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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.02.1993
Aktenzeichen: C-107/91
Rechtsgebiete: EAG-Vertrag, EWG-Vertrag


Vorschriften:

EAG-Vertrag Art. 53 Abs. 2
EAG-Vertrag Art. 57
EAG-Vertrag Art. 148
EWG-Vertrag Art. 175
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Jede ausdrückliche oder stillschweigende Handlung der durch den EAG-Vertrag eingerichteten Versorgungsagentur bei der Ausübung ihres Bezugsrechts oder ihres ausschließlichen Rechts zum Abschluß von Lieferverträgen über Erze und Kernbrennstoffe kann gemäß Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag durch die Beteiligten der Kommission unterbreitet werden, die hierüber innerhalb eines Monats zu entscheiden hat.

Diese Entscheidung betrifft selbst dann, wenn sie an die Agentur gerichtet wird, die Person, die die Kommission befasst hat, unmittelbar und individuell im Sinne des Artikels 146 Absatz 2 EAG-Vertrag, so daß der Betroffene, falls ihr Erlaß unterbleibt, den gerichtlichen Schutz für das ihm durch Artikel 53 Absatz 2 eingeräumte Recht in Anspruch nehmen können muß, der in der Möglichkeit besteht, beim Gerichtshof Untätigkeitsklage gemäß Artikel 148 EAG-Vertrag zu erheben.

Die Aufforderung zum Tätigwerden, die nach dieser Bestimmung verlangt wird, kann gleichzeitig mit der Unterbreitung der Entscheidung der Agentur gemäß Artikel 53 Absatz 2 an die Kommission gerichtet werden.

2. Wenn sich ein Uranerzeugungsunternehmen, das vor Problemen des Absatzes seiner Erzeugung steht, an die durch den EAG-Vertrag errichtete Versorgungsagentur wendet und diese auffordert, ihr Bezugsrecht im Sinne von Artikel 57 EAG-Vertrag auszuüben, als Antwort jedoch lediglich die Versicherung erhält, daß eine Lösung seines Problems gesucht werde, so kommt dies einer stillschweigenden Ablehnung durch die Agentur gleich. War die Kommission mit dieser ablehnenden Entscheidung gemäß Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag befasst, so war sie verpflichtet, innerhalb eines Monats eine Entscheidung zu erlassen. Hat sie dies nicht getan, so hat sie gegen diese Bestimmung verstossen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 16. FEBRUAR 1993. - EMPRESA NACIONAL DE URANIO SA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - EAG - UNTAETIGKEITSKLAGE - VERSORGUNGSAGENTUR - ABSATZ DER URANIUMVORRAETE. - RECHTSSACHE C-107/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Empresa Nacional de Urânio SA hat gemäß Artikel 148 EAG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß es die Kommission unterlassen hat, die von ihr gemäß Artikel 53 EAG-Vertrag beantragte Entscheidung zu erlassen und an sie zu richten.

2 Die Klägerin ist ein Unternehmen, das sich im portugiesischen Hoheitsgebiet mit der Erzeugung von Urankonzentraten (U 308) beschäftigt. Mangels industrieller Kernreaktoren in Portugal muß die Klägerin ihre gesamte Produktion ausführen. Sie hatte zu diesem Zweck einen langfristigen Vertrag mit dem Unternehmen Électricité de France (im folgenden: EDF) über ungefähr 73 % ihrer Produktion geschlossen. Der Rest wurde an Gelegenheitsabnehmer verkauft. Die sehr niedrigen Marktpreise, die nicht einmal die Gestehungskosten deckten und praktisch jedes Geschäft verhinderten, sowie die Entscheidung der EDF, keine langfristigen Verträge mehr abzuschließen, führten bei der Klägerin zur Anhäufung von Uranvorräten und zu schwerwiegenden finanziellen Problemen.

3 Aufgrund der Bestimmungen des Kapitels VI EAG-Vertrag forderte die Klägerin die Euratom-Versorgungsagentur (im folgenden: Agentur) auf, ihr Bezugsrecht gemäß Artikel 57 EAG-Vertrag hinsichtlich 350 t Urankonzentrat auszuüben. Sie wies auch die Generaldirektion Energie der Kommission auf ihre Lage hin. Die Agentur antwortete mit Schreiben vom 8. November 1988, daß das von der Klägerin aufgeworfene Problem erheblich sei und daß ihm die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet werde. Die Kommission versprach ihrerseits mit Schreiben vom 14. November 1988, das Problem im Sinne einer positiven Lösung zu untersuchen.

4 Da auf diese beiden Schreiben nichts weiter erfolgte, forderte die Klägerin die Agentur am 25. Oktober 1989 erneut auf, gemäß Kapitel VI EAG-Vertrag tätig zu werden, und übermittelte der Kommission eine Abschrift dieses Schreibens zusammen mit der Mitteilung, daß der Absatz ihres Lagerbestandes eine Voraussetzung für ihr Überleben sei. Mit Schreiben vom 8. Dezember 1989 teilte die Kommission der Klägerin mit, sie teile den Standpunkt, daß die Versorgungspolitik der Agentur eine "besondere Regelung" umfassen müsse, die es erlaube, Fälle wie den der Klägerin zu lösen, und daß sie die Agentur aufgefordert habe, zur konkreten Verwirklichung der Handlungsvorschläge überzugehen, die sie in diesem Sinne vorgelegt habe. Entsprechend dieser Aufforderung erarbeitete die Agentur einen "Entwurf einer praktischen Lösung des Teilbereichs 'portugiesisches Uran' der Versorgungspolitik". Die Agentur verhandelte sodann mit den Verbrauchern in der Gemeinschaft, um sie von der Annahme eines Absatzplans für portugiesisches Uran zu überzeugen. Die Anfragen der Agentur blieben erfolglos.

5 Die Klägerin wandte sich daher an die Kommission und beantragte mit Schreiben vom 21. Dezember 1990,

"a) die Agentur gemäß Artikel 53 anzuweisen,... das ordnungsgemässe Funktionieren der in Kapitel VI EAG-Vertrag niedergelegten Mechanismen wiederherzustellen, indem sie die Einhaltung der Bestimmungen über die gemeinsame Versorgungspolitik gewährleistet...;

b) unverzueglich Ermittlungen anzustellen und sodann entsprechend den Ergebnissen dieser Ermittlungen tätig zu werden, damit festgestellt werden kann, wie es möglich war, daß sich die Verbraucher in der Gemeinschaft frei mit Uran auf den ausländischen Märkten eindeckten, obwohl die gesamte Produktion der ENU verfügbar ist, und zwar zu einem angemessenen Preis..., ohne daß die Kommission eine Prüfung gemäß Artikel 66 EAG-Vertrag vornahm, und zuwiderhandelnde Unternehmen unmittelbar oder über die Agentur darauf hinzuweisen, daß sie im Falle neuer Einfuhren, während die Produktion der ENU noch zum Verkauf steht, gegen sie vorgehen werde...;

c) mit der ENU den Betrag eines dieser zu gewährenden angemessenen Ersatzes des Schadens zu erörtern, den ihr die rechtswidrige Untätigkeit ° der Kommission und der Versorgungsagentur ° bei der Ausübung ihrer Gemeinschaftszuständigkeiten verursacht hat;

d) die Versorgungsagentur anzuweisen, unter Beachtung der Entscheidung der Kommission ° die von der Agentur nicht beachtet wurde ° eine 'besondere Regelung' vorzunehmen, die eine sofortige Lösung des Problems des Uranabsatzes der ENU erlaubt, und [sie] bei dieser Durchführung [zu unterstützen]...;

e) daher die Agentur anzuweisen, die an sie gerichtete Entscheidung durchzuführen und eine befriedigende Lösung des Problems der ENU zu treffen ° unbeschadet der Anwendung der Bestimmungen des Vertrages in einer Weise, die es erlaubt, die zukünftigen Schwierigkeiten zu verringern."

6 Mit Schreiben vom 17. Januar 1991 bestätigte die Kommission den Empfang des Schreibens vom 21. Dezember 1990 und erklärte, sie werde dieses Schreiben angemessen prüfen. Nachdem drei Monate verstrichen waren, ohne daß eine Antwort der Kommission erfolgte, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Gegenstand der Klage

8 Artikel 53 EAG-Vertrag lautet:

"Die Agentur steht unter der Aufsicht der Kommission; diese erteilt ihr Richtlinien, hat gegen ihre Entscheidungen ein Einspruchsrecht und ernennt ihren Generaldirektor sowie ihren stellvertretenden Generaldirektor.

Jede ausdrückliche oder stillschweigende Handlung der Agentur bei Ausübung ihres Bezugsrechts oder ihres ausschließlichen Rechts zum Abschluß von Lieferverträgen kann durch die Beteiligten der Kommission unterbreitet werden, die hierüber innerhalb eines Monats zu entscheiden hat."

9 Artikel 148 EAG-Vertrag lautet:

"Unterlässt es der Rat oder die Kommission unter Verletzung dieses Vertrages, einen Beschluß zu fassen, so können die Mitgliedstaaten und die anderen Organe der Gemeinschaft beim Gerichtshof Klage auf Feststellung dieser Vertragsverletzung erheben.

Diese Klage ist nur zulässig, wenn das in Frage stehende Organ zuvor aufgefordert worden ist, tätig zu werden. Hat es binnen zwei Monaten nach dieser Aufforderung nicht Stellung genommen, so kann die Klage innerhalb einer weiteren Frist von zwei Monaten erhoben werden.

Jede natürliche oder juristische Person kann nach Maßgabe der Absätze 1 und 2 vor dem Gerichtshof Beschwerde darüber führen, daß ein Organ der Gemeinschaft es unterlassen hat, einen anderen Akt als eine Empfehlung oder eine Stellungnahme an sie zu richten."

10 Wie der Gerichtshof zu Artikel 175 EWG-Vertrag, der den gleichen Wortlaut hat wie Artikel 148 EAG-Vertrag, festgestellt hat, beruht die Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage auf der Vorstellung, daß die rechtswidrige Untätigkeit des Rates oder der Kommission den anderen Organen und den Mitgliedstaaten sowie in bestimmten Fällen einzelnen die Befassung des Gerichtshofes ermöglichen soll, um von diesem feststellen zu lassen, daß die Unterlassung ° soweit das betroffene Organ sie nicht abgestellt hat ° gegen den Vertrag verstösst (Urteile vom 12. Juli 1988 in der Rechtssache 377/87, Parlament/Kommission, Slg. 1988, 4017, Randnr. 9, und in der Rechtssache 383/87, Kommission/Rat, Slg. 1988, 4051, Randnr. 9). Der Inhalt der Antwort der Organe auf die Aufforderung zum Tätigwerden muß nicht notwendig mit dem Begehren der Kläger übereinstimmen, damit der Untätigkeit abgeholfen wird. Artikel 175 meint die Untätigkeit durch Nichtbescheidung oder Nichtstellungnahme, nicht aber den Erlaß eines anderen als des von den Betroffenen gewünschten oder für notwendig erachteten Rechtsakts (Urteil vom 13. Juli 1971 in der Rechtssache 8/71, Deutscher Komponistenverband/Kommission, Slg. 1971, 705).

11 Die Besonderheit des Artikels 53 Absatz 2 EAG-Vertrag besteht darin, daß den Betroffenen, die eine Handlung der Agentur anfechten möchten, Gelegenheit gegeben wird, die Kommission zu befassen und sie zu verpflichten, innerhalb eines Monats eine Entscheidung zu treffen.

12 Die Klägerin macht geltend, sie habe mit ihrem Schreiben vom 21. Dezember 1990 der Kommission eine Handlung im Sinne von Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag unterbreitet. Indem es die Kommission entgegen dieser Bestimmung unterlassen habe, eine Entscheidung zu treffen, habe sie eine Vertragsverletzung begangen.

13 Gegenstand der Klage der Klägerin ist die Feststellung dieser Vertragsverletzung gemäß Artikel 148 EAG-Vertrag.

Zulässigkeit

14 Die Kommission macht mit drei Rügen die Unzulässigkeit der Klage geltend.

15 Erstens vertritt sie die Ansicht, daß die Klägerin nicht nach Artikel 148 EAG-Vertrag zur Klage befugt sei, da die beantragte Maßnahme oder Handlung, wenn sie erlassen bzw. durchgeführt worden wäre, gemäß Artikel 53 Absatz 2 EAG -Vertrag nicht an die Klägerin, sondern an die Versorgungsagentur hätte gerichtet werden müssen.

16 Gegenstand der von der Klägerin beantragten Entscheidung hätte die Lösung des konkreten Problems sein sollen, das diese der Agentur und der Kommission unterbreitet hatte. Die Entscheidung hätte nach Ansicht der Klägerin nach Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag erlassen werden müssen, der den Betroffenen das Recht verleihe, der Kommission eine Handlung der Agentur zu unterbreiten und von ihr eine Entscheidung zu erhalten.

17 Daher hätte eine solche Entscheidung selbst dann, wenn sie an die Agentur gerichtet worden wäre, die Klägerin unmittelbar und individuell betroffen; diese hätte sie daher nach Artikel 146 Absatz 2 EAG-Vertrag mit einer Klage beim Gerichtshof anfechten können.

18 Somit muß es der Klägerin möglich sein, den Gerichtshof nach Artikel 148 Absatz 3 EAG-Vertrag anzurufen, um dagegen vorzugehen, daß die angefochtene Entscheidung nicht erlassen wurde. Andernfalls gäbe es für das in Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag verankerte Recht keinen gerichtlichen Schutz.

19 Die erste Unzulässigkeitsrüge der Kommission ist deshalb zurückzuweisen.

20 Zweitens macht die Kommission geltend, daß die für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage in Artikel 148 Absatz 2 aufgestellte Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht erfuellt sei, denn das Schreiben vom 21. Dezember 1990 könne nicht gleichzeitig als Befassung der Kommission im Sinne von Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag und als Aufforderung zum Tätigwerden im Sinne von Artikel 148 Absatz 2 EAG-Vertrag angesehen werden. Erst nach Ablauf der Frist von einem Monat nach Artikel 53 Absatz 2 hätte eine Untätigkeit ihrerseits vorgelegen und somit die Aufforderung zum Tätigwerden an sie gerichtet werden können.

21 Diese Auslegung, die daraus hinausläuft, eine zweifache Aufforderung zum Tätigwerden zu verlangen, ist unzutreffend. Artikel 53 EAG-Vertrag schließt es nicht aus, daß die Betroffenen, wenn sie der Kommission eine Handlung der Agentur unterbreiten, damit in diesem Verfahrensabschnitt eine Aufforderung zum Tätigwerden im Sinne von Artikel 148 verbinden. Sind die Betroffenen in dieser Weise vorgegangen, so wäre es übertrieben formalistisch, von ihnen zu verlangen, daß sie ihre Aufforderung zum Tätigwerden wiederholten, wenn die Kommission nicht innerhalb eines Monats nach ihrer Befassung eine Entscheidung getroffen hat.

22 Die zweite Unzulässigkeitsrüge der Kommission ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

23 Drittens macht die Kommission geltend, daß die Klage verspätet sei, weil sie nach Ablauf der angemessenen Frist erhoben worden sei, die der einzelne nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes einhalten müsse, um gegen die Untätigkeit der Kommission vorzugehen. In ihrer Antwort an die Klägerin vom Dezember 1989 habe sie den Standpunkt der Agentur in vollem Umfang gebilligt, die Klage sei jedoch erst sechzehn Monate später erhoben worden.

24 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Zum einen konnte das Schreiben vom 8. Dezember 1989, mit dem die Kommission erklärte, sie teile den Standpunkt, daß die Versorgungspolitik der Agentur eine "besondere Regelung" zur Lösung des Problems der Klägerin umfassen müsse, von der Klägerin nicht als blosse Billigung des Standpunkts der Agentur ausgelegt werden. Zum anderen gab es, wie die Klägerin zu Recht ausgeführt hat, im gesamten maßgebenden Zeitraum häufige Kontakte zwischen der Kommission, der Agentur und der Klägerin, so daß diese annehmen durfte, daß das der Kommission und der Agentur unterbreitete Problem im positiven Sinn gelöst würde.

25 Nach allem ist die dritte Unzulässigkeitsrüge ebenfalls zurückzuweisen.

Begründetheit

26 Schon nach dem Wortlaut von Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag ist die Kommission verpflichtet, eine Entscheidung zu treffen, wenn ihr eine ausdrückliche oder stillschweigende Handlung der Agentur bei der Ausübung von deren Bezugsrecht oder deren ausschließlichem Recht zum Abschluß von Lieferverträgen von einem Beteiligten unterbreitet wird.

27 Hierzu besagt Artikel VIII Absatz 3 der vom Rat aufgrund Artikel 54 Absatz 2 EAG-Vertrag (ABl. 1958, 27, S. 534) erlassenen Satzung der Euratom-Versorgungsagentur:

"Jede in Artikel 53 Absatz 2 des Vertrages bezeichnete Handlung der Agentur kann von den davon Betroffenen binnen fünfzehn Tagen nach der Zustellung oder, wenn sie nicht zugestellt wurde, nach ihrer Bekanntgabe der Kommission unterbreitet werden. Wurde die Handlung weder zugestellt noch bekanntgegeben, so läuft die Frist von dem Tage an, an dem der Betroffene von der Handlung Kenntnis erlangt hat."

28 Die Agentur hat in den fünfzehn Tagen vor der Absendung des Schreibens vom 21. Dezember 1990 keine ausdrückliche Handlung an die Klägerin gerichtet.

29 Daher ist zu prüfen, ob die Klägerin, wie sie vorträgt, der Kommission mit diesem Schreiben eine stillschweigende Handlung der Agentur unterbreitet hat.

30 Hierzu ist erstens festzustellen, daß die Klägerin die Agentur aufgefordert hat, ihr Bezugsrecht im Sinne von Artikel 57 EAG-Vertrag hinsichtlich ihrer Uranerzeugung auszuüben, und daß die von der Agentur während mehrerer Jahre eingenommene Haltung einer stillschweigenden Ablehnung dieses Antrags gleichkommt, obwohl sie ihre Absicht kundgetan hatte, eine positive Lösung für das Problem der Klägerin zu finden.

31 Zweitens ist festzustellen, daß die Kommission als Antwort auf den erwähnten Antrag, der auch an sie gerichtet worden war, der Klägerin mit Schreiben vom 8. Dezember 1989 mitteilte, sie teile den Standpunkt, daß die Versorgungspolitik der Agentur eine "besondere Regelung" umfassen müsse, die es ermögliche, Fälle wie den der Klägerin zu lösen, und daß sie die Agentur aufgefordert habe, die Handlungsvorschläge, die sie in diesem Sinne vorgelegt habe, konkret zu verwirklichen.

32 Vor diesem Hintergrund ist das Schreiben der Klägerin an die Kommission vom 21. Dezember 1990 unter dem Blickwinkel des Artikels 53 Absatz 2 EAG-Vertrag rechtlich zu qualifizieren.

33 Unter diese Bestimmung fallen nicht die verschiedenartigen Anträge im Zusammenhang mit der Politik, die die Agentur nach Ansicht der Klägerin verfolgen soll, und der Antrag, der die Erörterung der Höhe des von der Klägerin geforderten Schadensersatzes betrifft.

34 Soweit hingegen förmlich bei der Kommission "gemäß Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag" beantragt wird, namentlich die Agentur anzuweisen, eine "besondere Regelung" zu schaffen, die die sofortige Lösung des Problems des Uranabsatzes der Klägerin erlaubt, ist das Schreiben so zu verstehen, daß mit ihm der Kommission die stillschweigende Weigerung der Agentur, ihr Bezugsrecht hinsichtlich der Uranerzeugung der Klägerin auszuüben, unterbreitet wird.

35 Da im übrigen weder die Agentur noch die Kommission jemals ausdrücklich abschlägig zum Antrag der Klägerin Stellung genommen, sondern im Gegenteil zu verstehen gegeben haben, daß dieser Antrag mit dem Ziel geprüft werde, zu einer positiven Lösung zu gelangen, kann die stillschweigende Ablehnung nicht einem genauen Zeitpunkt zugeordnet werden, der die Frist des Artikels VIII Absatz 3 der Satzung der Agentur in Lauf gesetzt hätte.

36 Somit waren im vorliegenden Fall die Voraussetzungen von Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag erfuellt, und die Kommission war daher verpflichtet, über den Antrag der Klägerin nach dieser Bestimmung innerhalb eines Monats nach Antragstellung zu entscheiden. Da die Antwort im Schreiben vom 17. Januar 1991 nur ein Zwischenbescheid war, ist festzustellen, daß diese Verpflichtung nicht erfuellt worden ist.

37 Die Kommission macht schließlich geltend, selbst wenn die Weigerung der Agentur, das in Rede stehende Uran zu erwerben, als "fortdauernde Handlung" betrachtet werden müsse, die ihr jederzeit unterbreitet werden könne, müsse das gleiche für die in ihrem Schreiben vom 8. Dezember 1989 enthaltene Entscheidung gelten; unter diesen Umständen habe sie nicht verpflichtet sein können, eine neue Entscheidung zu erlassen, die nur Wiederholungscharakter gehabt hätte.

38 Dieses Vorbringen geht schon deshalb fehl, weil die Kommission in dem fraglichen Schreiben nicht abschließend zum Antrag der Klägerin Stellung genommen hat.

39 Daher ist festzustellen, daß es die Kommission unter Verstoß gegen Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag unterlassen hat, eine Entscheidung über den Antrag zu erlassen, den die Klägerin nach dieser Bestimmung bei ihr gestellt hatte.

Kostenentscheidung:

Kosten

40 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Kommission hat es unter Verstoß gegen Artikel 53 Absatz 2 EAG-Vertrag unterlassen, eine Entscheidung über den Antrag zu erlassen, den die Klägerin nach dieser Bestimmung bei ihr gestellt hatte.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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