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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.09.1998
Aktenzeichen: C-132/96
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, Verordnung (EWG) Nr. 2001/83


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 46 Abs. 2 Buchst. a
Verordnung (EWG) Nr. 2001/83
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 ist dahin auszulegen, daß der zuständige Träger bei der Bestimmung des theoretischen Rentenbetrags, der als Grundlage für die Berechnung der anteiligen Rente dient, eine im nationalen Recht vorgesehene Ergänzungsleistung zur Erreichung des Mindestruhegehalts zu berücksichtigen hat.

Eine Leistung wie eine solche Ergänzungsleistung kann nicht wegen des Erlasses von Artikel 10a der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1247/92 geänderten Fassung, wonach die in Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 aufgeführten beitragsunabhängigen Sonderleistungen nicht in andere Mitgliedstaaten als den Wohnstaat des Arbeitnehmers oder Selbständigen übertragbar sind, als vom Geltungsbereich des Artikels 46 ausgeschlossen angesehen werden. Als Ausnahme von einer Regelung, die die Situation von Arbeitnehmern und Selbständigen sowie deren Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, verbessern soll, ist Artikel 10a eng auszulegen. Die Möglichkeit, eine Leistung wie eine im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehene Ergänzungsleistung zur Erreichung des Mindestruhegehalts zu exportieren, hat jedoch nichts mit der Frage der Bestimmung des theoretischen Betrages einer Rente zu tun.

Im übrigen handelt es sich bei der Bestimmung des theoretischen Betrages einer Rente, auf die sich Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a bezieht, um einen Vorgang, der sich von der in Artikel 50 geregelten Problematik, nämlich der Gewährung einer zusätzlichen Leistung, die über die nach den allgemeinen Rechtsvorschriften eines bestimmten Mitgliedstaats geschuldete Mindestleistung hinausgeht, unterscheidet.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 24. September 1998. - Antonio Stinco und Ciro Panfilo gegen Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura circondariale di Roma - Italien. - Altersrente - Berechnung des theoretischen Betrages der Leistung - Berücksichtigung des zur Erreichung der gesetzlichen Mindestrente erforderlichen Betrages. - Rechtssache C-132/96.

Entscheidungsgründe:

1 Die Pretura circondariale Rom hat mit Beschluß vom 4. April 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 24. April 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1247/92 des Rates vom 30. April 1992 (ABl. L 136, S. 1) und durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992 (ABl. L 136, S. 7), zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen den italienischen Staatsangehörigen Stinco und Panfilo (im folgenden: Kläger) und dem Istituto nazionale della previdenza sociale (im folgenden: INPS) wegen der Weigerung des INPS, für die Zwecke der Berechnung der Altersrente nach italienischem Recht den zum Erreichen des in diesem Recht vorgesehenen Mindestruhegehalts erforderlichen Betrag zu berücksichtigen.

3 Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1248/92 geänderten Fassung sieht vor:

"Der zuständige Träger berechnet den theoretischen Betrag der Leistung, auf die die betreffende Person Anspruch hätte, wenn alle nach den für den Arbeitnehmer oder Selbständigen geltenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und/oder Wohnzeiten nur in dem betreffenden Staat und nach den für diesen Träger zum Zeitpunkt der Feststellung der Leistung geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Ist nach diesen Rechtsvorschriften der Betrag der Leistung von der Dauer der zurückgelegten Zeiten unabhängig, so gilt dieser Betrag als theoretischer Betrag."

4 Artikel 50 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

"Der Empfänger von Leistungen nach diesem Kapitel darf in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet er wohnt und nach dessen Rechtsvorschriften ihm eine Leistung zusteht, keinen niedrigeren Leistungsbetrag als die Mindestleistung erhalten, die nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für eine Versicherungs- oder eine Wohnzeit vorgesehen ist, welche den Zeiten insgesamt entspricht, die bei der Feststellung seiner Leistung gemäß den vorstehenden Artikeln angerechnet wurden. Der zuständige Träger dieses Staates zahlt dem Betreffenden gegebenenfalls während der gesamten Zeit, in der er im Hoheitsgebiet dieses Staates wohnt, eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen der Summe der nach diesem Kapitel geschuldeten Leistungen und dem Betrag der Mindestleistung."

5 Durch die Verordnung Nr. 1247/92 wurde Artikel 10a in die Verordnung Nr. 1408/71 eingefügt, dessen Absatz 1 vorsieht, daß die in Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 aufgeführten beitragsunabhängigen Sonderleistungen nicht in andere Mitgliedstaaten als den Wohnstaat des Arbeitnehmers oder Selbständigen übertragbar sind. Zu den in diesem Anhang aufgeführten Leistungen gehören die in Abschnitt H (Italien) Buchstabe e dieses Anhangs genannten Ergänzungsleistungen zum italienischen Mindestruhegehalt.

6 Aus den Akten ergibt sich, daß die Kläger beim INPS die Gewährung einer Altersrente beantragten und daß sie ab demselben Zeitpunkt Anspruch auf eine Altersrente in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich in Frankreich bzw. im Vereinigten Königreich, hatten.

7 Nach Artikel 8 des Gesetzes Nr. 153 vom 30. April 1969 (GURI Nr. 111 vom 30. April 1969) ist im Fall eines Rentenanspruchs, der durch Zusammenrechnung von Versicherungszeiten entstanden ist, die aufgrund völkerrechtlicher Verträge über die soziale Sicherheit zu berücksichtigen waren, die Rente unter Berücksichtigung des Betrages der von dem ausländischen Versicherungsträger gezahlten Rente auf das Mindestruhegehalt zu ergänzen. Ein Anspruch auf die Ergänzungsleistung besteht nach Artikel 6 des Decreto-legge Nr. 463 vom 12. September 1983, umgewandelt in das Gesetz Nr. 638 vom 11. November 1983, nur dann, wenn das Einkommen den doppelten Betrag des jährlichen Mindestruhegehalts nicht übersteigt.

8 Das INPS gewährte den Klägern anteilige Renten gemäß Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71, die auf der Grundlage der fiktiven Renten berechnet worden waren, auf die sie Anspruch gehabt hätten, wenn sie während ihres gesamten Erwerbslebens in Italien gearbeitet hätten. Der Betrag dieser fiktiven Renten war so niedrig, daß den Klägern die nach italienischem Recht vorgesehene Ergänzungsleistung zur Erreichung des Mindestruhegehalts gewährt worden wäre, wenn sie tatsächlich Anspruch auf nationale Renten in dieser Höhe gehabt hätten.

9 Das vorlegende Gericht führt aus, daß die von den Klägern tatsächlich bezogene Rente jedoch nicht auf das gesetzliche Mindestruhegehalt erhöht worden sei, weil die Gesamtrente in beiden Fällen nach Berücksichtigung der jeweils in Frankreich oder im Vereinigten Königreich gezahlten Renten über dem Hoechstbetrag gelegen habe, bis zu dem die nach italienischem Recht vorgesehene Ergänzungsleistung gewährt werde.

10 Nach erfolglosem Widerspruch gegen diese Entscheidung rief jeder der beiden Kläger die Pretura circondariale Rom an, die die beiden Rechtssachen verband. Vor diesem Gericht machten die Kläger geltend, daß Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 verlange, daß die fiktive Rente, die als Grundlage für die Berechnung der anteiligen Rente diene, die nach italienischem Recht vorgesehene Ergänzungsleistung einschließe.

11 Da der Pretore del lavoro von Rom Zweifel an der Auslegung dieser Vorschrift hat, hat er das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob das INPS bei der Bestimmung des Betrages des italienischen Rentenanteils die sogenannte einfache virtülle oder theoretische Rente zur Grundlage seiner Berechnung zu machen hat oder ob bei der Bestimmung dieses Betrages die durch Ergänzungsleistungen zur Erreichung des Mindestruhegehalts ergänzte virtülle oder theoretische Rente als Berechnungsgrundlage heranzuziehen ist.

12 Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, daß der zuständige Träger bei der Bestimmung des theoretischen Rentenbetrags, der als Grundlage für die Berechnung der anteiligen Rente dient, eine in nationalem Recht vorgesehene Ergänzungsleistung zur Erreichung des Mindestruhegehalts zu berücksichtigen hat.

13 Zur Beantwortung dieser Frage ist daran zu erinnern, daß Artikel 46 der Verordnung Nr. 1408/71, wie der Gerichtshof bereits in Randnummer 24 des Urteils vom 22. April 1993 in der Rechtssache C-65/92 (Levatino, Slg. 1993, I-2005) entschieden hat, auf beitragsfreie Leistungen bei Alter, wie das nach belgischem Recht gewährte garantierte Einkommen für alte Menschen, anwendbar ist.

14 Im vorliegenden Fall machen das INPS und die österreichische Regierung jedoch geltend, daß die im italienischen Recht vorgesehene Ergänzungsleistung eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 2a der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1247/92 geänderten Fassung sei und daher nicht gemäß Artikel 10a bei der Bestimmung des theoretischen Betrages der Rente eines einzelnen im Sinne von Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a berücksichtigt werden könne.

15 Nach Artikel 10a der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1247/92 geänderten Fassung sind die in Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 aufgeführten beitragsunabhängigen Sonderleistungen nicht in andere Mitgliedstaaten als den Wohnstaat des Arbeitnehmers oder Selbständigen übertragbar.

16 Als Ausnahme von einer Regelung, die die Situation von Arbeitnehmern und Selbständigen sowie deren Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, verbessern soll, ist Artikel 10a eng auszulegen.

17 Die Möglichkeit, eine Leistung wie die im italienischen Recht vorgesehene Ergänzungsleistung zu exportieren, hat jedoch nichts mit der Frage der Bestimmung des theoretischen Betrages einer Rente zu tun.

18 Daraus folgt, daß eine Leistung wie die im Ausgangsverfahren streitige nicht wegen des Erlasses von Artikel 10a der Verordnung Nr. 1408/71 als vom Geltungsbereich des Artikels 46 dieser Verordnung ausgeschlossen angesehen werden kann.

19 Das INPS und die schwedische Regierung vertreten ausserdem die Ansicht, daß Artikel 50 der Verordnung Nr. 1408/71 die einzige Bestimmung sei, die dem Rentner ein Mindesteinkommen sichern solle; daher seien nationale Vorschriften, die eine Mindestrente festlegten, nur unter den Voraussetzungen des Artikels 50 zu berücksichtigen.

20 Wie der Gerichtshof in den Randnummern 13 und 14 des Urteils vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 22/81 (Browning, Slg. 1981, 3357) ausgeführt hat, handelt es sich bei der Bestimmung des theoretischen Betrages einer Rente, auf die sich Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 bezieht, um einen Vorgang, der sich von der in Artikel 50 geregelten Problematik, nämlich der Gewährung einer zusätzlichen Leistung, die über die nach den allgemeinen Rechtsvorschriften eines bestimmten Mitgliedstaats geschuldete Mindestleistung hinausgeht, unterscheidet.

21 Daraus folgt, daß eine nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats garantierte Mindestleistung im Rahmen der Berechnung des theoretischen Betrages nach Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 zu berücksichtigen ist.

22 Folglich ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, daß der zuständige Träger bei der Bestimmung des theoretischen Rentenbetrags, der als Grundlage für die Berechnung der anteiligen Rente dient, eine im nationalen Recht vorgesehene Ergänzungsleistung zur Erreichung des Mindestruhegehalts zu berücksichtigen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Die Auslagen der spanischen, der österreichischen und der schwedischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm von der Pretura circondariale Rom mit Beschluß vom 4. April 1996 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1247/92 des Rates vom 30. April 1992 und durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992, ist dahin auszulegen, daß der zuständige Träger bei der Bestimmung des theoretischen Rentenbetrags, der als Grundlage für die Berechnung der anteiligen Rente dient, eine im nationalen Recht vorgesehene Ergänzungsleistung zur Erreichung des Mindestruhegehalts zu berücksichtigen hat.

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