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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.02.1997
Aktenzeichen: C-128/95
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Verordnung Nr. 123/85 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge betrifft nur die vertraglichen Beziehungen zwischen den Lieferanten und ihren zugelassenen Händlern und zählt zwar auf, welche Verpflichtungen beide in bezug auf ihr Handeln gegenüber Dritten eingehen können und welche nicht; dies soll jedoch nicht die Tätigkeit dieser dritten Personen, die auf dem Markt ausserhalb des Bereichs der Vertriebsvereinbarungen tätig werden können, reglementieren.

Die Verordnung Nr. 123/85 ist daher so auszulegen, daß sie einen Wirtschaftsteilnehmer, der weder zugelassener Wiederverkäufer des Vertriebsnetzes des Herstellers einer bestimmten Kraftfahrzeugmarke noch bevollmächtigter Vermittler im Sinne von Artikel 3 Nummer 11 der Verordnung ist, nicht daran hindert, der Tätigkeit des Parallelimports und des unabhängigen Wiederverkaufs von Neufahrzeugen dieser Marke nachzugehen.


Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 20. Februar 1997. - Fontaine SA, Garage Laval SA, Fahy SA, Renault Lyon Ouest FLB Automobiles SA, Diffusion Vallis Auto SA und Horizon Sud SA gegen Aqueducs Automobiles SARL. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de commerce de Lyon - Frankreich. - Wettbewerb - Vertrieb von Kraftfahrzeugen - Parallelimporte - Verordnung (EWG) Nr. 123/85 - Geltendmachung gegenüber Dritten - Unabhängiger Wiederverkäufer - Begriffe Neufahrzeug und Gebrauchtfahrzeug. - Rechtssache C-128/95.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal de commerce Lyon hat mit Urteil vom 2. Januar 1995 in der durch Urteil vom 7. Februar 1995 geänderten Fassung, beim Gerichtshof eingegangen am 18. April 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 123/85 der Kommission vom 12. Dezember 1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge (ABl. 1985, L 15, S. 16) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Zusammenhang mit einer von den Firmen Fontaine, Garage Laval, Fahy, Renault Lyon Oüst FLB Automobiles, Diffusion Vallis Auto und Horizon Sud (im folgenden: Klägerinnen) gegen die Firma Aqueducs Automobiles (im folgenden: Beklagte) erhobenen Klage wegen unlauteren Wettbewerbs.

3 Die Klägerinnen sind ausschließliche Vertragshändler der Marken Audi, Ford, Peugeot, Renault bzw. Volkswagen, die im französischen Departement Rhône niedergelassen sind.

4 Die Beklagte, die im selben französischen Departement niedergelassen ist, betreibt als unabhängiger Händler den Weiterverkauf von Neufahrzeugen verschiedener Marken, die seit weniger als drei Monaten zugelassen sind oder weniger als 3 000 km zurückgelegt haben. Sie verfügt über ein Lager an solchen Fahrzeugen und betreibt Werbung, um deren Verkauf zu fördern.

5 Die Klägerinnen sind der Ansicht, daß die Beklagte, die keinem Vertriebsnetz eines Kraftfahrzeugherstellers angehört und kein bevollmächtigter Vermittler im Sinne von Artikel 3 Nummer 11 der Verordnung Nr. 123/85 ist, gegenüber den ausschließlichen Vertragshändlern der betreffenden Marken unlauteren Wettbewerb betrieben habe. Sie erhoben daher am 1. April 1994 Klage beim Tribunal de commerce Lyon u. a. mit dem Antrag, der Beklagten die Einstellung der Tätigkeit des unabhängigen Weiterverkaufs von Neufahrzeugen aufzugeben, ihr die Lagerhaltung solcher Fahrzeuge sowie die Werbung, um deren Verkauf zu fördern, zu untersagen und sie zum Ersatz des den Vertragshändlern entstandenen Schadens zu verurteilen.

6 Zur Begründung ihrer Klage berufen sich die Klägerinnen auf die Verordnung Nr. 123/85. Ein Wiederverkäufer von Kraftfahrzeugen, der keinem Markenvertriebsnetz angehöre und sich die Fahrzeuge im Wege der Paralleleinfuhr beschaffe, dürfe seine Tätigkeit nur als bevollmächtigter Vermittler im Sinne von Artikel 3 Nummer 11 der Verordnung Nr. 123/85 und unter den in der Bekanntmachung 91/C 329/06 der Kommission vom 4. Dezember 1991 mit dem Titel "Klarstellung der Tätigkeit von Kraftfahrzeugvermittlern" (ABl. C 329, S. 20) erläuterten Voraussetzungen ausüben. Insbesondere dürfe der Bevollmächtigte nur für Rechnung eines Käufers, des Endabnehmers, tätig werden, und es sei ihm untersagt, ein Lager zu halten und in der Öffentlichkeit insbesondere durch seine Werbung Verwirrung hervorzurufen, indem er den Eindruck erwecke, Wiederverkäufer zu sein. Im übrigen verbiete die Verordnung Nr. 123/85, daß ein Wirtschaftsteilnehmer zugleich als bevollmächtigter Vermittler und als unabhängiger Wiederverkäufer tätig werde.

7 Die Klägerinnen machen ferner geltend, die verkauften Fahrzeuge seien entgegen der Auffassung der Beklagten nicht allein deswegen als Gebrauchtfahrzeuge anzusehen, weil sie nicht mehr einen Kilometerstand von Null aufwiesen. Nach französischem Recht sei nämlich ein Fahrzeug, das innerhalb von drei Monaten nach seiner erstmaligen Zulassung oder mit einer Fahrleistung von weniger als 3 000 km verkauft werde, als neu anzusehen; diese Kriterien seien später sogar auf sechs Monate bzw. 6 000 km ausgedehnt worden, um Parallelverkäufe von Kraftfahrzeugen zu verhindern.

8 Die Beklagte vertritt demgegenüber die Ansicht, die Verordnung Nr. 123/85 regele lediglich die Beziehungen zwischen Kraftfahrzeugherstellern und Vertragshändlern. Sie betreffe daher weder die Tätigkeit der unabhängigen Händler noch deren Werbung und verbiete ebensowenig, daß ein und dasselbe Unternehmen sowohl die Tätigkeit eines unabhängigen Händlers als auch die eines bevollmächtigten Vermittlers ausübe.

9 Das Tribunal de commerce Lyon ist der Auffassung, daß die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhänge; es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind Parallelimporte ausserhalb des Rahmens einer Vollmacht, die einem Dienstleistungen erbringenden Vermittler erteilt wird, und demgemäß im Wege des Kaufs und Wiederverkaufs untersagt?

2. Ist es einem unabhängigen Händler untersagt, gleichzeitig die Tätigkeit eines Dienstleistungen erbringenden freien Vermittlers und die eines insbesondere mit Parallelimporten befassten Händlers auszuüben?

3. Ist einem unabhängigen Händler der Verkauf von Neufahrzeugen untersagt, und, unabhängig davon, wie werden die Begriffe des Neufahrzeugs und des Gebrauchtfahrzeugs definiert?

10 Nach Erlaß des Urteils vom 15. Februar 1996 in der Rechtssache C-309/94 (Nissan France u. a., Slg. 1996, I-677) entschied das Tribunal de commerce Lyon, daß eine Beantwortung der ersten beiden Fragen nicht mehr erforderlich sei. Dagegen beschloß es, die dritte Vorabentscheidungsfrage aufrechtzuerhalten.

11 Diese Frage besteht aus zwei Teilen. Zum einen fragt das vorlegende Gericht im wesentlichen, ob die Verordnung Nr. 123/85 so auszulegen ist, daß sie einen Wirtschaftsteilnehmer, der weder zugelassener Wiederverkäufer des Vertriebsnetzes des Herstellers einer bestimmten Kraftfahrzeugmarke noch bevollmächtigter Vermittler im Sinne von Artikel 3 Nummer 11 dieser Verordnung ist, daran hindert, der Tätigkeit der Paralleleinfuhr und des unabhängigen Weiterverkaufs von Neufahrzeugen dieser Marke nachzugehen. Zum anderen wird der Gerichtshof ersucht, für die Zwecke der Anwendung der Verordnung Nr. 123/85 eine Definition des Neufahrzeugs vorzunehmen und die Kriterien zu nennen, die eine Unterscheidung dieses Fahrzeugtyps von einem Gebrauchtfahrzeug ermöglichen.

12 Zum ersten Teil dieser Frage ist festzustellen, daß der Gerichtshof im Urteil Nissan France u. a. (a. a. O.) die Verordnung Nr. 123/85 bereits im Hinblick auf die von einem unabhängigen Wirtschaftsteilnehmer in seinem Bezirk, der von einer ausschließlichen Vertriebsvereinbarung des Herstellers einer bestimmten Kraftfahrzeugmarke mit einem seiner Vertragshändler erfasst ist, ausgeuebte Tätigkeit der Paralleleinfuhr und des Weiterverkaufs von Kraftfahrzeugen ausgelegt hat.

13 In diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, daß die Verordnung Nr. 123/85 entsprechend der Aufgabe, die ihr im Rahmen der Anwendung des Artikels 85 des Vertrages zugewiesen ist, nur die vertraglichen Beziehungen zwischen den Lieferanten und ihren zugelassenen Händlern betrifft, indem sie die Voraussetzungen festlegt, unter denen bestimmte Vereinbarungen zwischen ihnen nach den Wettbewerbsbestimmungen des Vertrages zulässig sind (Randnr. 16).

14 Gegenstand der Verordnung ist somit nur der Inhalt von Vereinbarungen, die Parteien, die innerhalb des Vertriebsnetzes für ein bestimmtes Erzeugnis miteinander verbunden sind, in zulässiger Weise in Ansehung der Bestimmungen des Vertrages, die Beschränkungen des ordnungsgemässen Funktionierens des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes verbieten, schließen dürfen (Urteil Nissan France u. a., Randnr. 17).

15 Die Verordnung beschränkt sich somit darauf, aufzuzählen, welche Verpflichtungen die Parteien solcher Vereinbarungen in bezug auf ihr Handeln gegenüber Dritten eingehen können und welche nicht; sie soll jedoch nicht die Tätigkeit dieser dritten Personen, die auf dem Markt ausserhalb des Bereiches der Vertriebsvereinbarungen tätig werden können, reglementieren (Urteil Nissan France u. a., Randnr. 18).

16 Daher können die Bestimmungen dieser Freistellungsverordnung die Rechte und Pflichten Dritter, insbesondere unabhängiger Händler, im Verhältnis zu den zwischen den Kraftfahrzeugherstellern und ihren Vertragshändlern geschlossenen Verträgen nicht berühren (Urteil Nissan France u. a., Randnr. 19).

17 Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, daß die Verordnung Nr. 123/85 nicht so ausgelegt werden kann, daß sie es einem ausserhalb des offiziellen Vertriebsnetzes einer bestimmten Kraftfahrzeugmarke stehenden Wirtschaftsteilnehmer, der kein bevollmächtigter Vermittler im Sinne dieser Verordnung ist, untersagt, sich Neufahrzeuge dieser Marke durch Parallelimporte zu beschaffen und die Tätigkeit des unabhängigen Absatzes dieser Fahrzeuge auszuüben (Urteil Nissan France u. a., Randnr. 20).

18 Demgemäß hat der Gerichtshof im Urteil Nissan France u. a. für Recht erkannt, daß die Verordnung Nr. 123/85 so auszulegen ist, daß sie einen Wirtschaftsteilnehmer, der weder zugelassener Wiederverkäufer des Vertriebsnetzes des Herstellers einer bestimmten Kraftfahrzeugmarke noch bevollmächtigter Vermittler im Sinne von Artikel 3 Nummer 11 der Verordnung ist, nicht daran hindert, der Tätigkeit des Parallelimports und des unabhängigen Weiterverkaufs von Neufahrzeugen dieser Marke nachzugehen.

19 Aus diesen Gründen ist der erste Teil der dritten Vorabentscheidungsfrage des Tribunal de commerce Lyon genauso zu beantworten.

20 Angesichts dieser Antwort ist der zweite Teil der dritten Vorabentscheidungsfrage gegenstandslos geworden.

21 Da die Verordnung Nr. 123/85 nicht die Tätigkeit des Parallelimports und des Weiterverkaufs von Kraftfahrzeugen durch unabhängige Händler regelt, besteht nämlich - wie der Generalanwalt in den Nummern 12 bis 15 seiner Schlussanträge ausgeführt hat - kein Interesse daran, für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung über die Definition der Eigenschaft der von diesen Geschäften erfassten Fahrzeuge als neu oder gebraucht in einem Fall wie demjenigen des Ausgangsverfahrens zu entscheiden, in dem die Verordnung Nr. 123/85 gerade keine Anwendung findet.

22 Unter diesen Umständen braucht auf den zweiten Teil der dritten Vorabentscheidungsfrage nicht geantwortet zu werden.

23 Aufgrund all dessen ist auf die dritte Vorabentscheidungsfrage zu antworten, daß die Verordnung Nr. 123/85 so auszulegen ist, daß sie einen Wirtschaftsteilnehmer, der weder zugelassener Wiederverkäufer des Vertriebsnetzes des Herstellers einer bestimmten Kraftfahrzeugmarke noch bevollmächtigter Vermittler im Sinne von Artikel 3 Nummer 11 der Verordnung ist, nicht daran hindert, der Tätigkeit des Parallimports und des unabhängigen Weiterverkaufs von Neufahrzeugen dieser Marke nachzugehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Zweite Kammer)

auf die ihm vom Tribunal de commerce Lyon mit Urteil vom 2. Januar 1995 in der geänderten Fassung vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Verordnung (EWG) Nr. 123/85 der Kommission vom 12. Dezember 1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge ist so auszulegen, daß sie einen Wirtschaftsteilnehmer, der weder zugelassener Wiederverkäufer des Vertriebsnetzes des Herstellers einer bestimmten Kraftfahrzeugmarke noch bevollmächtigter Vermittler im Sinne von Artikel 3 Nummer 11 der Verordnung ist, nicht daran hindert, der Tätigkeit des Parallelimports und des unabhängigen Weiterverkaufs von Neufahrzeugen dieser Marke nachzugehen.

Ende der Entscheidung

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