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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.01.2005
Aktenzeichen: C-145/02
Rechtsgebiete: Richtlinie 70/524/EWG des Rates vom 23. November 1970 über Zusatzstoffe in der Tierernährung in der durch die Richtlinie 84/587/EWG des Rates vom 29. November 1984 geänderten Fassung, FuttermV in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. November 2000


Vorschriften:

Richtlinie 70/524/EWG des Rates vom 23. November 1970 über Zusatzstoffe in der Tierernährung in der durch die Richtlinie 84/587/EWG des Rates vom 29. November 1984 geänderten Fassung Art. 12
Richtlinie 70/524/EWG des Rates vom 23. November 1970 über Zusatzstoffe in der Tierernährung in der durch die Richtlinie 84/587/EWG des Rates vom 29. November 1984 geänderten Fassung Art. 19
FuttermV in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. November 2000 § 17a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)

13. Januar 2005(1)

"Freier Warenverkehr - Richtlinie 70/524/EWG - Artikel 28 EG und 30 EG - Zusatzstoffe - Harmonisierung der einzelstaatlichen Vorschriften hinsichtlich des Vitamin-D-Gehalts von Futtermitteln - Regelung eines Mitgliedstaats, die die Einfuhr von in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten Futtermitteln verbietet, deren Vitamin-D3-Gehalt den im erstgenannten Staat zulässigen Wert überschreitet"

Parteien:

In der Rechtssache C-145/02

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Beschluss vom 31. Januar 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 18. April 2002, in dem Verfahren

Land Nordrhein-Westfalen

gegen

Denkavit Futtermittel GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter) und S. von Bahr,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2003,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Denkavit Futtermittel GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt V. Schiller,

- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing, M. Lumma und A. Tiemann als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Fitch und M. Niejahr als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März 2004,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 12 und 19 der Richtlinie 70/524/EWG des Rates vom 23. November 1970 über Zusatzstoffe in der Tierernährung (ABl. L 270, S. 1) in der durch die Richtlinie 84/587/EWG des Rates vom 29. November 1984 (ABl. L 319, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 70/524) sowie der Artikel 28 EG und 30 EG.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der Gesellschaft deutschen Rechts Denkavit Futtermittel GmbH (im Folgenden: Denkavit) über die Einfuhr nach und die Vermarktung in Deutschland eines in den Niederlanden rechtmäßig hergestellten Ergänzungsfuttermittels für Ferkel, das den in Deutschland zulässigen Gehalt an Vitamin D3 überschreitet, durch Denkavit.

Rechtlicher Rahmen

Das Gemeinschaftsrecht

3 Die Richtlinie 70/524 definiert in Artikel 2 Alleinfuttermittel als "Mischungen von Futtermitteln, die aufgrund ihrer Zusammensetzung allein zur täglichen Ration ausreichen". Ergänzungsfuttermittel werden definiert als "Mischungen von Futtermitteln, die einen hohen Gehalt an bestimmten Stoffen enthalten und die aufgrund ihrer Zusammensetzung nur zusammen mit anderen Futtermitteln zur täglichen Ration ausreichen".

4 Artikel 12 der Richtlinie 70/524 bestimmt:

"(1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Ergänzungsfuttermittel in der für ihre Verwendung vorgesehenen Verdünnung keine höheren Anteile an in dieser Richtlinie genannten Zusatzstoffen enthalten dürfen, als sie für Alleinfuttermittel festgelegt sind.

(2) Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass in Ergänzungsfuttermitteln der Anteil ... an D-Vitaminen ... die für Alleinfuttermittel festgelegten Höchstgehalte in folgenden Fällen überschreiten darf:

a) bei Ergänzungsfuttermitteln, die von einem Mitgliedstaat zur Abgabe an jedermann zugelassen werden, wenn der Gehalt an ... D-Vitaminen ... das Fünffache des festgelegten Höchstgehalts nicht übersteigt;

b) bei Ergänzungsfuttermitteln für bestimmte Tierarten, die von einem Mitgliedstaat für sein Gebiet zur Abgabe an jedermann zugelassen werden können, wenn dies aufgrund des besonderen Fütterungssystems gerechtfertigt ist und der Gehalt folgende Werte nicht übersteigt:

...

- bei D-Vitaminen 200 000 IE [Internationale Einheiten]/kg.

Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass, wenn bei der Herstellung von Ergänzungsfuttermitteln von der Möglichkeit des Unterabsatzes 1 Buchstabe b) Gebrauch gemacht wird, nicht zugleich Unterabsatz 1 Buchstabe a) in Anspruch genommen werden darf.

(3) Bei Anwendung des Absatzes 2 schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass das Futtermittel eine oder mehrere Eigenschaften in der Zusammensetzung (z. B. Gehalt an Protein oder an Mineralien) aufweist, die gewährleisten, dass eine Überschreitung der für Alleinfuttermittel festgelegten Gehalte an Zusatzstoffen oder eine Zweckentfremdung durch Verwendung bei anderen Tierarten praktisch ausgeschlossen ist."

5 Nach Artikel 19 der Richtlinie 70/524 tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Zusatzstoffe, Vormischungen und Futtermittel, die die Bestimmungen der Richtlinie erfüllen, nur den darin vorgesehenen Verkehrsbeschränkungen unterliegen.

6 Was Alleinfuttermittel für Schweine angeht, so setzt Anhang I der Richtlinie 70/524 deren Höchstgehalt an Vitamin D3 auf 2 000 IE pro Kilogramm fest. Für Milchaustauschfutter für Ferkel gilt ein höherer Wert. Dieser ist unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht einschlägig.

Das nationale Recht

7 Die Richtlinie 70/524 wurde durch das Futtermittelgesetz (FMG) und die Futtermittelverordnung (FMV) in das deutsche Recht umgesetzt.

8 § 14 FMG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 2000 (BGBl. I S. 1358) verbietet die Einfuhr von Futtermitteln, die nicht den im Inland geltenden futtermittelrechtlichen Vorschriften entsprechen.

9 § 4 Absatz 1 Nummer 4 FMG ermächtigt das zuständige Bundesministerium, den Gehalt an Zusatzstoffen in Futtermitteln durch Rechtsverordnung festzusetzen.

10 Nach § 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b FMG dürfen keine Futtermittel in den Verkehr gebracht werden, die einer durch Rechtsverordnung nach Absatz 1 Nummer 4 festgesetzten Anforderung nicht entsprechen.

11 § 17a FMV in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. November 2000 (BGBl. I S. 1605) regelt den zulässigen Gehalt an Zusatzstoffen in Futtermitteln wie folgt:

"(1) Der Gehalt an Zusatzstoffen darf in Mischfuttermitteln, jeweils bezogen auf Alleinfuttermittel mit einem Trockensubstanzgehalt von 88 vom Hundert, die im Anhang der jeweiligen EG-Zulassungsverordnung in der Spalte 'Mindestgehalt' festgesetzten Mindestgehalte nicht unterschreiten und die in der Spalte 'Höchstgehalte' festgesetzten Höchstgehalte nicht überschreiten. Satz 1 gilt für in Anlage 3 Spalte 6 festgesetzte Mindest- und Höchstgehalte entsprechend. Bei der Berechnung der Höchstgehalte an Zusatzstoffen sind die Gehalte an den in den Futtermitteln natürlich enthaltenen, mit den Zusatzstoffen identischen Stoffen einzubeziehen.

(2) In Ergänzungsfuttermitteln dürfen vorbehaltlich des Absatzes 3 die festgesetzten Höchstgehalte an Zusatzstoffen überschritten werden, wenn bei der bestimmungsgemäßen Verwendung der Ergänzungsfuttermittel zusammen mit anderen Futtermitteln die Höchstgehalte an den Zusatzstoffen eingehalten werden.

(3) Abweichend von Absatz 2 darf entweder

1. in Ergänzungsfuttermitteln der Gehalt an Vitamin D ... bis zum Fünffachen des festgesetzten Höchstgehaltes oder

2. ...

d) in Ergänzungsfuttermitteln für alle Tierarten oder Tierkategorien zur kurzfristigen zusätzlichen Vitaminversorgung der Gehalt an Vitamin D bis zu 200 000 Internationale Einheiten je Kilogramm betragen, wenn diese Ergänzungsfuttermittel eine oder mehrere Eigenschaften in der Zusammensetzung, insbesondere hinsichtlich des Gehaltes an Rohprotein, Laktose oder Mineralstoffen, aufweisen, die sicherstellen, dass beim Verfüttern die festgesetzten Höchstgehalte an Zusatzstoffen nicht überschritten werden und eine Zweckentfremdung durch Verwendung bei anderen Tierarten praktisch ausgeschlossen ist."

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

12 Denkavit vertreibt in Deutschland das für Ferkel bestimmte Ergänzungsfuttermittel "Denkavit Kern Ferkel 125" (im Folgenden: streitiges Futtermittel). Dieses Futtermittel enthält 16 000 IE Vitamin D3 pro Kilogramm. Nach seiner Etikettierung und seiner Gebrauchsanweisung ist es zur Verfütterung an Tiere erst nach Vermischung mit Einzelfuttermitteln im Verhältnis 1:7 bestimmt.

13 Das streitige Futtermittel wird von der in den Niederlanden ansässigen Schwestergesellschaft von Denkavit hergestellt. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass es den im niederländischen Recht für Ergänzungsfuttermittel festgelegten Anforderungen genügt. Dagegen entspricht es nicht den einschlägigen deutschen Bestimmungen, insbesondere nicht § 17a Absatz 3 Nummer 1 FMV. Nach dieser Bestimmung in der Auslegung durch die deutschen Behörden darf der Vitamin-D-Gehalt das Fünffache des Höchstgehalts von 2 000 IE pro Kilogramm, d. h. 10 000 IE pro Kilogramm, nicht überschreiten, der für Futtermittel wie die im Ausgangsverfahren streitigen festgesetzt ist.

14 Bei einer Betriebskontrolle im Mai 1991 beanstandete das Landesamt für Ernährungswirtschaft und Jagd Nordrhein-Westfalen das streitige Futtermittel wegen seines Vitamin-D3-Gehalts. Es vertrat die Ansicht, dass die Überdosierung um 6 000 IE Vitamin D3 pro Kilogramm nach § 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b FMG zu einem Verkehrs- und Verfütterungsverbot führe.

15 Am 23. März 1993 erhob Denkavit beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage auf Feststellung, dass sie nach den Artikeln 28 EG und 30 EG berechtigt sei, das streitige Futtermittel einzuführen und zu vermarkten.

16 Nachdem diese Klage durch Urteil vom 21. Mai 1996 abgewiesen worden war, legte Denkavit Berufung beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ein. Dieses gab der Klage mit Urteil vom 13. Dezember 2000 statt.

17 Dagegen legte das Land Nordrhein-Westfalen Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein. Da dieses der Ansicht ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind einzelstaatliche Bestimmungen des Futtermittelrechts, die den Import von in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten Futtermitteln wegen des dem Recht des Einfuhrstaats nicht entsprechenden Gehaltes an Vitamin D3 verbieten, unmittelbar an den Artikeln 28 EG und 30 EG zu messen?

2. Ist Artikel 19 der Richtlinie 70/524 dahin auszulegen, dass er das Verbot des Imports eines in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten Ergänzungsfuttermittels wegen Überschreitung des im Einfuhrmitgliedstaat zugelassenen Gehaltes an Vitamin 3 zulässt?

3. Hängt die Entscheidung zu Frage 2 davon ab, ob die Divergenz der Regelungen im Herstellungs- und Einfuhrmitgliedstaat auf einer unterschiedlichen Ausnutzung der Regelungsmöglichkeiten des Artikels 12 Absatz 2 Satz 1 Buchstabe b der Richtlinie 70/524 beruht?

Vorbemerkungen

18 Mit seinen drei Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 28 EG und 30 EG oder die Bestimmungen der Richtlinie 70/524 einer Maßnahme entgegenstehen, mit der ein Mitgliedstaat die Vermarktung eines in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten Ergänzungsfuttermittels, dessen Vitamin-D3-Gehalt nicht den im erstgenannten Staat geltenden Rechtsvorschriften entspricht, in seinem Gebiet verbietet.

19 Dazu ergibt sich erstens aus den Akten, dass das streitige Futtermittel deshalb nicht den im Einfuhrstaat - der Bundesrepublik Deutschland - geltenden Rechtsvorschriften entspricht, weil diese insofern von den im Herstellungsstaat des Futtermittels - dem Königreich der Niederlande - geltenden Rechtsvorschriften abweichen, als die Bundesrepublik Deutschland von der Rechtsetzungsbefugnis nach Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie 70/524 Gebrauch gemacht hat. Die niederländische Regierung ihrerseits führt in ihrer Antwort auf eine Frage des Gerichtshofes aus, dass das streitige Futtermittel in den Niederlanden nach der allgemeinen Regel des Artikels 12 Absatz 1 dieser Richtlinie in den Verkehr gebracht worden sei.

20 Mithin hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung der Absätze 1 und 2 des Artikels 12 der Richtlinie 70/524 sowie dem Verhältnis zwischen diesen beiden Bestimmungen ab. Artikel 12 hängt eng mit Artikel 19 dieser Richtlinie zusammen, wonach die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Futtermittel, die die Bestimmungen der Richtlinie erfüllen, nur den darin vorgesehenen Verkehrsbeschränkungen unterliegen. Es stellt sich somit die Frage, ob Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 der genannten Richtlinie eine Verkehrsbeschränkung im Sinne ihres Artikels 19 darstellt.

21 Mit der zweiten und der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 12 und 19 der Richtlinie 70/524 in Verbindung miteinander einem Einfuhrverbot wie dem im deutschen Recht vorgesehenen entgegenstehen. Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort geben zu können, sind diese Fragen zusammen zu prüfen und so zu verstehen, dass es darum geht, ob Artikel 19 dieser Richtlinie einen Mitgliedstaat, der nach deren Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 Recht gesetzt hat, ermächtigt, die Einfuhr eines in einem anderen Mitgliedstaat nach Artikel 12 Absatz 1 dieser Richtlinie in den Verkehr gebrachten Ergänzungsfuttermittels zu verbieten, weil dessen Vitamin-D3-Gehalt den im erstgenannten Staat zulässigen Gehalt überschreitet.

22 Zweitens ist, wie der Generalanwalt in Nummer 23 seiner Schlussanträge zu Recht ausführt, die Beantwortung der ersten Frage nach der Auslegung der Artikel 28 EG und 30 EG nur dann erforderlich, wenn sich erweist, dass die Richtlinie 70/524 einem Einfuhrverbot wie dem im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht.

23 Unter diesen Umständen ist die Reihenfolge der Fragen umzustellen, und es sind zunächst die zweite und die dritte Frage in der umformulierten Fassung zusammen zu prüfen, danach ist gegebenenfalls die erste Frage zu prüfen.

Zur zweiten und zur dritten Frage

24 Mit der zweiten und der dritten Frage in der umformulierten Fassung möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 19 der Richtlinie 70/524 einen Mitgliedstaat, der nach Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 dieser Richtlinie Recht gesetzt hat, ermächtigt, die Einfuhr eines in einem anderen Mitgliedstaat nach deren Artikel 12 Absatz 1 in den Verkehr gebrachten Ergänzungsfuttermittels zu verbieten, weil dessen Vitamin-D3-Gehalt den im erstgenannten Staat zulässigen Gehalt überschreitet.

25 Die deutsche Regierung trägt vor, sie sei nach den Artikeln 19 und 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie 70/524 berechtigt, die Einfuhr des streitigen Futtermittels zu verbieten. Die den Mitgliedstaaten durch letztere Bestimmung eingeräumte Rechtsetzungsbefugnis stelle nämlich eine von der Richtlinie selbst vorgesehene und somit durch deren Artikel 19 gerechtfertigte Verkehrsbeschränkung dar. Die Einfuhr eines von einem Mitgliedstaat nach der allgemeinen Regel des Artikels 12 Absatz 1 dieser Richtlinie zugelassenen Futtermittels in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats könne dieser daher gemäß den auf der Grundlage des Artikels 12 Absatz 2 erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften verbieten.

26 Denkavit und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vertreten die entgegengesetzte Ansicht. Sie bezweifeln außerdem, dass die Maßnahmen, die die deutsche Regierung zur Umsetzung des Artikels 12 der Richtlinie 70/524 in das innerstaatliche Recht ergriffen hat, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.

27 Bei der Prüfung der Frage, ob der Rückgriff eines Mitgliedstaats auf die Rechtsetzungsbefugnis nach Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie 70/524 es diesem gestattet, die Einfuhr eines Artikel 12 Absatz 1 entsprechenden Erzeugnisses zu verbieten, sind die Bedeutung und der Inhalt der Artikel 12 Absätze 1 und 2 und 19 dieser Richtlinie sowie das Verhältnis zwischen diesen Bestimmungen zu untersuchen.

28 Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 70/524 sieht vor, dass Ergänzungsfuttermittel in der für ihre Verwendung vorgesehenen Verdünnung keine höheren Anteile an in dieser Richtlinie genannten Zusatzstoffen enthalten dürfen, als sie für Alleinfuttermittel festgelegt sind. Der Vitamin-D-Gehalt von Ergänzungsfuttermitteln für Ferkel ist in Anhang I dieser Richtlinie auf 2 000 IE pro Kilogramm festgelegt. Wie sich aus der Wendung "in der für ihre Verwendung vorgesehenen Verdünnung" in Artikel 12 Absatz 1 ergibt, bezieht sich der Höchstgehalt auf das Ergänzungsfuttermittel in seiner verdünnten Form. Er betrifft mit anderen Worten das Ergänzungsfuttermittel nach einer seiner Bestimmung und seiner Gebrauchsanweisung entsprechenden Vermischung mit einem Einzelfuttermittel.

29 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, dass das streitige Futtermittel in unverdünnter Form 16 000 IE Vitamin D3 pro Kilogramm enthält und dass es nach Vermischung mit Einzelfuttermitteln in einem Verhältnis von 1:7 entsprechend der Gebrauchsanweisung einen Vitamin-D3-Gehalt von 2 000 IE pro Kilogramm aufweist. Es entspricht daher der allgemeinen Regel des Artikels 12 Absatz 1 der Richtlinie 70/524.

30 Nach Artikel 19 dieser Richtlinie tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Futtermittel, die die Bestimmungen der Richtlinie erfüllen, nur den darin vorgesehenen Verkehrsbeschränkungen unterliegen. Es ist daher zu prüfen, ob Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 der genannten Richtlinie eine Verkehrsbeschränkung im Sinne der vorgenannten Bestimmung darstellt und ob ein Mitgliedstaat, der auf ihn zurückgegriffen hat, die Einfuhr eines in einem anderen Mitgliedstaat nach deren Artikel 12 Absatz 1 in den Verkehr gebrachten Futtermittels verbieten kann.

31 Nach Artikel 12 Absatz 2 der Richtlinie 70/524 dürfen die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen zulassen, dass der Anteil an Vitamin D in Ergänzungsfuttermitteln die für Alleinfuttermittel festgelegten Höchstgehalte überschreitet. Nach der zehnten Begründungserwägung der Richtlinie 70/524 in ihrer ursprünglichen Fassung sind solche Abweichungen nur in einem für die tierische und die menschliche Gesundheit akzeptablen Maße zulässig.

32 Insoweit haben die Mitgliedstaaten zwei Möglichkeiten. Erstens können sie gemäß Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 70/524 vorschreiben, dass bei Ergänzungsfuttermitteln, die an jedermann abgegeben werden, der Gehalt an D-Vitaminen den für Alleinfuttermittel festgesetzten Höchstgehalt übersteigen kann, sofern er nicht das Fünffache des festgelegten Höchstgehalts, unter den Umständen des Ausgangsverfahrens also 10 000 IE, übersteigt. Zweitens können die Mitgliedstaaten nach Buchstabe b dieser Bestimmung vorschreiben, dass bei Ergänzungsfuttermitteln für bestimmte Tierarten, die von einem Mitgliedstaat für sein Gebiet zur Abgabe an jedermann zugelassen werden können, der Gehalt an D-Vitaminen die festgelegten Grenzen bis zu einem Höchstgehalt von 200 000 IE pro Kilogramm übersteigen darf, wenn dies aufgrund des besonderen Fütterungssystems gerechtfertigt ist.

33 Weder aus dem Wortlaut des Artikels 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie 70/524 noch aus dem Kontext oder dem Zweck dieser Bestimmung folgt, dass der Mitgliedstaat, der von der ihm eingeräumten Rechtsetzungsbefugnis Gebrauch macht, befugt ist, die Einfuhr eines in einem anderen Mitgliedstaat nach Absatz 1 dieses Artikels in Verkehr gebrachten Ergänzungsfuttermittels zu verbieten.

34 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Absätze 1 und 2 des Artikels 12 der Richtlinie 70/524 zwar die zulässigen Gehalte an Zusatzstoffen in Ergänzungsfuttermitteln regeln, aber nicht den gleichen Fall betreffen. Absatz 1, der die allgemeine Regel aufstellt, gilt nämlich für Ergänzungsfuttermittel in ihrer verdünnten Form. Absatz 2 lässt unter bestimmten Bedingungen die Überschreitung des Gehaltes an bestimmten Zusatzstoffen bei Ergänzungsfuttermitteln zu, gilt aber für diese in ihrer reinen Form. Sein Wortlaut lässt erkennen, dass es sich um eine weitere Liberalisierung gegenüber der allgemeinen Regel des Absatzes 1 und nicht um eine Einschränkung derselben handelt.

35 Was sodann den Kontext angeht, so stellt der Generalanwalt in Nummer 44 seiner Schlussanträge zu Recht fest, dass nach Artikel 12 Absatz 3 der Richtlinie 70/524 "bei Anwendung des Absatzes 2" die Eigenschaften des Futtermittels und seiner Zusammensetzung gewährleisten müssen, dass die für Alleinfuttermittel festgelegten Höchstgehalte nicht überschritten werden. Es ist klar, dass eine solche Vorsichtsmaßregel bei Ergänzungsfuttermitteln, für die eine Verdünnung vorgeschrieben ist, nicht notwendig ist, da damit bereits gewährleistet ist, dass eine geeignete Konzentration erreicht wird, dass sie aber umgekehrt dann notwendig ist, wenn eine solche Verdünnung nicht vorgeschrieben ist. Diese Feststellung bestätigt die Auslegung, wonach der Absatz 2 dieses Artikels nicht als Einschränkung der in dessen Absatz 1 vorgesehenen allgemeinen Regel angesehen werden kann.

36 Was schließlich den von Artikel 12 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 70/524 sowie von der Richtlinie selbst verfolgten Zweck betrifft, so ist auf deren vierte und neunte Begründungserwägung hinzuweisen, die das Funktionieren des Binnenmarktes und den Schutz der tierischen und der menschlichen Gesundheit in den Vordergrund stellen.

37 Wie die Kommission zu Recht ausführt, könnte das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes ernsthaft gestört werden, wenn ein Mitgliedstaat in Anwendung nationaler, gemäß Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie 70/524 erlassener Rechtsvorschriften für Futtermittel, für die ein Verdünnungsverhältnis vorgeschrieben ist, über die Voraussetzungen des Absatzes 1 dieses Artikels hinausgehende, zusätzliche Voraussetzungen aufstellen könnte. Hinsichtlich des Schutzes der tierischen und der menschlichen Gesundheit ist zu bemerken, dass die Zulassung der Vermarktung eines Ergänzungsfuttermittels, das in unverdünnter Form 16 000 IE Vitamin D3 pro Kilogramm enthält und nach Verdünnung einen Vitamin-D3-Gehalt von 2 000 IE pro Kilogramm aufweist, nicht riskanter sein kann als die eines Futtermittels, das nach Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe b bis zu 200 000 IE an Zusatzstoffen pro Kilogramm enthalten kann.

38 Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass die Artikel 12 und 19 der Richtlinie 70/524 zusammen dahin gehend auszulegen sind, dass sie einer Maßnahme entgegenstehen, mit der ein Mitgliedstaat in seinem Gebiet die Vermarktung eines in einem anderen Mitgliedstaat nach Artikel 12 Absatz 1 dieser Richtlinie rechtmäßig hergestellten Ergänzungsfuttermittels aufgrund seines Vitamin-D-Gehalts untersagt.

39 In Anbetracht der Antwort auf die zweite und die dritte Frage und aus den in Randnummer 22 des vorliegenden Urteils genannten Gründen ist die erste Frage nicht zu beantworten.

Kostenentscheidung:

Kosten

40 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Artikel 12 und 19 der Richtlinie 70/524/EWG des Rates vom 23. November 1970 über Zusatzstoffe in der Tierernährung in der durch die Richtlinie 84/587/EWG des Rates vom 29. November 1984 geänderten Fassung sind zusammen dahin gehend auszulegen, dass sie einer Maßnahme entgegenstehen, mit der ein Mitgliedstaat in seinem Gebiet die Vermarktung eines in einem anderen Mitgliedstaat nach Artikel 12 Absatz 1 dieser Richtlinie rechtmäßig hergestellten Ergänzungsfuttermittels aufgrund seines Vitamin-D-Gehalts untersagt.

Ende der Entscheidung

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