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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: C-143/99
Rechtsgebiete: EGV
Vorschriften:
EGV Art. 92 (a. F.) | |
EGV Art. 87 |
1. Im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) ist es nicht Sache des Gerichtshofes, zu prüfen, ob die Vorlageentscheidung den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das gerichtliche Verfahren entspricht.
( vgl. Randnr. 19 )
2. Das Tätigwerden der nationalen Gerichte im System der Kontrolle von staatlichen Beihilfen beruht auf der unmittelbaren Wirkung, die dem in Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 3 Satz 3 EG) ausgesprochenen Verbot, beabsichtigte Beihilfemaßnahmen ohne Zustimmung der Kommission durchzuführen, zukommt. Die nationalen Gerichte müssen nämlich zugunsten der Einzelnen entsprechend ihrem nationalen Recht aus einer Verletzung dieser Bestimmung sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Rückforderung der unter Verletzung dieser Bestimmung gewährten finanziellen Unterstützungen oder eventueller vorläufiger Maßnahmen ziehen. Hierfür müssen die nationalen Gerichte zwar bestimmen, ob eine nationale Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne des Vertrages zu qualifizieren ist; sie können sich dabei aber nicht zur Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt äußern, da für diese Beurteilung die Kommission vorbehaltlich der Kontrolle des Gerichtshofes ausschließlich zuständig ist.
( vgl. Randnrn. 26-27, 29 )
3. Das grundsätzliche Verbot von staatlichen Beihilfen ist weder absolut noch unbedingt. So räumt Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 Absatz 3 EG) der Kommission einen weiten Spielraum bei der Entscheidung ein, bestimmte Beihilfen unter Abweichung von dem allgemeinen Verbot des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären. Dabei können die Erfordernisse des Umweltschutzes ein Ziel darstellen, aufgrund dessen bestimmte staatliche Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden können.
( vgl. Randnrn. 30-31 )
4. Nationale Maßnahmen, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie vorsehen, stellen keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) dar, wenn sie allen Unternehmen im Inland unabhängig vom Gegenstand ihrer Tätigkeit gewährt werden.
Wie nämlich aus dem Wortlaut des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag hervorgeht, hat ein von einem Mitgliedstaat gewährter wirtschaftlicher Vorteil nur dann Beihilfecharakter, wenn er, gekennzeichnet durch eine gewisse Selektivität, geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige zu begünstigen. Demzufolge kann eine staatliche Maßnahme, die unterschiedslos allen Unternehmen im Inland zugute kommt, keine staatliche Beihilfe darstellen.
( vgl. Randnrn. 34-36, Tenor 1 )
5. Für die Anwendung des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) kommt es nicht darauf an, ob sich die Situation des durch die Maßnahme angeblich Begünstigten im Vergleich zur vorherigen Rechtslage verbessert oder verschlechtert hat oder ob sie im Gegenteil unverändert geblieben ist. Es ist lediglich festzustellen, ob eine staatliche Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag gegenüber anderen Unternehmen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Maßnahme verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, zu begünstigen. Diese Voraussetzung der Selektivität ist jedoch bei einer Maßnahme nicht gegeben, die zwar einen Vorteil für den Begünstigten darstellt, aber durch das Wesen oder die allgemeinen Zwecke des Systems, zu dem sie gehört, gerechtfertigt ist.
Insofern sind nationale Maßnahmen, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie nur für Unternehmen vorsehen, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Güter besteht, als staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag anzusehen. Zunächst kann eine staatliche Initiative weder aufgrund der großen Zahl der begünstigten Unternehmen noch aufgrund der Verschiedenartigkeit und der Bedeutung der Wirtschaftszweige, zu denen diese Unternehmen gehören, als eine allgemeine wirtschaftspolitische Maßnahme angesehen werden. Ferner findet die Gewährung von Vorteilen an Unternehmen, deren Schwerpunkt in der Herstellung körperlicher Güter besteht, in dem Wesen oder den allgemeinen Zwecken des Steuersystems, das mit diesen nationalen Maßnahmen eingeführt wurde, keine Rechtfertigung. Denn zunächst ergeben sich aus diesen Maßnahmen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung, nach der nur Unternehmen Anspruch auf Vergütung haben, die hauptsächlich körperliche Güter herstellen, eine vorübergehende Maßnahme wäre, die diesen Unternehmen die allmähliche Anpassung an die neue Regelung ermöglichen sollte, weil sie durch diese im Verhältnis stärker betroffen sind. Ferner können Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen, genauso wie Unternehmen, die körperliche Güter herstellen, Energiegroßverbraucher sein. Schließlich rechtfertigen die Erwägungen des Umweltschutzes, die den fraglichen Maßnahmen zugrunde liegen, es nicht, die Nutzung von Erdgas oder elektrischer Energie durch den Wirtschaftszweig der dienstleistenden Unternehmen anders zu behandeln als die Nutzung dieser Energien durch den Wirtschaftszweig der gütererzeugenden Unternehmen, da ihr Energieverbrauch gleichermaßen schädlich für die Umwelt ist.
( vgl. Randnrn. 41-42, 48-52, 55, Tenor 2 )
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 8. November 2001. - Adria-Wien Pipeline GmbH und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke GmbH gegen Finanzlandesdirektion für Kärnten. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verfassungsgerichtshof - Österreich. - Energieabgabe - Vergütung nur an Unternehmen, die körperliche Güter herstellen - Staatliche Beihilfe. - Rechtssache C-143/99.
Parteien:
In der Rechtssache C-143/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom österreichischen Verfassungsgerichtshof in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten
Adria-Wien Pipeline GmbH,
Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke GmbH
gegen
Finanzlandesdirektion für Kärnten
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. La Pergola, L. Sevón, M. Wathelet (Berichterstatter) und C. W. A. Timmermans,
Generalanwalt: J. Mischo
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Adria-Wien Pipeline GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt W.-D. Arnold,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,
- der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz, P. F. Nemitz und J. M. Flett als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Adria-Wien Pipeline GmbH, der österreichischen Regierung, der dänischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 15. März 2001,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Mai 2001,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 10. März 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 21. April 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Adria-Wien Pipeline GmbH und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke GmbH einerseits und der Finanzlandesdirektion für Kärnten andererseits über die Vergütung von Energieabgaben.
3 Anlässlich einer Steuerreform wurden von der Republik Österreich im Rahmen des Strukturanpassungsgesetzes 1996 (BGBl 1996, Nr. 201) drei Gesetze gleichzeitig erlassen, veröffentlicht und in Kraft gesetzt:
- das Elektrizitätsabgabegesetz (im Folgenden: EAG);
- das Erdgasabgabegesetz (im Folgenden: EGAG);
- das Energieabgabenvergütungsgesetz (im Folgenden: EAVG).
4 Das EAG sieht eine Abgabe auf elektrische Energie in Höhe von 0,00726728 Euro je Kilowattstunde vor. Nach § 1 Absatz 1 EAG unterliegen der Elektrizitätsabgabe
- die Lieferung von elektrischer Energie, ausgenommen an Elektrizitätsversorgungsunternehmen, und
- der Verbrauch von elektrischer Energie durch Elektrizitätsversorgungsunternehmen sowie der Verbrauch von selbst hergestellter oder in das Steuergebiet verbrachter elektrischer Energie.
5 Nach § 6 Absatz 3 EAG wälzt der Lieferer der Elektrizität die Abgabe auf den Empfänger ab.
6 Das EGAG sieht entsprechende Vorschriften für die Lieferung und den Verbrauch von Erdgas vor.
7 Das EAVG sieht eine teilweise Vergütung der nach dem EGAG und dem EAG auf Erdgas und elektrische Energie erhobenen Energieabgaben vor. Nach § 1 Absatz 1 EAVG sind diese Abgaben auf Antrag insoweit zu vergüten, als sie insgesamt 0,35 % des Nettoproduktionswerts des Energieverbrauchers übersteigen. Der Vergütungsbetrag wird abzüglich eines Selbstbehalts von höchstens 5 000 ATS gutgeschrieben.
8 Nach § 2 Absatz 1 EAVG haben jedoch nur solche Unternehmen einen Anspruch auf Energieabgabenvergütung, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern besteht.
9 Vergütungsanträge von Unternehmen, die diese letztgenannte Voraussetzung nicht erfuellten, wurden abgewiesen. So verhielt es sich bei Adria-Wien Pipeline GmbH, erste Beschwerdeführerin, deren Tätigkeit u. a. im Bau und Betrieb von Transportleitungen für Rohöl besteht.
10 Der mit den Beschwerden gegen die Ablehnung der Vergütung von Energieabgaben befasste Verfassungsgerichtshof fragt sich, ob es sich bei den Bestimmungen des EAVG um eine Beihilfe im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag handelt.
11 Der Verfassungsgerichtshof hat insbesondere Zweifel daran, ob die Energieabgabenvergütung selektiv ist. Seiner Ansicht nach ist ungeklärt, ob die Unterscheidung bei der Vergütung dieser Abgaben zwischen Unternehmen, die körperliche Güter herstellen, und solchen, die Dienstleistungen erbringen, bereits dazu führt, dass die Maßnahme selektiv wird, und dementsprechend geeignet ist, sie den für staatliche Beihilfen geltenden Vorschriften zu unterstellen.
12 Bejahendenfalls fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Qualifikation als Beihilfe auch dann anzunehmen wäre, wenn allen Unternehmen eine Vergütung der Energieabgaben zugute käme.
13 Der Verfassungsgerichtshof hat dem Gerichtshof daher folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind gesetzliche Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie vorsehen, diese Vergütung aber nur Unternehmen gewähren, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht, als staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag anzusehen?
2. Bei Bejahung der ersten Frage: Ist eine derartige gesetzliche Maßnahme auch dann als Beihilfe gemäß Artikel 92 EG-Vertrag anzusehen, wenn sie allen Unternehmen ohne Rücksicht darauf gewährt wird, ob deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht?
Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen
14 Die österreichische Regierung stellt sich angesichts der Verteilung der Zuständigkeiten in der österreichischen Gerichtsbarkeit die Frage, ob die Vorlagefragen für die Ausgangsverfahren erheblich seien.
15 Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz teile die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Bescheiden zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof auf. Der Verfassungsgerichtshof dürfe nur qualifizierte und damit auch offenkundige Verletzungen einfacher Rechtsvorschriften als Verfassungswidrigkeiten aufgreifen. Von diesen Fällen abgesehen, müsse er die Rechtskontrolle dem Verwaltungsgerichtshof überlassen.
16 Selbst wenn die streitige Maßnahme eine Beihilfe wäre, hätte der nationale Gesetzgeber die einschlägigen Gemeinschaftsbestimmungen nicht offenkundig missachtet. Wie sich aus der Begründung des Vorlagebeschlusses ergebe, hege der Verfassungsgerichtshof insofern selbst Zweifel. Dieser sei daher für die Entscheidung der Ausgangsverfahren nicht zuständig.
17 Nach ständiger Rechtsprechung ist es Sache der mit einem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Dieser kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts jedoch u. a. dann ablehnen, wenn die von diesem erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht (vgl. z. B. Urteil vom 13. März 2001 in der Rechtssache C-379/98, PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Randnrn. 38 und 39).
18 So verhält es sich in den Ausgangsverfahren aber nicht. Diese beziehen sich auf nationale Vorschriften, die eine Vergütung von Energieabgaben vorsehen; das vorlegende Gericht möchte wissen, ob diese Vergütung eine Beihilfe im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag darstellt.
19 Im Übrigen ist es, was die angebliche Unzuständigkeit des vorlegenden Gerichts angeht, nicht Sache des Gerichtshofes, zu prüfen, ob die Vorlageentscheidung den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das gerichtliche Verfahren entspricht (vgl. Urteile vom 14. Januar 1982 in der Rechtssache 65/81, Reina, Slg. 1982, 33, Randnr. 7, vom 20. Oktober 1993 in der Rechtssache C-10/92, Balocchi, Slg. 1993, I-5105, Randnr. 16, und vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-39/94, SFEI u. a., Slg. 1996, I-3547, Randnr. 24).
20 Nach alledem sind die vom Verfassungsgerichtshof vorgelegten Fragen zulässig.
Zu den Fragen
Vorbemerkungen
21 Vorab sind das durch den EG-Vertrag geschaffene System der Kontrolle von staatlichen Beihilfen und die Rollen darzustellen, die die Kommission und die nationalen Gerichte bei der Umsetzung dieses Systems unter der Kontrolle des Gerichtshofes übernehmen.
22 Nach Artikel 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g EG) umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt. In diesem Rahmen erklärt Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
23 Um die Wirksamkeit dieses Verbotes sicherzustellen, erlegt Artikel 93 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 EG) der Kommission eine spezifische Kontrollpflicht und den Mitgliedstaaten präzise Verpflichtungen auf, um diese Aufgabe der Kommission zu erleichtern und um zu verhindern, dass sie vor vollendete Tatsachen gestellt wird.
24 Nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag ist die Kommission von der beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig zu unterrichten, dass sie sich dazu äußern kann. Im Anschluss daran hat die Kommission unverzüglich das in Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehene kontradiktorische Verfahren einzuleiten, wenn sie der Auffassung ist, dass das notifizierte Vorhaben mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist. Schließlich untersagt Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag dem Mitgliedstaat unzweideutig, die beabsichtigte Maßnahme durchzuführen, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat.
25 Wie der Gerichtshof insbesondere in seinem Beschluss vom 20. September 1983 in der Rechtssache 171/83 R (Kommission/Frankreich, Slg. 1983, 2621, Randnr. 12) hervorgehoben hat, sichert Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag den durch diesen Artikel eingeführten Kontrollmechanismus, der seinerseits für die Gewährleistung des Funktionierens des Gemeinsamen Marktes wesentlich ist.
26 Das Tätigwerden der nationalen Gerichte im System der Kontrolle von staatlichen Beihilfen beruht auf der unmittelbaren Wirkung, die dem in Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag ausgesprochenen Verbot, beabsichtigte Beihilfemaßnahmen durchzuführen, zukommt.
27 Die nationalen Gerichte müssen zugunsten der Einzelnen entsprechend ihrem nationalen Recht aus einer Verletzung dieser Bestimmung sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Rückforderung der unter Verletzung dieser Bestimmung gewährten finanziellen Unterstützungen oder eventueller vorläufiger Maßnahmen ziehen (vgl. Urteil vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-354/90, Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, Slg. 1991, I-5505, Randnr. 12).
28 Da sich der Verfassungsgerichtshof der oben dargelegten Grundsätze bewusst war, hat er dem Gerichtshof nur zu dem Zweck Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, gegebenenfalls die Folgerungen aus der Nichtbeachtung des Artikels 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag ziehen zu können, da die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften der Kommission nicht notifiziert wurden.
29 Hierfür müssen die nationalen Gerichte bestimmen, ob eine nationale Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne des Vertrages zu qualifizieren ist; sie können sich dabei aber nicht zur Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt äußern, da für diese Beurteilung die Kommission vorbehaltlich der Kontrolle des Gerichtshofes ausschließlich zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, Randnr. 14).
30 Das grundsätzliche Verbot von staatlichen Beihilfen ist weder absolut noch unbedingt. So räumt Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag der Kommission einen weiten Spielraum bei der Entscheidung ein, bestimmte Beihilfen unter Abweichung von dem allgemeinen Verbot des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären.
31 Dabei können die Erfordernisse des Umweltschutzes ein Ziel darstellen, aufgrund dessen bestimmte staatliche Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden können (vgl. insbesondere die Mitteilung der Kommission über den Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen, ABl. 1994, C 72, S. 3).
32 Nach alledem kann die Antwort, die der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht im Hinblick auf die mögliche Qualifizierung der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen als staatliche Beihilfe gibt, der Entscheidung über deren Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag nicht vorgreifen.
Zur zweiten Frage
33 Mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu behandeln ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nationale Maßnahmen wie diejenigen der Ausgangsverfahren staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag darstellen, wenn sie allen Unternehmen im Inland unabhängig vom Gegenstand ihrer Tätigkeit gewährt werden.
34 Wie aus dem Wortlaut des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag hervorgeht, hat ein von einem Mitgliedstaat gewährter wirtschaftlicher Vorteil nur dann Beihilfecharakter, wenn er, gekennzeichnet durch eine gewisse Selektivität, geeignet ist, bestimmte... Unternehmen oder Produktionszweige" zu begünstigen.
35 Demzufolge kann eine staatliche Maßnahme, die unterschiedslos allen Unternehmen im Inland zugute kommt, keine staatliche Beihilfe darstellen.
36 Daher ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass nationale Maßnahmen wie diejenigen der Ausgangsverfahren keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag darstellen, wenn sie allen Unternehmen im Inland unabhängig vom Gegenstand ihrer Tätigkeit gewährt werden.
Zur ersten Frage
37 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nationale Maßnahmen, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie nur für Unternehmen vorsehen, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Güter besteht, als staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag anzusehen sind.
38 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff der Beihilfe weiter als der Begriff der Subvention. Er umfasst nicht nur positive Leistungen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (vgl. Urteile vom 23. Februar 1961 in der Rechtssache 30/59, De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, Slg. 1961, 3, 43, vom 15. März 1994 in der Rechtssache C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994, I-877, Randnr. 13, und vom 1. Dezember 1998 in der Rechtssache C-200/97, Ecotrade, Slg. 1998, I-7907, Randnr. 34).
39 In Anwendung dieser Grundsätze hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Festsetzung eines Tarifs für eine Energiequelle zugunsten einer Gruppe von Betrieben auf einem niedrigeren Niveau als üblich als staatliche Beihilfe angesehen werden kann, wenn die festsetzende Stelle unter der Kontrolle und nach Richtlinien der öffentlichen Gewalt handelt und der Tarif deswegen dem betroffenen Mitgliedstaat zuzurechnen ist und dieser anders als ein normaler Wirtschaftsteilnehmer seine Macht dafür einsetzt, den Energieverbrauchern dadurch einen finanziellen Vorteil zukommen zu lassen, dass er auf einen Gewinn verzichtet, den er üblicherweise erzielen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Februar 1988 in den Rechtssachen 67/85, 68/85 und 70/85, Van der Kooy u. a./Kommission, Slg. 1988, 219, Randnr. 28).
40 Daher kann die Lieferung von Energie zu Vorzugsbedingungen an Unternehmen, die körperliche Güter herstellen, worauf nationale Rechtsvorschriften wie diejenigen der Ausgangsverfahren hinauslaufen, eine staatliche Beihilfe darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil SFEI u. a., Randnr. 59).
41 Für die Anwendung des Artikels 92 EG-Vertrag kommt es nicht darauf an, ob sich die Situation des durch die Maßnahme angeblich Begünstigten im Vergleich zur vorherigen Rechtslage verbessert oder verschlechtert hat oder ob sie im Gegenteil unverändert geblieben ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 1988 in der Rechtssache 57/86, Griechenland/Kommission, Slg. 1988, 2855, Randnr. 10). Es ist lediglich festzustellen, ob eine staatliche Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, bestimmte... Unternehmen oder Produktionszweige" im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag gegenüber anderen Unternehmen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Maßnahme verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, zu begünstigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 1999 in der Rechtssache C-75/97, Belgien/Kommission, Slg. 1999, I-3671, Randnrn. 28 bis 31).
42 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist diese Voraussetzung der Selektivität bei einer Maßnahme nicht gegeben, die zwar einen Vorteil für den Begünstigten darstellt, aber durch das Wesen oder die allgemeinen Zwecke des Systems, zu dem sie gehört, gerechtfertigt ist (vgl. Urteile vom 2. Juli 1974 in der Rechtssache 173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, 709, Randnr. 33, und Belgien/Kommission, Randnr. 33).
43 Hierzu macht die österreichische Regierung geltend, die Einführung der Energiesteuern und die damit verbundene teilweise Rücknahme der Energiebesteuerung seien nicht isoliert erfolgt, sondern hätten einen Teil eines umfassenden Maßnahmenpakets zur Budgetkonsolidierung, des Strukturanpassungsgesetzes 1996, dargestellt. Dieses Paket bestehe aus umfassenden, sozial ausgewogenen, alle gesellschaftlichen und beruflichen Gruppen einbeziehenden Maßnahmen und müsse in seiner Gesamtheit gesehen werden.
44 Es komme bei derartigen Gesamtpaketen häufig vor, dass neue Maßnahmen, die eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern unverhältnismäßig träfen, in der Einführungsphase auf diese nicht in vollem Umfang angewandt würden. Die Beschränkung der Energieabgabenvergütung auf Unternehmen, die körperliche Güter herstellten, erkläre sich aus der Tatsache, dass diese Unternehmen im Vergleich zu anderen durch diese Abgaben überproportional belastet worden seien.
45 Einer derartigen Maßnahme, die an objektive Kriterien gebunden sei und in deren Genuss eine sehr große Anzahl von Unternehmen komme, fehle es an der nach Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag erforderlichen Selektivität.
46 Die dänische Regierung ist ebenfalls der Auffassung, die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden österreichischen Vorschriften stellten allgemeine Maßnahmen dar, die nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag fielen.
47 Die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Erhebung von Energieabgaben, die einen allgemeinen Anwendungsbereich hätten, erfolge auf der Grundlage objektiver Kriterien. Die Vorschriften über die Vergütung dieser Abgaben seien Teil der Energieabgabenregelung insgesamt. Da schließlich der Gesetzgeber die Voraussetzungen der Vergütung selbst festgelegt habe, könne die Verwaltung weder die begünstigten Unternehmen nach ihrem Ermessen auswählen noch den konkreten Umfang der Vergütung bestimmen.
48 Zunächst kann eine staatliche Initiative weder aufgrund der großen Zahl der begünstigten Unternehmen noch aufgrund der Verschiedenartigkeit und der Bedeutung der Wirtschaftszweige, zu denen diese Unternehmen gehören, als eine allgemeine wirtschaftspolitische Maßnahme angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Belgien/Kommission, Randnr. 32).
49 Ferner findet die Gewährung von Vorteilen an Unternehmen, deren Schwerpunkt in der Herstellung körperlicher Güter besteht, in dem Wesen oder den allgemeinen Zwecken des Steuersystems, das mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 eingeführt wurde, keine Rechtfertigung.
50 Zum einen können nämlich Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen, genauso wie Unternehmen, die körperliche Güter herstellen, Energiegroßverbraucher sein und Energieabgaben aufwenden, die über 0,35 % des Nettoproduktionswerts liegen, was Unternehmen, die hauptsächlich körperliche Güter herstellen, bereits einen Anspruch auf Vergütung von Energieabgaben gibt.
51 Dabei ergeben sich aus dem nationalen Recht keine Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung, nach der nur Unternehmen Anspruch auf Vergütung haben, die hauptsächlich körperliche Güter herstellen, eine vorübergehende Maßnahme wäre, die diesen Unternehmen die allmähliche Anpassung an die neue Regelung ermöglichen sollte, weil sie durch diese im Verhältnis stärker betroffen sind, wie dies die österreichische Regierung vorträgt.
52 Zum anderen rechtfertigen die Erwägungen des Umweltschutzes, die den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften zugrunde liegen, es nicht, die Nutzung von Erdgas oder elektrischer Energie durch den Wirtschaftszweig der dienstleistenden Unternehmen anders zu behandeln als die Nutzung dieser Energien durch den Wirtschaftszweig der gütererzeugenden Unternehmen. Ihr Energieverbrauch ist gleichermaßen schädlich für die Umwelt.
53 Somit ist das in den hier fraglichen nationalen Rechtsvorschriften verwendete Unterscheidungskriterium zwar objektiv, aber weder durch deren Wesen noch durch deren allgemeine Zwecke gerechtfertigt, so dass es der streitigen Maßnahme ihren Beihilfecharakter nicht nimmt.
54 Wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, ergibt sich im Übrigen aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, die den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften zugrunde liegt, dass die Gewährung von vorteilhaften Bedingungen an den Wirtschaftszweig der gütererzeugenden Unternehmen dessen Konkurrenzfähigkeit, vor allem innerhalb der Gemeinschaft, bewahren sollte.
55 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass nationale Maßnahmen, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie nur für Unternehmen vorsehen, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Güter besteht, als staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag anzusehen sind.
Kostenentscheidung:
Kosten
56 Die Auslagen der österreichischen, der dänischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 10. März 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Nationale Maßnahmen, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie vorsehen, stellen keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) dar, wenn sie allen Unternehmen im Inland unabhängig vom Gegenstand ihrer Tätigkeit gewährt werden.
2. Nationale Maßnahmen, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie nur für Unternehmen vorsehen, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Güter besteht, sind als staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag anzusehen.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.