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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 01.12.2005
Aktenzeichen: C-14/04
Rechtsgebiete: Richtlinie 93/104/EG


Vorschriften:

Richtlinie 93/104/EG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Parteien:

In der Rechtssache C-14/04

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom französischen Conseil d'État mit Entscheidung vom 3. Dezember 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Januar 2004,

in dem Verfahren

Abdelkader Dellas,

Confédération générale du travail,

Fédération nationale des syndicats des services de santé et des services sociaux CFDT,

Fédération nationale de l'action sociale Force ouvrière

gegen

Premier ministre,

Ministre des Affaires sociales, du Travail et de la Solidarité,

Streithelferin:

Union des fédérations et syndicats nationaux d'employeurs sans but lucratif du secteur sanitaire, social et médico-social,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters R. Schintgen (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter P. Kuris und G. Arestis,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn Dellas, vertreten durch A. Monod, avocat,

- der Fédération nationale des syndicats des services de santé et des services sociaux CFDT, vertreten durch H. Masse-Dessen und G. Thouvenin, avocats,

- der Union des fédérations et syndicats nationaux d'employeurs sans but lucratif du secteur sanitaire, social et médico-social, vertreten durch J. Barthelemy, avocat,

- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues sowie durch C. Bergeot-Nunes und A. de Maulmont als Bevollmächtigte,

- der belgischen Regierung, vertreten durch A. Goldman als Bevollmächtigten,

- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster, J. van Bakel und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Rozet und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Juli 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage des Herrn Dellas sowie der Confédération générale du travail, der Fédération nationale des syndicats des services de santé et des services sociaux CFDT und der Fédération nationale de l'action sociale Force ouvrière auf Aufhebung des Dekrets Nr. 2001-1384 vom 31. Dezember 2001 zur Durchführung des Artikels L. 212-4 des Code du travail und zur Einführung einer Gleichwertigkeitsregelung im Hinblick auf die gesetzliche Dauer der Arbeitszeit in von Privatpersonen betriebenen gemeinnützigen sozialen und medizinisch-sozialen Einrichtungen (JORF vom 3. Januar 2002, S. 149).

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3. Die Richtlinie 93/104 wurde auf der Grundlage von Artikel 118a EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag wurden durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt) erlassen.

4. Sie enthält gemäß ihrem Artikel 1 unter der Überschrift "Gegenstand und Anwendungsbereich" Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung und findet auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche mit Ausnahme des Straßen-, Luft-, See- und Schienenverkehrs, der Binnenschifffahrt, der Seefischerei, anderer Tätigkeiten auf See sowie der Tätigkeiten der Ärzte in der Ausbildung Anwendung.

5. Unter dem Titel "Begriffsbestimmungen" heißt es in Artikel 2 der Richtlinie 93/104:

"Im Sinne dieser Richtlinie sind:

1. Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

2. Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;

3. Nachtzeit: jede, in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegte Zeitspanne von mindestens sieben Stunden, welche auf jeden Fall die Zeitspanne zwischen 24 Uhr und 5 Uhr umfasst;

4. Nachtarbeiter:

a) einerseits: jeder Arbeitnehmer, der während der Nachtzeit normalerweise mindestens drei Stunden seiner täglichen Arbeitszeit verrichtet;

b) andererseits: jeder Arbeitnehmer, der während der Nachtzeit gegebenenfalls einen bestimmten Teil seiner jährlichen Arbeitszeit verrichtet, der nach Wahl des jeweiligen Mitgliedstaats festgelegt wird:

i) nach Anhörung der Sozialpartner in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder

ii) in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene;

5. Schichtarbeit: jede Form der Arbeitsgestaltung kontinuierlicher oder nicht kontinuierlicher Art mit Belegschaften, bei der Arbeitnehmer nach einem bestimmten Zeitplan, auch im Rotationsturnus, sukzessive an den gleichen Arbeitsstellen eingesetzt werden, so dass sie ihre Arbeit innerhalb eines Tages oder Wochen umfassenden Zeitraums zu unterschiedlichen Zeiten verrichten müssen;

6. Schichtarbeiter: jeder in einem Schichtarbeitsplan eingesetzte Arbeitnehmer."

6. Abschnitt II dieser Richtlinie nennt die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten ergreifen müssen, damit alle Arbeitnehmer u. a. über tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten sowie eine Ruhepause verfügen, und regelt auch die wöchentliche Höchstarbeitszeit.

7. In Bezug auf die tägliche Ruhezeit bestimmt Artikel 3 der Richtlinie 93/104:

"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird."

8. Unter dem Titel "Ruhepause" bestimmt Artikel 4 der Richtlinie:

"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden eine Ruhepause gewährt wird; die Einzelheiten, insbesondere Dauer und Voraussetzung für die Gewährung dieser Ruhepause, werden in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern oder in Ermangelung solcher Übereinkünfte in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegt."

9. Die wöchentliche Ruhezeit ist Gegenstand des Artikels 5 der Richtlinie, der wie folgt lautet:

"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird.

Die Mindestruhezeit gemäß Absatz 1 schließt grundsätzlich den Sonntag ein.

Wenn objektive, technische oder arbeitsorganisatorische Umstände dies rechtfertigen, kann eine Mindestruhezeit von 24 Stunden gewählt werden."

10. In Bezug auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit bestimmt Artikel 6 der Richtlinie 93/104:

"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer:

1. die wöchentliche Arbeitszeit durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt wird;

2. die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet."

11. Die Artikel 8 bis 13 der Richtlinie, die deren Abschnitt III bilden, führen die Maßnahmen auf, die die Mitgliedstaaten in Bezug auf Nacht- und Schichtarbeit sowie den Arbeitsrhythmus zu ergreifen haben.

12. Hinsichtlich der Dauer von Nachtarbeit sieht Artikel 8 der Richtlinie 93/104 vor:

"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit:

1. die normale Arbeitszeit für Nachtarbeiter im Durchschnitt acht Stunden pro 24-Stunden-Zeitraum nicht überschreitet.

2. Nachtarbeiter, deren Arbeit mit besonderen Gefahren oder einer erheblichen körperlichen oder geistigen Anspannung verbunden ist, in einem 24-Stunden-Zeitraum, während dem sie Nachtarbeit verrichten, nicht mehr als acht Stunden arbeiten.

Zum Zwecke dieser Nummer wird im Rahmen von einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten oder von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt, welche Arbeit unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Nachtarbeit und der ihr eigenen Risiken mit besonderen Gefahren oder einer erheblichen körperlichen und geistigen Anspannung verbunden ist."

13. Artikel 15 der Richtlinie 93/104 bestimmt:

"Das Recht der Mitgliedstaaten, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zu gestatten, bleibt unberührt."

14. Artikel 16 der Richtlinie lautet:

"Die Mitgliedstaaten können für die Anwendung der folgenden Artikel einen Bezugszeitraum vorsehen, und zwar

1. für Artikel 5 (wöchentliche Ruhezeit) einen Bezugszeitraum bis zu 14 Tagen;

2. für Artikel 6 (wöchentliche Höchstarbeitszeit) einen Bezugszeitraum bis zu vier Monaten.

Die nach Artikel 7 gewährten Zeiten des bezahlten Jahresurlaubs sowie die Krankheitszeiten bleiben bei der Berechnung des Durchschnitts unberücksichtigt oder sind neutral;

3. für Artikel 8 (Dauer der Nachtarbeit) einen Bezugszeitraum, der nach Anhörung der Sozialpartner oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene festgelegt wird.

Fällt die aufgrund von Artikel 5 verlangte wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden in den Bezugszeitraum, so bleibt sie bei der Berechnung des Durchschnitts unberücksichtigt."

15. In der Richtlinie ist eine Reihe von Ausnahmen von mehreren ihrer Grundregeln aufgeführt, die die Besonderheiten bestimmter Tätigkeiten berücksichtigen und unter dem Vorbehalt stehen, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. In dieser Hinsicht bestimmt Artikel 17:

"(1) Unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer können die Mitgliedstaaten von den Artikeln 3, 4, 5, 6, 8 und 16 abweichen, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann, und zwar insbesondere in Bezug auf nachstehende Arbeitnehmer:

a) leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbständiger Entscheidungsbefugnis;

b) Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind;

c) Arbeitnehmer, die im liturgischen Bereich von Kirchen oder Religionsgemeinschaften beschäftigt sind.

(2) Sofern die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher gleichwertigen Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten, kann im Wege von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern abgewichen werden:

2.1 von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16:

...

c) bei Tätigkeiten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Kontinuität des Dienstes oder der Produktion gewährleistet sein muss, und zwar insbesondere bei

i) Aufnahme-, Behandlungs- und/oder Pflegediensten von Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen, Heimen sowie Gefängnissen,

...

(3) Von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16 kann abgewichen werden im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene oder, bei zwischen den Sozialpartnern getroffenen Abmachungen, im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern auf niedrigerer Ebene.

...

Die Abweichungen gemäß den Unterabsätzen 1 und 2 sind nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten.

...

(4) Die in Absatz 2 Nummern 2.1 und 2.2 und in Absatz 3 vorgesehene Möglichkeit der Abweichung von Artikel 16 Nummer 2 darf nicht die Festlegung eines Bezugszeitraums zur Folge haben, der länger ist als sechs Monate.

Den Mitgliedstaaten ist es jedoch mit der Maßgabe, dass sie dabei die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer wahren, freigestellt zuzulassen, dass in den Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern aus objektiven, technischen oder arbeitsorganisatorischen Gründen längere Bezugszeiträume festgelegt werden, die auf keinen Fall zwölf Monate überschreiten dürfen.

..."

16. Artikel 18 der Richtlinie 93/104 bestimmt:

"(1) a) Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie spätestens am 23. November 1996 nachzukommen, oder sie vergewissern sich spätestens zu diesem Zeitpunkt, dass die Sozialpartner mittels Vereinbarungen die erforderlichen Bestimmungen einführen; dabei sind die Mitgliedstaaten gehalten, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit sie jederzeit gewährleisten können, dass die von der Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden.

b) i) Es ist einem Mitgliedstaat jedoch freigestellt, Artikel 6 nicht anzuwenden, wenn er die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer einhält und mit den erforderlichen Maßnahmen dafür sorgt, dass

- kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlangt, im Durchschnitt des in Artikel 16 Nummer 2 genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten, es sei denn der Arbeitnehmer hat sich hierzu bereit erklärt;

- keinem Arbeitnehmer Nachteile daraus entstehen, dass er nicht bereit ist, eine solche Arbeit zu leisten;

- der Arbeitgeber aktuelle Listen über alle Arbeitnehmer führt, die eine solche Arbeit leisten;

- die Listen den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt werden, die aus Gründen der Sicherheit und/oder des Schutzes der Gesundheit der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Überschreitung der wöchentlichen Hoechstarbeitszeit unterbinden oder einschränken können;

- der Arbeitgeber die zuständigen Behörden auf Ersuchen darüber unterrichtet, welche Arbeitnehmer sich dazu bereit erklärt haben, im Durchschnitt des in Artikel 16 Nummer 2 genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten.

..."

Nationales Recht

17. In Frankreich ist die gesetzliche Dauer der Arbeitszeit der Beschäftigten im Lohn- oder Gehaltsverhältnis durch den Code du travail geregelt, dessen für das Ausgangsverfahren maßgebliche Fassung die Fassung aufgrund des Gesetzes Nr. 2000-37 vom 19. Januar 2000 betreffend die ausgehandelte Arbeitszeitverkürzung (JORF vom 20. Januar 2000, S. 975) ist. Artikel L. 212-1 Absatz 1 dieses Code sieht vor:

"In den in Artikel L. 200-1 erwähnten Betrieben oder Berufen sowie in Handwerksbetrieben und Genossenschaften und deren Zweigbetrieben wird die gesetzliche Dauer der tatsächlichen Arbeit der Beschäftigten auf 35 Stunden pro Woche festgesetzt."

18. Artikel L. 212-1 Absatz 2 stellt klar:

"In den erwähnten Betrieben und Berufen darf die tägliche Dauer der tatsächlichen Arbeit zehn Stunden nicht übersteigen, sofern nicht durch Dekret Ausnahmen festgelegt sind."

19. Artikel L. 212-2 Absätze 1 und 2 des Code du travail bestimmt:

"Durch Ministerratsdekret werden die Einzelheiten der Anwendung des Artikels L. 212-1 für sämtliche Tätigkeitszweige oder Berufe oder für einen besonderen Zweig oder einen besonderen Beruf festgelegt. Die Dekrete legen insbesondere die Gestaltung und die Aufteilung der Arbeitsstunden, die Ruhezeiten, die Voraussetzungen für den Rückgriff auf Rufbereitschaftsdienste, die in bestimmten Fällen und für bestimmte Beschäftigungsverhältnisse geltenden ständigen oder zeitlich begrenzten Ausnahmen, die Einzelheiten für die Nachholung verlorener Arbeitsstunden und die Maßnahmen zur Kontrolle dieser verschiedenen Bestimmungen fest.

Diese Dekrete werden nach Anhörung der betroffenen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen und gegebenenfalls aufgrund der Ergebnisse der zwischen diesen geführten Verhandlungen erlassen und geändert."

20. Artikel L. 212-4 Absätze 1 und 2 des Code bestimmt:

"Die Dauer der tatsächlichen Arbeit ist die Zeit, während deren der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und dessen Anweisungen Folge leisten muss, ohne persönlichen Beschäftigungen nachgehen zu können.

Die notwendige Erholungszeit und die Pausenzeiten werden als tatsächliche Arbeitszeiten angerechnet, wenn die in Absatz 1 festgelegten Kriterien erfüllt sind. Auch wenn sie nicht als Arbeitszeit anerkannt werden, können sie aufgrund Tarif- oder Einzelarbeitsvertrags vergütet werden."

21. Artikel L. 212-4 Absatz 5 des Code du travail lautet:

"Eine der gesetzlichen Arbeitszeit gleichwertige Zeit kann für bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern und bestimmte Tätigkeiten, die inaktive Zeiten umfassen, entweder durch Dekret, das nach Abschluss eines Tarifvertrags oder eines Branchenabkommens erlassen wird, oder durch Dekret des Conseil d'État eingeführt werden. Diese Zeiten werden entsprechend den Gepflogenheiten oder den Tarifverträgen oder -abkommen vergütet."

22. Artikel L. 212-4 bis Absatz 1 des Code bestimmt:

"Unter Rufbereitschaftszeit ist eine Zeit zu verstehen, in der der Beschäftigte, ohne dem Arbeitgeber ständig und unmittelbar zur Verfügung zu stehen, verpflichtet ist, sich in seiner Wohnung oder in der Nähe aufzuhalten, um gegebenenfalls eine Arbeitsleistung für das Unternehmen zu erbringen, wobei die Dauer dieser Tätigkeit als tatsächliche Arbeitszeit angerechnet wird. ..."

23. Artikel L. 212-7 Absatz 2 des Code lautet:

"Die wöchentliche Arbeitszeit darf unter Zugrundelegung eines Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Wochen 44 Stunden nicht übersteigen. ... In ein und derselben Woche darf die Arbeitszeit 48 Stunden nicht übersteigen."

24. Artikel L. 220-1 Absatz 1 des Code du travail bestimmt:

"Jedem Beschäftigten im Lohn- oder Gehaltsverhältnis steht eine tägliche Ruhezeit von mindestens 11 aufeinander folgenden Stunden zu."

25. Artikel L. 221-4 Absatz 1 des Code sieht vor:

"Die wöchentliche Ruhezeit muss mindestens 24 aufeinander folgende Stunden betragen, zu denen die täglichen Ruhezeiten im Sinne von Artikel L. 220-1 hinzukommen."

26. Die Artikel 1 bis 3 des Dekrets Nr. 2001-1384 lauten:

"Artikel 1

Die Bestimmungen des vorliegenden Dekrets gelten:

a) für von gemeinnützigen Privaten geleitete Heime im Sinne von Artikel L. 312-1 Nummern 1, 2, 4, 5 und 8 des Code de l'action sociale et des familles;

b) für die Vollzeitstellen von Erziehern, Krankenpflegern und Pflegehelfern sowie zu deren Vertretung eingesetzten Personen mit gleicher Befähigung, deren Inhaber in den genannten Einrichtungen die Nachtwache in Bereitschaftsräumen der Einrichtung versehen.

Artikel 2

Für die Berechnung der gesetzlichen Arbeitszeit in den Betrieben und auf den Arbeitsstellen in Sinne von Artikel 1 dieses Dekrets wird jede Zeit der Nachtwache im Bereitschaftsraum als drei Stunden tatsächlicher Arbeit für die ersten neun Stunden angerechnet und als halbe Stunde für jede Stunde über neun Stunden hinaus.

Artikel 3

Die Zeit der Anwesenheit im Bereitschaftsraum erstreckt sich vom Zubettgehen bis zum Aufstehen der dort untergebrachten Personen, so wie sie in den Dienstplänen festgelegt sind, ohne dass zwölf Stunden überschritten werden dürfen."

27. Nach den Ausführungen des Conseil d'État ist die Rechtsgrundlage für das Dekret Nr. 2001-1384 der letzte Absatz von Artikel L. 212-4 des Code du travail, mit dem der Gesetzgeber besondere Zuständigkeits- und Verfahrensregeln für die Schaffung von Gleichwertigkeitsregelungen im Hinblick auf die gesetzliche Arbeitszeit aufstellen und damit die allgemeinen Bestimmungen in Artikel L. 212-2 des Code du travail verdrängen wollte.

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

28. Aus den Akten, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof übersandt hat, geht hervor, dass Herr Dellas, ein spezialisierter Erzieher in Internaten für behinderte Jugendliche oder Erwachsene, von seinem Arbeitgeber wegen Meinungsverschiedenheiten mit diesem entlassen wurde, bei denen es insbesondere um den Begriff der tatsächlichen Arbeit und um die Vergütung für Nachtarbeitsstunden, die von den Erziehern der Einrichtungen und der medizinisch-sozialen Dienste für Verhaltensgestörte und Behinderte im Bereitschaftsraum geleistet wurden, ging.

29. Anfang 2002 erhoben Herr Dellas sowie die Gewerkschaften Confédération générale du travail, Fédération nationale des syndicats des services de santé et des services sociaux CFDT und Fédération nationale de l'action sociale Force ouvrière beim Conseil d'État Klagen auf Nichtigerklärung des Dekrets Nr. 2001-1384 wegen Ermessensmissbrauchs.

30. Der Conseil d'État verband diese Klagen und ließ die Union des Fédérations et syndicats nationaux d'employeurs sans but lucratif du secteur sanitaire, social et médico-social auf deren Antrag als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Premierministers und des Ministers für soziale Angelegenheiten, Arbeit und Solidarität zu, die die Beklagten des Ausgangsverfahrens sind.

31. Zur Stützung ihrer Klagen machen die Kläger des Ausgangsverfahrens verschiedene Gründe geltend, mit denen sie die Rechtmäßigkeit des Dekrets Nr. 2001-1384 bestreiten. Sie machen insbesondere geltend, dass die mit diesem Dekret eingeführte Gleichwertigkeitsregelung im Hinblick auf die gesetzliche Arbeitszeit mit den Zielen der Richtlinie 93/104 und mit deren Bestimmungen in Bezug auf die Definition der Arbeitszeit sowie die Festlegung der Pausenzeit, der wöchentlichen Höchstarbeitszeit und der täglichen Höchstdauer der Nachtarbeit unvereinbar sei.

32. Nach der Vorlageentscheidung soll mit der Gleichwertigkeitsformel, die zwischen den Anwesenheitszeiten und den tatsächlich angerechneten Arbeitszeiten ein Verhältnis von 3 zu 1 für die ersten neun Stunden und von 2 zu 1 für die folgenden Stunden festlegt und für die von dem erwähnten Dekret erfassten Beschäftigten im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nur bei solchen Nachtwachdiensten gilt, während deren das Personal nicht ständig in Anspruch genommen wird, eine besondere Methode zur Berechnung der tatsächlichen Arbeit im Sinne von Artikel L. 212-4 des Code du travail u. a. im Hinblick auf die Anwendung der Bestimmungen betreffend die Vergütung und die Überstunden eingeführt werden, um dem unregelmäßigen Charakter der Tätigkeit Rechnung zu tragen, die während der betreffenden Stunden Zeiten der Inaktivität umfasst.

33. Nach den Ausführungen des Conseil d'État ist diese Gleichwertigkeitsregelung im Hinblick auf die gesetzliche Arbeitszeit nicht grundsätzlich mit der Richtlinie 93/104 in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof unvereinbar, da sie im Unterschied zu den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache C-303/98 (Simap, Slg. 2000, I-7963) und vom 9. September 2003 in der Rechtssache C-151/02 (Jäger, Slg. 2003, I-8389) ergangen seien, weder bewirke, dass die im Wachdienst enthaltenen Zeiten der Inaktivität, während deren die Arbeitnehmer an der Arbeitsstelle anwesend sein müssten, Ruhezeiten gleichgestellt würden, noch verhindere, dass die Stunden, die Gegenstand einer besonderen Erfassung im Rahmen der Gleichwertigkeitsregelung seien, für die Frage, ob die Arbeitgeber ihre Verpflichtungen auf dem Gebiet der Ruhezeiten und der Ruhepausen einhielten, insgesamt als tatsächliche Arbeitszeit angesehen würden.

34. Allerdings sehe das durch die französische Regelung eingeführte Gleichwertigkeitssystem vor, dass die Zeiten der Nachtwache im Bereitschaftsraum Gegenstand einer besonderen Berechnung der tatsächlichen Arbeitszeit seien, um der geringeren Intensität der in diesen Zeiten geleisteten Arbeit Rechnung zu tragen, füge sich aber in einen engeren rechtlichen Rahmen ein, als ihn das Gemeinschaftsrecht vorsehe, was insbesondere die wöchentliche Höchstarbeitsdauer angehe, denn diese betrage nach dem Code du travail durchschnittlich 44 Stunden in zwölf aufeinander folgenden Wochen gegenüber 48 Stunden in vier aufeinander folgenden Monaten gemäß der Richtlinie 93/104.

35. Der Conseil d'État gelangte zu der Ansicht, dass er unter diesen Umständen zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits einer Auslegung des Gemeinschaftsrechts bedürfe, und hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist unter Berücksichtigung des Zieles der Richtlinie 93/104, das nach deren Artikel 1 Nummer 1 darin besteht, Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz im Bereich der Arbeitszeitgestaltung festzulegen, davon auszugehen, dass die in ihr enthaltene Definition der Arbeitszeit nur auf die von der Richtlinie festgelegten Gemeinschaftsschwellenwerte Anwendung findet, oder ist sie allgemein anwendbar und erfasst auch die Schwellenwerte, die in den nationalen Rechtsordnungen insbesondere zur Sicherstellung der Umsetzung der Richtlinie festgelegt wurden, auch wenn diese, wie im Fall Frankreichs, zum Schutz der Arbeitnehmer auf einem höheren Schutzniveau festgelegt worden sind als in der Richtlinie?

2. Inwiefern kann eine streng proportionale Gleichwertigkeitsregelung als mit den Zielen der Richtlinie 93/104 vereinbar angesehen werden, die alle Anwesenheitszeiten berücksichtigt, auf diese aber einen Gewichtungsmechanismus anwendet, der sich an der geringeren Arbeitsintensität während der inaktiven Zeiten orientiert?

Zu den Vorlagefragen

36. Das vorlegende Gericht möchte mit seinen beiden Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, wissen, ob die Richtlinie 93/104 dahin auszulegen ist, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die für Bereitschaftsdienst, den Arbeitnehmer im Dienst bestimmter sozialer und medizinisch-sozialer Einrichtungen in Form persönlicher Anwesenheit an der Arbeitsstätte selbst ableisten, für die Zwecke der Berechnung der tatsächlichen Arbeitszeit eine Gleichwertigkeitsregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vorsieht, wenn das nationale Recht insbesondere für die wöchentliche Höchstarbeitszeit eine für die Arbeitnehmer günstigere Obergrenze festlegt, als sie durch diese Richtlinie vorgeschrieben wird.

37. Sowohl in der Vorlageentscheidung als auch in den meisten schriftlichen Erklärungen, die beim Gerichtshof eingereicht worden sind, ist darauf hingewiesen worden, dass eine solche Gleichwertigkeitsregelung Einfluss nicht nur auf die Arbeitszeit der betreffenden Arbeitnehmer, sondern auch auf die Höhe ihrer Vergütungen haben könne.

38. In Bezug auf diesen letztgenannten Gesichtspunkt ist jedoch von vornherein klarzustellen, dass die Richtlinie 93/104, wie sowohl aus ihrer Zielsetzung als auch aus dem Wortlaut ihrer Bestimmungen hervorgeht, keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer findet.

39. Diese Auslegung ergibt sich im Übrigen zweifelsfrei aus Artikel 137 Absatz 6 EG, wonach die Mindestvorschriften, die der Rat der Europäischen Union durch Richtlinien erlassen kann und die, wie im Ausgangsverfahren, insbesondere dem Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer dienen, nicht für das Arbeitsentgelt gelten.

40. Was dagegen die Auswirkung einer Gleichwertigkeitsregelung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art auf die Arbeits- und die Ruhezeiten der betroffenen Arbeitnehmer angeht, so ist daran zu erinnern, dass sich aus Artikel 118a des Vertrages, der die Rechtsgrundlage der Richtlinie 93/104 bildet, der ersten, vierten, siebten und achten Begründungserwägung dieser Richtlinie, der im Europäischen Rat von Straßburg am 9. Dezember 1989 angenommenen Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, deren Punkte 8 und 19 Absatz 1 in der vierten Begründungserwägung der Richtlinie wiedergegeben sind, sowie aus dem Wortlaut des Artikels 1 Absatz 1 dieser Richtlinie ergibt, dass durch diese Mindestvorschriften festgelegt werden sollen, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern (vgl. Urteile vom 26. Juni 2001 in der Rechtssache C-173/99, BECTU, Slg. 2001, I-4881, Randnr. 37; Jaeger, Randnrn. 45 und 47, sowie vom 5. Oktober 2004 in den Rechtssachen C-397/01 bis C-403/01, Pfeiffer u. a., Slg. 2004, I-8835, Randnr. 91).

41. Nach den erwähnten Bestimmungen soll diese gemeinschaftsweite Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch Gewährung von - u. a. täglichen und wöchentlichen - Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen sowie die Festlegung einer durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden, bezüglich deren ausdrücklich klargestellt ist, dass sie auch die Überstunden einschließt, gewährleisten (vgl. Urteile Simap, Randnr. 49, BECTU, Randnr. 38, Jaeger, Randnr. 46, Pfeiffer u. a., Randnr. 92, und vom 12. Oktober 2004 in der Rechtssache C-313/02, Wippel, Slg. 2004, I-9483, Randnr. 47).

42. Zum Begriff "Arbeitszeit" im Sinne der Richtlinie 93/104 ist bereits entschieden worden, dass die Richtlinie diesen Begriff als jede Zeitspanne definiert, während deren ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt, und dass dieser Begriff im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen ist, da beide Begriffe einander ausschließen (Urteile Simap, Randnr. 47, und Jaeger, Randnr. 48).

43. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass zum einen die Richtlinie 93/104 keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vorsieht und dass zum anderen zu den wesentlichen Merkmalen des Begriffes Arbeitszeit im Sinne dieser Richtlinie nicht die Intensität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit oder dessen Leistung gehört.

44. Der Gerichtshof hat hierzu ebenfalls festgestellt, dass die Begriffe Arbeitszeit und Ruhezeit im Sinne der Richtlinie 93/104 nicht nach Maßgabe der Vorschriften der Regelungen der verschiedenen Mitgliedstaaten ausgelegt werden dürfen, sondern gemeinschaftsrechtliche Begriffe darstellen, die anhand objektiver Merkmale unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des Zweckes der Richtlinie zu bestimmen sind, der darin besteht, Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung der Arbeitnehmer aufzustellen. Denn nur eine solche autonome Auslegung kann die volle Wirksamkeit dieser Richtlinie und eine einheitliche Anwendung der genannten Begriffe in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherstellen (vgl. Urteil Jaeger, Randnr. 58).

45. Der Gerichtshof hat daraus abgeleitet, dass die Mitgliedstaaten die Bedeutung dieser Begriffe der Richtlinie 93/104 nicht einseitig festlegen dürfen, indem sie den Anspruch der Arbeitnehmer auf ordnungsgemäße Berücksichtigung der Arbeitszeiten und dementsprechend der Ruhezeiten, der den Arbeitnehmern durch diese Richtlinien zugebilligt wird, irgendwelchen Bedingungen oder Beschränkungen unterwerfen. Jede andere Auslegung würde dieser Richtlinie nämlich ihre praktische Wirksamkeit nehmen und ihr Ziel verkennen, durch Mindestvorschriften einen wirksamen Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten (vgl. Urteile Jaeger, Randnrn. 59, 70 und 82, sowie Pfeiffer u. a., Randnr. 99).

46. Zum einen ist nach ständiger Rechtsprechung Bereitschaftsdienst, den ein Arbeitnehmer in Form persönlicher Anwesenheit im Betrieb des Arbeitgebers leistet, in vollem Umfang als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 93/104 anzusehen, unabhängig davon, welche Arbeitsleistungen der Betroffene während dieses Bereitschaftsdienstes tatsächlich erbracht hat (vgl. Urteile Simap, Randnr. 52, Jaeger, Randnrn. 71, 75 und 103, Pfeiffer u. a., Randnr. 93, und Beschluss vom 3. Juli 2001 in der Rechtssache C-241/99, CIG, Slg. 2001, I-5139, Randnr. 34).

47. Der Umstand, dass der Bereitschaftsdienst Zeiten der Inaktivität umfasst, ist daher in diesem Kontext unerheblich.

48. Nach dieser Rechtsprechung ist nämlich, selbst wenn zum Bereitschaftsdienst, den der Arbeitnehmer in Form persönlicher Anwesenheit im Betrieb des Arbeitgebers leistet, notwendig auch Zeiten der beruflichen Inaktivität gehören, da im Unterschied zur normalen Arbeitszeit der Bedarf an dringlichen Eingriffen während der Leistung von Bereitschaftsdienst nicht im Voraus geplant werden kann und die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit nach den Umständen unterschiedlich ist, entscheidend für die Annahme, dass der Bereitschaftsdienst, den ein Arbeitnehmer an seinem Arbeitsort leistet, die charakteristischen Merkmale des Begriffes Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 93/104 aufweist, der Umstand, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können. Daher gehören diese Verpflichtungen zur Ausübung der Tätigkeit dieses Arbeitnehmers (vgl. Urteile Simap, Randnr. 48, sowie Jaeger, Randnrn. 49 und 63).

49. Zum anderen hat der Gerichtshof bereits wiederholt entschieden, dass sowohl in Anbetracht des Wortlauts der Richtlinie 93/104 als auch ihrer Zielsetzung und Systematik die verschiedenen Bestimmungen, die sie in Bezug auf die Höchstdauer der Arbeit und die Mindestruhezeit enthält, besonders wichtige Regeln des Sozialrechts der Gemeinschaft sind, die jedem Arbeitnehmer als ein zum Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit bestimmter Mindestanspruch zugute kommen müssen (vgl. Urteile BECTU, Randnrn. 43 und 47, Pfeiffer u. a., Randnr. 100, und Wippel, Randnr. 47).

50. Was das Ausgangsverfahren betrifft, so geht aus den Randnummern 40 bis 49 des vorliegenden Urteils hervor, dass die Beachtung aller in der Richtlinie 93/104 vorgesehenen Schwellen und Obergrenzen von den Mitgliedstaaten zu dem Zweck gewährleistet werden muss, die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer wirksam zu schützen, und dass zu diesem Zweck der von einem Arbeitnehmer wie Herrn Dellas am Arbeitsort geleistete Bereitschaftsdienst bei der Bestimmung der nach dem Gemeinschaftsrecht zulässigen täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeit - die Überstunden einschließt - unabhängig davon, dass der Betroffene während dieses Bereitschaftsdienstes tatsächlich keine ununterbrochene berufliche Tätigkeit ausübt, in vollem Umfang zu berücksichtigen ist (vgl. Urteil Pfeiffer u. a., Randnrn. 93 und 95).

51. Artikel 15 der Richtlinie 93/104 lässt zwar ausdrücklich die Anwendung oder die Einführung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren nationalen Bestimmungen zu.

52. Macht ein Mitgliedstaat von einer solchen Befugnis Gebrauch, wie dies die Französische Republik getan hat, denn die nationale Regelung sieht eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 44 Stunden in zwölf aufeinander folgenden Wochen vor, während die Richtlinie eine Obergrenze von 48 Stunden in vier aufeinander folgenden Monaten vorschreibt, so ist die Beachtung der durch diese Richtlinie aufgestellten Bestimmungen allein anhand der von dieser gezogenen Grenzen zu prüfen, unter Ausschluss nationaler Bestimmungen, die die Arbeitnehmer besser schützen.

53. Unabhängig von der Anwendung solcher nationaler Bestimmungen muss jedoch die praktische Wirksamkeit der Rechte, die den Arbeitnehmern durch die Richtlinie 93/104 verliehen werden, in vollem Umfang gewährleistet werden, was notwendig die Verpflichtung für die Mitgliedstaaten impliziert, die Einhaltung jeder der in dieser Richtlinie aufgestellten Mindestvorschriften zu gewährleisten.

54. In diesem Kontext ist festzustellen, dass, wie die französische Regierung selbst in der mündlichen Verhandlung in Beantwortung einer Frage des Gerichtshofes eingeräumt hat, die Berechnungsweise der Bereitschaftsdienste im Rahmen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gleichwertigkeitsregelung geeignet ist, dem betreffenden Arbeitnehmer eine Gesamtarbeitszeit aufzuerlegen, die 60 Stunden pro Woche erreichen oder sogar übersteigen kann.

55. Daher überschreitet eine solche nationale Regelung offenkundig die wöchentliche Höchstarbeitszeit, die gemäß Artikel 6 Nummer 2 der Richtlinie auf 48 Stunden festgesetzt ist.

56. Diese Beurteilung wird weder durch die Behauptung der französischen Regierung in Frage gestellt, dass die in Frankreich geltende Gleichwertigkeitsregelung zwar in der Anwendung eines Gewichtungssystems, das die Existenz von Zeiten der Inaktivität während des Bereitschaftsdienstes berücksichtigen solle, bestehe, gleichwohl aber die Gesamtheit der Stunden der Anwesenheit der Arbeitnehmer für die Bestimmung ihrer Rechte auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten anrechne, noch durch die Feststellung des vorlegenden Gerichts, dass die nationale Regelung, die Gegenstand der bei ihm anhängigen Verfahren ist, sich von denjenigen unterscheide, um die es in den Urteilen Simap und Jaeger gegangen sei, da die französische Regelung die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer zwar am Arbeitsort anwesend sei, um Bereitschaftsdienst zu leisten, jedoch nicht tatsächlich in Anspruch genommen werde, nicht als Ruhezeit behandle.

57. Es steht nämlich fest, dass in Anwendung einer nationalen Regelung der im Ausgangsverfahren fraglichen Art die Stunden der Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb seines Arbeitgebers während des Bereitschaftsdienstes, der Zeiten der Inaktivität umfasst, nur teilweise anhand pauschaler Koeffizienten für die Berechnung der Überstunden und damit für die Bestimmung der Höchstarbeitszeit berücksichtigt werden, während das Gemeinschaftsrecht verlangt, dass diese Anwesenheitszeiten in vollem Umfang als Arbeitsstunden angerechnet werden.

58. Ferner werden nach einer solchen nationalen Regelung nur die Anwesenheitsstunden auf die Arbeitszeit angerechnet, von denen angenommen wird, dass sie tatsächlicher Arbeit entsprechen. Wie bereits in Randnummer 43 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, kann die rechtliche Qualifizierung einer Zeit der Anwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsort als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 93/104 nicht von der Intensität seiner Tätigkeit abhängen, sondern erfolgt allein nach Maßgabe seiner Verpflichtung, sich für seinen Arbeitgeber zur Verfügung zu halten.

59. Jedenfalls ist der bloße Umstand, dass die Gesamtheit der Stunden der Anwesenheit der Beschäftigten am Arbeitsort bei der Geltendmachung bestimmter Rechte, die diesen nach der Richtlinie 93/104 zustehen, im konkreten Fall des Rechts auf tägliche und wöchentliche Ruhezeit, berücksichtigt wird, nicht geeignet, die Erfüllung der Verpflichtungen, die diese Richtlinie den Mitgliedstaaten auferlegt, vollständig zu gewährleisten, da die Mitgliedstaaten die Gesamtheit dieser Rechte und insbesondere des Rechts auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden zu gewährleisten haben.

60. Ferner kommen für nationale Regelungen von der Art, wie sie das Dekret Nr. 2001-1384 enthält, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten nicht in Betracht.

61. Zum einen gehört Artikel 2 der Richtlinie 93/104, der die von dieser Richtlinie verwendeten wesentlichen Begriffe, darunter die der Arbeitszeit und der Ruhezeit, definiert, nicht zu den Bestimmungen dieser Richtlinie, von denen abgewichen werden kann.

62. Zum anderen wird im vorliegenden Fall nicht einmal vorgetragen, dass eine Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art einen der Tatbestände der Artikel 17 Absätze 1 und 2 sowie 18 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Richtlinie 93/104 erfüllen könnte.

63. Nach allem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Richtlinie 93/104 dahin auszulegen ist, dass

- sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die für Bereitschaftsdienst, den die Arbeitnehmer bestimmter sozialer und medizinisch-sozialer Einrichtungen in Form persönlicher Anwesenheit am Arbeitsort leisten, für die Zwecke der Berechnung der tatsächlichen Arbeitszeit eine Gleichwertigkeitsregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vorsieht, wenn die Einhaltung der Gesamtheit der in dieser Richtlinie zum wirksamen Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer aufgestellten Mindestvorschriften nicht gewährleistet ist,

- falls das nationale Recht insbesondere für die wöchentliche Höchstarbeitszeit eine für die Arbeitnehmer günstigere Obergrenze festlegt, die für die Beachtung der in der Richtlinie vorgesehenen Schutzbestimmungen maßgeblichen Schwellenwerte oder Obergrenzen ausschließlich die in dieser Richtlinie festgelegten sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

64. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die für Bereitschaftsdienst, den die Arbeitnehmer bestimmter sozialer und medizinisch-sozialer Einrichtungen in Form persönlicher Anwesenheit am Arbeitsort leisten, für die Zwecke der Berechnung der tatsächlichen Arbeitszeit eine Gleichwertigkeitsregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vorsieht, wenn die Einhaltung der Gesamtheit der in dieser Richtlinie zum wirksamen Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer aufgestellten Mindestvorschriften nicht gewährleistet ist.

Falls das nationale Recht insbesondere für die wöchentliche Höchstarbeitszeit eine für die Arbeitnehmer günstigere Obergrenze festlegt, sind die für die Beachtung der in der Richtlinie vorgesehenen Schutzbestimmungen maßgeblichen Schwellenwerte oder Obergrenzen ausschließlich die in dieser Richtlinie festgelegten.

Ende der Entscheidung

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