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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.09.2000
Aktenzeichen: C-134/99
Rechtsgebiete: Richtlinie 69/335
Vorschriften:
Richtlinie 69/335 Art. 10 | |
Richtlinie 69/335 Art. 10 Buchst. c | |
Richtlinie 69/335 Art. 12 Abs. 1 Buchst. e |
1 Die Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital ist unter Berücksichtigung ihrer Zwecke, vor allem dem der Aufhebung der indirekten Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer, dahin auszulegen, dass Gebühren für die Eintragung einer Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft in ein nationales Register für juristische Personen, die an den Staat zur Finanzierung staatlicher Aufgaben entrichtet werden, eine Steuer im Sinne dieser Richtlinie darstellen.
(vgl. Randnrn. 19-21, Tenor 1)
2 Gebühren für die Eintragung einer Kapitalgesellschaft in ein nationales Register für juristische Personen sind nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 grundsätzlich verboten, wenn sie eine Steuer im Sinne dieser Richtlinie darstellen, da die Eintragung der Erhöhung des Gesellschaftskapitals in das nationale Register für juristische Personen, wenn sie zwingend vorgeschrieben ist, eine wesentliche Förmlichkeit im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft und eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung der Tätigkeit der Gesellschaft darstellt.
(vgl. Randnrn. 24 und 25, Tenor 2)
3 Abgaben, die für die Eintragung einer Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft in ein nationales Register für juristische Personen ohne Obergrenze proportional zu dem gezeichneten Nennkapital erhoben werden, stellen keine Abgaben mit Gebührencharakter im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 dar.
(vgl. Randnr. 35, Tenor 3)
4 Artikel 10 der Richtlinie 69/335 begründet Rechte, auf die sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann. Das Verbot in dieser Bestimmung ist nämlich hinreichend genau und unbedingt, damit es der Einzelne vor den nationalen Gerichten gegenüber einer gegen diese Richtlinie verstoßenden Bestimmung des nationalen Rechts geltend machen kann.
(vgl. Randnrn. 37 und 38, Tenor 4)
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 26. September 2000. - IGI - Investimentos Imobiliários SA gegen Fazenda Pública. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Supremo Tribunal Administrativo - Portugal. - Richtlinie 69/335/EWG - Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital - Gebühren für die Eintragung in ein nationales Register für juristische Personen - Abgaben mit Gebührencharakter. - Rechtssache C-134/99.
Parteien:
In der Rechtssache C-134/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom portugiesischen Supremo Tribunal Administrativo in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
IGI - Investimentos Imobiliários SA
gegen
Fazenda Pública,
Beteiligter:
Ministério Público,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 4, 10 und 12 Absatz 1 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23)
erlässt
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward sowie der Richter L. Sevón, P. Jann, H. Ragnemalm (Berichterstatter) und M. Wathelet,
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der IGI - Investimentos Imobiliários SA, vertreten durch Rechtsanwalt C. Osório de Castro, Porto,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes, Leiter des Juristischen Dienstes der Generaldirektion für die Europäischen Gemeinschaften des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Â. Seiça Neves, Juristischer Dienst, und R. Barreira, Berater in der Rechtsabteilung des Präsidenten des Ministerrats, als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado S. Ortiz Vaamonde als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. M. Alves Vieira und H. Michard, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Mai 2000,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Das Supremo Tribunal Administrativo hat mit Entscheidung vom 17. März 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 19. April 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) sieben Fragen nach der Auslegung der Artikel 4, 10 und 12 Absatz 1 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23; im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der IGI - Investimentos Imobiliários SA (im Folgenden: Klägerin) und der Fazenda Pública wegen der Zahlung der Gebühren für die Eintragung einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals dieser Gesellschaft in das Registo Nacional de Pessoas Colectivas (Nationales Register für juristische Personen).
Das Gemeinschaftsrecht
3 Die Richtlinie will nach ihrer ersten Begründungserwägung den freien Kapitalverkehr fördern, der als wesentliche Voraussetzung für die Schaffung einer Wirtschaftsunion mit ähnlichen Eigenschaften wie ein Binnenmarkt angesehen wird.
4 Nach der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie setzt die Verfolgung dieses Zieles hinsichtlich der Steuern auf die Ansammlung von Kapital voraus, dass die in den Mitgliedstaaten bisher geltenden indirekten Steuern aufgehoben und durch eine innerhalb des Gemeinsamen Marktes nur einmal und in allen Mitgliedstaaten in gleicher Höhe erhobene Steuer ersetzt werden.
5 Artikel 4 der Richtlinie lautet:
"(1) Der Gesellschaftsteuer unterliegen die nachstehenden Vorgänge:
a) die Gründung einer Kapitalgesellschaft;
...
c) die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;
...
(3) Als Gründung im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe a gelten nicht Änderungen gleich welcher Art des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung einer Kapitalgesellschaft und insbesondere nicht:
a) die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft anderer Art;
b) die Verlegung des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung oder des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Personen von einem Mitgliedstaat in einen anderen, wenn diese für die Erhebung der Gesellschaftsteuer in beiden Mitgliedstaaten als Kapitalgesellschaft angesehen wird;
c) die Änderung des Gesellschaftsgegenstands einer Kapitalgesellschaft;
d) die Verlängerung des Bestehens einer Kapitalgesellschaft."
6 Artikel 7 der Richtlinie sieht vor:
"(1) Mit Ausnahme der in Artikel 9 genannten Vorgänge befreien die Mitgliedstaaten von der Gesellschaftsteuer die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.
Für die Befreiung gelten die zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Bedingungen für die Gewährung der Befreiung oder gegebenenfalls für die Änderung eines Steuersatzes von 0,50 v. H. oder weniger.
...
(2) Die Mitgliedstaaten können entweder alle anderen als die in Absatz 1 bezeichneten Vorgänge von der Gesellschaftsteuer befreien oder darauf die Steuer mit einem einheitlichen Satz von höchstens 1 v. H. erheben.
..."
7 Die Richtlinie sieht nach ihrer letzten Begründungserwägung auch die Aufhebung anderer indirekter Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer vor. Diese Steuern, die nicht erhoben werden dürfen, sind namentlich in Artikel 10 der Richtlinie aufgeführt, der lautet:
"Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften, Personenvereinigungen und juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf:
a) die in Artikel 4 genannten Vorgänge;
b) die Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Artikel 4 genannten Vorgänge;
c) die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann."
8 Artikel 12 der Richtlinie bestimmt:
"(1) In Abweichung von den Artikeln 10 und 11 können die Mitgliedstaaten folgendes erheben:
...
e) Abgaben mit Gebührencharakter;
..."
Das nationale Recht
9 Artikel 24 des Decreto-Lei Nr. 144/83 vom 31. März 1983 (Diário da República I, Serie A Nr. 75 vom 31. März 1983) sieht vor:
"Juristische Personen müssen folgende Handlungen und Tatsachen in das nationale Register für juristische Personen eintragen lassen:
a) Gründung;
...
d) Änderung des Gesellschaftszwecks oder des Gesellschaftskapitals;
..."
10 Nach Artikel 73 des Decreto-Lei Nr. 144/83 werden auf die Eintragung in das nationale Register für juristische Personen und die Ausgabe von Bescheinigungen über die Zulässigkeit der Firma und der Bezeichnungen durch Verordnung des Justizministers festgesetzte Abgaben erhoben. Das Abgabenaufkommen fließt dem Cofre dos Conservadores, Notários e Funcionários de Justiça (Konservatoren-, Notar- und Justizbeamtenkasse; im Folgenden: Cofre) zu, der die Ausgaben für die Einrichtung und das Führen des nationalen Registers für juristische Personen trägt.
11 Nach Artikel 3 Absatz 1 der Gebührentabelle des nationalen Registers für juristische Personen, die durch Verordnung Nr. 366/89 vom 22. Mai 1989 (Diário da República I, Serie A Nr. 117 vom 22. Mai 1989) genehmigt worden ist, wird für jede Eintragung gemäß den Artikeln 36 ff. des Decreto-Lei Nr. 42/89 (Diário da República I, Serie A Nr. 29 vom 3. Februar 1989) ein Betrag von 1 500 PTE erhoben. Nach Artikel 3 Absatz 4 dieser Verordnung erhöht sich dieser Betrag für jede Eintragung einer Kapitalerhöhung einer juristischen Person um 0,5 % der betreffenden Erhöhung. Nach Artikel 3 Absatz 5 der Verordnung erhöht sich der Betrag nach Absatz 4 nochmals bei Eintragungen von Kapitalerhöhungen bestimmter Unternehmen.
12 Artikel 57 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 10-B/96 vom 23. März 1996 (Diário da República I, Serie A Nr. 71 vom 23. März 1996) sieht in bestimmten Fällen eine Ermäßigung um die Hälfte bei gesetzlichen Abgaben vor, die aufgrund von 1996 durchgeführten Erhöhungen des Gesellschaftskapitals geschuldet werden.
Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorlagefragen
13 Am 27. Juni 1996 ließ die Klägerin eine Erhöhung ihres Gesellschaftskapitals in das nationale Register für juristische Personen eintragen. Am 8. Juli 1996 setzte die Handelsregisterbehörde Porto einen Betrag von 12 501 500 PTE fest, der von der Klägerin entrichtet wurde.
14 Die Klägerin erhob jedoch gegen die Gebührenfestsetzung Klage beim Tribunal Tributário de Primeira Instância Porto. Die Klage wurde abgewiesen. Daraufhin legte die Klägerin Rechtsmittel beim Supremo Tribunal Administrativo mit der Begründung ein, die Erhebung dieser Abgaben sei mit der Verfassung der Portugiesischen Republik sowie mit der Richtlinie unvereinbar. Sie beantragte, das mit dem Rechtsmittel angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zur Rückzahlung der von der Klägerin entrichteten Beträge einschließlich der gesetzlichen Zinsen zu verurteilen.
15 Das Supremo Tribunal Administrativo hat aufgrund von Bedenken, ob Artikel 3 der Gebührentabelle des nationalen Registers für juristische Personen mit der Richtlinie vereinbar sei, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann sich ein Einzelner gegenüber dem Staat auf die Artikel 10 und 12 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 berufen, auch wenn der Staat die Richtlinie noch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt hat?
2. Werden die Vorgänge, auf die sich Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 69/335 bezieht, vom Verbot des Artikels 10 dieser Richtlinie erfasst, so dass in Bezug auf diese Vorgänge nicht nur die Erhebung von Abgaben auf Kapitalzuführungen, sondern auch die Erhebung sonstiger Abgaben gleich welcher Art, insbesondere als Gebühr und nicht als Steuer, verboten ist?
3. Sind die Artikel 10 und 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 so auszulegen, dass sie es verbieten, dass die für die (gesetzlich vorgeschriebene) Eintragung von Kapitalerhöhungen in das nationale Register für juristische Personen geschuldeten Gebühren je nach dem Betrag dieser Erhöhungen unterschiedlich sind?
4. Sind diese unterschiedlichen Gebühren noch als im Zusammenhang mit den Kosten der erbrachten Dienstleistung stehend anzusehen?
5. Umfassen diese Kosten die Bezüge der Beamten, sonstigen Bediensteten oder Angestellten des öffentlichen Dienstes, die Kosten für unbedeutendere, gebührenfreie Tätigkeiten und einen Teil der allgemeinen Kosten (Mieten für Einrichtungen, Kosten für Datenverarbeitungsmaterial und Kommunikation, Elektrizität, Wasser u. ä.), die auf Eintragungsvorgänge entfallen?
6. Ist es im Hinblick auf die genannten Bestimmungen der Richtlinie zulässig, die erwähnten je nach Kapitalerhöhung unterschiedlichen Beträge als Ausdruck standardisierter und daher rechtmäßiger Gebühren anzusehen?
7. Ist es im Hinblick auf dieselben Bestimmungen der Richtlinie zulässig, dass die Gebühren die Kosten der Dienstleistung übersteigen? Falls ja, in welchem Umfang? Kann die Höhe der Gebühren bei einer erheblichen und unangemessenen Überschreitung der Kosten nach billigem Ermessen herabgesetzt werden?
Zu den Vorlagefragen
16 Die Fragen des vorlegenden Gerichts in dieser Rechtssache sind weitgehend mit denen identisch, die dasselbe Gericht in der mit Urteil vom 29. September 1999 entschiedenen Rechtssache C-56/98 (Modelo, Slg. 1999, I-6427; im Folgenden: Urteil Modelo I) und in der mit Urteil vom 21. September 2000 entschiedenen Rechtssache C-19/99 (Modelo, Slg. 2000, I-7213) vorgelegt hat, die die Erhebung von Gebühren für die notarielle Beurkundung einer Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft betrafen.
17 Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht zunächst wissen, ob die Gebühren für die Eintragung einer Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft in das nationale Register für juristische Personen als Steuer im Sinne der Richtlinie angesehen werden können. Ist dies der Fall, möchte das vorlegende Gericht weiter wissen, ob diese Eintragungsgebühren unter das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie fallen oder ob es sich um Abgaben mit Gebührencharakter im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie handelt. In diesem Zusammenhang fragt das nationale Gericht den Gerichtshof vor allem nach Kriterien für die Definition der Abgaben mit Gebührencharakter. Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 10 in Verbindung mit Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie Rechte begründet, auf die sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann.
Zur Qualifizierung als Steuer im Sinne der Richtlinie
18 Nach den nationalen Rechtsvorschriften müssen die juristischen Personen Änderungen ihres Gesellschaftskapitals in das nationale Register für juristische Personen eintragen lassen und hierfür Gebühren entrichten. Das Gebührenaufkommen fließt dem Cofre zu, der die Ausgaben für das Führen des nationalen Registers für juristische Personen, die Zahlung des festen Teils der Bezüge der Notare und anderen Beamten sowie mit Genehmigung des Ministeriums der Justiz andere Kosten auf dem Gebiet der Rechtspflege trägt (vgl. Urteil Modelo I, Randnr. 20).
19 Die im Ausgangsverfahren streitigen Gebühren, die aufgrund einer staatlichen Rechtsvorschrift geschuldet werden, werden also von einer Privatperson an den Staat zur Finanzierung staatlicher Aufgaben entrichtet (Urteil Modelo I, Randnr. 21).
20 Angesichts der Zwecke der Richtlinie, vor allem dem der Aufhebung der indirekten Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer, sind Eintragungsgebühren, die vom Staat für einen Vorgang erhoben werden, der unter die Richtlinie fällt, und die dem Staat zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben zufließen, als Steuer im Sinne der Richtlinie anzusehen (Urteil Modelo I, Randnr. 22).
21 Die Richtlinie ist folglich dahin auszulegen, dass Gebühren, die wie im Ausgangsrechtsstreit für die Eintragung einer Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft in ein nationales Register für juristische Personen erhoben werden, eine Steuer im Sinne der Richtlinie darstellen.
Zum Verbot des Artikels 10 der Richtlinie
22 Nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie sind abgesehen von der Gesellschaftsteuer Steuern auf die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Förmlichkeit untersagt, der eine Gesellschaft aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann. Dieses Verbot ist dadurch gerechtfertigt, dass die betreffenden Abgaben zwar nicht auf die Kapitalzuführungen als solche, wohl aber wegen der Formalitäten im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft, also des Instruments zur Kapitalansammlung, erhoben werden, so dass die Beibehaltung auch dieser Abgaben die Erreichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele gefährden würde (Urteile vom 11. Juni 1996 in der Rechtssache C-2/94, Denkavit International u. a., Slg. 1996, I-2827, Randnr. 23, und Modelo I, Randnr. 24).
23 Dieses Verbot betrifft nicht nur die Abgaben, die bei der Eintragung neuer Gesellschaften zu entrichten sind, sondern auch die Abgaben für die Eintragung der Erhöhung des Kapitals dieser Gesellschaften, da sie ebenfalls aufgrund einer wesentlichen Förmlichkeit im Zusammenhang mit der Rechtsform der betreffenden Gesellschaften erhoben werden. Auch wenn die Eintragung der Erhöhung des Kapitals formell kein der Tätigkeit der Kapitalgesellschaften vorangehendes Verfahren darstellt, so ist sie doch eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit (Urteile vom 2. Dezember 1997 in der Rechtssache C-188/95, Fantask u. a., Slg. 1997, I-6783, Randnr. 22, und Modelo I, Randnr. 25).
24 Da das portugiesische Recht für die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft eine Eintragung in das nationale Register für juristische Personen zwingend vorschreibt, stellt diese eine wesentliche Förmlichkeit im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft und eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit dar.
25 Folglich ist zu antworten, dass Gebühren für die Eintragung der Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft in das nationale Register für juristische Personen nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie grundsätzlich verboten sind, wenn sie eine Steuer im Sinne der Richtlinie darstellen.
Zur Ausnahme des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie
26 Da zwischen den nach Artikel 10 der Richtlinie verbotenen Abgaben und den Abgaben mit Gebührencharakter zu unterscheiden ist, sind zu den Letztgenannten nur Abgaben zu rechnen, die sich nach den Kosten der erbrachten Leistung richten. Eine Abgabe, die keinen Zusammenhang zu den tatsächlichen Aufwendungen für diese Leistung aufweist oder sich nicht nach den Aufwendungen, deren Entgelt sie ist, sondern nach den gesamten Verwaltungs- und Investitionskosten der zuständigen Dienststelle richtet, ist eine Abgabe, für die allein das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie gilt (Urteile vom 20. April 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-71/91 und C-178/91, Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, Slg. 1993, I-1915, Randnrn. 41 und 42, sowie Modelo I, Randnr. 29).
27 Bei einigen Vorgängen, wie beispielsweise der Eintragung einer Gesellschaft, kann es schwierig sein, die Kosten des Vorgangs zu ermitteln. In einem solchen Fall kann die Bemessung dieser Kosten nur pauschal erfolgen und muß in sachgerechter Weise vorgenommen werden, indem insbesondere die Anzahl und der Rang der beteiligten Bediensteten, die von ihnen aufgewendete Zeit sowie die für den Vorgang anfallenden Sachkosten berücksichtigt werden (Urteile Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, Randnr. 43).
28 Der Gerichtshof hat hierzu in Randnummer 30 des Urteils Fantask u. a. entschieden, dass ein Mitgliedstaat bei der Bemessung der Abgaben mit Gebührencharakter nicht nur die Sach- und Lohnkosten berücksichtigen kann, die unmittelbar mit der Durchführung der Eintragungen, für die sie die Gegenleistung darstellen, verbunden sind, sondern auch unter den vom Generalanwalt in Nummer 43 seiner Schlussanträge in jener Rechtssache genannten Voraussetzungen den auf diese Vorgänge entfallenden Teil der allgemeinen Kosten der zuständigen Verwaltung.
29 Nach Randnummer 28 des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache Fantask u. a. ist es zulässig, dass ein Mitgliedstaat nur für die wichtigsten Eintragungen Abgaben erhebt und die Kosten unbedeutenderer gebührenfreier Eintragungen auf diese Abgaben umlegt.
30 Eine Abgabe mit Gebührencharakter muss nicht unbedingt je nach den Kosten variieren, die der Verwaltung für die einzelne Eintragung tatsächlich entstanden sind. Ein Mitgliedstaat kann auf der Grundlage der durchschnittlichen voraussichtlichen Eintragungskosten Einheitsabgaben für die Durchführung der Eintragungsförmlichkeiten für Kapitalgesellschaften im Voraus festsetzen. Nichts spricht im Übrigen dagegen, dass die Höhe dieser Abgaben zeitlich unbegrenzt festgesetzt wird, wenn der Mitgliedstaat sich in regelmäßigen Abständen, z. B. jedes Jahr, vergewissert, dass die Abgaben die ihm für die Eintragung entstehenden Kosten nicht übersteigen (Urteil Fantask u. a., Randnr. 32).
31 Eine Abgabe, die ohne Obergrenze proportional zu dem gezeichneten Nennkapital steigt, kann jedoch schon ihrem Wesen nach keine Gebühr im Sinne der Richtlinie sein. Selbst wenn nämlich in bestimmten Fällen ein Zusammenhang zwischen der Komplexität einer erbrachten Leistung und der Bedeutung des gezeichneten Kapitals bestehen mag, so steht doch die Höhe einer solchen Abgabe im Allgemeinen in keinem Verhältnis zu den konkreten Aufwendungen der Verwaltung für diese Leistung (Urteile Fantask u. a., Randnr. 31).
32 Die Eintragungsgebühren, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, steigen ohne Obergrenze proportional zu dem gezeichneten Nennkapital. Obwohl diese Gebühren in bestimmten Fällen um die Hälfte ermäßigt werden, können sie eine beträchtliche Höhe erreichen, da sie zu dem nicht unerheblichen Satz von 0,5 % ohne irgendeine Obergrenze erhoben werden. Daher können solche Abgaben nicht als Gebühren im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie angesehen werden.
33 Wenn das nationale Gericht festgestellt hat, dass die erhobenen Gebühren als unter das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie fallend anzusehen sind, muss es grundsätzlich die Rückzahlung der unter Verstoß gegen diese Bestimmung erhobenen Beträge anordnen.
34 Nach ständiger Rechtsprechung ist das Recht auf Erstattung von Beträgen, die unter Verstoß gegen die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts erhoben worden sind, Folge und Ergänzung der Rechte, die den Einzelnen aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt worden sind, zustehen. Der Mitgliedstaat ist somit grundsätzlich verpflichtet, die unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen Gebühren zu erstatten. In Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet ist die Ausgestaltung von Verfahren bei Klagen auf Rückzahlung rechtsgrundloser Leistungen Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, sofern diese Verfahren nicht ungünstiger gestaltet werden als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen, und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte durch sie nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (Urteil Fantask u. a., Randnrn. 38 und 47).
35 Somit ist zu antworten, dass Abgaben, die wie die im Ausgangsverfahren streitigen Gebühren für die Eintragung der Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft in das nationale Register für juristische Personen ohne Obergrenze proportional zu dem gezeichneten Nennkapital erhoben werden, keine Abgaben mit Gebührencharakter im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie darstellen.
Zur unmittelbaren Wirkung des Artikels 10 der Richtlinie
36 Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der Einzelne in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor dem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder unrichtig in nationales Recht umgesetzt hat (vgl. insbesondere Urteile vom 23. Februar 1994 in der Rechtssache C-236/92, Comitato di coordinamento per la difesa della cava u. a., Slg. 1994, I-483, Randnr. 8, vom 5. März 1998 in der Rechtssache C-347/96, Solred, Slg. 1998, I-937, Randnr. 28, und Modelo I, Randnr. 33).
37 Das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie ist hinreichend genau und unbedingt, damit der Einzelne es vor den nationalen Gerichten gegenüber einer gegen diese Richtlinie verstoßenden Bestimmung des nationalen Rechts geltend machen kann (Urteile Solred, Randnr. 29, und Modelo I, Randnr. 34).
38 Daher ist festzustellen, dass Artikel 10 der Richtlinie Rechte begründet, auf die sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann.
Kostenentscheidung:
Kosten
39 Die Auslagen der portugiesischen und der spanischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Supremo Tribunal Administrativo mit Entscheidung vom 17. März 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Gebühren, die wie im Ausgangsrechtsstreit für die Eintragung einer Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft in ein nationales Register für juristische Personen erhoben werden, stellen eine Steuer im Sinne der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 dar.
2. Gebühren für die Eintragung einer Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft in ein nationales Register für juristische Personen sind nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 in der Fassung der Richtlinie 85/303 grundsätzlich verboten, wenn sie eine Steuer im Sinne dieser Richtlinie darstellen.
3. Abgaben, die wie die im Ausgangsverfahren streitigen Gebühren für die Eintragung einer Kapitalerhöhung einer Kapitalgesellschaft in ein nationales Register für juristische Personen ohne Obergrenze proportional zu dem gezeichneten Nennkapital erhoben werden, stellen keine Abgaben mit Gebührencharakter im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 in der Fassung der Richtlinie 85/303 dar.
4. Artikel 10 der Richtlinie 69/335 in der Fassung der Richtlinie 85/303 begründet Rechte, auf die sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann.
Ende der Entscheidung
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