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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.10.1992
Aktenzeichen: C-143/91
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 81/602/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
EWGV Art. 189 Abs. 3
RL Nr. 81/602/EWG Art. 2
RL Nr. 81/602/EWG Art. 9
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Richtlinie 81/602 über ein Verbot von bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung und von Stoffen mit thyreostatischer Wirkung, die Richtlinie 88/146 zum Verbot des Gebrauchs von bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung im Tierbereich und die Richtlinie 86/469 über die Untersuchung von Tieren und von frischem Fleisch auf Rückstände, die das Verbot vorsehen, Tieren Stoffe mit hormonaler oder thyreostatischer Wirkung zu verabfolgen, Tiere, denen solche Stoffe verabfolgt wurden, zu schlachten und in den Verkehr zu bringen und Fleisch solcher Tiere für den Verbrauch durch Menschen oder Tiere in den Verkehr zu bringen, sind dahin auszulegen, daß sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, über diese Verbote hinaus ergänzende Maßnahmen, die geeignet sind, die Wirksamkeit dieser Verbote zu verstärken, zu erlassen und es zu verbieten, Tiere zu halten oder im Bestand zu haben, denen einer dieser Stoffe verabfolgt wurde, sofern ein solches Verbot nicht die Anwendung der in diesen Richtlinien für die Haltung von Tieren zur therapeutischen Behandlung vorgesehenen Ausnahmen verhindert.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 8. OKTOBER 1992. - STRAFVERFAHREN GEGEN LEENDERT VAN DER TAS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: ARRONDISSEMENTSRECHTBANK BREDA - NIEDERLANDE. - LANDWIRTSCHAFT - STOFFE MIT HORMONALER WIRKUNG - RICHTLINIEN 81/602/EWG, 88/146/EWG UND 86/469/EWG. - RECHTSSACHE C-143/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Arrondissementsrechtbank Breda hat mit Beschluß vom 25. April 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Mai 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 81/602/EWG des Rates vom 31. Juli 1981 über ein Verbot von bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung und von Stoffen mit thyreostatischer Wirkung (ABl. L 222, S. 32), der Richtlinie 88/146/EWG des Rates vom 7. März 1988 zum Verbot des Gebrauchs von bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung im Tierbereich (ABl. L 70, S. 16) und der Richtlinie 86/469/EWG des Rates vom 16. September 1986 über die Untersuchung von Tieren und von frischem Fleisch auf Rückstände (ABl. L 275, S. 36) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen L. Van der Tas, dem ein Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 der Verordening stoffen met hormonale werking (PVV) 1987 der Produktschap voor Vee en Vlees vom 9. Dezember 1987 (Verordnung über Stoffe mit hormonaler Wirkung des niederländischen Wirtschaftsverbands für Vieh und Frischfleisch; PBO 1988, S. 12, im folgenden: nationale Verordnung) vorgeworfen wird.

3 Nach der ersten Begründungserwägung der Richtlinie 81/602 können bestimmte Stoffe mit thyreostatischer Wirkung und mit östrogener, androgener oder gestagener Wirkung aufgrund der Rückstände, die sie im Fleisch hinterlassen, eine Gefahr für die Verbraucher darstellen; darüber hinaus können sie die Fleischqualität beeinträchtigen. Aus der zweiten Begründungserwägung ergibt sich, daß es im Interesse der Verbraucher erforderlich ist, einerseits die Verabfolgung von Stilbenen und Thyreostatika an Tiere jeder Art sowie das Inverkehrbringen dieser Stoffe zu diesem Zweck zu untersagen und andererseits die Verwendung der übrigen Stoffe zu regeln.

4 Demgemäß verbietet Artikel 2 der Richtlinie 81/602, Nutztieren Stoffe mit thyreostatischer Wirkung und Stoffe mit östrogener, androgener oder gestagener Wirkung zu verabfolgen, Nutztiere, denen diese Stoffe verabfolgt wurden, in den Verkehr zu bringen oder zu schlachten, Fleisch solcher Nutztiere in den Verkehr zu bringen oder solches Fleisch zu verarbeiten und Fleischerzeugnisse, die aus oder mit diesem Fleisch hergestellt sind, in den Verkehr zu bringen. Artikel 3 dieser Richtlinie verbietet das Inverkehrbringen von bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung und von Stoffen mit thyreostatischer Wirkung. Nach Artikel 4 können die Mitgliedstaaten, insbesondere zur therapeutischen Behandlung mit bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung, Ausnahmen von Artikel 2 zulassen.

5 Die Richtlinie 81/602 wird durch die Richtlinie 88/146 ergänzt, die in Artikel 2 jede Verwendung von Stoffen mit hormonaler Wirkung untersagt; die Verabfolgung bestimmter Stoffe zur therapeutischen Behandlung kann jedoch zugelassen werden. Nach Artikel 5 haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, daß aus ihrem Gebiet keine Tiere, denen bestimmte Stoffe mit hormonaler Wirkung verabfolgt wurden, und kein Fleisch solcher Tiere in einen anderen Mitgliedstaat verbracht werden.

6 Die diese Richtlinie ergänzende Richtlinie 86/469 bezweckt die Harmonisierung der in den Mitgliedstaaten geltenden Kontrollmodalitäten in bezug auf die Untersuchung von Tieren und von frischem Fleisch auf Rückstände, um die Handelshemmnisse und die Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen bei Erzeugnissen, für die eine gemeinsame Marktorganisation besteht, zu beseitigen. Dazu sieht Artikel 9 Absatz 3 Buchstabe b vor, daß in Fällen, in denen die Untersuchung das Vorhandensein verbotener Stoffe ergibt, die Tiere nicht für den Verbrauch durch Menschen oder Tiere in den Verkehr gebracht werden dürfen.

7 Nach Artikel 3 Absatz 1 der nationalen Verordnung ist es verboten, Tiere, denen irgendein Stoff mit östrogener, androgener, gestagener oder thyreostatischer Wirkung verabfolgt wurde, zu halten oder im Bestand zu haben, zu kaufen oder zu verkaufen.

8 Der Viehhändler Van der Tas wurde vor dem Economische Politierechter (Wirtschaftspolizeirichter) der Arrondissementsrechtbank Breda des Verstosses gegen Artikel 3 Absatz 1 der nationalen Verordnung angeklagt, weil er am 23. Juni 1989 drei oder jedenfalls mehrere Rinder hielt oder im Bestand hatte, denen 17-alpha-Ethinylöstradiol, ein Stoff mit gestagener Wirkung, verabfolgt worden war.

9 Vor dem vorlegenden Gericht berief sich der Angeklagte darauf, daß die nationale Verordnung mit den genannten Richtlinien unvereinbar sei, zumindest aber weiter als diese und damit weiter als die in anderen Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen gehe.

10 Unter diesen Voraussetzungen hat das vorlegende Gericht entschieden, das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofes über folgende Frage auszusetzen:

Entspricht die Verordnung über Stoffe mit hormonaler Wirkung der Produktschap voor Vee en Vlees vom 9. Dezember 1987 den EG-Richtlinien betreffend Hormone in Vieh und Fleisch, insbesondere den Richtlinien 81/602/EWG und 85/649/EWG über den Gebrauch von Stoffen mit hormonaler Wirkung im Tierbereich und der Richtlinie 86/469/EWG über die Untersuchung von Tieren auf Rückstände?

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

12 Im Rahmen des Artikels 177 EWG-Vertrag ist es nicht Sache des Gerichtshofes, über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden; er ist jedoch dafür zuständig, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen können, für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits über die Frage der Vereinbarkeit zu befinden (vgl. insbesondere das Urteil vom 21. November 1990 in der Rechtssache C-373/89, Integrity, Slg. 1990, I-4243, Randnr. 9).

13 Die Vorlagefrage ist deshalb so zu verstehen, daß sie dahin geht, ob die Richtlinien 81/602, 88/146 und 86/469 in dem Sinne auszulegen sind, daß sie einem in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats enthaltenen Verbot entgegenstehen, Tiere zu halten oder im Bestand zu haben, denen irgendwelche Stoffe mit östrogener, androgener, gestagener oder thyreostatischer Wirkung verabfolgt wurden.

14 Zum einen sehen die Richtlinien zwar das Verbot vor, Stoffe mit hormonaler Wirkung zu verabfolgen und Tiere, denen diese Stoffe verabfolgt worden sind, zu schlachten und in den Verkehr zu bringen oder solche Tiere für den Verbrauch durch Menschen oder Tiere in den Verkehr zu bringen, sie erwähnen jedoch kein Verbot, Tiere, die mit Stoffen mit hormonaler Wirkung behandelt worden sind, zu halten oder im Bestand zu haben.

15 Zum anderen sind die Mitgliedstaaten, sobald die Gemeinschaft eine gemeinsame Marktorganisation für einen bestimmten Sektor errichtet hat, verpflichtet, sich aller einseitigen Maßnahmen zu enthalten, selbst wenn diese geeignet sind, der Unterstützung der gemeinsamen Politik der Gemeinschaft zu dienen (vgl. Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 229, Randnr. 21).

16 Allerdings stellen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten treffen, um die vollständige Wirksamkeit der Gemeinschaftsrichtlinien sicherzustellen, keine einseitigen Maßnahmen dar, wenn sie dem Ziel der Richtlinie entsprechen, die sie durchführen. Aus Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag ergibt sich nämlich, daß eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt.

17 Mit den Richtlinien 81/602, 88/146 und 86/469 soll es im Interesse der Verbraucher und vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen verboten werden, Stoffe mit thyreostatischer, östrogener, androgener oder gestagener Wirkung an Nutztiere zu verabfolgen. Das Verbot, mit solchen Stoffen behandelte Tiere zu halten oder im Bestand zu haben, stellt ein wirksames Mittel dar, dieses Ziel zu erreichen.

18 Zudem kommt in einem Verbot wie dem im Ausgangsverfahren in Frage stehenden ° soweit mit ihm die Ziele dieser Richtlinien verfolgt werden ° nicht nur die nach Artikel 189 den innerstaatlichen Stellen überlassene Wahl der Form und der Mittel zum Ausdruck; mit ihm soll auch der allgemeinen Verpflichtung jedes Mitgliedstaats nachgekommen werden, im Rahmen seiner nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (vgl. Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-208/90, Emmott, Slg. 1991, I-4269, Randnr. 18).

19 Ein solches Verbot läuft auch nicht einem der wesentlichen Grundsätze der Gemeinschaft, im vorliegenden Fall dem des freien Warenverkehrs, zuwider, da die genannten Richtlinien jeden Verkehr mit Rindern, denen Stoffe mit hormonaler Wirkung verabfolgt wurden, oder mit dem Fleisch solcher Rinder verbieten.

20 Ein solches Verbot darf jedoch über die Bestimmungen dieser Richtlinien ° insbesondere die Ausnahmen in bezug auf die Haltung von Tieren, denen Stoffe mit hormonaler Wirkung zur therapeutischen Behandlung in strikter Übereinstimmung mit den Richtlinien verabfolgt wurden ° nicht hinausgehen.

21 Auf die von der Arrondissementsrechtbank Breda vorgelegte Frage ist demnach zu antworten, daß die Richtlinie 81/602 des Rates vom 31. Juli 1981, die Richtlinie 88/146 des Rates vom 7. März 1988 und die Richtlinie 86/469 des Rates vom 16. September 1986 dahin auszulegen sind, daß sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach denen es verboten ist, Tiere, denen irgendein Stoff mit östrogener, androgener, gestagener oder thyreostatischer Wirkung verabfolgt wurde, zu halten oder im Bestand zu haben, sofern ein solches Verbot nicht die Anwendung der in diesen Richtlinien vorgesehenen Ausnahmen verhindert.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Die Auslagen des Königreichs Spanien, der Italienischen Republik, des Königreichs der Niederlande sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm von der Arrondissementsrechtbank Breda mit Beschluß vom 25. April 1991 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Richtlinie 81/602/EWG des Rates vom 31. Juli 1981 über ein Verbot von bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung und von Stoffen mit thyreostatischer Wirkung, die Richtlinie 88/146/EWG des Rates vom 7. März 1988 zum Verbot des Gebrauchs von bestimmten Stoffen mit hormonaler Wirkung im Tierbereich und die Richtlinie 86/469/EWG vom 16. Dezember 1986 des Rates über die Untersuchung von Tieren und von frischem Fleisch auf Rückstände sind dahin auszulegen, daß sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach denen es verboten ist, Tiere, denen irgendein Stoff mit östrogener, androgener, gestagener oder thyreostatischer Wirkung verabfolgt wurde, zu halten oder im Bestand zu haben, sofern ein solches Verbot nicht die Anwendung der in diesen Richtlinien vorgesehenen Ausnahmen verhindert.

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