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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 29.06.1995
Aktenzeichen: C-109/94
Rechtsgebiete: EG-Vertrag
Vorschriften:
EG-Vertrag Artikel 169 |
1. Eine blosse Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist, kann nicht als eine rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtung angesehen werden, die den Mitgliedstaaten, an die eine Richtlinie gerichtet ist, gemäß Artikel 189 des Vertrages obliegt.
2. Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der sich aus den Gemeinschaftsrichtlinien ergebenden Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 29. JUNI 1995. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG EINES MITGLIEDSTAATS - RICHTLINIEN 90/618/EWG, 88/357/EWG UND 90/619/EWG - NICHTUMSETZUNG - VERSICHERUNGEN. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-109/94, C-207/94 UND C-225/94.
Entscheidungsgründe:
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschriften, die am 7. April 1994 (C-109/94), am 14. Juli 1994 (C-207/94) und am 1. August 1994 (C-225/94) in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden sind, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag drei Klagen auf Feststellung erhoben, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstossen hat, daß sie nicht fristgerecht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen und (C-109/94), hilfsweise (C-207/94 und C-225/94), der Kommission mitgeteilt hat, um in der Rechtssache C-109/94 der Richtlinie 90/618/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG und der Richtlinie 88/357/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), insbesondere bezueglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 330, S. 44), in der Rechtssache C-207/94 der Zweiten Richtlinie 88/357/EWG des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG (ABl. L 172, S. 1) und in der Rechtssache C-225/94 der Zweiten Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG (ABl. L 330, S. 50) nachzukommen.
2 Durch Beschluß vom 16. Dezember 1994 hat der Präsident des Gerichtshofes die drei Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.
3 Gemäß Artikel 12 der Richtlinie 90/618, Artikel 32 der Richtlinie 88/357 und Artikel 30 der Richtlinie 90/619 hatten die Mitgliedstaaten die zur Umsetzung der Richtlinien erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis zum 20. Mai 1992, zum 31. Dezember 1989 und zum 20. November 1992 in Kraft zu setzen. Gemäß denselben Artikeln hatten sie der Kommission ausserdem den Erlaß der Vorschriften unverzueglich mitzuteilen.
4 Da der Kommission keine Maßnahmen zur Umsetzung der genannten Richtlinien in die griechische Rechtsordnung mitgeteilt wurden und sie über keine anderen Informationen verfügte, aus denen sie hätte schließen können, daß die Griechische Republik ihren Verpflichtungen nachgekommen war, beschloß sie, das in Artikel 169 des Vertrages vorgesehene Verfahren einzuleiten. Mit Schreiben vom 6. August 1992, vom 4. September 1990 und vom 21. Dezember 1992 forderte sie die griechische Regierung auf, sich innerhalb von zwei Monaten zu äussern.
5 In der Rechtssache C-109/94 antworteten die griechischen Behörden der Kommission mit Schreiben vom 7. Dezember 1992 und übermittelten ihr den Entwurf eines Präsidialdekrets u. a. zur Umsetzung der Richtlinie 90/618. In den Rechtssachen C-207/94 und C-225/94 beantworteten die griechischen Behörden das Aufforderungsschreiben nicht.
6 Am 7. Juli 1993, 6. August 1992 und 15. Februar 1994 übersandte die Kommission der Griechischen Republik drei mit Gründen versehene Stellungnahmen und forderte sie auf, innerhalb von zwei Monaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um diesen nachzukommen. In der Rechtssache C-109/94 teilte die Griechische Republik durch Schreiben vom 21. September 1993 mit, daß das Verfahren bezueglich des oben genannten Präsidialdekrets die Endphase erreicht habe. In den Rechtssachen C-207/94 und C-225/94 reagierte sie nicht. Die Kommission hat daraufhin beschlossen, die vorliegenden Klagen zu erheben.
7 Die Kommission vertritt unter Bezugnahme auf die Artikel 5 Absatz 1 und 189 Absatz 3 EG-Vertrag sowie die Artikel 12, 32 und 30 der Richtlinien 90/618, 88/357 und 90/619 die Ansicht, die Griechische Republik hätte die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um den genannten Richtlinien innerhalb der in ihnen festgelegten Fristen nachzukommen.
8 Die Griechische Republik beantragt, die Klagen abzuweisen, bestreitet aber nicht, daß die Richtlinien nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen umgesetzt wurden. Sie räumt überdies ihre Verpflichtung zu einer solchen Umsetzung ein. Sie weist jedoch in der Rechtssache C-109/94 darauf hin, daß die Nichtumsetzung der Richtlinie 90/618 in nationales Recht in der Praxis der tatsächlichen Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie nicht entgegenstehe. Auf diese Richtlinie gestützten Anträgen von Unternehmen aus der Gemeinschaft sei nämlich stattgegeben worden.
9 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Nach ständiger Rechtsprechung können blosse Verwaltungspraktiken, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt sind, nicht als eine rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtungen aus dem Vertrag angesehen werden (vgl. Urteil vom 17. November 1992 in der Rechtssache C-235/91, Kommission/Irland, Slg. 1992, I-5917, Randnr. 10).
10 Die Griechische Republik weist sowohl in der Rechtssache C-109/94 als auch in der Rechtssache C-225/94 ferner darauf hin, daß das Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat) die Verkündung eines Präsidialdekrets zur Umsetzung der Richtlinien 90/618, 88/357 und 90/619 für unmöglich gehalten habe, da die Bestimmungen dieser Richtlinien inzwischen durch die Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) (ABl. L 228, S. 1) und durch die Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung) (ABl. L 360, S. 1) geändert, ersetzt oder aufgehoben worden seien. Nach Ansicht des Symvoulio tis Epikrateias bestehe bei einem solchen Dekret nämlich die Gefahr, daß es auf Rechtsakte Bezug nehme, die nicht mehr existierten. Im Anschluß an diese Stellungnahme hätten die zuständigen Behörden die Initiative für ein neues Präsidialdekret ergriffen, durch das die fünf Richtlinien 88/357, 90/618, 90/619, 92/49 und 92/96 umgesetzt würden.
11 Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der sich aus den Gemeinschaftsrichtlinien ergebenden Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen (vgl. Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-303/92, Kommission/Niederlande, Slg. 1993, I-4739, Randnr. 9).
12 Folglich ist festzustellen, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstossen hat, daß sie nicht fristgerecht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um den Richtlinien 90/618, 88/357 und 90/619 nachzukommen.
Kostenentscheidung:
Kosten
13 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Kommission hat beantragt, die Griechische Republik zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1) Die Griechische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstossen, daß sie nicht fristgerecht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um folgenden Richtlinien nachzukommen:
° der Richtlinie 90/618/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG und der Richtlinie 88/357/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), insbesondere bezueglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung,
° der Zweiten Richtlinie 88/357/EWG des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG
und
° der Zweiten Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG.
2) Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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