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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.12.1992
Aktenzeichen: C-144/91
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag
Vorschriften:
EWG-Vertrag Art. 12 | |
EWG-Vertrag Art. 95 | |
EWG-Vertrag Art. 92 |
1. Ein Pflichtbeitrag, der eine parafiskalische Abgabe darstellt, der unter den gleichen Voraussetzungen auf inländische und auf eingeführte Erzeugnisse erhoben wird und dessen Aufkommen nur zugunsten der inländischen Erzeugnisse verwandt wird, so daß die daraus entstehenden Vorteile die Belastung dieser Erzeugnisse vollständig ausgleichen, stellt eine nach Artikel 12 des Vertrages verbotene Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Zoll dar. Gleichen die gewährten Vorteile nur einen Teil der Belastung der inländischen Erzeugnisse aus, so stellt eine solche Abgabe eine diskriminierende Abgabe im Sinne von Artikel 95 des Vertrages dar, deren Erhebung für den Teil ihres Betrages verboten ist, der für den Ausgleich verwendet wird, der den inländischen Erzeugnissen zugute kommt.
2. Die Artikel 12, 13 und 95 des Vertrages haben unmittelbare Wirkung und begründen Rechte der einzelnen, die die nationalen Gerichte zu schützen haben.
3. Ein Pflichtbeitrag, der eine parafiskalische Abgabe darstellt, der unter den gleichen Voraussetzungen auf inländische und auf eingeführte Erzeugnisse erhoben wird, und dessen Aufkommen nur zugunsten der inländischen Erzeugnisse verwandt wird, so daß die daraus entstehenden Vorteile die Belastung dieser Erzeugnisse ausgleichen, kann in Anbetracht der Verwendung seines Aufkommens eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellen, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 92 des Vertrages erfuellt sind, wobei für diese Beurteilung die Kommission nach dem hierfür vorgesehenen Verfahren gemäß Artikel 93 des Vertrages zuständig ist. In diesem Zusammenhang sind auch die Zuständigkeiten des nationalen Gerichts zu berücksichtigen, wenn der betroffene Mitgliedstaat bei der Einführung der Abgabe seine Verpflichtungen aus Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages verletzt hat und wenn die Kommission durch eine Entscheidung nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages festgestellt hat, daß die Erhebung der Abgabe als Methode der Finanzierung einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 16. DEZEMBER 1992. - GILBERT DEMOOR EN ZONEN NV UND ANDERE GEGEN BELGISCHER STAAT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RECHTBANK VAN EERSTE AANLEG BRUSSEL - BELGIEN. - PARAFISKALISCHE ABGABEN - PFLICHTBEITRAEGE ZUR UNTERSTUETZUNG EINES FONDS FUER DIE TIERGESUNDHEIT UND DIE TIERERZEUGUNG. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-144/91 UND C-145/91.
Entscheidungsgründe:
1 Die Rechtbank van eerste aanleg Brüssel hat mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 3. Mai 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Mai 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag Fragen nach der Auslegung der Artikel 12, 92 und 95 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen einigen Unternehmen, die mit Schweinen handeln, und dem belgischen Staat über die Rechtmässigkeit eines Pflichtbeitrags, der in Belgien bei der Schlachtung oder der Ausfuhr von Rindern, Kälbern und Schweinen zugunsten des "Fonds voor de gezondheit en de produktie van dieren" (Fonds für die Tiergesundheit und die Tiererzeugung) erhoben wird.
3 Ziel des belgischen Gesetzes vom 24. März 1987 betreffend die Tiergesundheit (Moniteur belge vom 17. April 1987) ist nach seinem Artikel 2 die "Bekämpfung von Tierkrankheiten zur Förderung der Volksgesundheit und des wirtschaftlichen Wohlergehens der Tierhalter zu fördern".
4 Artikel 32 § 2 dieses Gesetzes bestimmt:
"Beim Landwirtschaftsministerium wird ein 'Fonds für die Tiergesundheit und die Tiererzeugung' eingerichtet, der im folgenden als 'Fonds' bezeichnet wird. Der Fonds soll zur Finanzierung von Vergütungen, Zuschüssen und anderen Leistungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Tierkrankheiten und der Verbesserung der Hygiene mit der Gesundheit und der Qualität von Tieren und tierischen Erzeugnissen beitragen.
Der Fonds erhält seine Mittel aus:
1) Pflichtbeiträgen natürlicher oder juristischer Personen, die Tiere oder tierische Erzeugnisse erzeugen, verarbeiten, befördern, bearbeiten, verkaufen oder damit handeln;
..."
5 Diese Bestimmung sieht ferner vor, daß die Höhe dieser Pflichtbeiträge, die Modalitäten ihrer Erhebung und die Sanktionen bei Nichtzahlung durch eine Königliche Verordnung festgelegt werden.
6 Artikel 32 § 2 Absatz 9 bestimmt:
"Wird der Pflichtbeitrag bei Personen erhoben, die Tiere oder tierische Erzeugnisse verarbeiten, befördern, bearbeiten, verkaufen oder damit handeln, so wird er bei jedem Verkaufsvorgang bis zur Erzeugerstufe abgewälzt."
7 In Durchführung dieses Gesetzes legt die am 1. Januar 1988 in Kraft getretene Königliche Verordnung vom 11. Dezember 1987 (Belgisch Staatsblad vom 23. Dezember 1987) die Höhe dieses Pflichtbeitrages pro geschlachtetes oder ausgeführtes Rind, Kalb oder Schwein fest; der Beitrag wird zur Finanzierung des Fonds bei den Schlachthöfen oder den Exporteuren erhoben.
8 Artikel 4 Absatz 1 dieser Verordnung bestimmt: "Die Pflichtbeiträge der Schlachthöfe und Exporteure werden auf den Lieferanten der Tiere abgewälzt, der diese Beiträge gegebenenfalls auf den Verkäufer bis zum Erzeuger abwälzt." Nach Artikel 4 Absatz 2 ist der Beitrag auf der Rechnung des Schlachthofes oder des Exporteurs gesondert auszuweisen. Ausserdem sieht die Königliche Verordnung vor, daß der betreffende Schlachthof oder Exporteur bei Nichtzahlung der Beiträge nach zwei Mahnungen das Doppelte des geschuldeten Betrages zu zahlen hat.
9 Nach den Akten handelt es sich bei den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens um belgische Unternehmen, die Schweine aus anderen Mitgliedstaaten zur Schlachtung in Belgien einführen. Nachdem sie von der belgischen Verwaltung zur Entrichtung ihrer Beiträge aufgefordert worden waren, stellten sie im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes bei der Rechtbank van eerste aanleg Brüssel den Antrag, dem belgischen Staat die Erhebung der Beiträge für eingeführte Tiere zu verbieten, weil das Gesetz vom 24. März 1987 und die Königliche Verordnung vom 11. Dezember 1987 unvereinbar mit den Artikeln 92 und 95 des Vertrages seien. Diese Beiträge würden nämlich auch auf nach Belgien eingeführte Schweine erhoben, obwohl die Mittel des Fonds allein zugunsten der belgischen Erzeugung verwendet würden.
10 Die Rechtbank van eerste aanleg Brüssel hat daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1) Sind der EWG-Vertrag, insbesondere die Artikel 92 und 95, und in diesem Zusammenhang anwendbare Gemeinschaftsverordnungen und -richtlinien dahin auszulegen, daß es einem Mitgliedstaat verboten ist, einen bestimmten Pflichtbeitrag zur Unterstützung eines "Fonds für die Tiergesundheit und die Tiererzeugung", dessen Zweck darin besteht, zur Finanzierung von Vergütungen, Zuschüssen und anderen Leistungen in bezug auf die Bekämpfung von Tierkrankheiten und die Verbesserung der Hygiene, der Gesundheit und der Qualität von Tieren und tierischen Erzeugnissen beizutragen dergestalt einzuführen, daß einerseits von Schlachthöfen dieses Mitgliedstaats ein Betrag je geschlachtetes Schwein erhoben wird, wobei gesetzlich bestimmt ist, daß dieser Pflichtbeitrag bei jedem Verkaufsgeschäft bis zur Erzeugerstufe abgewälzt wird ° was dazu führen kann und führt, daß Importeure dieser Schweine aus einem anderen Mitgliedstaat mit diesem Unterstützungsbeitrag belastet werden ° und andererseits bei jeder Ausfuhr von Schweinen der gleiche Unterstützungsbeitrag erhoben wird, der in gleicher Weise bei jedem Verkaufsgeschäft bis zur Erzeugerstufe abgewälzt werden kann?
2) Falls die erste Frage bejaht wird: Ist ein derartiger Unterstützungsbeitrag ° angesichts seines vorstehend beschriebenen Erhebungszwecks ° als Abgabe gleicher Wirkung, Steuer und/oder Unterstützung von Tätigkeiten, die nur zugunsten des hiervon betroffenen inländischen Erzeugnisses durchgeführt werden, anzusehen und deshalb verboten?
3) Falls die zweite Frage bejaht wird: Kann sich ein einzelner hierauf vor dem nationalen Gericht unmittelbar berufen?
11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der streitigen nationalen Regelung und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
12 Die Fragen des vorlegenden Gerichts gehen im wesentlichen dahin, ob die Artikel 12 ff., 92 und 95 des Vertrages der Einführung eines Pflichtbeitrags entgegenstehen, der eine parafiskalische Abgabe darstellt, mit der inländische und eingeführte Erzeugnisse ohne Unterschied nach den gleichen Erhebungsmodalitäten zugunsten eines Fonds belastet werden, dessen Tätigkeiten nur den inländischen Erzeugnissen zugute kommen. Das Gericht fragt ausserdem, ob diese Vorschriften unmittelbare Wirkung haben.
13 Um diese Frage sachgerecht beantworten zu können, sind zunächst die Artikel 12 ff. und 95 des Vertrages und dann Artikel 92 des Vertrages zu prüfen.
Zu den Artikeln 12 ff. und 95 des Vertrages
14 Da die Vorschriften des Vertrages über Abgaben gleicher Wirkung und diejenigen über diskriminierende inländische Abgaben nicht kumulativ angewendet werden können (vgl. Urteile vom 18. Juni 1975 in der Rechtssache 94/74, IGAV, Slg. 1975, 699, und vom 11. Juni 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-149/91 und C-150/91, Sanders, Slg. 1992, I-3899), ist der jeweilige Anwendungsbereich dieser Vorschriften zu definieren.
15 Die Artikel 12 und 13 des Vertrages verbieten Einfuhr- und Ausfuhrzölle sowie Abgaben gleicher Wirkung im Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Was Einfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung angeht, hat der Gerichtshof festgestellt (Urteile vom 19. Juni 1973 in der Rechtssache 77/72, Capolongo, Slg. 1973, 611, vom 11. März 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-78/90 bis C-83/90, Compagnie Commerciale de l' Oüst, Slg. 1992, I-1847 und vom 11. Juni 1992, Sanders, a. a. O.), daß dieses Verbot sich grundsätzlich auf alle anläßlich und wegen der Einfuhr geforderten Abgaben bezieht, die eingeführte Waren, nicht aber gleichartige inländische Waren spezifisch treffen, und daß auch Geldlasten, die zur Finanzierung der Tätigkeit einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bestimmt sind, Abgaben zollgleicher Wirkung darstellen können.
16 Der Gerichtshof hat in diesen Urteilen ausgeführt, daß es bei der Auslegung des Begriffs "Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll" gegebenenfalls angebracht ist, den Bestimmungszweck der auferlegten Geldlasten zu berücksichtigen. Wenn nämlich eine solche finanzielle Belastung oder ein solcher Beitrag ausschließlich dazu bestimmt ist, Tätigkeiten zu fördern, die allein den belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommen, dann kann sich daraus ergeben, daß der allgemeine Beitrag, der nach denselben Kriterien auf eingeführte und inländische Erzeugnisse erhoben wird, dennoch für die einen eine zusätzliche Nettobelastung bedeutet, während er für die anderen in Wirklichkeit eine Gegenleistung für erhaltene Vorteile oder Beihilfen darstellt. Folglich kann ein Beitrag, auch wenn er Bestandteil einer allgemeinen inländischen Abgabenregelung ist, die inländische und eingeführte Erzeugnisse nach denselben Kriterien erfasst, trotzdem eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll darstellen, sofern das Aufkommen aus diesem Beitrag ausschließlich dazu bestimmt ist, Tätigkeiten zu fördern, die in spezifischer Weise den erfassten inländischen Erzeugnissen zugute kommen.
17 Artikel 95 verbietet es den Mitgliedstaaten, auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar höhere inländische Abgaben zu erheben, als gleichartige inländische Waren zu tragen haben, oder Abgaben, die geeignet sind, andere inländische Produktionen zu schützen. Das Kriterium für die Anwendung dieser Vorschrift besteht folglich darin, ob eine inländische Abgabe diskriminierenden oder schützenden Charakter hat (Urteil Compagnie Commerciale de l' Oüst, a. a. O., Randnr. 25).
18 In bezug auf eine Abgabe, die auf inländische und eingeführte Erzeugnisse nach denselben Kriterien erhoben wird, kann es jedoch nach ständiger Rechtsprechung angebracht sein, den Bestimmungszweck des Aufkommens aus der Abgabe zu berücksichtigen. Wenn nämlich das Aufkommen aus einer solchen Abgabe dazu bestimmt ist, Tätigkeiten zu fördern, die speziell den belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommen, dann kann sich daraus ergeben, daß der Beitrag, der nach denselben Kriterien erhoben wird, dennoch insoweit eine diskriminierende Besteuerung bedeutet, als die steuerliche Belastung der inländischen Erzeugnisse durch die Vorteile, zu deren Finanzierung sie dient, aufgehoben wird, während sie für die eingeführten Erzeugnisse eine Nettobelastung darstellt (Urteile vom 21. Mai 1980 in der Rechtssache 73/79, Kommission/Italien, Slg. 1980, 1533, Randnr. 15, und Compagnie Commerciale de l' Oüst, a. a. O., Randnr. 26).
19 Wenn die Vorteile, die sich aus der Verwendung des Aufkommens der betreffenden Abgabe ergeben, die Belastung des inländischen Erzeugnisses bei seinem Inverkehrbringen vollständig ausgleichen, stellt diese Abgabe somit eine gegen die Artikel 12 ff. des Vertrages verstossende Abgabe zollgleicher Wirkung dar. Wenn diese Vorteile dagegen nur einen Teil der Belastung des inländischen Erzeugnisses ausgleichen, fällt die betreffende Abgabe unter Artikel 95 des Vertrages. In diesem Fall wäre die Abgabe insoweit unvereinbar mit Artikel 95 des Vertrages und daher verboten, als sie zum Nachteil des eingeführten Erzeugnisses diskriminierend ist, also insoweit, als sie die Belastung des erfassten inländischen Erzeugnisses teilweise ausgleicht (vgl. zuletzt Urteil Sanders, a. a. O.).
20 Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Belastung des inländischen Erzeugnisses vollständig oder teilweise durch die Verwendung der Einnahmen aus der betreffenden Abgabe in der Weise ausgeglichen wird, daß sie den inländischen Erzeugnisses zugute kommt (Urteil Compagnie Commerciale de l' Oüst, a. a. O., Randnr. 28).
21 Nach alledem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß ein Pflichtbeitrag, der eine parafiskalische Abgabe darstellt, der unter den gleichen Voraussetzungen auf inländische und auf eingeführte Erzeugnisse erhoben wird und dessen Aufkommen nur zugunsten der inländischen Erzeugnisse verwandt wird, so daß die daraus entstehenden Vorteile die Belastung dieser Erzeugnisse vollständig ausgleichen, eine nach Artikel 12 des Vertrages verbotene Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Zoll darstellt. Gleichen diese Vorteile nur einen Teil der Belastung der inländischen Erzeugnisse aus, so stellt eine solche Abgabe eine nach Artikel 95 des Vertrages verbotene diskriminierende Abgabe dar.
22 Schließlich ist festzustellen, daß die Artikel 12, 13 und 95 des Vertrages nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes unmittelbare Wirkung haben und für die einzelnen Rechte begründen, die die nationalen Gerichte zu schützen haben (Urteil vom 5. Februar 1963 in der Rechtssache 26/62, Van Gend & Loos, Slg. 1963, 3, Urteil Capolongo, a. a. O., und Urteil vom 22. März 1977 in der Rechtssache 74/76, Ianelli, Slg. 1977, 557).
Zu den Artikeln 92 ff. des Vertrages
23 Das vorlegende Gericht fragt, ob eine parafiskalische Abgabe wie die in der vorliegenden Rechtssache betroffene mit den Vorschriften des Vertrages über staatliche Beihilfen vereinbar ist.
24 Die streitige parafiskalische Abgabe kann zwar entweder nach den Artikeln 12 und 13 oder nach Artikel 95 des Vertrages verboten sein, doch kann die Verwendung des Aufkommens aus der Abgabe eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellen, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 92 des Vertrages, so wie sie in der Rechtsprechung des Gerichtshofes ausgelegt werden, erfuellt sind (siehe Urteile Compagnie Commerciale de l' Oüst und Sanders, a. a. O.).
25 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Unvereinbarkeit von staatlichen Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt jedoch weder absolut noch unbedingt. Der Vertrag regelt in Artikel 93 die fortlaufende Überprüfung und die Kontrolle der Beihilfen durch die Kommission und geht somit davon aus, daß die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt in einem geeigneten Verfahren zu erfolgen hat, dessen Durchführung vorbehaltlich der Kontrolle durch den Gerichtshof Sache der Kommission ist. Dem einzelnen ist es daher verwehrt, sich auf Artikel 92 allein zu berufen, um die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinschaftsrecht vor einem nationalen Gericht geltend zu machen und zu beantragen, dieses Gericht möge eine solche Unvereinbarkeit unmittelbar oder inzidenter feststellen (Urteile vom 22. März 1977, Iannelli, a. a. O., und in der Rechtssache 78/76, Steinike und Weinlig, Slg. 1977, 595, sowie Urteile Compagnie Commerciale de l' Oüst und Sanders, a. a. O.).
26 Es ist jedoch Sache der nationalen Gerichte, die Rechte des einzelnen gegen eine mögliche Verletzung des in Artikel 93 Absatz 3 letzter Satz des Vertrages ausgesprochenen Verbots der Durchführung der Beihilfen, das unmittelbare Wirkung hat, durch die staatlichen Stellen zu schützen. Wird eine solche Verletzung von einem einzelnen, der hierzu berechtigt ist, geltend gemacht und von den nationalen Gerichten festgestellt, so müssen diese entsprechend ihrem nationalen Recht daraus alle Folgerungen sowohl für die Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch für die Wiedereinziehung der gewährten finanziellen Unterstützungen ziehen. Wenn diese Gerichte insoweit eine Entscheidung treffen, äussern sie sich dabei nicht zur Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt, da für diese abschließende Einschätzung ausschließlich die Kommission ° unter der Kontrolle des Gerichtshofes ° zuständig ist (Urteile vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-354/90, Fédération nationale du commerce extérieur, Slg. 1991, I-5505, und Sanders, a. a. O.).
27 Es ist auch Sache der nationalen Gerichte, die Rechte der einzelnen dadurch zu schützen, daß sie entsprechend ihrem nationalen Recht alle Folgerungen für die Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen und für die Wiedereinziehung der gewährten finanziellen Unterstützungen ziehen, wenn die Kommission durch Entscheidung gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages die Unvereinbarkeit einer Beihilfemaßnahme mit dem Gemeinsamen Markt feststellen sollte (Urteil Steinike und Weinlig, a. a. O.).
28 Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, daß eine parafiskalische Abgabe wie die im Ausgangsverfahren betroffene entsprechend der Verwendung ihres Aufkommens eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellen kann, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 92 des Vertrages erfuellt sind, wobei für diese Beurteilung die Kommission nach dem hierfür vorgesehenen Verfahren gemäß Artikel 93 des Vertrages zuständig ist. In diesem Zusammenhang sind auch die Zuständigkeiten des nationalen Gerichts zu berücksichtigen, wenn der betroffene Mitgliedstaat bei der Einführung der Abgabe seine Verpflichtungen aus Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages verletzt hat und wenn die Kommission durch eine Entscheidung nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages festgestellt hat, daß die Erhebung der Abgabe als Methode der Finanzierung einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist.
Kostenentscheidung:
Kosten
29 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm von der Rechtbank van eerste aanleg Brüssel mit Beschlüssen vom 3. Mai 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1) Ein Pflichtbeitrag, der eine parafiskalische Abgabe darstellt, der unter den gleichen Voraussetzungen auf inländische und auf eingeführte Erzeugnisse erhoben wird und dessen Aufkommen nur zugunsten der inländischen Erzeugnisse verwandt wird, so daß die daraus entstehenden Vorteile die Belastung dieser Erzeugnisse vollständig ausgleichen, stellt eine nach Artikel 12 des Vertrages verbotene Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Zoll dar. Gleichen die gewährten Vorteile nur einen Teil der Belastung der inländischen Erzeugnisse aus, so stellt eine solche Abgabe eine nach Artikel 95 des Vertrages verbotene diskriminierende Abgabe dar.
2) Die Artikel 12, 13 und 95 des Vertrages begründen Rechte der einzelnen, die die nationalen Gerichte zu schützen haben.
3) Eine solche parafiskalische Abgabe kann entsprechend der Verwendung ihres Aufkommens eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellen, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 92 des Vertrages erfuellt sind, wobei für diese Beurteilung die Kommission nach dem hierfür vorgesehenen Verfahren gemäß Artikel 93 des Vertrages zuständig ist. In diesem Zusammenhang sind auch die Zuständigkeiten des nationalen Gerichts zu berücksichtigen, wenn der betroffene Mitgliedstaat bei der Einführung der Abgabe seine Verpflichtungen aus Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages verletzt hat und wenn die Kommission durch eine Entscheidung nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages festgestellt hat, daß die Erhebung der Abgabe als Methode der Finanzierung einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist.
Ende der Entscheidung
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