Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.10.1997
Aktenzeichen: C-144/96
Rechtsgebiete: EGV, Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, Verordnung (EWG) Nr. 2001/83, belgischen Königlichen Verordnung vom 21. Dezember 1967 über die allgemeine Regelung der Alters- und Hinterbliebenenrenten von Arbeitnehmern


Vorschriften:

EGV Art. 177 (jetzt EGV Art. 234)
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 46
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 51
Verordnung (EWG) Nr. 2001/83
belgische Königliche Verordnung vom 21. Dezember 1967 über die allgemeine Regelung der Alters- und Hinterbliebenenrenten von Arbeitnehmern Art. 74 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Artikel 46 und 51 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung sind dahin auszulegen, daß sie es ausschließen, daß der Teil einer Leistung bei Alter eines Arbeitnehmers, der nach den in einem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften dem von diesem Arbeitnehmer getrennt lebenden Ehegatten gewährt wird, entsprechend den sich aus der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage ergebenden Anpassungen einer Leistung bei Invalidität, die dieser Ehegatte nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erhält, neu berechnet wird und dabei gekürzt wird.

Zum einen gilt Artikel 51 Absatz 1 nicht nur dann, wenn die Leistung, um deren Kürzung aufgrund von mit der Indexierung einer anderen Leistung zusammenhängenden Erhöhungen es geht, nach Artikel 46 festgestellt worden ist, sondern auch dann, wenn die Feststellung nach nationalen Vorschriften erfolgt ist.

Da die dem getrennt lebenden Ehegatten gewährte Leistung zum anderen nicht zu einer Regelung gehört, durch die die Unzulänglichkeit der dem Betroffenen zur Verfügung stehenden Einkünfte ausgeglichen werden soll, damit er über ein garantiertes gesetzliches Mindesteinkommen verfügen kann, führt die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 nicht zu einer Störung des Funktionierens einer solchen Regelung.

Schließlich kann der Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 nicht mit der Begründung, daß der Betroffene, dessen Leistung nicht neu berechnet werden darf, begünstigt werden kann, Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 entgegengehalten werden, der weder die Gleichbehandlung von Ehegatten vorsieht noch der Anwendung von nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die Nichtwanderarbeitnehmer gegenüber Wanderarbeitnehmern benachteiligen.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 2. Oktober 1997. - Office national des pensions (ONP) gegen Maria Cirotti. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour du travail de Bruxelles - Belgien. - Soziale Sicherheit - Artikel 46 und 51 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. - Rechtssache C-144/96.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour du travail Brüssel hat mit Urteil vom 25. April 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Mai 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 46 und 51 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung (im folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Cirotti und dem Office national des pensions (staatliches Rentenamt; im folgenden: ONP) über die Berechnung des Teils der Arbeitnehmeraltersrente ihres Ehemannes, auf die sie nach den belgischen Rechtsvorschriften Anspruch hat.

3 Frau Cirotti ist italienische Staatsangehörige. Sie bezieht eine Invaliditätsrente in Italien. Von Juli 1981 an erhielt sie in Belgien einen Teil der Arbeitnehmeraltersrente ihres Ehemannes, von dem sie tatsächlich getrennt lebte, gemäß Artikel 74 Absatz 2 der belgischen Königlichen Verordnung vom 21. Dezember 1967 über die allgemeine Regelung der Alters- und Hinterbliebenenrenten von Arbeitnehmern in der durch die Königliche Verordnung vom 3. Dezember 1970 geänderten Fassung (Moniteur belge vom 23. Dezember 1970).

4 In ihrer am 1. Juli 1981 geltenden Fassung sah diese Vorschrift vor:

"Der aufgrund gerichtlicher Entscheidung oder tatsächlich getrennt lebenden Ehefrau kann ein Teil der Altersrente ihres Ehemannes gezahlt werden, sofern

a) sie weder der elterlichen Gewalt für verlustig erklärt noch wegen eines Angriffs auf das Leben ihres Ehemannes verurteilt worden ist;

b) ihr eventueller Aufenthalt im Ausland der Zahlung der Arbeitnehmerrente nicht entgegensteht;

c) sie jede Berufstätigkeit mit Ausnahme der nach Artikel 64 zulässigen aufgegeben hat und sie keine Leistungen wegen Krankheit, Invalidität oder ungewollter Arbeitslosigkeit nach belgischen oder ausländischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit mit Ausnahme der Rechtsvorschriften über Körperbehinderte und Unfallverletzte erhält;

d) sie keine belgische oder ausländische Alters- oder Hinterbliebenenrente oder eine an deren Stelle tretende Vergünstigung oder eine Leistung für Körperbehinderte oder für Unfallverletzte erhält, die so hoch ist, daß die Anwendung des Absatzes 4 nicht zu einem Abzug von der Rente ihres Ehemannes zu ihren Gunsten führt."

5 In der durch die Königliche Verordnung vom 21. Mai 1991 (Moniteur belge vom 27. Juni 1991) geänderten Fassung bestimmt dieser Artikel:

"Dem aufgrund richterlicher Entscheidung oder tatsächlich getrennt lebenden Ehegatten kann ein Teil der Altersrente des anderen Ehegatten gezahlt werden, sofern

a) er weder der elterlichen Gewalt für verlustig erklärt noch wegen eines Angriffs auf das Leben des anderen Ehegatten verurteilt worden ist;

b) sein Wohnsitz im Ausland oder die Anwendung des Artikels 70 der Zahlung der Arbeitnehmerrente nicht entgegensteht;

c) er jede Berufstätigkeit ausser der nach Artikel 64 zulässigen aufgegeben hat und er keine Leistungen wegen Krankheit, Invalidität oder ungewollter Arbeitslosigkeit nach belgischen oder ausländischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit und auch keine Leistungen wegen Unterbrechung der beruflichen Laufbahn oder Beeinträchtigung der Arbeitsleistung erhält;

d) er keine Alters- oder Hinterbliebenenrente oder eine an deren Stelle tretende Vergünstigung aufgrund eines belgischen Systems, aufgrund eines ausländischen Systems oder aufgrund eines für das Personal einer Einrichtung des internationalen öffentlichen Rechts geltenden Systems erhält, die so hoch ist, daß die Anwendung der Absätze 3 und 4 zu keinem Abzug von der Rente des anderen Ehegatten zu seinen Gunsten führt."

6 Aus den Akten geht hervor, daß das ONP mit Bescheid vom 21. Dezember 1988 die Frau Cirotti gezahlten Leistungen aufgrund der zitierten Vorschriften kürzte, um den Erhöhungen ihrer italienischen Rente seit 1981 Rechnung zu tragen, die anscheinend mit der Indexierung zusammenhängen.

7 Mit Klageschrift vom 17. Januar 1989 focht Frau Cirotti diesen Bescheid des ONP beim Tribunal du travail Brüssel an; dieses gab ihrer Klage mit Urteil vom 17. Juni 1993 statt, wobei es die vom Gerichtshof im Urteil vom 20. März 1991 in der Rechtssache C-93/90 (Cassamali, Slg. 1991, I-1401) herausgearbeitete Auslegung auf den vorliegenden Fall übertrug. In diesem Urteil hat der Gerichtshof wie folgt für Recht erkannt: Ist die einem Arbeitnehmer von einem Mitgliedstaat gezahlte Rente aufgrund nationaler Antikumulierungsvorschriften so festgesetzt worden, daß sie kumuliert mit einer von einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Leistung gleich welcher Art einen bestimmten Hoechstbetrag nicht überschreitet, so darf sie bei späteren Änderungen der anderen Leistung aufgrund der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage weder gemäß Artikel 51 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 noch gemäß einer anderen gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift geändert werden, damit sie diesen Hoechstbetrag nicht überschreitet.

8 Mit Schriftsatz vom 9. Juli 1993 legte das ONP bei der Cour du travail Brüssel Berufung gegen dieses Urteil ein. Im Berufungsverfahren rügte der belgische Träger, daß das Gericht erster Instanz einen Analogieschluß gezogen habe. Der Anspruch des Ehegatten auf einen Teil der dem Arbeitnehmer gewährten Altersrente, der Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits sei, ähnele nämlich nicht einer persönlichen Hinterbliebenenrente, sondern einem garantierten Einkommen. Dieser Teil müsse folglich unter Berücksichtigung der Entwicklung des Einkommens des Ehegatten beurteilt werden und sich entsprechend den sonstigen Vergünstigungen der sozialen Sicherheit, die er gegebenenfalls in einem anderen Mitgliedstaat beziehe, ändern.

9 Ausserdem führe die analoge Anwendung der im Urteil Cassamali gewählten Lösung zu einer Einkommensungleichheit zwischen Ehegatten, weil das Einkommen des Ehegatten, der den Teil der Altersrente erhalte, bei Erhöhung der Leistung, die er persönlich in einem anderen Mitgliedstaat erhalte, insgesamt steige. Dieses Ergebnis stehe im Widerspruch zu Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71.

10 Diese Vorschrift bestimmt:

"Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen."

11 Artikel 46 der Verordnung Nr. 1408/71, der die Festsetzung der Altersrenten betrifft, lautet:

"(1) Der zuständige Träger jedes Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer oder Selbständigen galten und deren Voraussetzungen für den Leistungsanspruch auch ohne Anwendung von Artikel 45 und/oder Artikel 40 Absatz 3 erfuellt sind, bestimmt nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften den Leistungsbetrag unter Zugrundelegung aller nach diesen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Versicherungs- oder Wohnzeiten.

Dieser Träger hat auch den Leistungsbetrag zu berechnen, der sich nach Absatz 2 Buchstaben a) und b) ergeben würde. Nur der höhere dieser beiden Beträge wird berücksichtigt.

(2) Der zuständige Träger jedes Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer oder Selbständigen galten, wendet, wenn der Arbeitnehmer oder Selbständige nur nach Artikel 45 und/oder nach Artikel 40 Absatz 3 leistungsberechtigt ist, folgende Vorschriften an:

a) Der Träger berechnet den theoretischen Betrag der Leistung, auf die die betreffende Person Anspruch hätte, wenn alle nach den für den Arbeitnehmer oder Selbständigen geltenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und Wohnzeiten nur in dem betreffenden Staat und nach den für diesen Träger zum Zeitpunkt der Feststellung der Leistung geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Ist nach diesen Rechtsvorschriften der Betrag der Leistung von der Dauer der zurückgelegten Zeiten unabhängig, so gilt dieser Betrag als theoretischer Betrag;

b) der Träger ermittelt sodann den tatsächlich geschuldeten Betrag auf der Grundlage des nach Buchstabe a) errechneten theoretischen Betrages nach dem Verhältnis zwischen den nach seinen Rechtsvorschriften vor Eintritt des Versicherungsfalls zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten und den gesamten nach den Rechtsvorschriften aller beteiligten Mitgliedstaaten vor Eintritt des Versicherungsfalls zurückgelegten Versicherungs- und Wohnzeiten;

c) übersteigt die Gesamtdauer der vor Eintritt des Versicherungsfalls nach den Rechtsvorschriften aller beteiligten Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs - und Wohnzeiten die in den Rechtsvorschriften eines dieser Mitgliedstaaten für die Gewährung der vollen Leistung vorgeschriebene Hoechstdauer, so berücksichtigt der zuständige Träger dieses Staates bei Anwendung dieses Absatzes diese Hoechstdauer anstelle der Gesamtdauer dieser Zeiten; diese Berechnungsmethode kann den betreffenden Versicherungsträger nicht zur Gewährung einer Leistung verpflichten, deren Betrag die volle nach seinen Rechtsvorschriften vorgesehene Leistung übersteigt;

d) die Einzelheiten des Berechnungsverfahrens nach diesem Absatz für die Berücksichtigung der sich überschneidenden Zeiten werden in der in Artikel 98 vorgesehenen Durchführungsverordnung festgelegt.

(3) Die betreffende Person hat Anspruch auf die Summe der nach den Absätzen 1 und 2 berechneten Leistungsbeträge, wobei der höchste der nach Absatz 2 Buchstabe a) berechneten theoretischen Beträge die obere Grenze bildet.

Wird der in Unterabsatz 1 genannte Betrag überschritten, so berichtigt jeder Träger, der Absatz 1 anwendet, seine Leistung um einen Betrag, der dem Verhältnis zwischen der betreffenden Leistung und der Summe der nach Absatz 1 bestimmten Leistungen entspricht.

(4) Ist die Summe der Leistungsbeträge, die von zwei oder mehr Mitgliedstaaten der Gemeinschaft aufgrund eines mehrseitigen Abkommens über soziale Sicherheit im Sinne von Artikel 6 Buchstabe b) für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten zu zahlen ist, geringer als die Summe, die diese Mitgliedstaaten nach den Absätzen 1 bis 3 zu zahlen hätten, so gelten für den Berechtigten die Vorschriften dieses Kapitels."

12 Artikel 51 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

"(1) Der Prozentsatz oder Betrag, um den bei einem Anstieg der Lebenshaltungskosten, bei Änderung des Lohnniveaus oder aus anderen Anpassungsgründen die Leistungen in den betreffenden Mitgliedstaaten geändert werden, gilt unmittelbar für die nach Artikel 46 festgestellten Leistungen, ohne daß eine Neuberechnung nach Artikel 46 vorzunehmen ist.

(2) Bei Änderungen des Feststellungsverfahrens oder der Berechnungsmethode für die Leistungen ist dagegen eine Neuberechnung nach Artikel 46 vorzunehmen."

13 Das nationale Gericht ist der Ansicht, daß die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71 und insbesondere der Artikel 46 und 51 dieser Verordnung abhänge, und hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen, um dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Artikel 46 und 51 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 dahin auszulegen, daß sie bei Kumulierung einer aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats festgesetzten Leistung bei Invalidität mit einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats festgesetzten Leistung bei Alter anwendbar sind, wobei dem getrennt lebenden Ehegatten ein Teil der Leistung bei Alter für Arbeitnehmer zugesprochen wird, die dem Ehegatten zusteht, von dem er getrennt lebt, auch wenn die Anwendung dieser Vorschriften geeignet ist, einem Wanderarbeitnehmer gegenüber einem Arbeitnehmer, der kein Wanderarbeitnehmer ist, einen Vorteil zu verschaffen, obwohl Artikel 3 Absatz 1 der vorgenannten Verordnung die Gleichbehandlung aller Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten vorschreibt?

14 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Artikel 46 und 51 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen sind, daß sie es ausschließen, daß der Teil einer Leistung bei Alter eines Arbeitnehmers, der nach den in einem Mitgliedstaat anwendbaren Rechtsvorschriften dem getrennt lebenden Ehegatten dieses Arbeitnehmers gewährt wird, entsprechend den sich aus der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage ergebenden Anpassungen einer Leistung bei Invalidität neu berechnet wird, die dieser Ehegatte nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erhält.

15 Wie vorab festzustellen ist, ergibt sich aus den Akten, daß die Leistung, um deren Berechnung es im Ausgangsverfahren geht, aus einem Teil der Altersrente eines Arbeitnehmers besteht, der dem von diesem Arbeitnehmer getrennt lebenden Ehegatten gewährt wird und daß diese Leistung nur unter Beachtung ähnlicher Voraussetzungen, wie sie für die Gewährung von persönlichen Altersrenten gelten, und insbesondere unter der Voraussetzung gewährt wird, daß der Ehegatte, von dem der Antrag ausgeht, - unter bestimmten Vorbehalten - jede Berufstätigkeit aufgegeben hat.

16 Eine derartige Leistung ist folglich als "Leistung bei Alter" im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen, und die Ansprüche des Leistungsempfängers sind gemäß Artikel 44 dieser Verordnung nach den Vorschriften des Titels III Kapitel 3 der Verordnung festzustellen, zu denen die Artikel 46 und 51 gehören.

17 Bei der Berechnung der Höhe von Altersrenten, die einem Arbeitnehmer zu gewähren sind, für den die Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten galten, hat der zuständige Träger eines jeden dieser Staaten einen Vergleich zwischen dem ausschließlich nach dem nationalen Recht einschließlich seiner Antikumulierungsvorschriften geschuldeten Betrag und dem Betrag anzustellen, der sich nach Artikel 46 der Verordnung Nr. 1408/71 ergibt. Bei der Feststellung der einzelnen Leistungen ist von diesen beiden Regelungen jeweils die dem Arbeitnehmer günstigere anzuwenden (vgl. insbesondere Urteil vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-85/89, Slg. 1990, I-1063, Randnr. 18).

18 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 2. Februar 1982 in der Rechtssache 7/81 (Sinatra, Slg. 1982, 137, Randnr. 8) festgestellt hat, würde jede spätere Änderung einer der Leistungen grundsätzlich dazu führen, daß für jede der Leistungen ein erneuter Vergleich zwischen dem nationalen System und dem Gemeinschaftssystem anzustellen wäre, um zu ermitteln, welches System nach der erfolgten Änderung das für den Arbeitnehmer günstigste ist.

19 Jedoch hat der Gerichtshof in demselben Urteil (Randnrn. 10 und 11) ausgeführt, daß Artikel 51 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 im Hinblick auf die Verringerung des Verwaltungsaufwands, den die erneute Prüfung der Situation des Arbeitnehmers bei jeder Änderung der ihm gewährten Leistung bedeuten würde, eine Neuberechnung der Leistungen gemäß Artikel 46 und damit einen erneuten Vergleich zwischen dem nationalen System und dem Gemeinschaftssystem ausschließt, wenn die Änderung auf Ereignissen beruht, die mit der persönlichen Situation des Arbeitnehmers nichts zu tun haben, sondern Folge der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage ist.

20 Das ONP macht jedoch geltend, Artikel 51 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 könne in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht angewendet werden, da der Betrag der Altersrente des Arbeitnehmers, von der ein Teil dem tatsächlich getrennt lebenden Ehegatten gewährt werde, allein nach den belgischen Rechtsvorschriften berechnet worden sei, die günstiger als Artikel 46 Absatz 2 seien.

21 In diesem Zusammenhang genügt die Feststellung, daß sich aus dem Urteil Cassamali (a. a. O., Randnr. 20) ergibt, daß Artikel 51 Absatz 1 selbst dann anzuwenden ist, wenn die Leistung, um deren Kürzung aufgrund von mit der Indexierung einer anderen Leistung zusammenhängenden Erhöhungen es geht, nach nationalen Vorschriften und nicht nach Artikel 46 festgestellt worden ist.

22 Gegen die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 führt das ONP auch das Urteil vom 22. April 1993 in der Rechtssache C-65/92 (Levatino, Slg. 1993, I-2005) an, das in einem Rechtsstreit über die Berücksichtigung von mit der Entwicklung der Lebenshaltungskosten verbundenen Anpassungen einer italienischen Rente bei der Berechnung des durch belgische Rechtsvorschriften geschaffenen garantierten Alterseinkommens ergangen ist.

23 In dieser Rechtssache hat der Gerichtshof entschieden, daß zwar die Artikel 46 und 51 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 auf die Bestimmung und die Anpassung des Betrages einer Leistung wie des garantierten Alterseinkommens anwendbar sind, daß etwas anderes aber für Artikel 51 Absatz 1 gilt.

24 Nach Ansicht des ONP ist die gleiche Schlußfolgerung in bezug auf die durch die belgischen Rechtsvorschriften begründeten Ansprüche der getrennt lebenden Ehegatten geboten.

25 Wie der Generalanwalt in Nummer 24 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, beruht die Argumentation des Gerichtshofes im Urteil Levatino auf den Besonderheiten des garantierten Alterseinkommens und ist daher auf die im Ausgangsverfahren streitige Leistung nicht übertragbar.

26 Der Gerichtshof hat zunächst festgestellt, daß der Zweck des garantierten Einkommens darin besteht, die Unzulänglichkeit der dem Betroffenen zur Verfügung stehenden Einkünfte so auszugleichen, daß er das gesetzlich garantierte Mindesteinkommen erreichen kann (Randnr. 34), und sodann entschieden, daß die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 dazu führen würde, daß die Zunahme der Einkünfte, die sich für den Betroffenen aus der Anhebung seiner ausländischen Rente ergibt, nicht berücksichtigt würde und daß der Betroffene systematisch Einkünfte erhalten würde, die über dem gesetzlich garantierten Mindesteinkommen lägen (Randnr. 35).

27 In demselben Urteil hat der Gerichtshof hinzugefügt, daß es bei Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 nicht nur zu einer Begünstigung des Wanderarbeitnehmers käme, sondern auch der mit dem garantierten Einkommen verfolgte Zweck verfälscht und das System der betreffenden innerstaatlichen Regelung erschüttert würde (Randnr. 36).

28 In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens lässt sich nicht die Ansicht vertreten, daß die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 bei der Berechnung der streitigen Leistung den Zweck dieser Leistung verfälschen und das System der belgischen Regelung erschüttern würde, da diese anders als das garantierte Alterseinkommen nicht den Zweck hat, die Unzulänglichkeit der dem Betroffenen zur Verfügung stehenden Einkünfte so auszugleichen, daß er das nach belgischem Recht garantierte Mindesteinkommen erreichen kann.

29 Schließlich trägt das ONP vor, die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 führe im vorliegenden Fall zu einem Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, weil der getrennt lebende Ehegatte dann höhere Einkünfte als der andere Ehegatte beziehe.

30 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus dem Wortlaut des Artikels 3 Absatz 1, daß diese Vorschrift keine Gleichbehandlung von Ehegatten schaffen soll.

31 In bezug auf dieselbe Vorschrift fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Anwendung des Artikels 51 Absatz 1 auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens nicht geeignet sei, den Wanderarbeitnehmer im Verhältnis zum inländischen Arbeitnehmer günstiger zu behandeln.

32 In diesem Zusammenhang ist zum einen festzustellen, daß Artikel 3 Absatz 1 sich auf die Gleichheit zwischen den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats und den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten bezieht. Dagegen steht er der Anwendung von nationalen Rechtsvorschriften, durch die Nichtwanderarbeitnehmer im Verhältnis zu Wanderarbeitnehmern benachteiligt werden, nicht entgegen.

33 Im übrigen geht aus dem Urteil vom 13. Oktober 1977 in der Rechtssache 22/77 (Mura, Slg. 1977, 1699) hervor, daß das Vorbringen, wonach die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit dazu führe, daß Wanderarbeitnehmer im Verhältnis zu Arbeitnehmern, die ihr Herkunftsland niemals verlassen haben, bevorzugt würden, nicht stichhaltig ist, da eine Diskriminierung dann nicht festgestellt werden kann, wenn unterschiedliche Vorschriften unter rechtlichen Gegebenheiten angewendet werden, die nicht vergleichbar sind. Darüber hinaus sind derartige Unterschiede in der Behandlung die Folge des Fehlens eines gemeinsamen Systems der sozialen Sicherheit.

34 Nach alledem sind die Artikel 46 und 51 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen, daß sie es ausschließen, daß der Teil einer Leistung bei Alter eines Arbeitnehmers, der nach den in einem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften dem von diesem Arbeitnehmer getrennt lebenden Ehegatten gewährt wird, entsprechend den sich aus der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage ergebenden Anpassungen einer Leistung bei Invalidität neu berechnet wird, die dieser Ehegatte nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erhält.

Kostenentscheidung:

Kosten

35 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm von der Cour du travail Brüssel durch Urteil vom 25. April 1996 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Artikel 46 und 51 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung sind dahin auszulegen, daß sie es ausschließen, daß der Teil einer Leistung bei Alter eines Arbeitnehmers, der nach den in einem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften dem von diesem Arbeitnehmer getrennt lebenden Ehegatten gewährt wird, entsprechend den sich aus der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage ergebenden Anpassungen einer Leistung bei Invalidität neu berechnet wird, die dieser Ehegatte nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erhält.

Ende der Entscheidung

Zurück