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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.12.1993
Aktenzeichen: C-12/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Das dem Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich ° das im Rahmen des mit ihm bezweckten freien Handelsverkehrs eine Präferenzregelung für Erzeugnisse mit Ursprung in Österreich oder der Gemeinschaft einführt ° beigefügte Protokoll Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffes "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen ist dahin auszulegen, daß der Ausfuhrstaat, wenn er ersucht wird, die Ursprungsbescheinigung EUR. 1 zu überprüfen, und den wirklichen Ursprung der Ware nicht festzustellen vermag, daraus folgern muß, daß die Ware unbekannten Ursprungs ist und daß die Bescheinigung EUR. 1 demnach zu Unrecht ausgestellt und der Präferenztarif zu Unrecht gewährt worden ist.

Sind jedoch die Zollbehörden des Ausfuhrstaats wegen der Unmöglichkeit, den im Protokoll vorgesehen gewöhnlichen Beweis für den Ursprung der Ware zu erbringen, nicht in der Lage, die im Protokoll vorgesehene nachträgliche Überprüfung ordnungsgemäß vorzunehmen, so ist der Einfuhrstaat hinsichtlich der Nachforderung der nicht gezahlten Zölle nicht endgültig an das negative Ergebnis der nachträglichen Überprüfung gebunden, sondern er darf andere Beweise für den Ursprung der Ware berücksichtigen.

Im übrigen kann sich ein Einführer je nach den Umständen auf höhere Gewalt berufen, wenn die Zollbehörden des Ausfuhrstaats infolge ihrer eigenen Nachlässigkeit im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung nicht feststellen können, ob eine Angabe über den Ursprung einer Ware zutrifft. Es ist Sache des nationalen Gerichts, sämtliche insoweit vorgetragenen Umstände zu würdigen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 7. DEZEMBER 1993. - STRAFVERFAHREN GEGEN EDMOND HUYGEN UND ANDERE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOF VAN CASSATIE - BELGIEN. - HANDELSABKOMMEN EWG-OESTERREICH - BEGRIFF DES URSPRUNGSERZEUGNISSES - METHODEN DER ZUSAMMENARBEIT DER VERWALTUNGEN. - RECHTSSACHE C-12/92.

Entscheidungsgründe:

1 Der belgische Hof van Cassatie hat mit Beschluß vom 7. Januar 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Januar 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des am 22. Juli 1972 in Brüssel unterzeichneten Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich, im Namen der Gemeinschaft geschlossen und gebilligt durch die Verordnung (EWG) Nr. 2836/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 300, S. 1; im folgenden: Abkommen EWG°Österreich), und insbesondere des diesem beigefügten Protokolls Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das genannte Protokoll wurde durch das Abkommen in Form eines Briefwechsels geändert, das in der Gemeinschaft vom Rat durch die Verordnung (EWG) Nr. 3386/84 des Rates vom 3. Oktober 1984 über den Abschluß des Abkommens in Form eines Briefwechsels zur Konsolidierung und Änderung des Protokolls Nr. 3 zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich (ABl. L 323, S. 1) in Kraft gesetzt wurde.

2 Diese Fragen stellen sich in einem vom belgischen Staat betriebenen Strafverfahren gegen den Direktor einer belgischen Gesellschaft, die 1985 eine Faltkartonklebemaschine aus Österreich einführte, und gegen zwei Arbeitnehmer der Gesellschaft, die die Einfuhrformalitäten erledigte.

3 Die fragliche Maschine war von dem deutschen Unternehmen Jagenberg Werke hergestellt und, nachdem sie 1970 von dem österreichischen Unternehmen Ernst Schausberger & Co. gekauft worden war, nach Österreich ausgeführt worden. 1985 wurde die Maschine von der belgischen Gesellschaft Grafimat aufgekauft und nach Belgien importiert. Die Einfuhrformalitäten wurden von der belgischen Aktiengesellschaft E. Depaire erledigt.

4 Am 7. März 1985 meldeten Herr E. Huygen und Herr J.-M. Verräs, Angestellte der Firma E. Depaire, sowie der Geschäftsführer von Grafimat, A. Blockeel, die Ware bei der Zollverwaltung in Kortrijk (Belgien) an. Unter Vorlage der von der österreichischen Zollverwaltung ausgestellten Bescheinigung EUR. 1 Nr. D 0326846, wonach die Maschine ihren Ursprung in Westdeutschland hat, beantragten sie Zollbefreiung gemäß der durch das Abkommen EWG°Österreich eingeführten Präferenzregelung.

5 Auf der Grundlage des dem genannten Abkommen beigefügten Protokolls Nr. 3 ersuchten die belgischen Behörden im Rahmen einer Überprüfung der in der Bescheinigung EUR. 1 enthaltenen Angaben die österreichischen Behörden um Auskunft über den Ursprung der Maschine. Die österreichische Verwaltung antwortete mit Schreiben vom 26. März 1987, daß der seinerzeitige deutsche Exporteur keinen konkreten Beweis für den Ursprung der Ware mehr erbringen könne, so daß diese als Erzeugnis unbestimmten Ursprungs anzusehen sei, für das die Bescheinigung nicht aufrechterhalten werden könne.

6 Die belgische Verwaltung entschied daraufhin, daß die Präferenzregelung nicht angewandt werden könne und auf die fragliche Ware die Eingangsabgaben für Waren unbekannten Ursprungs zu erheben seien; sie beschloß daher, die Zahlung der entsprechenden Zölle zu verlangen. Ausserdem wurde gegen die Herren Huygen, Verräs und Blockeel wegen Verstosses gegen Artikel 202 Absätze 1 und 2 und Artikel 259 des Allgemeinen Gesetzes über Zölle und Verbrauchsteuern, in bereinigter Fassung neu bekanntgemacht durch Königliche Verordnung vom 18. Juli 1977, die durch Gesetz vom 6. Juli 1978 bestätigt wurde, sowie wegen Verstosses gegen die Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a, 9 Absätze 1 und 2 und 10 Absatz 2 des Protokolls Nr. 3 zu dem Abkommen EWG°Österreich Anklage bei der Correctionele Rechtbank Kortrijk erhoben. Zugleich wurden die Firmen E. Depaire und Grafimat als zivilrechtlich haftende Parteien geladen.

7 Das erstinstanzliche Urteil, durch das die Angeklagten freigesprochen und die Zivilklagen abgewiesen wurden, wurde durch Urteil des Hof van Beroep Gent vom 20. September 1989 bestätigt. Laut dem Vorlagebeschluß stellte der Hof van Beroep in diesem Urteil fest, daß die österreichische Zollverwaltung in Wirklichkeit keinen Kontakt mit der österreichischen Firma Schausberger aufgenommen habe, wie sich aus Auskünften dieses Unternehmens und aus dem Umstand ergebe, daß die das Strafverfahren betreibende Verwaltung im Laufe des Verfahrens eine an die Firma Schausberger gerichtete Rechnung des deutschen Herstellers Jagenberg vom 25. Februar 1970 vorgelegt habe, aus der sich der westdeutsche Ursprung der Maschine ergebe. Der Hof van Beroep schloß hieraus, daß es offensichtlich auf die Nachlässigkeit der österreichischen Zollverwaltung zurückzuführen sei, daß die Überprüfung des Ursprungs der Maschine zu keinem schlüssigen Ergebnis geführt habe. Er entschied daher, daß die Untätigkeit der österreichischen Verwaltung einen Fall höherer Gewalt darstelle.

8 Der belgische Staat legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim belgischen Hof van Cassatie ein. Da dieser der Ansicht ist, daß mit den Kassationsrügen Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufgeworfen würden, hat er dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

In dem Abkommen zwischen der EWG und Österreich (Verordnung Nr. 2886/72 vom 19. Dezember 1972 nebst beigefügtem Protokoll Nr. 3) ist ein Präferenztarif für Waren mit Ursprung in Österreich oder in der Gemeinschaft vorgesehen. Die Anwendung dieser Präferenzregelung ist an den Ursprung der Waren gebunden, so daß dessen Überprüfung ein zwingender Bestandteil der Regelung ist:

1) Muß der begünstigte Staat (hier Österreich), wenn er ersucht wird, die Ursprungsbescheinigung EUR. 1 zu überprüfen, und den wirklichen Ursprung der Ware nicht feststellen kann, daraus folgern, daß die Ware unbekannten Ursprungs ist, so daß die Bescheinigung EUR. 1 zu Unrecht ausgestellt und der Präferenztarif zu Unrecht gewährt worden ist?

2) Muß der einführende Mitgliedstaat (hier Belgien) dann die Bezahlung der bei der Einfuhr nicht gezahlten Zölle verlangen?

3) Stellt der Umstand, daß die österreichischen Zollbehörden infolge ihrer eigenen "böswilligen" oder nicht "böswilligen" Nachlässigkeit nicht in der Lage sind, festzustellen, ob die Ursprungsangabe in der von ihnen ausgestellten Bescheinigung EUR. 1 zutrifft, für den Einführer aus dem Einfuhrmitgliedstaat (hier Belgien) einen Fall höherer Gewalt dar?

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Die Ursprungsregeln des Abkommens EWG°Österreich

10 Vor Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts ist auf den Zweck und den Inhalt der wichtigsten Vorschriften des Abkommens und des Protokolls über die Bestimmung des Ursprungs von Waren und die nachträgliche Überprüfung hinzuweisen.

11 Das Abkommen EWG°Österreich, das eine Freihandelsregelung enthält, gilt nach seinem Artikel 2 vorbehaltlich näherer Bestimmungen "für Ursprungserzeugnisse der Gemeinschaft und Österreichs".

12 Nach Artikel 1 Absatz 2 des Protokolls Nr. 3 gelten als Ursprungserzeugnisse der Gemeinschaft unter anderem "Erzeugnisse, die vollständig in der Gemeinschaft erzeugt worden sind", und als Ursprungserzeugnisse Österreichs unter anderem "Erzeugnisse, die vollständig in Österreich erzeugt worden sind".

13 Nach Artikel 8 Absatz 1 des Protokolls Nr. 3 ist das Abkommen auf Ursprungserzeugnisse im Sinne des Protokolls bei der Einfuhr in die Gemeinschaft oder nach Österreich bei Vorlage einer sogenannten "Bescheinigung EUR. 1" anzuwenden. Nach Artikel 9 Absatz 3 Unterabsatz 2 wird diese Bescheinigung "bei Vorlage der zuvor erteilten Bescheinigungen EUR. 1 von den Zollbehörden der Staaten erteilt, in denen die Waren sich vor der Wiederausfuhr in unverändertem Zustand befinden oder die in Artikel 2 dieses Protokolls genannten Be- oder Verarbeitungen erfahren haben".

14 Artikel 10 Absatz 3 des Protokolls lautet: "Da die Bescheinigung EUR. 1 die Beweisurkunde für die Gewährung der im Abkommen vorgesehenen Vorzugsbehandlung hinsichtlich der Zölle und Kontingente darstellt, müssen die Zollbehörden des Ausfuhrstaats den Ursprung der Waren sowie die übrigen Angaben in der Bescheinigung EUR. 1 nachprüfen."

15 Neben dieser Nachprüfung, die die Behörden des Ausfuhrlandes bei der Ausstellung der Bescheinigung EUR. 1 vorzunehmen haben, sieht das Protokoll Nr. 3 in seinem Artikel 17 die Möglichkeit einer nachträglichen Überprüfung der Bescheinigungen EUR. 1 vor, die "stichprobenweise" oder "immer dann vorgenommen [wird], wenn die Zollbehörden des Einfuhrstaats begründete Zweifel an der Echtheit des Dokuments oder an der Richtigkeit der Angaben über den tatsächlichen Ursprung der betreffenden Waren haben". Die nachträgliche Überprüfung wird auf Ersuchen der Zollbehörden des Einfuhrstaats von den Zollbehörden des Ausfuhrstaats vorgenommen, die die Zollbehörden des Einfuhrstaats über das Ergebnis unterrichten.

Zur ersten Frage

16 Aus den vorstehend erwähnten Bestimmungen des Abkommens und des Protokolls ergibt sich, daß nur die Waren mit Ursprung in der EWG oder in Österreich unter die im Abkommen vorgesehene Präferenzregelung fallen und daß die Bescheinigung EUR. 1 die Beweisurkunde für diesen Ursprung darstellt. Der Zweck des Verfahrens der nachträglichen Überprüfung besteht im wesentlichen darin, die Ursprungsangabe in einer solchen zuvor ausgestellten Bescheinigung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

17 Wenn sich daher bei einer solchen Überprüfung keine Bestätigung für die in der Bescheinigung EUR. 1 enthaltene Angabe über den Ursprung der Ware finden lässt, so ist daraus zu schließen, daß die Bescheinigung von dem Ausfuhrstaat zu Unrecht ausgestellt worden ist und die in dem Abkommen vorgesehene Präferenzregelung daher nicht auf diese Ware anzuwenden ist.

18 Auf die erste Frage ist somit zu antworten, daß das Protokoll Nr. 3 zu dem Abkommen EWG°Österreich dahin auszulegen ist, daß der Ausfuhrstaat, wenn er ersucht wird, die Ursprungsbescheinigung EUR. 1 zu überprüfen, und den wirklichen Ursprung der Ware nicht festzustellen vermag, daraus folgern muß, daß die Ware unbekannten Ursprungs ist und daß die Bescheinigung EUR. 1 demnach zu Unrecht ausgestellt und der Präferenztarif zu Unrecht gewährt worden ist.

Zur zweiten Frage

19 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die normale Folge einer nachträglichen Überprüfung mit negativem Ergebnis grundsätzlich die Nachforderung der bei der Einfuhr nicht gezahlten Zölle durch den Einfuhrstaat ist.

20 Die Frage des vorlegenden Gerichts ist jedoch im Licht der konkreten Umstände des Ausgangsverfahrens zu verstehen.

21 Zu diesen Umständen gehören insbesondere die das vorlegende Gericht bindende tatsächliche Feststellung des Hof van Beroep Gent, daß ein schriftlicher Beleg für den Ursprung der betreffenden Ware in der Gemeinschaft vorliege, und die von der Kommission in ihren Erklärungen hervorgehobene Unmöglichkeit, den in Artikel 9 Absatz 3 des Protokolls Nr. 3 vorgesehenen gewöhnlichen Beweis für den Ursprung der Ware zu erbringen, d. h. die zuvor ausgestellte Bescheinigung EUR. 1 vorzulegen, weil die Ausfuhr von Deutschland nach Österreich vor Inkrafttreten des Abkommens erfolgte und die genannte Bescheinigung daher nicht ausgestellt werden konnte.

22 Die zweite Frage ist somit in dem Sinn zu verstehen, daß sie im wesentlichen dahin geht, ob der Einfuhrstaat unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren vorliegen, hinsichtlich der Nachforderung der nicht gezahlten Zölle endgültig an das negative Ergebnis der nachträglichen Überprüfung gebunden ist oder ob er andere Beweise für den Ursprung der Ware berücksichtigen darf.

23 Artikel 16 Absatz 1 des Protokolls Nr. 3 zu dem Abkommen EWG°Österreich sieht vor, daß die Parteien des Abkommens einander zur Gewährleistung der ordnungsgemässen Anwendung des Protokolls Amtshilfe bei der Überprüfung der Echtheit und Richtigkeit der Bescheinigungen EUR. 1 leisten. Nach Artikel 17 Absatz 3 ist das Ergebnis der nachträglichen Überprüfung der Zollbehörde des Einfuhrstaats mitzuteilen. Anhand des Ergebnisses muß sich feststellen lassen, ob die beanstandete Bescheinigung für die tatsächlich ausgeführten Waren gilt und ob die Präferenzregelung auf diese wirklich anwendbar ist. Unterabsatz 2 der genannten Bestimmung sieht vor, daß Fälle, in denen die Zollbehörden des Einfuhrstaats und des Ausfuhrstaats die Beanstandungen nicht klären können oder in denen dadurch Fragen der Auslegung des Protokolls auftreten, dem Zollausschuß vorzulegen sind.

24 Wie der Gerichtshof im Rahmen der Auslegung des am 22. Juli 1972 in Brüssel unterzeichneten Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft ausgeführt hat, das im Namen der Gemeinschaft durch die Verordnung (EWG) Nr. 2840/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 300, S. 188) geschlossen und gebilligt wurde und ein dem betreffenden Protokoll zu dem Abkommen EWG°Österreich entsprechendes Protokoll Nr. 3 enthält, beruht die Bestimmung des Ursprungs der Waren insofern auf einer Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Zollbehörden der Parteien des Abkommens, als der Ursprung von den Behörden des Ausfuhrstaats bestimmt wird und das Funktionieren dieser Regelung im Wege der Zusammenarbeit zwischen den auf beiden Seiten beteiligten Verwaltungen kontrolliert wird (Urteil vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 218/83, Les Rapides Savoyards, Slg. 1984, 3105, Randnr. 26).

25 Wie der Gerichtshof in diesem Urteil ausgeführt hat, ist diese Regelung dadurch gerechtfertigt, daß die Behörden des Ausfuhrstaats am besten in der Lage sind, die Tatsachen, von denen der Ursprung abhängt, unmittelbar festzustellen. Da sie auf einer Verteilung der Aufgaben zwischen den Zollverwaltungen der Parteien des Freihandelsabkommens und auf dem Vertrauen beruht, das den von diesen Verwaltungen im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten erlassenen Maßnahmen gebührt, kann der vorgesehene Mechanismus nur funktionieren, wenn die Zollverwaltung des Einfuhrstaats die von den Behörden des Ausfuhrstaats rechtmässig vorgenommenen Beurteilungen anerkennt.

26 Es ist jedoch zu bemerken, daß der Zweck der nachträglichen Überprüfung darin besteht, die Bescheinigung EUR. 1 auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Ausfuhrstaat hat eine solche Überprüfung insbesondere dann vorzunehmen, wenn die Zollbehörden des Einfuhrstaats begründete Zweifel an der Echtheit des Dokuments oder an der Richtigkeit der Angaben über den tatsächlichen Ursprung der betreffenden Ware haben (Artikel 17 Absatz 1). Nach Artikel 17 Absatz 3 Unterabsatz 3 müssen die Zollbehörden des Ausfuhrstaats, um eine nachträgliche Überprüfung der Bescheinigungen EUR. 1 zu ermöglichen, die Ausfuhrpapiere oder die an ihrer Stelle verwendeten Kopien mindestens zwei Jahre lang aufbewahren.

27 Sind die Zollbehörden des Ausfuhrstaats ° wie im Ausgangsverfahren ° nicht in der Lage, die im Protokoll vorgesehene nachträgliche Überprüfung ordnungsgemäß vorzunehmen, so hindert keine Bestimmung des Protokolls die Behörden des Einfuhrstaats daran, den mit dem Protokoll verfolgten Zweck ° Überprüfung der Bescheinigung EUR. 1 auf ihre Echtheit und ihre Richtigkeit ° durch Berücksichtigung anderer Beweise für den Ursprung der Ware zu erreichen.

28 Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, daß das Protokoll Nr. 3 zu dem Abkommen EWG°Österreich dahin auszulegen ist, daß der Einfuhrstaat unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren vorliegen, hinsichtlich der Nachforderung der nicht gezahlten Zölle nicht endgültig an das negative Ergebnis der nachträglichen Überprüfung gebunden ist, sondern andere Beweise für den Ursprung der Ware berücksichtigen darf.

Zur dritten Frage

29 Die dritte Frage geht dahin, ob sich ein Einführer auf höhere Gewalt berufen kann, wenn die Zollbehörden des Ausfuhrstaats infolge ihrer eigenen Nachlässigkeit im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung nicht feststellen können, ob eine Angabe über den Ursprung einer Ware zutrifft.

30 Der Begriff der höheren Gewalt hat nach ständiger Rechtsprechung (zuletzt Urteil vom 13. Oktober 1993 in der Rechtssache C-124/92, An Bord Bainne, Slg. 1993, I-5061, Randnr. 10) auf den verschiedenen Anwendungsgebieten des Gemeinschaftsrechts nicht den gleichen Inhalt; seine Bedeutung ist daher anhand des rechtlichen Rahmens zu bestimmen, innerhalb dessen er seine Wirkungen entfalten soll.

31 Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, daß das Protokoll Nr. 3 nur in seinem Artikel 12, der sich auf die Frist für die Vorlage der Bescheinigung EUR. 1 bezieht, ausdrücklich von höherer Gewalt spricht. Zum anderen regelt keine Bestimmung des Abkommens oder des Protokolls die Folgen von Unregelmässigkeiten, wie sie das vorlegende Gericht festgestellt hat. Mangels besonderer Bestimmungen kann ein Fall höherer Gewalt nur anerkannt werden, wenn sich der Betroffene auf eine äussere Ursache berufen kann, deren Folgen unvermeidbar und unausweichlich sind und ihm die Einhaltung seiner Verpflichtungen objektiv unmöglich machen (Urteil vom 18. März 1980 in den Rechtssachen 154/78, 205/78, 206/78, 226/78 bis 228/78, 263/78 und 264/78 sowie 39/79, 31/79, 83/79 und 85/79, Valsabbia/Kommission, Slg. 1980, 907, Randnr. 140). Unter höherer Gewalt sind ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen, auf die der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluß hatte und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können, so daß auch das Verhalten von Behörden je nach den Umständen einen Fall höherer Gewalt darstellen kann (u. a. Urteil vom 18. März 1993 in der Rechtssache C-50/92, Molkerei-Zentrale Süd, Slg. 1993, I-1035).

32 Im Rahmen des Protokolls Nr. 3 und insbesondere der nachträglichen Überprüfung stellt der Umstand, daß die Zollbehörden des Ausfuhrstaats nicht feststellen können, ob eine Angabe über den Ursprung einer Ware zutrifft, grundsätzlich einen ungewöhnlichen, unvorhersehbaren und dem Einfluß des Einführers entzogenen Umstand dar.

33 Was die Voraussetzung angeht, daß das Verhalten der Behörden des Ausfuhrstaats für den Einführer Folgen in dem Sinn gehabt haben muß, daß er sie trotz Anwendung aller Sorgfalt nur um den Preis übermässiger Opfer hätte abwenden können, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der betroffene Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich die behaupteten Anstrengungen zur Erfuellung seiner Verpflichtungen aus dem Protokoll Nr. 3 unternommen hat.

34 Insofern ist darauf hinzuweisen, daß im Rahmen des Systems des Abkommens und des Protokolls Nr. 3 zwar sowohl der Ausführer als auch der Einführer den Zollbehörden gegenüber für die tatsächliche Tätigung ihrer Geschäfte und die Richtigkeit ihrer Erklärungen verantwortlich sind, daß aber die Verpflichtung, im Besitz von Belegen für den Ursprung der Ware zu sein, wie die Kommission und der Generalanwalt ° in Nummer 29 seiner Schlussanträge ° zu Recht ausgeführt haben, ausschließlich dem Ausführer obliegt.

35 Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, daß sich ein Einführer je nach den Umständen auf höhere Gewalt berufen kann, wenn die Zollbehörden des Ausfuhrstaats infolge ihrer eigenen Nachlässigkeit im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung nicht feststellen können, ob eine Angabe über den Ursprung einer Ware zutrifft. Es ist Sache des nationalen Gerichts, sämtliche insoweit vorgetragenen Umstände zu würdigen.

Kostenentscheidung:

Kosten

36 Die Auslagen der belgischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom belgischen Hof van Cassatie mit Beschluß vom 7. Januar 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Das Protokoll Nr. 3 zu dem am 22. Juli 1972 in Brüssel unterzeichneten Abkommen EWG°Österreich, im Namen der Gemeinschaft geschlossen und gebilligt durch die Verordnung (EWG) Nr. 2836/72 des Rates vom 19. Dezember 1972, ist dahin auszulegen, daß der Ausfuhrstaat, wenn er ersucht wird, die Ursprungsbescheinigung EUR. 1 zu überprüfen, und den wirklichen Ursprung der Ware nicht festzustellen vermag, daraus folgern muß, daß die Ware unbekannten Ursprungs ist und daß die Bescheinigung EUR. 1 demnach zu Unrecht ausgestellt und der Präferenztarif zu Unrecht gewährt worden ist.

2) Das Protokoll Nr. 3 zu dem Abkommen EWG°Österreich ist dahin auszulegen, daß der Einfuhrstaat unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren vorliegen, hinsichtlich der Nachforderung der nicht gezahlten Zölle nicht endgültig an das negative Ergebnis der nachträglichen Überprüfung gebunden ist, sondern andere Beweise für den Ursprung der Ware berücksichtigen darf.

3) Ein Einführer kann sich je nach den Umständen auf höhere Gewalt berufen, wenn die Zollbehörden des Ausfuhrstaats infolge ihrer eigenen Nachlässigkeit im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung nicht feststellen können, ob eine Angabe über den Ursprung einer Ware zutrifft. Es ist Sache des nationalen Gerichts, sämtliche insoweit vorgetragenen Umstände zu würdigen.

Ende der Entscheidung

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