Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.05.1991
Aktenzeichen: C-120/90
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Gemeinsame Zolltarif ist dahin auszulegen, daß ein als "Molkenproteinkonzentrat 75%ig" bezeichnetes, durch Ultrafiltration von Molke gewonnenes Erzeugnis mit 76,6 % Milchprotein, 5 % Laktose und 2,1 % Milchfett, ohne nachweisbaren Zucker, in die Unterposition 0404 90 33, "Erzeugnisse, die aus natürlichen Milchbestandteilen bestehen..." in der Fassung des Anhangs der Verordnung Nr. 3174/88 der Kommission zur Änderung des Anhangs I der Verordnung Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie

den Gemeinsamen Zolltarif einzureihen ist. Ein derartiges Erzeugnis, das nicht mehr die wesentlichen Merkmale von Molke besitzt, kann nämlich nicht in die Unterposition 0404 10 "Molke, auch eingedickt oder mit Zusatz von Zucker oder anderen Süßmitteln" eingereiht werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 7. MAI 1991. - LUDWIG POST GMBH GEGEN OBERFINANZDIREKTION MUENCHEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESFINANZHOF - DEUTSCHLAND. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - UNTERPOSITIONEN 0404 10 11 UND 0404 90 33 - 75 %IGES MOLKENPROTEINKONZENTRAT. - RECHTSSACHE C-120/90.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 13. März 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 26. April 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Unterpositionen 0404 10 11: "Molke, auch eingedickt... ohne Zusatz von Zucker oder anderen Süßmitteln" und 0404 90 33: "Erzeugnisse, die aus natürlichen Milchbestandteilen bestehen..., anderweit weder genannt noch inbegriffen, ohne Zusatz von Zucker oder anderen Süßmitteln, mit einem Proteingehalt von mehr als 42 GHT und mit einem Milchfettgehalt von mehr als 1,5 bis 27 GHT" des Gemeinsamen Zolltarifs (nachstehend: GZT) in der Fassung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 298, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Ludwig Post GmbH und der Oberfinanzdirektion München über die zolltarifliche Einordnung eines als "Molkenproteinkonzentrat 75%ig" bezeichneten Erzeugnisses.

3 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens geht hervor, daß es sich bei dem streitigen Erzeugnis um ein durch Ultrafiltration von Molke hergestelltes zur Verwendung für Lebensmittelzubereitungen bestimmtes Pulver handelt, das 76,6 % Milchprotein, 5 % Laktose und 2,1 % Milchfett ohne nachweisbaren Zucker enthält. Der Laktosegehalt dieses Erzeugnisses beträgt nur ungefähr ein Vierzehntel des für Molkenpulver üblichen Wertes.

4 1988 erteilte die Oberfinanzdirektion der Klägerin eine Zolltarifauskunft, durch die sie das fragliche Erzeugnis der Unterposition 0404 90 33 der Kombinierten Nomenklatur des GZT zuwies. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, dieses Erzeugnis falle unter die Unterposition 0404 10 11 des GZT.

5 Zur Begründung ihrer Klage vor dem Bundesfinanzhof trug die Klägerin vor, aus den Erläuterungen zu Position 0404 des GZT ergebe sich, daß der Entzug eines Teiles der Laktose des in Rede stehenden Erzeugnisses an dessen Beschaffenheit als "Molke" im Sinne der Unterposition 0404 10 11 nichts ändere. Insoweit berief sich die Klägerin auf den lebensmittelkundlichen Sprachgebrauch und die Terminologie der beteiligten Verkehrskreise.

6 In den Gründen seines Vorlagebeschlusses führt der Bundesfinanzhof insbesondere unter Hinweis auf den geringen Laktosegehalt des fraglichen Erzeugnisses aus, er neige der Auffassung der Beklagten zu. Die Ware habe die wesentlichen Merkmale des Ausgangserzeugnisses verloren und könne, wie der Gerichtshof in dem Urteil vom 25. Mai 1989 in der Rechtssache 40/88 (Weber, Slg. 1989, 1395) entschieden habe, nicht mehr in die Tarifposition dieses Erzeugnisses eingereiht werden. Es handele sich daher nicht mehr um Molke, der nur teilweise Laktose entzogen worden sei, sondern um modifizierte Molke mit geringem Laktosegehalt.

7 Die Auslegung der streitigen zolltariflichen Vorschriften werfe jedoch Zweifel auf, da zum einen eine Änderung der zolltariflichen Regelung im Hinblick auf die Aufnahme modifizierter Molke neben "Molke" in die Unterposition 0404 10 des GZT erwogen werde und zum anderen die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin vorgetragen habe, daß die Zollbehörden einiger Mitgliedstaaten Molkenpulver mit 75 % Protein und nur 3 % Laktose der Unterposition 0404 10 des GZT zugewiesen hätten.

8 Der Bundesfinanzhof hat demgemäß das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Kombinierte Nomenklatur (1988) dahin auszulegen, daß ein durch Ultrafiltration von Molke gewonnenes Pulver mit 76,6 % Milchprotein, 2,1 % Milchfett und 5 % Laktose, ohne nachweisbaren Zucker, als "Erzeugnis aus natürlichen Milchbestandteilen..." in die Unterposition 0404 90 33 oder - verneinendenfalls - als "Molke..." in die Unterposition 0404 10 11 einzureihen ist?

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage im Kern wissen, ob der GZT dahin auszulegen ist, daß ein als "Molkenproteinkonzentrat 75%ig" bezeichnetes, durch Ultrafiltration von Molke gewonnenes Erzeugnis mit 76,6 % Milchprotein, 5 % Laktose und 2,1 % Milchfett, ohne nachweisbaren Zucker, der Unterposition 0404 90 33 des GZT: "Erzeugnisse, die aus natürlichen Milchbestandteilen bestehen..." angehört oder als "Molke" in die Unterposition 0404 10 11 des GZT einzureihen ist.

11 Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung (siehe zuletzt das Urteil vom 24. Januar 1991 in der Rechtssache C-384/89, Tomatis, Slg. 1991, I-127) im Interesse der Rechtssicherheit und zur Erleichterung der Kontrollen das entscheidende Kriterium für die Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen des GZT und in den Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind.

12 Die Unterpositionen 0404 10 und 0404 90 der Position 0404 des GZT betreffen zwei Gruppen von Erzeugnissen mit der Bezeichnung "Molke, auch eingedickt oder mit Zusatz von Zucker oder anderen Süßmitteln" (Unterposition 0404 10) und "Erzeugnisse, die aus natürlichen Milchbestandteilen bestehen, auch mit Zusatz von Zucker oder anderen Süßmitteln, anderweit weder genannt noch inbegriffen" (Unterposition 0404 90).

13 Die Erläuterungen zum Harmonisierten System der Bezeichnung und Codierung der Waren besagen hinsichtlich der Position 0404 des GZT, daß es sich bei Molke um die natürlichen Milchbestandteile handele, die nach dem Entzug des Fettes und des Kaseins aus der Milch zurückblieben. Molke könne fluessig sein; ein Teil der Laktose oder der Mineralstoffe könne entzogen sein.

14 Die Entscheidung, ob ein Erzeugnis der im Ausgangsverfahren fraglichen Art im Sinne der genannten Erläuterungen als Molke angesehen werden kann, der die Laktose teilweise entzogen worden ist, setzt demnach einen Vergleich zwischen dem Laktosegehalt von Molke und demjenigen dieses Erzeugnisses voraus.

15 Wie das vorlegende Gericht in seinem Vorlagebeschluß ausgeführt hat, enthält das aus Milch gewonnene Erzeugnis nach dem Entzug des Fettes und des Kaseins üblicherweise rund 70 % Laktose bei 10 bis 14 % Eiweiß, was im übrigen von der Kommission bestätigt worden ist. Dagegen beträgt der Laktosegehalt des im Ausgangsverfahren streitigen Erzeugnisses ausweislich des Vorlagebeschlusses lediglich 5 %.

16 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, daß ein Erzeugnis nur dann einer bestimmten Unterposition des GZT zugewiesen werden kann, wenn es die wesentlichen Bestandteile des Ausgangserzeugnisses enthält und seine prozentuale Zusammensetzung nicht wesentlich von derjenigen des Ausgangserzeugnisses abweicht (siehe das Urteil vom 25. Mai 1989, Weber, a. a. O.).

17 Dies trifft auf ein 75%iges Molkenproteinkonzentrat der im Ausgangsverfahren streitigen Art nicht zu, da der Laktosegehalt dieses Erzeugnisses nur noch ungefähr ein Vierzehntel des für Molkenpulver üblichen Wertes beträgt und wegen des nahezu vollständigen Entzugs der Laktose die prozentualen Anteile der anderen Molkebestandteile auch wesentlich verändert worden sind.

18 Ein derartiges Erzeugnis besitzt folglich nicht mehr die wesentlichen Merkmale des Ausgangserzeugnisses "Molke" und kann wegen des gegenüber dem üblichen Wert geringen Laktosegehalts nicht mehr im Sinne der Erläuterungen als Molke, der die Laktose nur teilweise entzogen worden ist, angesehen werden. Ein solches Erzeugnis kann somit nicht in die Unterposition 0404 10 des GZT eingereiht werden.

19 Ein 75%iges Molkenproteinkonzentrat der im Ausgangsverfahren streitigen Art weist angesichts seiner aus dem Vorlagebeschluß ersichtlichen Zusammensetzung vielmehr die objektiven Merkmale auf, die in der Unterposition 0404 90 33 des GZT festgelegt sind.

20 Es handelt sich nämlich um ein Erzeugnis, das aus natürlichen Milchbestandteilen besteht, das einen Proteingehalt von 76,6 % - also gemäß dieser Unterposition mehr als 42 % - hat, dessen Milchfettgehalt von 2,1 % innerhalb der vorgeschriebenen Norm liegt (zwischen 1,5 und 27 %) und bei dem die Voraussetzung "ohne Zusatz von Zucker oder anderen Süßmitteln" dadurch erfuellt ist, daß kein Zucker nachweisbar ist.

21 Ein 75%iges Molkenproteinkonzentrat der im Ausgangsverfahren streitigen Art stellt demnach zolltarifrechtlich ein aus natürlichen Milchbestandteilen bestehendes Erzeugnis im Sinne der Unterposition 0404 90 33 des GZT dar.

22 Dieses Ergebnis wird dadurch bestätigt, daß der Ausschuß für das Zolltarifschema des Rates über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens beschlossen hat, beim gegenwärtigen Stand der Regelung modifizierte Molke der Unterposition 0404 90 des GZT zuzuweisen.

23 Wie die Kommission zu Recht bemerkt, ist es für die Auslegung der geltenden Fassung des GZT ohne Bedeutung, daß der Ausschuß für das Zolltarifschema bei dieser Gelegenheit zugleich zum Ausdruck gebracht hat, er halte für die Zukunft eine Änderung der Nomenklatur in dem Sinne für wünschenswert, daß natürliche Molke und modifizierte Molke in der Unterposition 0404 10 des GZT zusammengefasst würden, und daß diese Haltung am 5. Juli 1989 vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens als Empfehlung an die Mitgliedstaaten übernommen worden ist, die in der Gemeinschaft ab 1. Januar 1992 umgesetzt werden soll.

24 Ebenso kann weder die angebliche Terminologie der beteiligten Verkehrskreise noch eine etwaige abweichende Anwendung der Regelung in einigen Mitgliedstaaten die auf dem Wortlaut der Tarifpositionen beruhende Auslegung des GZT beeinflussen.

25 Nach alledem ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß der GZT dahin auszulegen ist, daß ein als "Molkenproteinkonzentrat 75%ig" bezeichnetes, durch Ultrafiltration von Molke gewonnenes Erzeugnis mit 76,6 % Milchprotein, 5 % Laktose und 2,1 % Milchfett, ohne nachweisbaren Zucker, in die Unterposition 0404 90 33: "Erzeugnisse, die aus natürlichen Milchbestandteilen bestehen..." in der Fassung des Anhangs der Verordnung Nr. 3174/88 einzureihen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Die Auslagen der Regierung der Französischen Republik und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 13. März 1990 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Der Gemeinsame Zolltarif ist dahin auszulegen, daß ein als "Molkenproteinkonzentrat 75%ig" bezeichnetes, durch Ultrafiltration von Molke gewonnenes Erzeugnis mit 76,6 % Milchprotein, 5 % Laktose und 2,1 % Milchfett, ohne nachweisbaren Zucker, in die Unterposition 0404 90 33: "Erzeugnisse, die aus natürlichen Milchbestandteilen bestehen..." in der Fassung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif einzureihen ist.

Ende der Entscheidung

Zurück