alle zweckdienlichen Angaben, damit diese für den Rat einen Bericht über die Anwendung dieser Richtlinie erstellen und Vorschläge für weitere Maßnahmen vorlegen kann, die für die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung erforderlich sind."

Das nationale Recht

8 § 122c Absatz 1 Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) in der Fassung des am 1. September 1996 in Kraft getretenen Strukturanpassungsgesetzes 1996 (BGBl 1996/201) bestimmt:

"Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit hat der Versicherte nach Vollendung des 57. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres, wenn er (sie)

1. die Wartezeit erfuellt hat (§ 111),

2. innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung oder innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 36 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nachweist und infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der (die) Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat, und wenn dessen (deren) persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war."

9 Nach dem vor dem Erlaß des Strukturanpassungsgesetzes geltenden Recht, zuletzt nach § 122c BSVG in der Fassung der am 1. Juli 1993 in Kraft getretenen 18. Novelle zum BSVG (BGBl 1993/337), hatten Landwirte bei dauernder Erwerbsunfähigkeit einen Anspruch auf vorzeitige Alterspension. Vor dem 1. September 1996 konnte allerdings Männern wie Frauen nach Vollendung ihres 55. Lebensjahres ein Anspruch auf diese Pension zustehen.

10 Bis zum 1. Juli 1993 hatten Landwirte unter denselben Voraussetzungen einen Anspruch auf eine sogenannte "Erwerbsunfähigkeitspension".

11 Das gesetzliche Rentenalter liegt in Österreich bei 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer.

Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorlagefragen

12 Die Anträge der im Zeitraum September 1941 bis Juli 1942 geborenen Kläger auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit wurden von der Beklagten mit der Begründung abgelehnt, Voraussetzung für den Anspruch auf diese Leistung sei bei männlichen Versicherten die Vollendung des 57. Lebensjahres. Die Kläger hätten diese Voraussetzung am Stichtag nicht erfuellt.

13 Die Erstgerichte wiesen die gegen die ablehnenden Bescheide erhobenen Klagen ab; das Oberlandesgericht Linz bestätigte deren Urteile als Berufungsinstanz.

14 Die Kläger legten beim vorlegenden Gericht Revision gegen die Berufungsurteile ein und beantragten, die angefochtenen Entscheidungen dahin abzuändern, daß ihrem Begehren stattgegeben werde. Sie führten aus, das vom Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. September 1996 eingeführte unterschiedliche Anfallsalter für Männer und Frauen widerspreche dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz. Die Vollendung des 55. Lebensjahres reiche für die Entstehung ihres Anspruchs aus.

15 Die Beklagte hält den Klägern nur entgegen, daß sie alle das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, wie dies nach der einschlägigen Regelung für den Bezug der fraglichen Leistung erforderlich sei. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen wurden nicht bestritten. Unstreitig hatten alle Kläger am Stichtag das 55. Lebensjahr vollendet.

16 Der Oberste Gerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden beiden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG so auszulegen, daß er einem Mitgliedstaat die unterschiedliche Festsetzung des Rentenalters nur für Renten- bzw. Pensionsansprüche erlaubt, die ausschließlich aus dem Risikofall des Alters gewährt werden, oder ist diese Ausnahmeregelung auch auf Renten- bzw. Pensionsansprüche zu beziehen, die zwar erst ab einem bestimmten Alter, aber darüber hinaus nur wegen einer bestehenden Invalidität (Erwerbsunfähigkeit) gewährt werden?

2. Ist Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 der Richtlinie 79/7/EWG so auszulegen, daß er einem Mitgliedstaat erlaubt, eine vorher bestandene gleiche Regelung des Rentenalters (hier die Vollendung des 55. Lebensjahres für Männer und Frauen) nach Ablauf der Umsetzungsfrist dahin zu ändern, daß für Männer und Frauen nunmehr ein unterschiedliches Rentenalter (hier die Vollendung des 57. Lebensjahres für Männer und des 55. Lebensjahres für Frauen) festgesetzt wird?

17 Die beiden Fragen des vorlegenden Gerichts, die zusammen zu prüfen sind, gehen dahin, ob die Ausnahme in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie auf eine Leistung wie die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit anwendbar ist, für die im nationalen Recht nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie für Männer und Frauen ein unterschiedliches Rentenalter festgesetzt wurde.

18 Die Leistung, um die es im Ausgangsverfahren geht, fällt in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Sie hat auch diskriminierenden Charakter, da das Mindestalter für ihre Gewährung für Männer und Frauen unterschiedlich ist.

19 Zum Wesen der Leistung führt die österreichische Regierung aus, es handele sich um eine Altersrente im Sinne des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie, nicht um eine Leistung bei Invalidität, auf die die Festsetzung des Rentenalters Auswirkungen habe.

20 Zwar ist die Gewährung der fraglichen Leistung vom Erreichen eines bestimmten Alters abhängig; die Leistung wird jedoch nur Personen gewährt, die infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande sind, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

21 Eine derartige Leistung ist keine Altersrente im Sinne des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie, der als Ausnahmebestimmung nach ständiger Rechtsprechung angesichts der wesentlichen Bedeutung des Grundsatzes der Gleichbehandlung eng auszulegen ist (vgl. insbesondere Urteil vom 30. März 1993 in der Rechtssache C-328/91, Thomas u. a., Slg. 1993, I-1247, Randnr. 8).

22 Deshalb ist zu prüfen, ob es sich bei der Festsetzung eines für Männer und Frauen unterschiedlichen Alters als Voraussetzung für die Gewährung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistung um eine Auswirkung des für den Bezug der Altersrente festgesetzten Rentenalters handelt.

23 Die zeitlich begrenzte Aufrechterhaltung eines für Männer und Frauen unterschiedlichen Rentenalters kann auch nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie den Erlaß von Maßnahmen, die untrennbar mit dieser Ausnahmeregelung verbunden sind, sowie die Änderung derartiger Maßnahmen erforderlich machen (vgl. Urteil vom 23. Mai 2000 in der Rechtssache C-196/98, Hepple u. a., Slg. 2000, I-0000, Randnr. 23).

24 Der Ausnahme in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie würde nämlich ihre praktische Wirksamkeit genommen, wenn ein Mitgliedstaat, der für Männer und Frauen ein unterschiedliches Rentenalter festgesetzt hat, nach Ablauf der Umsetzungsfrist keine damit zusammenhängende Maßnahmen erlassen oder ändern dürfte (vgl. Urteil Hepple u. a., Randnr. 24).

25 Setzt ein Mitgliedstaat unter Berufung auf Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie für die Gewährung der Alters- und Ruhestandsrente für Männer und Frauen ein unterschiedliches Alter fest, so ist nach ständiger Rechtsprechung der mit der Wendung "etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen" in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a definierte Anwendungsbereich der zugelassenen Ausnahme auf solche in anderen Leistungssystemen bestehenden Diskriminierungen beschränkt, die notwendig und objektiv mit dieser unterschiedlichen Altersgrenze verbunden sind (vgl. insbesondere das Urteil Thomas u. a., Randnr. 20, sowie die Urteile vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-92/94, Graham u. a., Slg. 1995, I-2521, Randnr. 11, und vom 30. Januar 1997 in der Rechtssache C-139/95, Balestra, Slg. 1997, I-549, Randnr. 33).

26 Eine solche Verbindung besteht, wenn die Diskriminierungen objektiv erforderlich sind, um zu verhindern, daß das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit gefährdet wird, oder um die Kohärenz zwischen dem System der Altersrenten und dem der anderen Leistungen zu gewährleisten (vgl. Urteile Thomas u. a., Randnr. 12, Graham u. a., Randnr. 12, und Balestra, Randnr. 35).

27 Was zunächst die Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit angeht, ergibt sich aus dem Vorlagebeschluß sowie aus den schriftlichen Erklärungen der österreichischen Regierung, daß die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit Männern und Frauen hauptsächlich aus Haushaltsgründen von einem unterschiedlichen Alter an gewährt wird.

28 Haushaltserwägungen können sozialpolitischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats zwar zugrunde liegen und die Art oder das Ausmaß der sozialen Schutzmaßnahmen, die er treffen möchte, beeinflussen, sie stellen als solche jedoch kein mit der Sozialpolitik verfolgtes Ziel dar und können daher eine Diskriminierung nach dem Geschlecht nicht rechtfertigen (Urteil vom 24. Februar 1994 in der Rechtssache C-343/92, Roks u. a., Slg. 1994, I-571, Randnr. 35).

29 Im übrigen ist vor dem Gerichtshof, abgesehen von allgemeinen Haushaltserwägungen, nichts dafür vorgetragen worden, daß zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit eine gegenseitige Abhängigkeit besteht, die durch die Aufhebung der Diskriminierung, um die es im Ausgangsverfahren geht, beeinträchtigt werden könnte.

30 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß die Aufhebung dieser Diskriminierung keine schwerwiegenden Auswirkungen auf das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit insgesamt haben würde.

31 Was weiter die Gewährleistung der Kohärenz zwischen der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit und der Altersrente betrifft, besteht ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Leistungen nur insoweit, als die letztere an die Stelle der ersteren tritt, wenn der Versicherte das gesetzliche Rentenalter erreicht.

32 Zwischen dem Mindestalter für den Bezug der fraglichen Leistung und dem gesetzlichen Rentenalter besteht nämlich kein direkter Zusammenhang, da das Mindestalter für die Entstehung des Anspruchs auf die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit für Frauen auf 55 Jahre, d. h. fünf Jahre vor dem gesetzlichen Rentenalter, für Männer dagegen auf 57 Jahre, d. h. acht Jahre vor dem gesetzlichen Rentenalter, festgesetzt wurde.

33 Im übrigen wurde, wie sich aus Randnummer 27 ergibt, die Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit hauptsächlich aus Haushaltsgründen von einem für Männer und Frauen unterschiedlichen Rentenalter abhängig gemacht.

34 Daher kann nicht geltend gemacht werden, daß die Einführung der Diskriminierung, um die es im Ausgangsverfahren geht, objektiv notwendig sei, um die Kohärenz zwischen der Altersrente und der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewährleisten.

35 Nach alledem ist eine Diskriminierung der im Ausgangsverfahren fraglichen Art nicht notwendig mit dem unterschiedlichen Rentenalter für Männer und Frauen verbunden. Sie fällt somit nicht unter die Ausnahme in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie.

36 Deshalb ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, daß die Ausnahme in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie nicht auf eine Leistung wie die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit anwendbar ist, für die im nationalen Recht nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie ein für Männer und Frauen unterschiedliches Rentenalter festgesetzt wurde.

Zu den zeitlichen Wirkungen dieses Urteils

37 In der mündlichen Verhandlung haben die österreichische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs auf die Möglichkeit hingewiesen, daß der Gerichtshof die zeitlichen Wirkungen dieses Urteils begrenzen könne, falls er der Auffassung sein sollte, daß die österreichische Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei.

38 Zur Begründung ihres entsprechenden Ersuchens hat die österreichische Regierung darauf hingewiesen, daß die Aufhebung der diskriminierenden Maßnahmen bedeutende finanzielle Konsequenzen hätte, während die Regierung des Vereinigten Königreichs die Neuartigkeit der im Ausgangsverfahren aufgeworfenen Fragen hervorgehoben hat.

39 Der Gerichtshof kann die Befugnis der Betroffenen, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken (Urteile vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 24/86, Blaizot, Slg. 1988, 379, Randnr. 28, und vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-163/90, Legros u. a., Slg. 1992, I-4625, Randnr. 30).

40 Im vorliegenden Fall lag bereits bei Erlaß der österreichischen Regelung eine Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie vor, die es der Republik Österreich ermöglichte, die Vereinbarkeit dieser Regelung mit der Richtlinie zu prüfen (vgl. insbesondere Urteil vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-9/91, Equal Opportunities Commission, Slg. 1992, I-4297, sowie die Urteile Thomas u. a. und Graham u. a.).

41 Zudem rechtfertigen die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einer Vorabentscheidung für einen Mitgliedstaat ergeben können, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen des betreffenden Urteils (vgl. insbesondere Urteile vom 11. August 1995 in den Rechtssachen C-367/93 bis C-377/93, Roders u. a., Slg. 1995, I-2229, Randnr. 48, vom 19. Oktober 1995 in der Rechtssache C-137/94, Richardson, Slg. 1995, I-3407, Randnr. 37, und vom 13. Februar 1996 in den Rechtssachen C-197/94 und C-252/94, Bautiaa und Société française maritime, Slg. 1996, I-505, Randnr. 55).

42 Folglich besteht kein Anlaß, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.

Kostenentscheidung:

Kosten

43 Die Auslagen der österreichischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 31. März 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Ausnahme in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist nicht auf eine Leistung wie die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit anwendbar, für die im nationalen Recht nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie ein für Männer und Frauen unterschiedliches Rentenalter festgesetzt wurde.

Ende der Entscheidung

Zurück