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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.11.1993
Aktenzeichen: C-132/92
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 119
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Es verstösst nicht gegen Artikel 119 EWG-Vertrag, wenn ein Arbeitgeber bei der Berechnung einer "Überbrückungsrente", die er an männliche und weibliche Arbeitnehmer zahlt, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand treten, und die vor allem den Einkommensverlust ausgleichen soll, der sich dadurch ergibt, daß das gesetzliche Rentenalter noch nicht erreicht ist, die Höhe der später bezogenen gesetzlichen Rente berücksichtigt und die Überbrückungsrente entsprechend kürzt, auch wenn dies für die Altersgruppe der 60 bis 65jährigen dazu führt, daß eine ehemalige Arbeitnehmerin eine geringere Überbrückungsrente bezieht als eine männliche Vergleichsperson, wobei dieser Unterschied der Höhe der gesetzlichen Rente entspricht, auf die die Frau mit Vollendung des 60. Lebensjahres aufgrund der bei diesem Arbeitgeber zurückgelegten Beschäftigungszeiten Anspruch hat.

2. Der Artikel 119 EWG-Vertrag schließt nicht aus, wenn bei der Berechnung der Überbrückungsrente die volle gesetzliche Rente, die eine verheiratete Frau bezogen hätte, wenn sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte, Beiträge in geringerer Höhe zu zahlen, wodurch sie einen geringeren oder keinen Rentenanspruch hat, und gegebenenfalls die von der Betroffenen bezogene Witwenrente, die der vollen gesetzlichen Rente entspricht, berücksichtigt werden.

Wäre nämlich ein Unternehmen verpflichtet, die geringere gesetzliche Rente auszugleichen, die sich unmittelbar daraus ergibt, daß sich die Betroffene für niedrigere Beiträge entschieden hat, so liefe dies darauf hinaus, daß verheiratete Frauen im vorzeitigen Ruhestand, die diese Entscheidung getroffen haben, ungerechtfertigterweise gegenüber Männern und unverheirateten Frauen, die diese Wahl nicht hatten und die immer vollständige Beiträge entrichten mussten, sowie gegenüber verheirateten Frauen begünstigt würden, die von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben. Ebenso unbillig wäre es, die Zahlung einer Witwenrente, die einer vollständigen gesetzlichen Rente entspricht, nicht zu berücksichtigen, denn auch dies liefe auf eine Ungleichbehandlung hinaus, weil die Empfängerin einer Witwenrente Männern und nicht verwitweten Frauen gegenüber, die eine vollständige gesetzliche, bei der Berechnung der Überbrückungsrente berücksichtigte Rente beziehen, begünstigt wäre.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 9. NOVEMBER 1993. - BIRDS EYE WALLS LTD. GEGEN FRIEDEL M. ROBERTS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COURT OF APPEAL (ENGLAND) - VEREINIGTES KOENIGREICH. - GLEICHES ENTGELT FUER MAENNER UND FRAUEN - UEBERBRUECKUNGSRENTE. - RECHTSSACHE C-132/92.

Entscheidungsgründe:

1 Der Court of Appeal von England und Wales hat mit Beschluß vom 14. Oktober 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 24. April 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen zur Auslegung des Artikels 119 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Roberts (Klägerin) und ihrem früheren Arbeitgeber Bird Eye Walls Limited (Beklagte) über die Höhe der Überbrückungsrente ("bridging pension"), die die Klägerin nach der Betriebsrentenregelung von Unilever erhält, der sie angeschlossen war, bis sie am 14. August 1987 im Alter von 57 Jahren und 2 Monaten aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand trat.

3 Diese vollständig vom Arbeitgeber finanzierte Überbrückungsrente ist eine zusätzliche Zuwendung, die denjenigen Beschäftigten unentgeltlich gewährt wird, die aus gesundheitlichen Gründen vor Erreichung des gesetzlichen Rentenalters, das im Vereinigten Königreich für Frauen 60 Jahre und für Männer 65 Jahre beträgt, vorzeitig in den Ruhestand gehen müssen.

4 Die zusätzliche Zuwendung wird also zu einem Zeitpunkt gezahlt, zu dem der Beschäftigte noch keinen Anspruch auf Zahlung der gesetzlichen Rente hat und zu dem er im Hinblick auf die Zahl der Jahre, die noch zum gesetzlichen Rentenalter fehlen, nur eine gekürzte Betriebsrente beanspruchen kann.

5 Wesentlicher Zweck der Betriebsrente ist es zum einen, den Beschäftigten finanziell so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn ihn gesundheitliche Gründe nicht zur Aufgabe seiner Tätigkeit gezwungen hätten, also den Unterschied zwischen seinen tatsächlichen Bezuegen und dem Betrag auszugleichen, den er nach einer Beschäftigung bis zum gesetzlichen Rentenalter erhalten hätte, und zum anderen insgesamt für eine finanzielle Gleichbehandlung von Männern und Frauen zu sorgen, die sich in gleicher Lage befinden.

6 Die Art und Weise der Berechnung der Überbrückungsrente, für die eine Reihe von Elementen wie der letzte Lohn, die theoretische Beschäftigungszeit bis zum Alter von 60 oder 65 Jahren sowie die gesetzlichen und Betriebsrenten maßgeblich sind, auf die der Betroffene Anspruch hat, bringt es mit sich, daß der einer bestimmten Person gezahlte Betrag je nach der Änderung seiner finanziellen Lage im Laufe der Zeit verschieden hoch ist.

7 So umfasst die Überbrückungsrente vor Erreichung des 60. Lebensjahres, solange also weder Männer noch Frauen, die vorzeitig in den Ruhestand gehen, das für die Zahlung der gesetzlichen Rente erforderliche Alter erreicht haben, u. a. namentlich ° für beide ° den der gesetzlichen Rente entsprechenden Betrag, der sich auf Beschäftigungszeiten bei dem die Überbrückungsrente zahlenden Arbeitgeber bezieht. Nach Vollendung des 60. Lebensjahres dagegen wird bei einer Frau die Überbrückungsrente gekürzt, weil sie eine gesetzliche Rente bezieht, während beim Mann eine solche Kürzung der Überbrückungsrente erst fünf Jahre später erfolgt, wenn er Anspruch auf gesetzliche Rente hat.

8 Für die Berücksichtigung der gesetzlichen Rente kommt es weder darauf an, ob der Beschäftigte Anspruch auf sie hat oder nicht, noch darauf, ob er seinen Anspruch geltend gemacht hat oder nicht.

9 Die Klägerin greift diese Berechnungsweise an, die dazu führt, daß eine Frau im Alter von 60 bis 65 Jahren eine niedrigere Überbrückungsrente erhält als ein Mann, der sich im übrigen in vergleichbarer Lage befindet. Nach Ansicht der Klägerin ist die Überbrückungsrente ein Entgelt im Sinne des Artikels 119 EWG-Vertrag und der erwähnte Unterschied folglich nicht mit dem in dieser Vorschrift verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar.

10 Diese Auffassung der Klägerin hat den Court of Appeal veranlasst, folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1) Verstösst ein Arbeitgeber, der aus freien Stücken ein Betriebsrentensystem eingeführt hat, in dessen Rahmen er auf weibliche und auf männliche Arbeitnehmer dieselbe Formel anwendet, nach der er für beide die gleiche Gesamtruhestandsrente (Betriebs- plus gesetzliche Rente) berechnet und von diesem Betrag den Teil der gesetzlichen Ruhestandsrente abzieht, für den der Arbeitgeber und der ehemalige Arbeitnehmer während des einen Rentenanspruch begründenden Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen Beiträge entrichtet haben, der diesen gekürzten Betrag unmittelbar an den Arbeitnehmer zahlt und der den Zweck verfolgt, die (nach der Formel berechnete) Gesamtruhestandsrente männlicher und weiblicher ehemaliger Arbeitnehmer anzugleichen, so daß er weiblichen Arbeitnehmern von der Vollendung des 60. bis zu derjenigen des 65. Lebensjahres weniger als männlichen Arbeitnehmern zahlt, weil bei weiblichen ehemaligen Arbeitnehmern ein Abzug wegen ihres mit Vollendung des 60. Lebensjahres entstehenden Anspruchs auf die gesetzliche Rente erfolgt, während bei männlichen ehemaligen Arbeitnehmern kein entsprechender Abzug gemacht wird, weil sie bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres keinen Anspruch auf die gesetzliche Rente haben, gegen Artikel 119 EWG-Vertrag?

2) Ist es für die Beantwortung der ersten Frage von Bedeutung, wenn die Arbeitnehmerin keinen Anspruch auf eine gesetzliche Rente hat, weil sie als verheiratete Frau die Wahl hat, Beiträge zur gesetzlichen Versicherung in voller Höhe zu zahlen und damit aus eigenem Recht Anspruch auf die volle gesetzliche Rente zu erwerben oder solche Beiträge in geringerer Höhe zu zahlen, wodurch sie keinen (oder nur einen geringeren) gesetzlichen Rentenanspruch hat, und sie letzteres wählt?

3) Ist es für die Beantwortung der vorstehenden Fragen von Bedeutung, wenn die Arbeitnehmerin, obwohl sie keinen (oder keinen vollen) gesetzlichen Rentenanspruch hat, tatsächlich Anspruch auf eine gesetzliche Witwenrente in Höhe der vollen gesetzlichen Ruhestandsrente hat und eine solche Witwenrente bezieht?

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

12 Unstreitig fällt die Überbrückungsrente unter den Begriff des Entgelts im Sinne des Artikels 119 Absatz 2 EWG-Vertrag, wie er in der Rechtsprechung des Gerichtshofes verdeutlicht worden ist. Dieser Begriff umfasst alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gewährten Vergütungen, vorausgesetzt, daß sie der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Dienstverhältnisses gewährt (vgl. insb. Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88, Barber, Slg. 1990, 1889, Randnr. 12).

13 Im Ausgangsverfahren geht es darum, daß eine Frau im Alter von 60 bis 65 Jahren, der eine Überbrückungsrente zusteht, von ihrem früheren Arbeitgeber nach der Betriebsrentenregelung einen geringeren Betrag erhält als ein gleichaltriger Mann in derselben Lage. Die Differenz entspricht dem Teil der gesetzlichen Rente, der ihr ab Vollendung des 60. Lebensjahres nach Maßgabe der bei dem genannten Arbeitgeber zurückgelegten Beschäftigungszeiten gezahlt wird.

14 Nach Ansicht der Klägerin ist diese unterschiedliche Behandlung eine unmittelbare, geschlechtsbezogene und gemäß Artikel 119 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung, für die es folglich keinerlei Rechtfertigung geben könne.

15 Die Kommission teilt zwar die Auffassung der Klägerin zum Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung, meint aber, eine Rechtfertigung sei gleichwohl nicht ausgeschlossen, denn eine ° unmittelbare oder mittelbare ° Diskriminierung sei bereits begrifflich als eine unterschiedliche Behandlung zu verstehen, die nicht gerechtfertigt sei. Im vorliegenden Fall gebe es jedoch eine Rechtfertigung: Die Beklagte bemühe sich um die Herstellung einer echten Gleichbehandlung der Geschlechter, indem sie eine auf dem unterschiedlichen Rentenalter beruhende Ungleichheit in einem Zusammenhang ausgleiche, in dem dieser Unterschied zu einer schweren Benachteiligung führe. Hierzu verweist die Kommission insbesondere auf die Lage eines Beschäftigten, der aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gehen müsse und ° anders als eine Kollegin in gleicher Lage °, vor dem 65. Lebensjahr keinen Anspruch auf gesetzliche Rente habe.

16 Nach Ansicht der Beklagten liegt keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung der Klägerin vor, denn die streitige Ungleichbehandlung gehe allein auf einen objektiven, von der Beklagten nicht beeinflußbaren Faktor zurück, nämlich den Bezug der gesetzlichen Rente in einem bestimmten Alter.

17 Der in Artikel 119 EWG-Vertrag verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung stellt eine besondere Ausprägung des Diskriminierungsverbots dar; wie dieser setzt er voraus, daß die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, für die er gilt, sich in derselben Lage befinden.

18 Dies ist aber nicht der Fall, wenn das nachträgliche Entgelt, das ein Arbeitgeber den Beschäftigten zahlt, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gehen müssen, als eine Ergänzung der finanziellen Einkünfte des/der Betroffenen ausgestaltet ist.

19 Die für die Überbrückungsrente geltende Regelung zeigt ganz klar, daß ihre Höhe nicht ein für allemal festliegt, sondern je nach der Änderung der finanziellen Lage des/der Betroffenen im Laufe der Zeit zwangsläufig Veränderungen unterworfen ist.

20 Ist die finanzielle Lage einer Frau, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand geht, vor dem 60. Lebensjahr derjenigen eines Mannes in derselben Lage vergleichbar, weil beide noch keinen Anspruch auf die gesetzliche Rente haben, so trifft dies zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr nicht mehr zu, weil die Frau dann, anders als der Mann, eine solche Rente erhält. Dieser Unterschied in der objektiven Ausgangslage führt notwendigerweise dazu, daß Männer und Frauen nicht dieselbe Überbrückungsrente erhalten, ohne daß von einer Diskriminierung gesprochen werden könnte.

21 Bliebe es ° bei Frauen ° bei der Höhe der Überbrückungsrente, die sie vor Gewährung der gesetzlichen Rente erhielten, so käme es zudem in Anbetracht des verfolgten Zwecks zu einer Ungleichbehandlung von Männern, die die gesetzliche Rente erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres erhalten.

22 Weiter steht fest, daß auch bei Männern ab dem 65. Lebensjahr von der Überbrückungsrente der Betrag der gesetzlichen Rente, auf die sie Anspruch haben, abgezogen wird. Da sie bei dem Arbeitgeber, der die Überbrückungsrente zahlt, längere Beschäftigungszeiten haben als Frauen, erhalten sie im Hinblick darauf eine höhere gesetzliche Rente als ihre weiblichen Kollegen und folglich eine niedrigere Überbrückungsrente als Frauen.

23 Es steht also fest, daß die für die Überbrückungsrente geltende Regelung neutral ist, was das Nichtvorhandensein einer Diskriminierung bestätigt.

24 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß es nicht gegen Artikel 119 EWG-Vertrag verstösst, wenn ein Arbeitgeber bei der Berechnung einer Überbrückungsrente, die er an männliche und weibliche Arbeitnehmer zahlt, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand treten, und die vor allem den Einkommensverlust ausgleichen soll, der sich dadurch ergibt, daß das gesetzliche Rentenalter noch nicht erreicht ist, die Höhe der später bezogenen gesetzlichen Rente berücksichtigt und die Überbrückungsrente entsprechend kürzt, auch wenn dies für die Altersgruppe der 60 bis 65jährigen dazu führt, daß eine ehemalige Arbeitnehmerin eine geringere Überbrückungsrente erhält als eine männliche Vergleichsperson, wobei dieser Unterschied der Höhe der gesetzlichen Rente entspricht, auf die die Frau mit Vollendung des 60. Lebensjahres aufgrund der bei diesem Arbeitgeber zurückgelegten Beschäftigungszeiten Anspruch hat.

Zur zweiten und zur dritten Frage

25 Die zweite Frage geht darauf zurück, daß ° wie oben (Randnr. 8) erwähnt ° die Möglichkeit besteht, die gesetzliche Rente bei der Berechnung der Überbrückungsrente zu berücksichtigen. Es geht dabei um Beschäftigte, die als verheiratete Frauen von der nach britischem Recht bestehenden Möglichkeit, geringere Rentenbeiträge zu zahlen, Gebrauch gemacht haben und deshalb nur Anspruch auf eine niedrigere gesetzliche Rente oder ° wie im Fall der Klägerin ° gar keinen derartigen Anspruch haben.

26 Die Klägerin erhält aber eine Witwenrente in Höhe der vollständigen Altersrente. Darauf geht die dritte Frage zurück, derzufolge geklärt werden soll, ob dieser tatsächliche Umstand für die Beantwortung der beiden vorhergehenden Fragen von Bedeutung ist.

27 Die Zahlung geringerer Beiträge für die gesetzliche Rente ist der freien Entscheidung verheirateter Frauen überlassen, die davon einen bestimmten finanziellen Vorteil haben.

28 Es wäre sinnwidrig, diesen Umstand ausser Betracht zu lassen und die Überbrückungsrente nach Maßgabe des Betrages der gesetzlichen Rente zu berechnen, die die Betroffene tatsächlich erhält.

29 Wäre ein Unternehmen verpflichtet, die geringere gesetzliche Rente auszugleichen, die sich unmittelbar daraus ergibt, daß sich die Betroffene für niedrigere Beiträge entschieden hat, so liefe dies ° wie der Generalanwalt unter Nummer 21 seiner Schlussanträge ausgeführt hat ° darauf hinaus, daß verheiratete Frauen im vorzeitigen Ruhestand, die diese Entscheidung getroffen haben, ungerechtfertigterweise gegenüber Männern und unverheirateten Frauen, die diese Wahl nicht hatten und die immer vollständige Beiträge entrichten mussten, sowie gegenüber verheirateten Frauen begünstigt würden, die von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben.

30 Artikel 119 darf also nicht so ausgelegt werden, daß er tatsächlich eine Ungleichbehandlung derart schafft, daß bestimmte Betroffene sowohl niedrigere Beiträge zahlen als auch eine Überbrückungsrente erhalten, die die entsprechende Verringerung der gesetzlichen Rente ausgleicht und damit anderen gegenüber, deren Lage im übrigen vergleichbar ist, doppelt begünstigt werden.

31 Dies gilt erst recht für Fälle, in denen anstelle einer gesetzlichen Rente eine Witwenrente in Höhe der vollständigen gesetzlichen Rente gezahlt wird. In Anbetracht des mit der Überbrückungsrente verfolgten Zwecks, der oben unter Randnummer 5 angegeben ist, wäre es unbillig, die Zahlung einer Witwenrente, die einer vollständigen gesetzlichen Rente entspricht, nicht zu berücksichtigen, denn auch dies liefe auf eine Ungleichbehandlung hinaus, weil die Empfängerin einer Witwenrente Männern und nicht verwitweten Frauen gegenüber, die eine vollständige gesetzliche, bei der Berechnung der Überbrückungsrente berücksichtigte Rente beziehen, begünstigt wäre.

32 Auf die zweite und auf die dritte Frage ist also zu antworten, daß es nicht gegen Artikel 119 EWG-Vertrag verstösst, wenn bei der Berechnung der Überbrückungsrente die volle gesetzliche Rente, die eine verheiratete Frau bezogen hätte, wenn sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte, Beiträge in geringerer Höhe zu zahlen, wodurch sie einen geringeren oder keinen Rentenanspruch hat, und gegebenenfalls die von der Betroffenen bezogene Witwenrente, die der vollen gesetzlichen Rente entspricht, berücksichtigt werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm vom Court of Appeal von England und Wales mit Beschluß vom 14. Oktober 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Es verstösst nicht gegen Artikel 119 EWG-Vertrag, wenn ein Arbeitgeber bei der Berechnung einer "Überbrückungsrente", die er an männliche und weibliche Arbeitnehmer zahlt, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand treten, und die vor allem den Einkommensverlust ausgleichen soll, der sich dadurch ergibt, daß das gesetzliche Rentenalter noch nicht erreicht ist, die Höhe der später bezogenen gesetzlichen Rente berücksichtigt und die Überbrückungsrente entsprechend kürzt, auch wenn dies für die Altersgruppe der 60 bis 65jährigen dazu führt, daß eine ehemalige Arbeitnehmerin eine geringere Überbrückungsrente bezieht als eine männliche Vergleichsperson, wobei dieser Unterschied der Höhe der gesetzlichen Rente entspricht, auf die die Frau mit Vollendung des 60. Lebensjahres aufgrund der bei diesem Arbeitgeber zurückgelegten Beschäftigungszeiten Anspruch hat.

2) Es verstösst nicht gegen Artikel 119 EWG-Vertrag, wenn bei der Berechnung der Überbrückungsrente die volle gesetzliche Rente, die eine verheiratete Frau bezogen hätte, wenn sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte, Beiträge in geringerer Höhe zu zahlen, wodurch sie einen geringeren oder keinen Rentenanspruch hat, und gegebenenfalls die von der Betroffenen bezogene Witwenrente, die der vollen gesetzlichen Rente entspricht, berücksichtigt werden.

Ende der Entscheidung

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