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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 01.06.1995
Aktenzeichen: C-119/94 P
Rechtsgebiete: EG-Satzung


Vorschriften:

EG-Satzung Art. 49
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die auf der fehlenden Begründung der Entscheidung, die Bewerbung eines Beamten um eine für frei erklärte Planstelle nicht zu berücksichtigen, beruhende Rechtswidrigkeit muß angesichts der Notwendigkeit, die Interessen Dritter zu berücksichtigen, nicht zur Ungültigkeit des gesamten Verfahrens, an dessen Ende die Stelle besetzt wurde, führen, und die Gewährung von Schadensersatz kann eine gerechte Wiedergutmachung des dem Rechtsmittelführer durch den Amtsfehler des Organs zugefügten immateriellen Schadens darstellen, so daß das Rechtsmittel gegen ein Urteil des Gerichts, in dem diese Art der Entschädigung für die Rechtswidrigkeit gewählt wurde, zurückzuweisen ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 1. JUNI 1995. - DIMITRIOS COUSSIOS GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - RECHTSMITTEL - BEAMTE - FEHLEN DER BEGRUENDUNG EINER ENTSCHEIDUNG UEBER DIE ABLEHNUNG EINER BEWERBUNG - GEWAEHRUNG VON SCHADENSERSATZ - VERZICHT AUF DIE RECHTE AUS DEM STATUT. - RECHTSSACHE C-119/94 P.

Entscheidungsgründe:

1 Dimitrios Coussios hat mit Rechtsmittelschrift, die am 22. April 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung und den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 23. Februar 1994 in den verbundenen Rechtssachen T-18/92 und T-68/92 (Coussios/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-171) eingelegt, soweit das Gericht seine Anträge auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 13. Februar 1992,

° die mit der Stellenausschreibung KOM/64/91 für frei erklärte Planstelle nicht durch Beförderung oder Versetzung zu besetzen,

° kein internes Auswahlverfahren durchzuführen und

° ein externes Auswahlverfahren einzuleiten,

zurückgewiesen hat.

2 Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, daß der Rechtsmittelführer sich um die Planstelle des Leiters eines neuen Referats mit der Bezeichnung DG VII.C.3 bewarb, die am 2. Mai 1991 mit der Stellenausschreibung KOM/64/91 für frei erklärt worden war.

3 Am 5. Juli 1991 bat die Kommission die übrigen Organe, diese Stellenausschreibung ihrem Personal bekanntzugeben. Am 8. Juli 1991 "veröffentlichte" die Kommission die Ausschreibung, deren Wortlaut geändert worden war, "erneut". Der Rechtsmittelführer bewarb sich wiederum.

4 Der Rechtsmittelführer hat am 6. März 1992 beim Gericht eine erste Klage (T-18/92) insbesondere auf Aufhebung der Entscheidung über die "Neuveröffentlichung" der Ausschreibung erhoben.

5 Am 13. Februar 1992 beschloß die Kommission, die freie Planstelle nicht zu besetzen, kein internes Auswahlverfahren durchzuführen und ein externes Auswahlverfahren einzuleiten.

6 Diese Entscheidung wurde dem Rechtsmittelführer mit Schreiben vom 14. April 1992 mitgeteilt. Am 22. April 1992 legte dieser Beschwerde ein. Am 22. August 1992 kam es zur stillschweigenden Zurückweisung der Beschwerde. Der Rechtsmittelführer hat am 18. September 1992 beim Gericht seine zweite Klage (T-68/92) auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 13. Februar 1992 erhoben. Am 28. September 1992 erhielt er eine Entscheidung, mit der seine Beschwerde vom 22. April 1992 ausdrücklich zurückgewiesen wurde.

7 Das Gericht hat die Beteiligten in der Sitzung vom 27. April 1993 angehört. Aufgrund der Verkündung der Urteile des Gerichtshofes vom 6. Juli 1993 in der Rechtssache C-242/90 P (Kommission/Albani u. a., Slg. 1993, I-3839) und vom 9. Dezember 1993 in der Rechtssache C-115/92 P (Parlament/Volger, Slg. 1993, I-6549) hat das Gericht am 16. Dezember 1993 die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschlossen. So sind die Beteiligten in der Sitzung vom 12. Januar 1994 zu den Konsequenzen, die aus diesen beiden Urteilen zu ziehen seien, angehört worden.

8 Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage in der Rechtssache T-18/92 in vollem Umfang abgewiesen.

9 In der Rechtssache T-68/92 hat es festgestellt, daß die Entscheidung vom 13. Februar 1992 als Weigerung anzusehen sei, die für frei erklärte Planstelle durch Beförderung des Rechtsmittelführers zu besetzen, und daß ihm vor Erhebung seiner Klage keine mit Gründen versehene Entscheidung über die Zurückweisung seiner Beschwerde zugegangen sei. Es hat dementsprechend entschieden, daß der vom Rechtsmittelführer geltend gemachte, auf das Fehlen einer Begründung der Entscheidung, seine Bewerbung nicht zu berücksichtigen, gestützte Klagegrund durchgreife und daß diese Entscheidung demnach rechtswidrig gewesen sei (Randnr. 92).

10 Das Gericht hat sodann ausgeführt, daß die Entscheidungen, kein internes Auswahlverfahren durchzuführen und ein externes Auswahlverfahren einzuleiten, als solche nicht rechtswidrig gewesen seien (Randnr. 100).

11 Es hat jedoch geprüft, inwieweit sich ihre Rechtswidrigkeit aus der auf der fehlenden Begründung beruhenden Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Bewerbung des Klägers um die streitige Planstelle im Wege der Beförderung ergebe (Randnr. 101), und es hat festgestellt, daß die Ablehnung von Bewerbungen um eine Beförderung nach Artikel 29 Absatz 1 Buchstabe a des Statuts eine notwendige Voraussetzung für die Zulassung zu den späteren Stufen des in Artikel 29 Absatz 1 vorgesehenen Verfahrens sei (Randnr. 102). Es hat daraus gefolgert, daß die festgestellte Rechtswidrigkeit die Rechtswidrigkeit der Entscheidungen nach sich ziehe, kein internes Auswahlverfahren durchzuführen und ein externes Auswahlverfahren einzuleiten (Randnr. 103).

12 Das Gericht hat jedoch auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes verwiesen, wonach gemäß dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit die Interessen der Kläger, die von einer rechtswidrigen Handlung betroffen sind, und die Interessen Dritter miteinander in Einklang zu bringen seien, so daß nicht nur die Notwendigkeit, die Rechte der Kläger wiederherzustellen, sondern auch das berechtigte Vertrauen Dritter zu berücksichtigen sei (Randnr. 105), und es hat ausgeführt, daß eine Aufhebung der Entscheidungen, kein internes Auswahlverfahren durchzuführen und ein externes Auswahlverfahren einzuleiten, eine überzogene Sanktion für den begangenen Rechtsverstoß darstellen würde, da sich eine solche Aufhebung so auswirken könne, daß die Rechte Dritter unangemessen beeinträchtigt werden könnten (Randnr. 106).

13 Das Gericht hat weiter ausgeführt, daß dieser Gesichtspunkt der Grund dafür gewesen sei, daß es nach der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung die Beteiligten zu den Konsequenzen angehört habe, die aus der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidungen zu ziehen seien und mit ihnen nach einer angemessenen Lösung gesucht habe (Randnr. 107).

14 Es hat dargelegt, daß die Parteien sich darauf geeinigt hätten, daß die Zusprechung von Schadensersatz wegen des dem Kläger aufgrund des Amtsfehlers der Kommission entstandenen immateriellen Schadens, wie ihn der Gerichtshof in seinem Urteil Oberthür/Kommission zuerkannt habe, die Form der Wiedergutmachung sei, die den Interessen des Klägers wie auch den dienstlichen Erfordernissen am besten entspreche (Randnr. 107).

15 Es hat schließlich festgestellt, daß bei der Ermittlung des erlittenen Schadens zu berücksichtigen sei, daß der Kläger gezwungen gewesen sei, ein Gerichtsverfahren anzustrengen, um die Begründung der Entscheidung über die Ablehnung seiner Bewerbung zu erfahren (Randnr. 108). Unter diesen Umständen habe das Gericht die Zusprechung eines Schadensersatzbetrags von 2 000 ECU an den Rechtsmittelführer nach billigem Ermessen für angemessen gehalten.

16 Zur Stützung seines auf Aufhebung des Urteils des Gerichts in vollem Umfang und auf vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens gerichteten Rechtsmittels macht der Rechtsmittelführer zwei Rechtsmittelgründe geltend, und zwar die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit und des Grundsatzes der Unverzichtbarkeit der Rechte aus dem Statut.

Zur Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit

17 Der Rechtsmittelführer macht insbesondere geltend, daß die vom Gericht vorgenommene Abwägung der Interessen Dritter und seiner eigenen Interessen offensichtlich fehlerhaft sei. Er weist darauf hin, daß seine Interessen durch eine vollständige Wiedergutmachung dergestalt hätten gewahrt werden müssen, daß er in eine Planstelle wie diejenige eingewiesen worden wäre, für die er sich beworben habe. Die Verzögerung der Verkündung des Urteils des Gerichts, die auf die vom Gericht beschlossene Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zurückzuführen sei, habe der Kommission die Zeit gegeben, zwei Entscheidungen zu treffen, die seine Einweisung in die streitige Planstelle unmöglich gemacht hätten, nämlich zum einen die Entscheidung über seine Entfernung aus dem Dienst nach einem Disziplinarverfahren und zum anderen die Entscheidung über die Einweisung einer anderen Person in die freie Planstelle. Dementsprechend sei ihm unter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und gegen Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte der effektive Rechtsschutz genommen worden. Jedenfalls sei die zuerkannte Entschädigung in Höhe von 2 000 ECU offensichtlich unzureichend.

18 Dieser Rechtsmittelgrund kann keinen Erfolg haben.

19 Zunächst haben Beamte nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes selbst dann, wenn sie die Voraussetzungen für eine Beförderung erfuellen, kein subjektives Recht auf die Beförderung (vgl. Urteil vom 25. November 1976 in der Rechtssache 123/75, Küster/Parlament, Slg. 1976, 1701, Randnr. 10). Ausserdem verfügt die Anstellungsbehörde auf diesem Gebiet über einen weiten Ermessensspielraum (a. a. O., Randnr. 12). Folglich geht die Ansicht des Rechtsmittelführers fehl, er könne, wenn er nicht in die fragliche Planstelle eingewiesen werden könne, die Einweisung in eine gleichwertige Planstelle beanspruchen.

20 Der Rechtsmittelführer kann sich im übrigen auch nicht auf einen Verfahrensfehler des Gerichts berufen, der auf dessen Entscheidung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, und der sich daraus ergebenden Verzögerung der Verkündung des Urteils beruhen und der eine umfassende Berücksichtigung der Interessen des Rechtsmittelführers verhindert haben soll.

21 Erstens hat das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung aus einem objektiven Grund angeordnet. Es hat es für zweckmässig gehalten, den Beteiligten zu erlauben, sich zu den Auswirkungen zweier Urteile zu äussern, die der Gerichtshof nach der ersten Sitzung verkündet hatte und die für die Entscheidung des Rechtsstreits unzweifelhaft von Bedeutung waren.

22 Zweitens war nach den Angaben der Kommission das Verfahren zur Besetzung der streitigen Planstelle im April 1993, als die erste Sitzung des Gerichts stattfand, schon so weit fortgeschritten, daß es bereits zu diesem Zeitpunkt angezeigt war, die Interessen Dritter zu berücksichtigen.

23 Drittens ist das Vorbringen des Rechtsmittelführers zu dem von der Kommission gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahren für das vorliegende Rechtsmittel ohne Bedeutung.

24 Das Gericht konnte daher zu Recht zu der Überzeugung gelangen, daß das Fehlen einer Begründung der Ablehnung der Bewerbung des Rechtsmittelführers um die fragliche Planstelle nicht dazu führte, das Verfahren der Ernennung in vollem Umfang ungültig zu machen, und daß die Gewährung von Schadensersatz die gerechte Wiedergutmachung des wegen dieses Fehlens einer Begründung entstandenen immateriellen Schadens darstellte.

25 Zur Höhe der zuerkannten Entschädigung genügt jedenfalls der Hinweis, daß die Akten nichts erkennen lassen, was Anlaß geben könnte, die entsprechende Würdigung des Gerichts in Frage zu stellen.

Zur Verletzung des Grundsatzes der Unverzichtbarkeit der Rechte aus dem Statut

26 Der Rechtsmittelführer macht geltend, daß das Gericht seinen Prozeßbevollmächtigten dazu gebracht habe, die Gewährung von Schadensersatz anstelle der beantragten Aufhebung zu akzeptieren; ein Verzicht auf seine Rechte aus dem Statut sei jedoch angesichts des zwingenden Charakters der entsprechenden Bestimmungen des Statuts nicht möglich.

27 Dieser Rechtsmittelgrund kann keinen Erfolg haben.

28 Wie bereits in Randnummer 24 dargelegt, ist das Gericht befugt, anstelle der Aufhebung der angefochtenen Maßnahme eine Entschädigung zuzuerkennen. Im vorliegenden Fall hat sich das angefochtene Urteil darauf beschränkt, die hierüber zwischen den Beteiligten erzielte Einigung festzustellen.

29 Nach alledem ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

30 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen die Organe in Streitsachen mit ihren Bediensteten ihre Kosten selbst. Nach Artikel 122 der Verfahrensordnung ist Artikel 70 jedoch nicht anwendbar, wenn Beamte oder sonstige Bedienstete der Organe ein Rechtsmittel einlegen. Da der Rechtsmittelführer mit seinem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2) Der Rechtsmittelführer trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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