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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 25.03.1996
Aktenzeichen: C-137/95 P
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 17, EWG-Vertrag


Vorschriften:

Verordnung Nr. 17 Art. 15 Abs. 2 Unterabs. 2
Verordnung Nr. 17 Art. 15 Abs. 2 Unterabs. 1
EWG-Vertrag Art. 85
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein im Rahmen eines Rechtsmittels gegen eine zusätzliche Erwägung in einem Urteil des Gerichts, das in rechtlich hinreichender Weise mit anderen Erwägungen begründet ist, gerichteter Rechtsmittelgrund ist zurückzuweisen.

2. Zur Bestimmung der Schwere einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln braucht das Gericht nicht zu prüfen, ob diese vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden ist, und es braucht die beiden Fälle erst recht nicht voneinander abzugrenzen.

Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 behandelt nach seinem klaren und eindeutigen Wortlaut zwei verschiedene Fragen. Er nennt zum einen in Unterabsatz 1 die Voraussetzungen, die erfuellt sein müssen, damit die Kommission Geldbussen festsetzen kann; zu ihnen zählen das Vorliegen und der Ursprung der Zuwiderhandlung und ihr vorsätzlicher oder fahrlässiger Charakter (Anwendungsvoraussetzungen). Zum anderen regelt er in Unterabsatz 2 die Festsetzung der Höhe der Geldbusse, die von der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung abhängt, ohne eine zwingende (oder auch nur fakultative) Verweisung auf die Voraussetzungen des Unterabsatzes 1 vorzusehen. Die Schwere der Zuwiderhandlungen ist dabei anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache und ihr Kontext gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.

3. In Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 17 wird nicht danach unterschieden, ob die Zuwiderhandlung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde, sondern diese beiden Voraussetzungen für die Festsetzung einer Geldbusse werden alternativ genannt.


Beschluss des Gerichtshofes vom 25. März 1996. - Vereniging van Samenwerkende Prijsregelende Organisaties in de Bouwnijverheid und andere gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Rechtsmittel - Wettbewerb - Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen - Freistellung - Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlungen - Offensichtlich unbegründetes Rechtsmittel. - Rechtssache C-137/95 P.

Entscheidungsgründe:

1 Die Vereniging van Samenwerkende Prijsregelende Organisaties in de Bouwnijverheid (im folgenden: SPO) und 28 andere Rechtsmittelführerinnen haben mit Rechtsmittelschrift, die am 27. April 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 21. Februar 1995 in der Rechtssache T-29/92 (SPO u. a./Kommission, Slg. 1995, II-289) eingelegt, mit dem ihre Klage auf Feststellung der Inexistenz oder, hilfsweise, auf Nichtigerklärung der Entscheidung 92/204/EWG der Kommission vom 5. Februar 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.572 und IV/32.571 ° Niederländische Bauwirtschaft) (ABl. L 92, S. 1) abgewiesen wurde.

2 Die SPO ist eine Dachorganisation, die 1963 von verschiedenen niederländischen Vereinigungen von Bauunternehmen gegründet wurde und der derzeit die 28 anderen Rechtsmittelführerinnen angehören. Seit 1952 hatten die Letztgenannten Regelungen zur Reglementierung des Wettbewerbs im Rahmen von Ausschreibungen erlassen, die in bestimmten Gebieten oder in bestimmten Bereichen der Bauindustrie durchgeführt wurden. Nach der Gründung der SPO wurden diese regionalen und sektoriellen Regelungen unter ihrer Aufsicht zwischen 1973 und 1979 allmählich vereinheitlicht (Randnrn. 1, 2 und 4 des angefochtenen Urteils).

3 Nach ihrer Satzung hat die SPO zum Ziel, "einen geordneten Wettbewerb zu fördern und zu lenken, ungebührliches Verhalten bei der Abgabe von Preisangeboten zu verhindern und zu bekämpfen und die Bildung wirtschaftlich gerechtfertigter Preise zu fördern". Zu diesem Zweck hat sie Regelungen zur "institutionalisierten Preis- und Wettbewerbsreglementierung" ausgearbeitet und kann Unternehmen, die ihren Mitgliedern angeschlossen sind, bei Verstoß gegen die sich aus diesen Regelungen ergebenden Verpflichtungen Sanktionen auferlegen. Die Durchführung dieser Regelungen ist acht Durchführungsbüros übertragen, die unter der Aufsicht der SPO stehen. In den Mitgliedsvereinigungen der SPO sind mehr als 4 000 in den Niederlanden ansässige Bauunternehmen zusammengeschlossen (Randnr. 2 des Urteils).

4 Am 3. Juni 1980 wurde von der Hauptversammlung der SPO ein für alle zu ihren Mitgliedsvereinigungen gehörenden Unternehmen verbindlicher "Ehrenkodex" beschlossen, der ein einheitliches Sanktionssystem bei Verstössen gegen die zwischen 1973 und 1979 vereinheitlichten Regelungen sowie einige materielle Bestimmungen vorsah, die für die Durchführung dieser Regelungen erforderlich waren. Der Ehrenkodex trat am 1. Oktober 1980 in Kraft (Randnr. 5 des Urteils).

5 Am 16. August 1985 ersuchte die Kommission die SPO um Auskünfte über die Beteiligung ausländischer Unternehmen an ihr (Randnr. 6 des Urteils).

6 Mit Ministerialerlaß vom 2. Juni 1986 erließen die niederländischen Behörden eine einheitliche Verordnung, die die Vergabe von öffentlichen Aufträgen regelte (Randnr. 7 des Urteils).

7 Im selben Jahr erließ die SPO zwei neue Regelungen zur Preisreglementierung (im folgenden: UPR), von denen die eine die Ausschreibungen nach dem nicht offenen Verfahren und die andere die Ausschreibungen nach dem offenen Verfahren betraf. Diese Regelungen wurden ihrerseits durch vier Regelungen und drei Anhänge ergänzt und traten am 1. April 1987 in Kraft (Randnr. 8 des Urteils).

8 Wie sich insbesondere aus den Randnummern 90 und 125 des Urteils des Gerichts ergibt, sollen die UPR im wesentlichen sicherstellen, daß der "Berechtigte", der als einziger mit dem Auftraggeber in Verhandlungen über die Leistungen und den Preis seines Angebots treten und die vom Auftraggeber zu tragenden Preiszuschläge festsetzen darf, die im wesentlichen aus den Vergütungen für Kalkulationskosten und den Beiträgen zu den Verwaltungskosten der berufsständischen Organisationen bestehen, zu denen die SPO gehört, von den Unternehmen und nicht vom Auftraggeber benannt wird. Die UPR sehen ferner vor, daß diese Zuschläge sämtliche Kalkulationskosten aller an der Sitzung teilnehmenden interessierten Unternehmen decken und das Angebot erhöhen, das der Berechtigte dem Auftraggeber macht, d. h., sie werden nach Angaben der Rechtsmittelführerinnen dem Bauwerk zugerechnet, für das sie entstanden sind. Schließlich können die Bieter die ins Auge gefassten Preisangebote zurücknehmen, nachdem sie sie mit denen der übrigen Bieter verglichen haben.

9 Am 15. Juni 1987 führte die Kommission bei der SPO Nachprüfungen durch. Im Anschluß daran meldete die SPO am 13. Januar 1988 bei der Kommission die UPR an und ergänzte die Anmeldung am 13. Juli 1989, nachdem die UPR geändert worden waren. Im November 1989 beschloß die Kommission, ein Verfahren gegen die SPO einzuleiten, und übermittelte ihr am 5. Dezember 1989 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte. Nach einer Anhörung, die am 12. Juni 1990 stattfand, erließ die Kommission am 5. Februar 1992 eine Entscheidung, nach der Verstösse gegen Artikel 85 EWG-Vertrag vorlagen (Randnrn. 10 bis 23 des angefochtenen Urteils).

10 In dieser Entscheidung stellte die Kommission fest, daß die Satzung der SPO vom 10. Dezember 1963 in der geltenden Fassung, die beiden UPR vom 9. Oktober 1986 und die dazugehörenden Regelungen und Anhänge, die früheren Regelungen ähnlichen Inhalts, die durch die UPR ersetzt worden seien, und der Ehrenkodex mit Ausnahme seines Artikels 10 gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstießen. Sie lehnte ausserdem den Antrag auf Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 ab und verhängte gegen die Rechtsmittelführerinnen Geldbussen in einer Gesamthöhe von 22 498 000 ECU (Randnrn. 22, 23 und 25 des Urteils).

11 Am 13. April 1992 erhoben die SPO und ihre 28 Mitglieder beim Gericht erster Instanz Klage auf Feststellung der Inexistenz oder, hilfsweise, auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission.

12 Mit Urteil vom 21. Februar 1995 wies das Gericht die Klage ab und bestätigte damit die Entscheidung der Kommission.

13 Am 27. April 1995 haben die SPO und ihre 28 Mitglieder daraufhin das vorliegende Rechtsmittel gegen dieses Urteil eingelegt.

Rechtsmittelgründe der Beteiligten

14 Die Rechtsmittelführerinnen berufen sich zur Stützung ihres auf Aufhebung des Urteils vom 21. Februar 1995 gerichteten Rechtsmittels auf zwei Rechtsmittelgründe, von denen der eine den Antrag auf Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag und der andere die Festsetzung der Höhe der Geldbussen betrifft.

15 Die Rechtsmittelführerinnen stellen somit den Teil des Urteils des Gerichts, in dem das Vorliegen von Verstössen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages festgestellt wird, nicht in Frage.

16 Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, bei der Überprüfung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung ihres Freistellungsantrags die Artikel 85 Absatz 3 und 190 EWG-Vertrag, Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), oder zumindest die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts über die Begründung von Entscheidungen und die Verteidigungsrechte verletzt zu haben.

17 Artikel 85 Absatz 3 lautet wie folgt:

"Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf

° Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen,

° Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen,

° aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen,

die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn [erste Voraussetzung] zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen [zweite Voraussetzung], ohne daß den beteiligten Unternehmen

a) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerläßlich sind [dritte Voraussetzung], oder

b) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten [vierte Voraussetzung]."

18 Im ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, um die von der Kommission vorgenommene Beurteilung der ersten und der dritten Freistellungsvoraussetzung sowie ihre Begründung überprüfen zu können, hätte das Gericht zur Ermittlung des in Rede stehenden "Gewinns" zunächst die zweite Freistellungsvoraussetzung untersuchen müssen, auf die dieser Begriff Bezug nehme, und erst dann zur Untersuchung der übrigen Voraussetzungen übergehen dürfen.

19 Im zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, bei seiner Überprüfung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung der ersten Freistellungsvoraussetzung eine Reihe unzutreffender rechtlicher Kriterien angewandt zu haben.

20 Erstens habe das Gericht bei der Vornahme dieser Prüfung auf den Begriff des Wettbewerbs abgestellt und nicht auf den in der zweiten Freistellungsvoraussetzung des Artikels 85 Absatz 3 definierten Begriff des Gewinns, als es entschieden habe, daß die Regelungen, die zur Bekämpfung dessen dienten, was die Rechtsmittelführerinnen als ruinösen Wettbewerb bezeichneten, "grundsätzlich" nicht freigestellt werden könnten, da sie zwangsläufig zur Beschränkung des Wettbewerbs führten, und als es insbesondere in Randnummer 294 des angefochtenen Urteils ausgeführt habe, daß die Rechtsmittelführerinnen "zwangsläufig den Wettbewerb ein[schränken] und... damit den Verbraucher der Vorteile dieses Wettbewerbs [berauben]".

21 Zweitens habe das Gericht in Randnummer 292 die Ansicht vertreten, daß im Rahmen der Prüfung der ersten Freistellungsvoraussetzung keine makroökonomische Untersuchung erforderlich gewesen sei. Es habe ferner versäumt, die Stellung und die Rolle der niederländischen Behörden während des Anwendungszeitraums der Regelungen zu berücksichtigen.

22 Drittens habe das Gericht in Randnummer 295 die Ansicht vertreten, daß von dem Gewinn alle Verbraucher gleichermassen profitieren müssten, dabei aber ausser acht gelassen, daß nach seinen eigenen Feststellungen am Ende von Randnummer 296 andere Auftraggeber als die, auf deren Lage es abgestellt habe, von der Anwendung der Regelungen profitierten.

23 Im dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, der die dritte Freistellungsvoraussetzung betrifft, werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, es habe, indem es auf die Einseitigkeit des Verfahrens zur Benennung des Berechtigten abgestellt habe, unter Verstoß gegen die der Kommission durch Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 eingeräumte ausschließliche Zuständigkeit deren Beurteilung der fraglichen Regelung durch seine eigene Beurteilung ersetzt. Sie werfen dem Gericht ferner vor, verschiedene von ihnen vorgetragene Argumente ausser acht gelassen zu haben.

24 Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, ohne ihre Kritik in allen Fällen näher zu erläutern, bei seiner Überprüfung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung der Schwere der von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen die Artikel 85 und 190 EG-Vertrag, die Artikel 4 Absatz 2 und 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 oder die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts über die Begründung von Entscheidungen, die Rechtssicherheit, den Rechtsschutz und die Verhältnismässigkeit verletzt zu haben. Der gesamte Rechtsmittelgrund betrifft die nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen der Kommission und dem Gericht obliegende Pflicht, bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung, die eines der beiden in Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehenen Kriterien für die Festsetzung der Höhe der Geldbusse sei, den Grad des Verschuldens ("vorsätzlich oder fahrlässig") zu berücksichtigen.

25 Im ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, bei dieser Beurteilung nicht in jedem Fall geprüft zu haben, ob die Zuwiderhandlung "vorsätzlich oder fahrlässig" begangen worden sei, wie es Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 1 voraussetze.

26 Im zweiten Teil werfen sie dem Gericht vor, die Entscheidung der Kommission nicht für nichtig erklärt zu haben, die ihm die Überprüfung der Anwendung der streitigen Kriterien unmöglich gemacht habe, da sie in Randnummer 140 offengelassen habe, ob hinsichtlich der zumindest bis zum 1. Oktober 1980 zurückreichenden Zuwiderhandlungen Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorgelegen habe, während sie dies bei den übrigen Zuwiderhandlungen klargestellt habe.

27 Im dritten Teil machen sie im wesentlichen geltend, daß die mögliche Anwendung von Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, der bestimmte Vereinbarungen von der Anmeldepflicht ausnehme, ein Gesichtspunkt sei, den das Gericht bei der Festsetzung der Höhe der Geldbusse zwingend hätte berücksichtigen müssen. Dieser Gesichtspunkt lasse grundsätzlich darauf schließen, daß die Zuwiderhandlungen nur fahrlässig begangen worden sein könnten und nicht vorsätzlich, wie das Gericht angenommen habe.

28 Die Kommission beantragt in ihrer Rechtsmittelbeantwortung, das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen.

29 Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes trägt sie vor, in Anbetracht des kumulativen Charakters der Freistellungsvoraussetzungen könne man dem Gericht keinen Vorwurf daraus machen, daß es die zweite Freistellungsvoraussetzung nicht geprüft habe. Man könne ihm auch keinen Vorwurf daraus machen, daß es in bezug auf die erste und die dritte Freistellungsvoraussetzung seiner Überprüfung die von den Rechtsmittelführerinnen selbst vorgetragene Definition des "Gewinns" zugrunde gelegt habe.

30 Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes trägt sie vor, die verschiedenen von den Rechtsmittelführerinnen erhobenen Rügen beruhten auf einem falschen Verständnis des Urteils des Gerichts oder beträfen die Würdigung von Tatsachen, die im Rechtsmittelverfahren nicht Gegenstand der Prüfung durch den Gerichtshof sei.

31 Zum dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes trägt sie vor, der fragliche Gesichtspunkt der Einseitigkeit des Verfahrens zur Benennung des Berechtigten sei Gegenstand der Erörterungen gewesen, da er an verschiedenen Stellen ihrer Entscheidung erwähnt werde; ausserdem gebe es keine Vorschrift, die den Gemeinschaftsrichter daran hindere, in seine Überprüfung der Rechtmässigkeit von Rechtsakten der Organe Argumente einzubeziehen, die als solche in dem betreffenden Rechtsakt nicht zu finden seien, aber dessen Richtigkeit bestätigten. Sie beantragt, die zahlreichen übrigen Argumente zurückzuweisen, die im Rahmen dieses Rechtsmittelgrundes geltend gemacht worden seien.

32 Zum zweiten Rechtsmittelgrund trägt die Kommission zunächst vor, das Gericht habe bei der Überprüfung von Entscheidungen, mit denen Geldbussen festgesetzt worden seien, eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung. Sodann vertritt sie zu den verschiedenen Teilen des Rechtsmittelgrundes die Ansicht, daß die Rechtsmittelführerinnen zum einen Artikel 15 Absatz 2 Unterabsätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 falsch ausgelegt hätten, die voneinander abzugrenzen seien, und daß sie ferner Randnummer 140 ihrer Entscheidung falsch verstanden hätten, in der die beanstandeten Worte "vorsätzlich oder zumindest fahrlässig" verwendet würden, die sich auf die Frage bezögen, ob die in Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 1, in dem die beiden Fälle nicht voneinander abgegrenzt würden, genannte Voraussetzung für die Festsetzung der Geldbussen erfuellt sei. Schließlich beriefen sich die Rechtsmittelführerinnen zu Unrecht darauf, daß ihre Regelungen unter Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 fielen, wobei dieses Vorbringen im übrigen in ihrer Entscheidung und vom Gericht zurückgewiesen worden sei; dieser Artikel spiele darüber hinaus weder bei der Festsetzung der Geldbusse noch bei der Bestimmung ihrer Höhe eine ausschlaggebende Rolle.

Würdigung durch den Gerichtshof

33 Gemäß Artikel 119 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof das Rechtsmittel, wenn es offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, jederzeit durch Beschluß, der mit Gründen zu versehen ist, zurückweisen.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

Zum ersten Teil

34 Zum Rechtsmittelgrund, der darauf gestützt wird, daß das Gericht bei seiner Überprüfung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung der ersten und der dritten Freistellungsvoraussetzung nicht auf die zweite Freistellungsvoraussetzung eingegangen sei, ist erstens darauf hinzuweisen, daß das Gericht in den Randnummern 267 und 286 an den kumulativen Charakter der vier Freistellungsvoraussetzungen erinnert und folgendes ausgeführt hat: "Ist auch nur eine dieser Bedingungen nicht erfuellt, muß die Entscheidung, mit der der Antrag der Klägerinnen auf Freistellung zurückgewiesen worden ist, bestätigt werden."

35 Zweitens ist festzustellen, daß das Gericht, das in Randnummer 288 des angefochtenen Urteils an den eingeschränkten Charakter seiner Überprüfung der Beurteilungen der Kommission bei der Gewährung einer Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 erinnert hat, im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Parteien zunächst dargelegt hat, welcher Gewinn sich nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen aus den Regelungen ergab (Randnrn. 268 bis 271 für die erste und Randnr. 301 für die dritte Voraussetzung), bevor es auf diese Argumente, insbesondere in den Randnummern 293, 295, 296 und 298 sowie in den Randnummern 310 ff., nacheinander eingegangen ist.

36 Da sich die erste Freistellungsvoraussetzung auf die Verteilung des Gewinns bezieht und nicht auf dessen Vorliegen, konnte das Gericht ° wie geschehen ° die von den Rechtsmittelführerinnen vorgetragene Definition des Gewinns zugrunde legen, denn ein solches Vorgehen beschwerte sie in keiner Weise.

37 Folglich ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil

38 Der Vorwurf, das Gericht habe bei seiner Überprüfung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung der ersten, die Verteilung des Gewinns betreffenden Freistellungsvoraussetzung eine Reihe unzutreffender rechtlicher Kriterien angewandt, ist offensichtlich unbegründet.

39 Das gesamte erste Argument beruht auf einem offensichtlich falschen Verständnis des Urteils. Man braucht nur den streitigen Abschnitt (Randnr. 294 am Ende) in seinem Kontext zu lesen, um dies festzustellen. In diesem Teil des Urteils beschränkt sich das Gericht ° wie es im Zusammenhang mit der Gewährung einer Freistellung angebracht ist ° auf die Prüfung, ob ein offensichtlicher Beurteilungsfehler der Kommission vorliegt (Randnr. 288). Im Rahmen der Prüfung der ersten Freistellungsvoraussetzung (angemessene Verteilung des durch die streitigen Regelungen angeblich entstandenen Gewinns) stellt es lediglich fest, daß der aus dem Kampf gegen das, was die Rechtsmittelführerinnen einen ruinösen Wettbewerb nennen würden (Anfang des streitigen Abschnitts), angeblich entstandene Gewinn nicht den Verbrauchern zugute komme. Das Gericht hat bei diesen Ausführungen Artikel 85 Absatz 1 (Vorliegen von Wettbewerbsbeschränkungen) in keiner Weise mit Absatz 3 dieses Artikels (Freistellungsvoraussetzungen) vermengt.

40 Das zweite Argument der Rechtsmittelführerinnen bezieht sich auf Randnummer 292 und beruht ebenfalls auf einem offensichtlich falschen Verständnis des Urteils. Denn wie schon dessen Wortlaut zeigt, hat das Gericht makroökonomische Untersuchungen bei der Beurteilung von Kartellen im Hinblick auf die erste Freistellungsvoraussetzung des Artikels 85 Absatz 3 entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

41 Das Gericht hat nämlich, nachdem es in den Randnummern 288 und 289 seines Urteils daran erinnert hat, daß es im Bereich der Freistellung von Kartellen nur eine eingeschränkte Prüfungsbefugnis besitze, da der Kommission durch Artikel 9 der Verordnung Nr. 17 eine ausschließliche Zuständigkeit eingeräumt worden sei, in den Randnummern 290 und 291 untersucht, ob die Kommission den von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Gewinn auf makroökonomischer Ebene zu Recht ausser acht gelassen hat, bevor es in Randnummer 292 zu dem Schluß gelangt ist, daß die Kommission durch den Vergleich der makroökonomischen Analyse der Rechtsmittelführerinnen mit ihrer eigenen mikroökonomischen Analyse keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.

42 Ferner ist das Verhalten der nationalen Behörden während des Anwendungszeitraums der Regelungen ein tatsächlicher Gesichtspunkt, den das Gericht, das im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht entscheidet, bei seiner Beurteilung der ersten Freistellungsvoraussetzung nicht zu berücksichtigen brauchte.

43 Was das dritte Argument anbelangt, so beruht dessen erster Teil ebenfalls auf einem offensichtlich falschen Verständnis der Randnummer 295 des angefochtenen Urteils. Das Gericht hat nämlich entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen nie angenommen, daß die festgestellten Vorteile allen Verbrauchern gleichermassen zugute kommen müssten, sondern es hat nur durch tatsächliche Feststellungen, die im übrigen als solche einer Überprüfung durch den Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren entzogen sind, auf die Grenzen der von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Vorteile hingewiesen.

44 Im zweiten Teil dieses Arguments werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, ausser acht gelassen zu haben, daß ohne die Regelungen die von den Auftraggebern, die eine Vielzahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe aufforderten, verursachten Kalkulationskosten von diesen Unternehmen in ihre Gemeinkosten einbezogen und somit auf andere Auftraggeber abgewälzt würden und daß die Regelungen, indem sie dies verhinderten, anderen als den vom Gericht ins Auge gefassten Auftraggebern zugute kämen.

45 Aus dem Anfang der Randnummer 296 geht jedoch eindeutig hervor, daß das Gericht ausdrücklich die Frage geprüft hat, wer genau von dem Vorteil profitierte, den diese anderen Auftraggeber angeblich daraus zogen, um ihn gegen die mit ihm verbundenen Nachteile und die Grenzen seiner Verteilung abzuwägen.

46 Der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist daher insgesamt als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

Zum dritten Teil

47 Ohne im einzelnen auf die Argumente der Rechtsmittelführerinnen einzugehen, ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung Rügen, die sich gegen nicht tragende Gründe eines Urteils des Gerichts richten, ohne weiteres zurückweist, da sie nicht zu dessen Aufhebung führen können (vgl. u. a. Urteile vom 22. Dezember 1993 in der Rechtssache C-244/91 P, Pincherle/Kommission, Slg. 1993, I-6965, Randnr. 25, und vom 18. März 1993 in der Rechtssache C-35/92 P, Parlament/Frederiksen, Slg. 1993, I-991).

48 Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, daß das Gericht in Randnummer 267 des Urteils bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung der Freistellung zu Recht an folgendes erinnert hat: "Die vier Voraussetzungen für die Gewährung einer Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag müssen zusammen erfuellt sein... Ist auch nur eine dieser Bedingungen nicht erfuellt, muß die Entscheidung, mit der der Antrag der Klägerinnen auf Freistellung zurückgewiesen worden ist, bestätigt werden" (siehe auch Randnr. 286). Im übrigen hat das Gericht, nachdem es in Randnummer 300 zu dem Schluß gelangt war, daß die erste Freistellungsvoraussetzung nicht erfuellt sei, in Randnummer 310 des angefochtenen Urteils ausgeführt, daß es "nur der Vollständigkeit halber" noch feststelle, daß auch die dritte Freistellungsvoraussetzung nicht vorliege.

49 Da sich aus den Randnummern 35 und 44 des vorliegenden Beschlusses ergibt, daß das Gericht mit seiner Schlußfolgerung, daß die erste Freistellungsvoraussetzung nicht erfuellt sei, nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstossen hat, geht der dritte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ins Leere und kann daher dem Rechtsmittel offensichtlich nicht zum Erfolg verhelfen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

Zu den ersten beiden Teilen

50 Dieser Rechtsmittelgrund betrifft die den Gegenstand von Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 17 bildende Festsetzung der Höhe der Geldbusse.

51 Im ersten Teil gehen die Rechtsmittelführerinnen von der falschen Voraussetzung aus, daß die Schwere der begangenen Zuwiderhandlungen als eines der beiden vorgesehenen Kriterien zwingend anhand der in Unterabsatz 1 dieser Bestimmung genannten Voraussetzung hätte beurteilt werden müssen, nach der die Zuwiderhandlungen vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden müssten.

52 Im zweiten Teil machen sie darüber hinaus ° ebenfalls zu Unrecht ° geltend, das Gericht hätte die Entscheidung der Kommission für nichtig erklären müssen, die dadurch, daß sie in Randnummer 140 ihrer Entscheidung nicht zwischen vorsätzlich und fahrlässig begangenen Zuwiderhandlungen unterschieden habe, dem Gericht die Ausübung seiner Kontrolle unmöglich gemacht habe.

53 Dazu ist zunächst festzustellen, daß Artikel 15 Absatz 2 nach seinem klaren und eindeutigen Wortlaut zwei verschiedene Fragen behandelt. Er nennt zum einen die Voraussetzungen, die erfuellt sein müssen, damit die Kommission Geldbussen festsetzen kann (Anwendungsvoraussetzungen); zu diesen Voraussetzungen zählt der vorsätzliche oder fahrlässige Charakter der Zuwiderhandlung (Unterabsatz 1). Zum anderen regelt er die Festsetzung der Höhe der Geldbusse, die von der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung abhängt (Unterabsatz 2). Diese offenkundige Unterscheidung liegt der gesamten Rechtsprechung des Gerichtshofes zu dieser Bestimmung zugrunde.

54 Zum ersten Teil ist sodann festzustellen, daß Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 2 keine zwingende (und auch keine fakultative) Verweisung auf die Anwendungsvoraussetzungen des Unterabsatzes 1 enthält; das gleiche gilt im übrigen für die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Festsetzung der Höhe der Geldbussen. Aus ihr geht nämlich hervor, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.

55 Darüber hinaus ist in Einklang mit den Ausführungen der Kommission darauf hinzuweisen, daß die fahrlässig begangenen Zuwiderhandlungen unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs nicht weniger schwerwiegend sind als die vorsätzlich begangenen.

56 Zum zweiten Teil genügt die Feststellung, daß Randnummer 140 der Entscheidung der Kommission die Voraussetzungen für die Festsetzung der Geldbussen betrifft und daß in Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 1, wie auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofes, die beiden alternativ genannten Anwendungsfälle nicht voneinander abgegrenzt werden.

57 Unter diesen Umständen brauchte das Gericht zur Bestimmung der Schwere der Zuwiderhandlung nicht zu prüfen, ob diese vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden war, und es brauchte die beiden Fälle erst recht nicht voneinander abzugrenzen. Die ersten beiden Teile des zweiten Rechtsmittelgrundes sind daher als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

Zum dritten Teil

58 Zum Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, daß bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung eine mögliche Anwendung von Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 zu berücksichtigen sei, genügt die Feststellung, daß weder der Wortlaut von Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 17 noch der Wortlaut von Artikel 4 Absatz 2 dieser Verordnung oder die Rechtsprechung des Gerichtshofes die Kommission oder das Gericht dazu verpflichtet, dies bei der Festsetzung der Höhe der Geldbusse zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, daß die Parteien, wie das Gericht zutreffend ausgeführt hat, in einem solchen Fall stets die Möglichkeit haben, ihre Vereinbarungen bei der Kommission anzumelden, um vor einer Geldbusse sicher zu sein.

59 Der dritte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes ist somit ebenfalls zurückzuweisen.

60 Daher ist das Rechtsmittel in Anwendung von Artikel 119 der Verfahrensordnung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

61 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen gesamtschuldnerisch die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

beschlossen:

1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsmittelführerinnen tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.

Luxemburg, den 25. März 1996

Ende der Entscheidung

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