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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.11.1993
Aktenzeichen: C-134/92
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 1785/81


Vorschriften:

Verordnung Nr. 1785/81 Art. 7
Verordnung Nr. 1785/81 Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Da der Gemeinschaftsgesetzgeber die ihm durch die Verordnung Nr. 1785/81 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker zugewiesene Zuständigkeit dafür, festzulegen, nach welchen Modalitäten die Zuckerrübenmengen, deren Abnahme der Hersteller vor der Aussaat für die Zuckerherstellung innerhalb der A- und der B-Quote anbietet, auf die Verkäufer aufzuteilen sind, noch nicht ausgeuebt hat, steht diese Verordnung der Anwendung nationalen Rechts, das die Gleichbehandlung der Lieferanten nach dem Kartellrecht und der Aktionäre einer Nebenleistungsaktiengesellschaft nach dem Gesellschaftsrecht vorschreibt, auf diese Verteilung nicht entgegen. Auch wenn die Mitgliedstaaten befugt sind, ihr nationales Recht anzuwenden, sind sie jedoch nicht von der Beachtung der Grundsätze und der allgemeinen Regeln befreit, die für die gemeinsame Agrarpolitik gelten.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 17. NOVEMBER 1993. - BURKHARD MOERLINS GEGEN ZUCKERFABRIK KOENIGSLUTTER-TWUELPSTEDT AG. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: LANDGERICHT BRAUNSCHWEIG - DEUTSCHLAND. - ZUCKER - QUOTEN - ANWENDUNG NATIONALER RECHTSVORSCHRIFTEN. - RECHTSSACHE C-134/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Landgericht Braunschweig hat mit Beschluß vom 7. April 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 27. April 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1785/81 des Rates vom 30. Juni 1981 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker (ABl. L 177, S. 4) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Burkhard Mörlins (im folgenden: Kläger) und der Zuckerfabrik Königslutter-Twülpstedt (im folgenden: Beklagte) über die Zuteilung von Liefermengen für Zuckerrüben im Rahmen von Jahresverträgen.

3 Der Kläger ist ein in Deutschland ansässiger Zuckerrübenerzeuger und Aktionär der Beklagten. Nach der Satzung der Beklagten haben die Aktionäre ihre Zuckerrübenerzeugung an diese zu liefern.

4 Die Verordnung Nr. 1785/81 enthält u. a. eine Quotenregelung für die Zuckererzeugung. Nach dieser Regelung wird Zucker in die drei Kategorien A, B und C aufgeteilt, wobei für die ersten beiden Kategorien eine Quote besteht. Für die A- und B-Zuckermengen werden Preisgarantien gegeben; dabei ist der Mindestpreis für B-Zucker niedriger als der Mindestpreis für A-Zucker.

5 Nach Artikel 30 der Verordnung Nr. 1785/81 wird in den Verträgen über die Lieferung von Zuckerrüben, die zur Zuckerherstellung bestimmt sind, zwischen den Zuckerrüben danach unterschieden, ob die Zuckermengen, die aus ihnen hergestellt werden, im Rahmen der A-Quote oder der B-Quote liegen.

6 Aus den Akten geht hervor, daß die Beklagte dem Kläger nach dieser Bestimmung Liefermengen für Zuckerrüben sowohl im Rahmen der A-Quote als auch im Rahmen der B-Quote zugeteilt hat. Der Kläger ist der Auffassung, daß diese Mengen in der Weise neu zu verteilen seien, daß die im Rahmen der A-Quote zugeteilten Mengen erhöht werden. Er hat daher die Beklagte beim Landgericht Braunschweig auf Abschluß eines neuen Liefervertrags verklagt.

7 Das Landgericht ist der Auffassung, daß das Verfahren Probleme der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwerfe, und hat daher beschlossen, folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1) In welchem Umfang stehen insbesondere die Artikel 7 und 30 der Verordnung (EWG) Nr. 1785/81 des Rates vom 30. Juni 1981 (ABl. L 177, S. 4) bei Beurteilung der Kriterien, nach denen die Zuckerhersteller sich bei der Aufteilung der Zuckerrübenmengen, deren Abnahme sie vor der Aussaat für die Zuckerherstellung innerhalb der Zuckermengen A und B anbieten, auf die Zuckerrübenverkäufer zu richten haben, einer Anwendung der Wettbewerbsregeln des deutschen Kartellrechts und der bei Nebenleistungspflichten geltenden Regeln des deutschen Aktienrechts entgegen?

2) Welche Kriterien gibt die gemeinsame Marktorganisation für Zucker dem nationalen Vertragsrecht bei dem Abschluß von Vereinbarungen über den An- und Verkauf von Zuckerrüben hinsichtlich der Aufteilung der Zuckerrübenmengen, deren Abnahme der Hersteller vor der Aussaat für die Zuckerherstellung innerhalb der Zuckermengen A und B anbietet, als unmittelbar geltendes Recht vor?

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der nationalen Rechtsvorschriften, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, inwieweit die Verordnung Nr. 1785/81 der Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Lieferanten nach deutschem Kartellrecht und der Aktionäre einer Nebenleistungsaktiengesellschaft nach deutschem Gesellschaftsrecht im Bereich der Aufteilung der Zuckerrübenmengen auf die Verkäufer entgegensteht. Mit der zweiten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof darum, anzugeben, welche Kriterien die gemeinsame Marktorganisation für Zucker für diese Aufteilung vorgibt. Da diese Fragen eng miteinander verknüpft sind, sind sie zusammen zu prüfen.

10 Erstens ist zu bemerken, daß Artikel 30 der Verordnung Nr. 1785/81 Vorschriften über die Aufteilung der zur Zuckerherstellung bestimmten Zuckerrübenmengen auf die Verkäufer enthält. Nach Artikel 30 Absatz 5 waren die Durchführungsvorschriften zu diesem Artikel nach dem Verfahren des Artikels 41 festzulegen. Aus der Formulierung dieses Absatzes 5 geht hervor, daß zu den fraglichen Vorschriften auch die Kriterien gehören, nach denen die Zuckerhersteller sich bei der Aufteilung der Zuckerrübenmengen, für die vor der Aussaat Verträge abzuschließen sind, auf die Zuckerrübenverkäufer zu richten haben. Diese Durchführungsvorschriften sind jedoch noch nicht erlassen worden.

11 Zweitens ist festzustellen, daß Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1785/81 dem Rat die Befugnis einräumt, Rahmenvorschriften zu erlassen, mit denen die Branchenvereinbarungen sowie die Verträge zwischen Zuckerrübenverkäufern und Zuckerrübenkäufern in Einklang stehen müssen.

12 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß auch die Verordnung (EWG) Nr. 206/68 des Rates vom 20. Februar 1968 über Rahmenvorschriften für die Verträge und Branchenvereinbarungen für den Kauf von Zuckerrüben (ABl. L 47, S. 1), die durch die Verordnung Nr. 1785/81 nicht aufgehoben worden ist, keine Vorschriften über die Aufteilung der Zuckerrübenmengen auf die Verkäufer enthält.

13 Drittens ist auf Artikel 7 Absatz 5 der Verordnung Nr. 1785/81 zu verweisen, wonach der betreffende Mitgliedstaat, wenn Branchenvereinbarungen fehlen, die erforderlichen Maßnahmen treffen kann, um die Interessen der betroffenen Parteien zu wahren.

14 Desgleichen bestimmt die Verordnung (EWG) Nr. 741/75 des Rates vom 18. März 1975 zur Aufstellung besonderer Regeln für den Kauf von Zuckerrüben (ABl. L 74, S. 2) in Artikel 1 Absatz 1:

"Ist durch eine Branchenvereinbarung kein Einvernehmen darüber erzielt worden, wie die Zuckerrübenmengen, deren Abnahme der Hersteller vor der Aussaat für die Zuckerherstellung innerhalb der Grundquote anbietet, auf die Verkäufer aufgeteilt werden, so kann der betreffende Mitgliedstaat Regeln für die Aufteilung festlegen."

15 Aus allen diesen Bestimmungen ergibt sich zunächst, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber zwar dafür zuständig ist, festzulegen, nach welchen Modalitäten die Zuckerrübenmengen, deren Abnahme der Hersteller vor der Aussaat für die Zuckerherstellung innerhalb der A- und der B-Quote anbietet, auf die Verkäufer aufzuteilen sind, daß er aber insoweit noch keine Regeln erlassen hat.

16 Sodann ist festzustellen, daß die Mitgliedstaaten, wenn gemeinschaftliche Regeln oder im Rahmen einer Branchenvereinbarung geschlossene Verträge fehlen, dazu befugt sind, diese Aufteilung nach den Regeln ihres eigenen nationalen Rechts vorzunehmen.

17 Daraus folgt, daß die Verordnung Nr. 1785/81 einer Anwendung des nationalen Kartell-und Gesellschaftsrechts auf die Aufteilung der Zuckerrübenmengen auf die Zuckerrübenverkäufer im Rahmen der A- und der B-Quote nicht entgegensteht. Auch wenn die Mitgliedstaaten befugt sind, ihr nationales Recht anzuwenden, sind sie jedoch nicht von der Beachtung der Grundsätze und der allgemeinen Regeln befreit, die für die gemeinsame Agrarpolitik gelten.

18 Die Vorabentscheidungsfragen sind daher wie folgt zu beantworten: Da das Gemeinschaftsrecht noch nicht die Kriterien festgelegt hat, nach denen die Zuckerrübenmengen, deren Abnahme der Hersteller vor der Aussaat für die Zuckerherstellung innerhalb der A- und der B-Quote anbietet, auf die Verkäufer aufzuteilen sind, steht die Verordnung Nr. 1785/81 der Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Lieferanten nach nationalem Kartellrecht und der Aktionäre einer Nebenleistungsaktiengesellschaft nach nationalem Gesellschaftsrecht auf diese Verteilung nicht entgegen. Auch wenn die Mitgliedstaaten befugt sind, ihr nationales Recht anzuwenden, sind sie jedoch nicht von der Beachtung der Grundsätze und der allgemeinen Regeln befreit, die für die gemeinsame Agrarpolitik gelten.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Landgericht Braunschweig mit Beschluß vom 7. April 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Da das Gemeinschaftsrecht noch nicht die Kriterien festgelegt hat, nach denen die Zuckerrübenmengen, deren Abnahme der Hersteller vor der Aussaat für die Zuckerherstellung innerhalb der A- und der B-Quote anbietet, auf die Verkäufer aufzuteilen sind, steht die Verordnung (EWG) Nr. 1785/81 der Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Lieferanten nach nationalem Kartellrecht und der Aktionäre einer Nebenleistungsaktiengesellschaft nach nationalem Gesellschaftsrecht auf diese Verteilung nicht entgegen. Auch wenn die Mitgliedstaaten befugt sind, ihr nationales Recht anzuwenden, sind sie jedoch nicht von der Beachtung der Grundsätze und der allgemeinen Regeln befreit, die für die gemeinsame Agrarpolitik gelten.

Ende der Entscheidung

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