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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.10.1991
Aktenzeichen: C-113/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 2173/79 der Kommission vom 04.10.1979 über Durchführungsbestimmungen betreffend den Absatz von den Interventionsstellen gekauften Rindfleisches


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 2173/79 der Kommission vom 04.10.1979 über Durchführungsbestimmungen betreffend den Absatz von den Interventionsstellen gekauften Rindfleisches Art. 2 Abs. 2 d
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Erklärung des potentiellen Käufers über den Verzicht auf Beanstandungen gemäß Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 2173/79 über Durchführungsbestimmungen betreffend den Absatz des von den Interventionsstellen gekauften Rindfleisches erstreckt sich nicht auf verborgene Mängel, die dieser Käufer ihrer Art nach bei einer dem Kaufantrag vorhergehenden Kontrolle nicht feststellen kann und die das zur Verarbeitung verkaufte Fleisch hierfür ungeeignet machen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 2. OKTOBER 1991. - GEBRUEDER SCHULTE AG UND H & E REINERT KG GEGEN BELGISCHE DIENST VOOR BEDRIJFSLEVEN EN LANDBOUW, BELGISCHE STAAT, INSTITUUT VOOR VETERINAIRE KEURING UND VANDEN AVENNE-OOIGEM NV. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RECHTBANK VAN EERSTE AANLEG BRUSSEL - BELGIEN. - KAUFVERTRAG FUER RINDFLEISCH AUS INTERVENTIONSBESTAENDEN - VERBORGENE MAENGEL - MAENGELRUEGE NACH DEM KAUF. - RECHTSSACHE C-113/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Rechtbank van eerste aanleg Brüssel hat mit Beschluß vom 9. April 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 23. April 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 2 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2173/79 der Kommission vom 4. Oktober 1979 über Durchführungsbestimmungen betreffend den Absatz des von den Interventionsstellen gekauften Rindfleisches und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 216/69 (ABl. L 251, S. 12) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gebrüder Schulte AG und der H. & E. Reinert KG, den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, auf der einen Seite und dem Belgische Dienst voor Bedrijfsleven en Landbouw (im folgenden: BDBL), dem Belgischen Staat, dem Instituut voor Veterinaire Keuring und der Firma Vanden Avenne, den Beklagten des Ausgangsverfahrens, auf der anderen Seite.

3 Die Verordnung (EWG) Nr. 1431/87 der Kommission vom 25. Mai 1987 über den Kauf von bestimmtem Interventionsrindfleisch, das zur Verarbeitung in der Gemeinschaft bestimmt ist, zu pauschal im voraus festgesetzten Preisen, zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 786/87 und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2182/77 (ABl. L 136, S. 26) sah in Artikel 1 Absatz 1 vor, daß in der Zeit vom 27. Mai 1987 bis 3. Juli 1987 rund 1 500 Tonnen vor dem 1. September 1986 gekauftes Fleisch mit Knochen aus Beständen des BDBL verkauft werden.

4 Am 21. Januar 1987 veröffentlichte der BDBL auf der Grundlage der Verordnung Nr. 2173/79 eine Mitteilung über die Bedingungen des Verkaufs des oben genannten Fleisches.

5 Die Klägerinnen gingen auf dieses Angebot ein und kauften verschiedene Mengen Fleisch. Sie ließen die Ware zwischen dem 25. Juni und dem 17. Juli 1987 durch ihren Bevollmächtigten in den Kühlhäusern der Firma Vanden Avenne abholen und transportierten sie nach Deutschland.

6 Mit Fernschreiben vom 21. und 22. Juli 1987 teilte der Bevollmächtigte der Klägerinnen dem BDBL mit, er habe nach dem Auftauen festgestellt, daß einige Fleischstücke Spuren von Schimmelbildung aufwiesen. Am 15. Oktober 1987 wurde durch einen von der EWG anerkannten Tierarzt ein Sachverständigengutachten erstellt, in dem das Fleisch für genussuntauglich erklärt wurde. Am 19. Oktober 1987 wurde ein Teil des Fleisches vernichtet.

7 Der BDBL wies jedoch die Beanstandung des Bevollmächtigten der Klägerinnen unter Berufung auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 2173/79 zurück, wonach ein Kaufantrag nur dann gültig sei, wenn der Antragsteller erkläre, auf Beanstandungen in bezug auf die Qualität und die Eigenschaften des Erzeugnisses, für das er gegebenenfalls den Zuschlag erhalte, zu verzichten.

8 Das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1) Bedeutet Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2173/79 vom 4. Oktober 1979, daß die vom Antragsteller abgegebene Erklärung diesen daran hindert, Ansprüche aufgrund fehlender Konformität der gelieferten Waren oder aufgrund verborgener Mängel geltend zu machen, wenn die Waren in tiefgefrorenem Zustand gekauft worden sind und erst nach dem Auftauen am Bestimmungsort eine Schimmelbildung aufweisen und daher nicht für eine Verarbeitung in Betracht kommen, oder betrifft diese "Erklärung" nur die äusserlich wahrnehmbaren Handelseigenschaften des Erzeugnisses?

2) Verstösst die Erstreckung dieser "Erklärung" auf nicht unmittelbar an Ort und Stelle wahrnehmbare hygienische Eigenschaften, die das Erzeugnis für die Verarbeitung ungeeignet machen,

a) gegen das Ziel der Verordnung (EWG) Nr. 1431/87, da sie sich auf den Verkauf "zur Verarbeitung" bezieht, oder

b) gegen das Ziel der Richtlinie 64/433/EWG, da sie den Versandmitgliedstaat für die gesundheitsbehördlichen Kontrollen bei den auszuführenden Fleischerzeugnissen verantwortlich macht?

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

10 Gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2173/79 muß ein gültiger Kaufantrag folgende Angaben enthalten:

"d) eine Erklärung, derzufolge der Antragsteller auf Beanstandungen in bezug auf die Qualität und die Eigenschaften des Erzeugnisses verzichtet, für das er gegebenenfalls den Zuschlag erhält".

11 Artikel 13 der Verordnung hat folgenden Wortlaut:

"Die Interventionsstellen ergreifen die notwendigen Maßnahmen, die es den Interessenten erlauben, sich vor ihrem Antrag oder Angebot über den Zustand der zum Verkauf gestellten Erzeugnisse zu unterrichten."

12 Nach den Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 2173/79 ist der Verzicht auf Beanstandungen nach dem Kauf dadurch gerechtfertigt, daß der potentielle Käufer den Zustand der zum Verkauf angebotenen Erzeugnisse vorher prüfen kann.

13 Die achte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2173/79 lautet nämlich:

"Die Abgabe eines Kaufantrags oder eines Angebots wird dadurch erleichtert, daß den Bietern die Möglichkeit gegeben wird, die Erzeugnisse zu prüfen. Es ist infolgedessen vorzusehen, daß die Bieter auf Beanstandungen in bezug auf die Qualität und die Eigenschaften des Erzeugnisses verzichten, für das sie gegebenenfalls den Zuschlag erhalten."

14 Die Erklärung über den Verzicht auf Beanstandungen kann sich daher nur auf solche Qualitätsmerkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses beziehen, die einer vorhergehenden Kontrolle durch den Bieter zugänglich sind. Sie kann sich somit nicht auf etwaige verborgene Mängel erstrecken, die er ihrer Art nach bei einer vorhergehenden Kontrolle nicht feststellen kann.

15 Diese Auslegung wird durch Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2182/77 der Kommission vom 30. September 1977 über Durchführungsbestimmungen für den Verkauf von gefrorenem Rindfleisch aus Beständen der Interventionsstellen zur Verarbeitung in der Gemeinschaft und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1687/76 (ABl. L 251, S. 60) bestätigt, wonach "die die Verarbeitung der Erzeugnisse gewährleistende Kaution bei der zuständigen Stelle des Mitgliedstaats, in welchem die Verarbeitung erfolgen soll,... hinterlegt [wird]". Es wäre nämlich mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht vereinbar, daß der Käufer den Verlust der Kaution hinnehmen müsste, wenn die Verarbeitung aufgrund verborgener Mängel, die einer vorhergehenden Kontrolle durch ihn nicht zugänglich sind, nicht vorgenommen werden könnte.

16 Auch entspricht nur diese Auslegung dem System und dem Zweck der Verordnung Nr. 1431/87, aufgrund der der Verkauf erfolgte, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt.

17 Zum einen wäre nämlich die Erreichung des Ziels dieser Verordnung, die Verarbeitung des verkauften Fleisches zu gewährleisten, gefährdet, wenn verborgene Mängel das Fleisch - wie im Ausgangsverfahren - für die Verarbeitung ungeeignet machen würden.

18 Zum anderen dürfen die Kaufanträge gemäß Artikel 1 Absatz 5 der Verordnung Nr. 1431/87 keine Angaben über das oder die Lager enthalten, in denen die beantragten Erzeugnisse eingelagert sind. Daraus folgt, daß der Käufer nicht vorhersehen kann, aus welchem Kühlhaus das Erzeugnis stammen wird, für das er gegebenenfalls den Zuschlag erhalten wird, und daß er somit nicht in der Lage ist, eine vorhergehende sachdienliche Kontrolle, beispielsweise durch die Entnahme von Proben, durchzuführen.

19 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die Erklärung über den Verzicht auf Beanstandungen gemäß Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 2173/79 sich nicht auf verborgene Mängel erstreckt, die der Käufer ihrer Art nach bei einer vorhergehenden Kontrolle nicht feststellen kann und die das Erzeugnis für die Verarbeitung ungeeignet machen.

Zur zweiten Frage

20 Angesichts der Antwort auf die erste Frage braucht über die zweite Frage nicht entschieden zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm von der Rechtbank van eerste aanleg Brüssel mit Beschluß vom 9. April 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Erklärung über den Verzicht auf Beanstandungen gemäß Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung (EWG) Nr. 2173/79 der Kommission vom 4. Oktober 1979 über Durchführungsbestimmungen betreffend den Absatz von den Interventionsstellen gekauften Rindfleisches und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 216/69 erstreckt sich nicht auf verborgene Mängel, die der Käufer ihrer Art nach bei einer vorhergehenden Kontrolle nicht feststellen kann und die das Erzeugnis für die Verarbeitung ungeeignet machen.

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