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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.04.2005
Aktenzeichen: C-145/03
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71, Verordnung (EWG) Nr. 574/72, SGB V, Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz Spaniens)


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern Art. 3
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 19
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 22
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 36
Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 Art. 22 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 574/72 Art. 22 Abs. 3
SGB V § 18 Abs. 1
Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz Spaniens) Art. 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Große) vom 12. April 2005. - Héritiers d'Annette Keller gegen Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) und Instituto Nacional de Gestión Sanitaria (Ingesa). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Juzgado de lo Social nº 20 de Madrid - Spanien. - Soziale Sicherheit - Artikel 3 und 22 der Verordnung Nr. 1408/71 - Artikel 22 der Verordnung Nr. 574/72 - Krankenhausaufenthalt in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat - Erforderlichkeit dringender lebensnotwendiger Behandlung - Verlegung des Versicherten in ein Krankenhaus eines Drittstaats - Bedeutung der Formblätter E 111 und E 112. - Rechtssache C-145/03.

Parteien:

In der Rechtssache C145/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Juzgado de lo Social n° 20 Madrid (Spanien) mit Entscheidung vom 6. November 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 31. März 2003, in dem Verfahren

Erben der Annette Keller

gegen

Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS),

Instituto Nacional de Gestión Sanitaria (Ingesa), vormals Instituto Nacional de la Salud (Insalud),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter) und A. Borg Barthet sowie der Richterin N. Colneric und der Richter S. von Bahr, J. N. Cunha Rodrigues, E. Juhász, G. Arestis und M. Ilei,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Erben der Annette Keller, vertreten durch C. Fernández Álvarez und A. Pedrajas Moreno, abogados,

- des Instituto Nacional de Gestión Sanitaria (Ingesa) und des Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS), vertreten durch A. R. Trillo García, A. Llorente Álvarez und F. Sánchez-Toril y Riballo, abogados,

- der belgischen Regierung, vertreten durch A. Snoecx und E. Dominkovits als Bevollmächtigte,

- der spanischen Regierung, vertreten durch E. Braquehais Conesa als Bevollmächtigten,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. Sevenster, S. Terstal, C. Wissels und N. Bel als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard, I. Martínez del Peral und D. Martin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Januar 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 3, 19 und 22 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und des Artikels 22 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71, beide Verordnungen geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71 und Verordnung Nr. 574/72).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Erben von Frau Keller, die im Laufe des Ausgangsverfahrens deren Rechtsnachfolge angetreten haben, gegen das Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) und das Instituto Nacional de Gestión Sanitaria (Ingesa) (im Folgenden: Beklagte des Ausgangsverfahrens). Der Rechtsstreit hat seinen Ursprung in der Weigerung des Ingesa, das zur Zeit der Ereignisse des Ausgangsverfahrens Instituto Nacional de la Salud (im Folgenden: Insalud) hieß, die Kosten einer Krankenhausbehandlung von Frau Keller in einer Schweizer Klinik zu erstatten.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsregelung

3. Nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 haben [d]ie Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt,... die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.

4. Artikel 19 dieser Verordnung mit der Überschrift Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat - Allgemeine Regelung bestimmt:

Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des zuständigen Staates wohnt und die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikel 18, erfüllt, erhält in dem Staat, in dem er wohnt,

a) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre;

...

5. Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 mit der Überschrift Aufenthalt außerhalb des zuständigen Staates - Rückkehr oder Wohnortwechsel in einen anderen Mitgliedstaat während eines Krankheits- oder Mutterschaftsfalles - Notwendigkeit, sich zwecks angemessener Behandlung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben bestimmt in den Absätzen 1 und 2:

(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfüllt und

a) dessen Zustand während eines Aufenthalts im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats unverzüglich Leistungen erfordert oder

...

c) der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten,

hat Anspruch auf:

i) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre; die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich jedoch nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates;

...

(2)...

Die nach Absatz 1 Buchstabe c erforderliche Genehmigung darf nicht verweigert werden, wenn die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Betreffende wohnt, und wenn er in Anbetracht seines derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit diese Behandlung nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlungen in dem Staat, in dem er seinen Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist.

6. Artikel 36 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

(1) Aufwendungen für Sachleistungen, die aufgrund dieses Kapitels vom Träger eines Mitgliedstaats für Rechnung des Trägers eines anderen Mitgliedstaats gewährt worden sind, sind in voller Höhe zu erstatten, soweit Artikel 32 nicht etwas anderes vorsieht.

(2) Erstattungen nach Absatz 1 werden nach Maßgabe der Durchführungsverordnung gemäß Artikel 98 entweder gegen Nachweis der tatsächlichen Aufwendungen oder unter Zugrundelegung von Pauschalbeträgen festgestellt und vorgenommen.

Die Pauschalbeträge müssen den wirklichen Ausgaben möglichst genau entsprechen.

(3) Zwei oder mehr Mitgliedstaaten oder die zuständigen Behörden dieser Staaten können andere Erstattungsverfahren vereinbaren oder auf jegliche Erstattung zwischen den unter ihre Zuständigkeit fallenden Trägern verzichten.

7. Artikel 22 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 574/72 bestimmt:

(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger hat für den Bezug von Sachleistungen nach Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung dem Träger des Wohnorts eine Bescheinigung darüber vorzulegen, dass er zum Weiterbezug dieser Leistungen berechtigt ist. Der zuständige Träger stellt diese Bescheinigung aus und gibt darin gegebenenfalls insbesondere die Höchstdauer an, für die die Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates noch gewährt werden dürfen. Die Bescheinigung kann auch nach der Abreise der betreffenden Person auf deren Antrag ausgestellt werden, wenn ihre vorherige Ausstellung aus Gründen höherer Gewalt nicht möglich war.

...

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten in dem in Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c Ziffer i der Verordnung genannten Fall für die Gewährung der Sachleistungen entsprechend.

8. Wie sich aus dem Beschluss Nr. 153 (94/604/EG) der Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaften für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 7. Oktober 1993 über die Muster der zur Durchführung der Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und (EWG) Nr. 574/72 erforderlichen Vordrucke (E 001, E 103 bis E 127) (ABl. L 244, S. 22) ergibt, ist das Formblatt E 111 die für die Anwendung von Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 erforderliche Bescheinigung, während das Formblatt E 112 für die Anwendung von Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c Ziffer i dieser Verordnung benötigt wird.

Spanische Regelung

9. Artikel 102 Absatz 3 der Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) in seiner zur Zeit der Ereignisse des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt, dass die zur Gesundheitsfürsorge verpflichteten Stellen außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen nicht die Kosten übernehmen, die entstehen können, wenn der Begünstigte andere medizinische Leistungen als die ihm vorgeschlagenen in Anspruch nimmt.

10. Unter der Überschrift Gesundheitsfürsorge durch Dienste außerhalb der Seguridad Social bestimmt Artikel 18 Absätze 1 und 4 des Dekrets Nr. 2766/67 vom 16. November 1967 in der Fassung des Dekrets Nr. 2575/73 vom 14. September 1973 (im Folgenden: Dekret Nr. 2766/67):

1. Nimmt der Begünstigte aus eigener Initiative oder auf Initiative seiner Familienangehörigen andere Leistungen als die ihm bezeichneten in Anspruch, so übernehmen die zur Gesundheitsfürsorge verpflichteten Stellen außer in den in den Absätzen 3 und 4 dieses Artikels vorgesehenen Fällen nicht die entstehenden Kosten.

...

4. Werden andere medizinische Leistungen als die von der Seguridad Social vorgeschlagenen in Anspruch genommen, weil eine dringende lebensnotwendige Behandlung erforderlich ist, so kann der Begünstigte bei der ihm gegenüber zur Gesundheitsfürsorge verpflichteten Stelle einen Antrag auf Erstattung der entstandenen Kosten stellen, dem stattgegeben wird, wenn sich aus einer hierzu eingeholten geeigneten Auskunft die Begründetheit des Antrags ergibt.

Deutsche Regelung

11. § 18 Absatz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - in seiner zur Zeit der Ereignisse des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung bestimmt:

Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen...

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

12. Frau Keller, eine deutsche Staatsangehörige, wohnte zur Zeit der Ereignisse des Ausgangsverfahrens in Spanien und war dem allgemeinen System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats angeschlossen.

13. Da sie sich aus familiären Gründen nach Deutschland begeben wollte, beantragte sie beim Insalud die Ausstellung eines Formblatts E 111, das ihr vor ihrer Abreise für die Zeit vom 15. September bis 15. Oktober 1994 erteilt wurde.

14. Während dieses Aufenthalts wurde Frau Keller in das Kreiskrankenhaus Gummersbach (Deutschland) eingewiesen, das der Universitätsklinik Köln zugeordnet ist. Es wurde bei ihr ein bösartiger Tumor der Nase, der Nasenhöhle, der Augenhöhle und der Schädelbasis mit Einbruch in die Schädelhöhle diagnostiziert, der so schwerwiegend war, dass er jederzeit zum Tod der Betroffenen führen konnte.

15. Um weiterhin in Deutschland eine medizinische Behandlung erhalten zu können, die durch ihre Erkrankung notwendig geworden war, beantragte Frau Keller beim Insalud die Ausstellung eines Formblatts E 112. Wie aus einem internen Vermerk dieser Stelle vom 23. Februar 1995 hervorgeht, wurde das Formblatt der Betroffenen erteilt, weil eine Verlegung nach Spanien wegen ihres schlechten Gesundheitszustands nicht ratsam erschien. Die Gültigkeitsdauer dieses Formblatts erstreckte sich nach mehrmaligen Verlängerungen vom 24. Oktober 1994 bis 21. Juni 1996.

16. Nach zahlreichen Untersuchungen und einer gründlichen Analyse der verschiedenen zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten vertraten die Ärzte der Universitätsklinik Köln die Auffassung, dass der chirurgische Eingriff, dessen sofortige Vornahme für Frau Keller lebensnotwendig sei, in Anbetracht seiner außergewöhnlichen Schwierigkeit und der besonderen Fähigkeiten, die er erforderte, nur im Universitätsspital Zürich (Schweiz) durchgeführt werden könne. Nach dem Bericht eines Hals-Nasen-Ohrenchirurgen, der dem vorlegenden Gericht unterbreitet wurde, war diese Privatklinik die einzige in Europa, die die Krankheit von Frau Keller mit wissenschaftlich anerkannter Wirksamkeit behandeln konnte.

17. Die Ärzte der Universitätsklinik Köln überwiesen Frau Keller daher an das Universitätsspital Zürich, wo sie in der Zeit vom 10. bis 25. November 1994 untergebracht war und sich einer Operation unterzog, deren Ergebnisse als zufriedenstellend beurteilt wurden. Nach dieser Operation musste sie sich vom 15. Dezember 1994 bis 22. Februar 1995 einer Strahlentherapie unterziehen. Die Gesamtkosten der Behandlung beliefen sich auf 87 030 CHF und wurden vollständig von Frau Keller gezahlt.

18. Am 26. April 1995 beantragte Frau Keller beim Insalud die Erstattung dieses Betrages.

19. Der Antrag wurde mit Entscheidung dieser Stelle vom 10. August 1995 abgelehnt. Unter Berufung auf Artikel 102 der Ley General de la Seguridad Social und Artikel 18 Absatz 1 des Dekrets Nr. 2766/67 machte das Insalud zur Begründung seiner Entscheidung geltend, dass die Übernahme der Kosten einer medizinischen Behandlung in einem Drittstaat seine ausdrückliche vorherige Genehmigung erfordere.

20. Der Widerspruch von Frau Keller gegen diese Entscheidung wurde vom Insalud am 7. Dezember 1995 zurückgewiesen.

21. Am 3. Mai 1999 beantragte Frau Keller erneut die Erstattung der mit ihrem Krankenhausaufenthalt in der Schweiz verbundenen Kosten. Dieser Antrag wurde mit Entscheidung der Inspección Sanitaria des Insalud vom 26. Juli 1999 abgelehnt, weil der Krankheitsverlauf zwar schwerwiegend war, aber nicht die Merkmale eines lebensbedrohlichen Notfalls aufwies, die es gerechtfertigt hätten, das nationale und/oder gemeinschaftliche öffentliche Gesundheitswesen zu verlassen und den außergemeinschaftlichen privaten Sektor in Anspruch zu nehmen, ohne der spanischen Verwaltungsstelle zuvor die Möglichkeit zu geben, die für das Krankheitsbild der Patientin geeigneten Behandlungsmöglichkeiten zu prüfen und anzubieten.

22. Gegen diese Entscheidung erhob Frau Keller beim Juzgado de lo Social n° 20 Madrid (Spanien) Klage. Auf Antrag des Insalud vom 2. November 2000 wurde der Rechtsstreit auf das INSS erstreckt, weil dieses bei einem Erfolg der Klage zur Erstattung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kosten verpflichtet sei.

23. Frau Keller verstarb am 30. Oktober 2001. Ihre Erben führen das Ausgangsverfahren fort.

24. Das Juzgado de lo Social n° 20 Madrid stellt sich erstens die Frage, ob für den zuständigen spanischen Träger die Diagnose und die therapeutische Entscheidung der von dem betreffenden deutschen Träger autorisierten Ärzte verbindlich sind.

25. Zweitens fragt sich das Gericht im Hinblick auf den in den Artikeln 3, 19 und 22 der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen Grundsatz der Gleichbehandlung, ob eine Verpflichtung zur Erstattung der Kosten des Krankenhausaufenthalts von Frau Keller im Universitätsspital Zürich besteht, berücksichtigt man die Tatsache, dass bescheinigt wurde, dass nach den in Deutschland - wo sich Frau Keller aufhielt, als dieser Krankenhausaufenthalt erforderlich wurde - geltenden Rechtsvorschriften diese Kosten im Fall ihrer Mitgliedschaft bei der AOK Rheinland vollständig übernommen worden wären.

26. Insoweit bezieht sich das vorlegende Gericht auf zwei 2000 ausgestellte Bescheinigungen der AOK Rheinland, bei der Frau Keller ab 15. März 1996 versichert war. Der zu den Akten gereichten ersten Bescheinigung vom 4. Mai 2000 ist zu entnehmen, dass die Kosten des chirurgischen Eingriffs und der postoperativen Behandlungen, denen sich Frau Keller 1999 im Universitätsspital Zürich wegen eines Rezidivs ihres Tumors unterzogen hatte, vollständig vom deutschen Sozialversicherungsträger übernommen wurden. Nach der Vorlageentscheidung geht aus der zweiten Bescheinigung vom 22. Dezember 2000 hervor, dass die Kosten der medizinischen Behandlung von Frau Keller im Universitätsspital Zürich in den Jahren 1994 und 1995 vollständig von der AOK Rheinland übernommen worden wären, wenn sie damals bei ihr versichert gewesen wäre.

27. Unter diesen Umständen hat das Juzgado de lo Social n° 20 Madrid beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Sind das Formblatt E 111 und insbesondere auch das Formblatt E 112, deren Ausstellung in Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und in Artikel 22 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 vorgesehen ist, für den ausstellenden zuständigen Träger (im vorliegenden Fall die spanische Sozialversicherung) verbindlich hinsichtlich der Diagnose des Trägers des Wohnorts (im vorliegenden Fall der deutschen öffentlichen Gesundheitsdienste), konkret hinsichtlich der Feststellung, dass der Arbeitnehmer eines sofortigen chirurgischen Eingriffs als einziger therapeutischer Maßnahme zur Rettung seines Lebens bedurfte und dass dieser Eingriff nur in einem Krankenhaus eines nicht der Europäischen Union angehörenden Landes, nämlich im Universitätsspital Zürich in der Schweiz, durchgeführt werden konnte, so dass der Träger des Wohnorts den Arbeitnehmer in dieses Krankenhaus verlegen kann, ohne dass der zuständige Träger berechtigt wäre, vom Arbeitnehmer die Rückkehr zu dem Zweck zu verlangen, sich den ärztlichen Untersuchungen zu unterziehen, die er für angebracht hält, und ihm die für sein Krankheitsbild geeigneten Behandlungsmöglichkeiten anzubieten?

2. Ist der in Artikel 3 der Verordnung Nr. 1408/71 niedergelegte Grundsatz der Gleichbehandlung, wonach die Arbeitnehmer die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats [haben] wie die Staatsangehörigen dieses Staates, in Verbindung mit den Artikeln 19 Absatz 1 Buchstabe a und 22 Absatz 1 [Buchstabe c] Ziffer i dieser Verordnung, wonach ein Wanderarbeitnehmer Anspruch auf Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften hat, als ob er bei diesem versichert wäre, dahin auszulegen, dass der zuständige Träger verpflichtet ist, die Kosten der Behandlung durch ein Land zu übernehmen, das nicht der Europäischen Union angehört, wenn bescheinigt wird, dass der Arbeitnehmer, wenn er dem Träger des Wohnorts angeschlossen oder bei diesem versichert wäre, Anspruch auf diese medizinische Leistung hätte, und wenn ferner diese medizinische Behandlung - d. h. eine medizinische Behandlung in lebensbedrohlichen Notfällen durch private Einrichtungen auch in Ländern, die nicht der Europäischen Union angehören - zu den nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates vorgesehenen Leistungen gehört?

Zu den Vorlagefragen

Zur Zulässigkeit

28. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens verweisen erstens auf Widersprüche in der Vorlageentscheidung zwischen der darin enthaltenen Sachverhaltsschilderung und dem Wortlaut der ersten Vorlagefrage. Diese Widersprüche erschwerten das Verständnis dieser Frage und komplizierten daher die Formulierung relevanter schriftlicher Erklärungen und für den Gerichtshof die Erteilung einer sachdienlichen Antwort an das vorlegende Gericht.

29. Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht sachdienlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügen, festlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen (vgl. u. a. Urteil vom 9. September 2004 in der Rechtssache C72/03, Carbonati Apuani, Slg. 2004, I0000, Randnr. 10).

30. Die Angaben in den Vorlageentscheidungen sollen nicht nur dem Gerichtshof gestatten, sachdienliche Antworten zu geben, sondern auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit eröffnen, Erklärungen nach Artikel 20 der Satzung des Gerichtshofes abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gewahrt wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (vgl. Urteil vom 21. September 1999 in der Rechtssache C67/96, Albany, Slg. 1999, I5751, Randnr. 40).

31. Im vorliegenden Fall ermöglicht es die Vorlageentscheidung, wie durch den Inhalt der Erklärungen der Parteien des Ausgangsverfahrens und der Regierungen der Mitgliedstaaten belegt wird, die Relevanz und die Tragweite der ersten Frage des vorlegenden Gerichts zu erkennen. Mit dieser Frage möchte das Gericht im Wesentlichen wissen, ob die für die Anwendung von Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i oder Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 erfolgte Ausstellung eines Formblatts E 111 oder E 112 durch den Träger, bei dem der Betreffende versichert ist (im Folgenden: zuständiger Träger), impliziert, dass dieser Träger an die Feststellungen der medizinischen Dienststellen des Mitgliedstaats, in dem sich der Sozialversicherte aufhält (im Folgenden: Aufenthaltsmitgliedstaat), hinsichtlich der Lebensnotwendigkeit eines dringenden chirurgischen Eingriffs in Anbetracht des Krankheitsbildes des Versicherten sowie an die von diesen Stellen gewählte Therapiemöglichkeit, den Versicherten in ein Krankenhaus eines Staates zu verlegen, der nicht der Europäischen Union angehört, gebunden ist.

32. Die spanische Regierung trägt zweitens vor, dass entgegen den Ausführungen in der Vorlageentscheidung die Aufnahme von Frau Keller im Universitätsspital Zürich nicht auf eine Entscheidung der Ärzte der Universitätsklinik Köln über die Verlegung zurückgehe, sondern auf eine persönliche Initiative der Betroffenen, die gegen den Rat der deutschen Ärzte die Einrichtung, in der sie untergebracht gewesen sei, verlassen habe. Daraus folge, dass das Vorabentscheidungsersuchen auf einem rein hypothetischen Fall beruhe, während sich nach den tatsächlichen Umständen des Ausgangsverfahrens keine Frage nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts stelle.

33. Insoweit ist daran zu erinnern, dass in einem Verfahren nach Artikel 234 EG, der auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt. Ebenso hat nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung die Verantwortung zu tragen hat, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen (vgl. u. a. Urteil vom 25. Februar 2003 in der Rechtssache C326/00, IKA, Slg. 2003, I1703, Randnr. 27).

34. Im vorliegenden Fall war das nationale Gericht, wie sich aus der Sachverhaltsschilderung in der Vorlageentscheidung ergibt, der Auffassung, dass die Aufnahme von Frau Keller im Universitätsspital Zürich auf einer Entscheidung der Ärzte der Universitätsklinik Köln beruht habe, die nach verschiedenen Untersuchungen und einer gründlichen Analyse der Therapiemöglichkeiten für das Krankheitsbild der Patientin getroffen worden sei. Hierbei stützt sich das nationale Gericht auf den Bericht eines Hals-Nasen-Ohrenchirurgen, wonach zur Zeit der fraglichen Ereignisse in Europa nur das Universitätsspital Zürich in der Lage gewesen sei, die nach dem Krankheitsbild von Frau Keller notwendige Art der Operation mit realen Erfolgsaussichten durchzuführen.

35. Was die von der spanischen Regierung zur Stützung ihres Vorbringens vorgelegte Erklärung von Frau Keller angeht, wonach diese bestätigt, dass sie freiwillig, aus eigenem Antrieb und gegen den Rat der deutschen Ärzte das Krankenhaus Gummersbach verlasse, so bezieht sich diese Erklärung nicht auf die Abreise von Frau Keller in die Schweiz, sondern auf ein zeitweiliges Verlassen des Krankenhauses zum Zweck des Besuches eines Familienangehörigen, wie sich aus Angaben ergibt, die in den von den Erben von Frau Keller als Beleg für ihre Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichtshofes vorgelegten Unterlagen enthalten sind und denen in der Sitzung nicht widersprochen worden ist.

36. Das Vorbringen der spanischen Regierung, das auf den rein hypothetischen Charakter des Vorabentscheidungsersuchens abstellt, ist daher zurückzuweisen.

37. Drittens machen die Beklagten des Ausgangsverfahrens und die spanische Regierung geltend, dass die Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar seien, weil die fragliche medizinische Behandlung in der Schweiz erfolgt sei. Die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits hänge nicht von einer Auslegung des Gemeinschaftsrechts ab, sondern falle ausschließlich unter das nationale Recht.

38. Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der bloße Umstand, dass die genannte Behandlung außerhalb des Gemeinschaftsgebiets erfolgt ist, nicht ausreicht, um die Anwendung dieser Verordnungen auszuschließen, weil das entscheidende Kriterium für deren Anwendbarkeit in der Bindung des betreffenden Versicherten an ein System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats liegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. Oktober 1986 in der Rechtssache 300/84, van Roosmalen, Slg. 1986, I3097, Randnr. 30, vom 9. Juli 1987 in den Rechtssachen 82/86 und 103/86, Laborero und Sabato, Slg. 1987, 3401, Randnr. 25, und vom 29. Juni 1994 in der Rechtssache C60/93, Aldewereld, Slg. 1994, I2991, Randnr. 14).

39. Frau Keller war zur Zeit der Ereignisse des Ausgangsverfahrens dem spanischen System der sozialen Sicherheit angeschlossen und besaß Formblätter, die das Insalud nach Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 ausgestellt hatte. Die Anwendbarkeit der Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 im Ausgangsverfahren kann folglich nicht in Zweifel gezogen werden.

40. Die Frage, ob die Ausstellung eines Formblatts E 111 oder E 112 durch den zuständigen Träger impliziert, dass dieser die mit einer medizinischen Behandlung des Sozialversicherten in einem Drittstaat verbundenen Kosten zu tragen hat, hängt von der Auslegung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ab, die Gegenstand der Fragen des vorlegenden Gerichts sind.

Zur Sache

Einleitende Erwägungen

41. Die Vorlagefragen stellen sich im Kontext nationaler Rechtsvorschriften, wonach der Sozialversicherte Anspruch auf Erstattung der Kosten einer medizinischen Behandlung hat, die ohne vorherige Konsultation der Dienststellen des nationalen Gesundheitssystems von Diensten außerhalb dieses Systems vorgenommen wurde, wenn erwiesen ist, dass diese Behandlung einem dringenden lebensnotwendigen Bedarf entsprach.

42. Vor der Beantwortung dieser Fragen ist festzustellen, dass, obgleich sich die Vorlageentscheidung zur Bezeichnung des deutschen Sozialversicherungsträgers und der von diesem Träger autorisierten Ärzte auf den Träger des Wohnorts bezieht, feststeht, dass Frau Keller zur Zeit der Ereignisse des Ausgangsverfahrens im zuständigen Mitgliedstaat, nämlich Spanien, wohnte. Wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens vortragen, entspricht die Anwesenheit von Frau Keller in Deutschland zu dieser Zeit daher nicht dem in Artikel 19 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen, sondern dem in Artikel 22 dieser Verordnung erwähnten Fall. Daraus folgt, dass auf das Vorabentscheidungsersuchen nicht zu antworten ist, soweit es sich auf die Auslegung von Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 bezieht.

Zur ersten Frage

43. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Ausstellung eines für die Anwendung von Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 erforderlichen Formblatts E 111 oder eines für die Anwendung von Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c Ziffer i dieser Verordnung erforderlichen Formblatts E 112 durch den zuständigen Träger impliziert, dass dieser Träger an die Diagnose der vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierten Ärzte hinsichtlich des Vorliegens einer lebensbedrohlichen Notsituation, die einen sofortigen chirurgischen Eingriff erfordert, und an die Entscheidung dieser Ärzte gebunden ist, den Versicherten in ein Krankenhaus eines Drittstaats zu verlegen, weil sich dieses nach den augenblicklichen medizinischen Erkenntnissen als das einzige erweist, das die erforderliche Eingriffsart mit realen Erfolgsaussichten durchführen kann.

44. Um diese Frage zu beantworten, ist, wie der Generalanwalt in den Nummern 15 bis 17 seiner Schlussanträge angeregt hat, auf das mit Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 verfolgte Ziel und die Funktion, die die Formblätter E 111 und E 112 in dem durch diesen Artikel errichteten System erfüllen, abzustellen.

45. Insoweit ist daran zu erinnern, dass Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 im Rahmen der allgemeinen Ziele des EG-Vertrags zu den Maßnahmen gehört, die es den Arbeitnehmern, die einem Mitgliedstaat angehören, ermöglichen sollen, in den anderen Mitgliedstaaten unter den in diesem Artikel vorgesehenen Voraussetzungen Sachleistungen zu erhalten, unabhängig von dem nationalen Träger, bei dem sie versichert sind, und von ihrem Wohnort (vgl. Urteil vom 3. Juli 2003 in der Rechtssache C156/01, Van der Duin und ANOZ Zorgverzekeringen, Slg. 2003, I7045, Randnr. 50).

46. Indem Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 den Sozialversicherten, für die die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gelten und deren Gesundheitszustand während eines Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat unverzüglich medizinische Leistungen erfordert oder die vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten haben, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine ihrem Gesundheitszustand angemessene Behandlung zu erhalten, einen Zugang zur Behandlung in diesem anderen Mitgliedstaat unter ebenso günstigen Bedingungen der Kostenübernahme gewährleistet, wie sie für die Sozialversicherten gelten, die den Rechtsvorschriften dieses letztgenannten Staates unterliegen, trägt er zur Erleichterung der Freizügigkeit der Sozialversicherten und - im selben Maße - zur Erleichterung der Erbringung von grenzüberschreitenden medizinischen Dienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten bei (vgl. Urteile vom 12. Juli 2001 in der Rechtssache C368/98, Vanbraekel u. a., Slg. 2001, I5363, Randnr. 32, und vom 23. Oktober 2003 in der Rechtssache C56/01, Inizan, Slg. 2003, I12403, Randnr. 21).

47. Wie die niederländische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen vorgetragen hat, beruht die Verwirklichung des mit Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 verfolgten Zieles auf einer Aufgabenverteilung zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats.

48. Nach dem Wortlaut des Artikels 22 der Verordnung Nr. 1408/71 hat auf der einen Seite der zuständige Träger in dem in Absatz 1 Buchstabe c dieses Artikels genannten Fall über die Erteilung der Genehmigung zu entscheiden, damit sich der Sozialversicherte zu medizinischen Zwecken in einen anderen Mitgliedstaat begeben kann, nach seinen nationalen Rechtsvorschriften die Dauer der Erbringung der Leistungen im Aufenthaltsmitgliedstaat festzusetzen und die Kosten dieser Leistungen zu tragen. Auf der anderen Seite hat der Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats diese Leistungen nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu erbringen, als ob der Sozialversicherte einer seiner Versicherten wäre.

49. In diesem Zusammenhang sollen die Formblätter E 111 und E 112 dem Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats und den von diesem autorisierten Ärzten gewährleisten, dass der Inhaber dieser Formblätter berechtigt ist, in diesem Mitgliedstaat während des im Formblatt angegebenen Zeitraums eine Behandlung zu erhalten, deren Kosten vom zuständigen Träger getragen werden.

50. Aus dieser Vorschrift über die Aufgabenverteilung in Verbindung mit den Gemeinschaftsmaßnahmen zur gegenseitigen Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise der in der Heilkunde Tätigen (vgl. dazu Urteile vom 28. April 1998 in der Rechtssache C120/95, Decker, Slg. 1998, I1831, Randnr. 42, und in der Rechtssache C158/96, Kohll, Slg. 1998, I1931, Randnrn. 47 und 48) ergibt sich, dass der zuständige Träger, wenn er mit der Ausstellung eines Formblatts E 111 oder E 112 darin eingewilligt hat, dass einer seiner Sozialversicherten, auf den einer der in Artikel 22 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Fälle zutrifft, eine medizinische Behandlung außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats erhält, diese Behandlung den vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierten Ärzten überlässt, die im Rahmen ihres Auftrags handeln und die sich des Betreffenden in diesem Staat anzunehmen haben, und dass dieser Träger die von den genannten Ärzten getroffenen Feststellungen und therapeutischen Entscheidungen zu akzeptieren und anzuerkennen hat, als ob sie von autorisierten Ärzten stammten, die den Versicherten im zuständigen Mitgliedstaat hätten behandeln müssen, es sei denn, es läge ein missbräuchliches Verhalten vor (vgl. analog im Kontext medizinischer Feststellungen zur Arbeitsunfähigkeit eines Sozialversicherten, die der Träger des Wohn oder Aufenthaltsmitgliedstaats nach Artikel 18 der Verordnung Nr. 574/72 getroffen hat, Urteil vom 2. Mai 1996 in der Rechtssache C206/94, Paletta, Slg. 1996, I2357, Randnrn. 24 bis 28).

51. In dem in Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Fall sind die im Aufenthaltsmitgliedstaat niedergelassenen Ärzte offenkundig am besten in der Lage, den Gesundheitszustand des Betreffenden und die Behandlung, die dieser Zustand unverzüglich erfordert, zu beurteilen. Was den in Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Fall angeht, so impliziert die vom zuständigen Träger erteilte Genehmigung, dass dieser Träger während der Gültigkeitsdauer der Genehmigung dem Träger des Mitgliedstaats, in dem er dem Versicherten den Aufenthalt für medizinische Zwecke gestattet hat, und den von diesem Träger autorisierten Ärzten vertraut.

52. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Gerichtshof auf dem Gebiet der Dienstleistungsfreiheit entschieden hat, davon auszugehen ist, dass die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Ärzte gleichwertige berufliche Garantien bieten wie die im Inland niedergelassenen Ärzte (vgl. Urteil Kohll, Randnr. 48).

53. Demnach ist festzustellen, dass der zuständige Träger, der mit der Ausstellung eines Formblatts E 111 oder E 112 darin eingewilligt hat, dass einer seiner Sozialversicherten eine medizinische Behandlung außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats erhält, an die Feststellungen hinsichtlich der Erforderlichkeit einer dringenden lebensnotwendigen Behandlung gebunden ist, die die vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierten Ärzte getroffen haben (vgl. analog im Kontext des Artikels 19 der Verordnung Nr. 1408/71 und des Artikels 18 der Verordnung Nr. 574/72 Urteile vom 12. März 1987 in der Rechtssache 22/86, Rindone, Slg. 1987, 1339, Randnrn. 9 bis 14, und vom 3. Juni 1992 in der Rechtssache C45/90, Paletta, Slg. 1992, I3423, Randnr. 28).

54. Ebenso ist der zuständige Träger an die therapeutische Entscheidung gebunden, die von den genannten Ärzten auf der Grundlage ihrer Feststellungen und nach den augenblicklichen medizinischen Erkenntnissen getroffen wird, und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung darin besteht, den Betreffenden in einen anderen Staat zu verlegen, damit ihm die nach seinem Krankheitsbild erforderliche dringende Behandlung zuteil wird, die ihm die im Aufenthaltsmitgliedstaat niedergelassenen Ärzte nicht bieten können.

55. Wie der Generalanwalt in Nummer 23 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist es für die Frage, ob solche Feststellungen und Entscheidungen für den zuständigen Träger Bindungswirkung haben, ohne Bedeutung, dass der Staat, in den der Betreffende nach dem Beschluss dieser Ärzte verlegt wird, nicht Mitglied der Europäischen Union ist, weil die damit getroffene therapeutische Entscheidung nach den Erwägungen in den Randnummern 47 bis 52 des vorliegenden Urteils tatsächlich in die Zuständigkeit der vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierten Ärzte und dieses Trägers fällt.

56. Unter diesen Umständen kann, wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens in ihren schriftlichen Erklärungen selbst eingeräumt haben, von demjenigen, der ein Formblatt E 111 oder E 112 besitzt, nicht verlangt werden, dass er in den zuständigen Mitgliedstaat zurückkehrt, um sich dort einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, während vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierte Ärzte der Auffassung sind, dass sein Gesundheitszustand eine dringende lebensnotwendige Behandlung erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteil Rindone, Randnr. 21).

57. Im Übrigen lässt sich nicht behaupten, wie es die Beklagten des Ausgangsverfahrens tun, dass die Feststellungen und therapeutischen Entscheidungen vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierter Ärzte dem zuständigen Träger zur Genehmigung vorgelegt werden müssten. Eine solche These verstieße nämlich gegen die Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 zugrunde liegende Regel der Aufgabenverteilung sowie gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der beruflichen Qualifikationen der Ärzte und liefe den Interessen des Patienten zuwider, der eine dringende lebensnotwendige Behandlung braucht.

58. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, wie es Frau Keller im Ausgangsverfahren und die niederländische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen getan haben, dass zwar der Sozialversicherte, der sich in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat aufhält, für den Bezug von Geldleistungen wie die Zahlung einer Rente nach Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 vom zuständigen Träger nach Artikel 18 Absatz 5 der Verordnung Nr. 574/72 zu einer Untersuchung durch einen von diesem Träger ausgewählten Arzt gezwungen werden kann, dass dieser Träger aber nicht befugt ist, in den Fällen, in denen es um Sachleistungen nach Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 geht, eine solche Untersuchung vornehmen zu lassen.

59. Die spanische Regierung trägt vor, im Hinblick darauf, dass die Genehmigung nach Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 bezwecke, es dem Betreffenden zu ermöglichen, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, der dem Sozialversicherten, der im Besitz eines Formblatts E 112 sei, durch Buchstabe c Ziffer i dieses Absatzes eingeräumte Anspruch nur die Behandlung in dem in diesem Formblatt bezeichneten Mitgliedstaat betreffe, für den ihm der zuständige Träger insoweit seine Genehmigung erteilt habe, und nicht die Behandlung, die er in einem anderen Staat hätte erhalten können.

60. Stellt sich jedoch während der Behandlung des Versicherten in dem Mitgliedstaat, in den er sich mit Genehmigung des zuständigen Trägers zu medizinischen Zwecken begeben hat, heraus, dass das bei ihm diagnostizierte Krankheitsbild eine dringende lebensnotwendige Behandlung erfordert, hinsichtlich deren vom Träger dieses Staates autorisierte Ärzte der Auffassung sind, dass sie nach den augenblicklichen medizinischen Erkenntnissen nur in einer Einrichtung in einem anderen Staat als diesem Mitgliedstaat vorgenommen werden kann, so ist Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass sich der Anspruch des Versicherten auch auf die vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats erbrachten Sachleistungen in dieser Einrichtung erstreckt, sofern dieser Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften gehalten ist, einer bei ihm versicherten Person die einer solchen Behandlung entsprechenden Sachleistungen zu erbringen.

61. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens machen geltend, dass das Ziel der Planung und Organisation des Klinikangebots gefährdet würde, wenn es den Sozialversicherten erlaubt wäre, freien Zugang zu Gesundheitsleistungen in jedem beliebigen Staat einschließlich eines Drittstaats zu erhalten.

62. Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass ein derartiges Ziel es rechtfertigen kann, dass die Übernahme der Kosten einer Krankenhausbehandlung außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats durch den zuständigen Träger von der vorherigen Genehmigung dieses Trägers abhängig gemacht wird (vgl. Urteile vom 12. Juli 2001 in der Rechtssache C157/99, Smits und Peerbooms, Slg. 2001, I5473, Randnrn. 76 bis 80, und vom 13. Mai 2003 in der Rechtssache C385/99, Müller-Fauré und van Riet, Slg. 2003, I4509, Randnrn. 76 bis 82), doch sind mit diesem Ziel zusammenhängende Erwägungen nicht relevant, wenn der zuständige Träger mit der Ausstellung eines Formblatts E 111 oder E 112 gerade darin eingewilligt hat, dass einer seiner Versicherten eine Krankenhausbehandlung außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats erhält.

63. Nach alledem ist die erste Frage wie folgt zu beantworten:

- Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 und Artikel 22 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 574/72 sind dahin auszulegen, dass der zuständige Träger, der mit der Ausstellung eines Formblatts E 111 oder E 112 darin eingewilligt hat, dass einer seiner Sozialversicherten eine medizinische Behandlung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat erhält, an die während der Gültigkeitsdauer des Formblatts von vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierten Ärzten getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Erforderlichkeit einer dringenden lebensnotwendigen Behandlung sowie an die während desselben Zeitraums auf der Grundlage dieser Feststellungen und der augenblicklichen medizinischen Erkenntnisse getroffene Entscheidung dieser Ärzte, den Betreffenden in ein Krankenhaus eines anderen Staates zu verlegen, auch wenn es sich um einen Drittstaat handelt, gebunden ist. Jedoch ist in einem solchen Fall nach Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 der Anspruch des Versicherten auf die für Rechnung des zuständigen Trägers erbrachten Sachleistungen von der Voraussetzung abhängig, dass der Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften gehalten ist, einer bei ihm versicherten Person die einer solchen Behandlung entsprechenden Sachleistungen zu erbringen.

- Unter solchen Umständen ist der zuständige Träger nicht berechtigt, von dem Betreffenden die Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat zu verlangen, um ihn dort einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, oder ihn im Aufenthaltsmitgliedstaat untersuchen zu lassen oder die oben erwähnten Feststellungen und Entscheidungen von seiner Zustimmung abhängig zu machen.

Zur zweiten Frage

64. Mit der zweiten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen, die Voraussetzungen und Modalitäten der Übernahme der Kosten einer medizinischen Behandlung zu bestimmen, die in einem Drittstaat unter Umständen wie den in vorstehender Randnummer genannten vorgenommen wird.

65. Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach Artikel 22 Absatz 1 Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 der Versicherte, auf den einer der in den Buchstaben a und c dieses Absatzes beschriebenen Fälle zutrifft, grundsätzlich während der vom zuständigen Träger festgelegten Dauer die Sachleistungen für Rechnung dieses Trägers vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften erhalten muss, als ob er bei diesem versichert wäre (vgl. Urteile Vanbraekel u. a., Randnr. 32, und Inizan, Randnr. 20).

66. Der dem Sozialversicherten damit eingeräumte Anspruch impliziert folglich, dass die Kosten der vorgenommenen Behandlung zunächst vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften übernommen werden, unter der Voraussetzung, dass der zuständige Träger später dem Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats unter den Bedingungen des Artikels 36 der Verordnung Nr. 1408/71 Erstattung leistet (vgl. Urteile Vanbraekel u. a., Randnr. 33, und Inizan, Randnrn. 20, 22 und 23).

67. Wenn vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierte Ärzte sich aus Gründen einer lebensbedrohlichen Notsituation und in Anbetracht der augenblicklichen medizinischen Erkenntnisse für eine Verlegung des Versicherten in ein Krankenhaus in einem Drittstaat entschieden haben, ist Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass, soweit der Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats keinen Grund hat, ernsthaft an der Begründetheit dieser ärztlichen Entscheidung zu zweifeln, die Kosten der in diesem letztgenannten Staat vorgenommenen Behandlung von diesem Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften unter den gleichen Bedingungen, wie sie für die Sozialversicherten bestehen, die unter diese Rechtsvorschriften fallen, zu übernehmen sind. Was Behandlungen angeht, die zu den in den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats vorgesehenen Leistungen gehören, so hat sodann der zuständige Träger die Kosten der erbrachten Leistungen zu übernehmen, indem er dem Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats unter den Bedingungen des Artikels 36 der Verordnung Nr. 1408/71 Erstattung leistet.

68. Hinsichtlich des Arguments der Beklagten des Ausgangsverfahrens, das auf die Notwendigkeit einer Beherrschbarkeit der Sozialversicherungskosten abstellt, ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass die medizinische Behandlung außerhalb des Aufenthaltsmitgliedstaats vorgenommen wird, den zuständigen Träger nicht in eine andere Situation versetzt als die, in der diese Behandlung in diesem Mitgliedstaat durchgeführt worden wäre, da die anwendbaren Rechtsvorschriften und die sich daraus ergebenden eventuellen Grenzen der Erstattung in beiden Fällen die des Aufenthaltsmitgliedstaats sind (vgl. analog Urteile Decker, Randnrn. 38 bis 40, und Kohll, Randnrn. 40 bis 42).

69. Es ist hinzuzufügen, dass die praktische Wirksamkeit und der Geist der fraglichen Gemeinschaftsvorschriften es gebieten, davon auszugehen, dass, sobald erwiesen ist, dass die betreffende Person Anspruch auf Übernahme der Kosten einer medizinischen Behandlung in einem Drittstaat durch den Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats gehabt hätte (vgl. dazu die Randnummern 25 und 26 des vorliegenden Urteils) und dass diese Behandlung zu den in den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats vorgesehenen Leistungen gehört, der zuständige Träger die Kosten dieser Behandlung unmittelbar dieser Person oder ihren Rechtsnachfolgern zu erstatten hat, um so ein Kostenübernahmeniveau zu garantieren, das dem gleichwertig ist, das für diese Person gegolten hätte, wenn Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 angewandt worden wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile Vanbraekel u. a., Randnr. 34, und IKA, Randnr. 61).

70. Nach alledem ist die zweite Frage wie folgt zu beantworten:

- Haben sich vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierte Ärzte aus Gründen einer lebensbedrohlichen Notsituation und in Anbetracht der augenblicklichen medizinischen Erkenntnisse für eine Verlegung des Versicherten in ein Krankenhaus eines Drittstaats entschieden, so ist Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass die Kosten der in diesem letztgenannten Staat vorgenommenen Behandlung vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften unter gleichen Bedingungen, wie sie für die Sozialversicherten bestehen, die unter diese Rechtsvorschriften fallen, zu übernehmen sind. Was Behandlungen angeht, die zu den in den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats vorgesehenen Leistungen gehören, so hat sodann der Träger dieses Staates die Kosten der erbrachten Leistungen zu übernehmen, indem er dem Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats unter den Bedingungen des Artikels 36 der Verordnung Nr. 1408/71 Erstattung leistet.

- Sind die Kosten einer Behandlung in einer Einrichtung eines Drittstaats nicht vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats übernommen worden, ist aber erwiesen, dass die betreffende Person Anspruch auf eine solche Übernahme hatte und dass diese Behandlung zu den in den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats vorgesehenen Leistungen gehört, so hat der zuständige Träger die Kosten dieser Behandlung unmittelbar dieser Person oder ihren Rechtsnachfolgern zu erstatten, um so ein Kostenübernahmeniveau zu garantieren, das dem gleichwertig ist, das für diese Person gegolten hätte, wenn Artikel 22 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 angewandt worden wäre.

71. Unter diesen Umständen besteht kein Anlass, auf das Vorabentscheidungsersuchen zu antworten, soweit es sich auf die Auslegung von Artikel 3 der Verordnung Nr. 1408/71 bezieht.

Kosten

72. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesem Grund hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1. Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und Artikel 22 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung sind dahin auszulegen, dass der zuständige Träger, der mit der Ausstellung eines Formblatts E 111 oder E 112 darin eingewilligt hat, dass einer seiner Sozialversicherten eine medizinische Behandlung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat erhält, an die während der Gültigkeitsdauer des Formblatts von vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierten Ärzten getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Erforderlichkeit einer dringenden lebensnotwendigen Behandlung sowie an die während desselben Zeitraums auf der Grundlage dieser Feststellungen und der augenblicklichen medizinischen Erkenntnisse getroffene Entscheidung dieser Ärzte, den Betreffenden in ein Krankenhaus eines anderen Staates zu verlegen, auch wenn es sich um einen Drittstaat handelt, gebunden ist. Jedoch ist in einem solchen Fall nach Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 der Anspruch des Versicherten auf die für Rechnung des zuständigen Trägers erbrachten Sachleistungen von der Voraussetzung abhängig, dass der Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften gehalten ist, einer bei ihm versicherten Person die einer solchen Behandlung entsprechenden Sachleistungen zu erbringen.

Unter derartigen Umständen ist der zuständige Träger nicht berechtigt, von dem Betreffenden die Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat zu verlangen, um ihn dort einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, oder ihn im Aufenthaltsmitgliedstaat untersuchen zu lassen oder die oben erwähnten Feststellungen und Entscheidungen von seiner Zustimmung abhängig zu machen.

2. Haben sich vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierte Ärzte aus Gründen einer lebensbedrohlichen Notsituation und in Anbetracht der augenblicklichen medizinischen Erkenntnisse für eine Verlegung des Versicherten in ein Krankenhaus eines Drittstaats entschieden, so ist Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass die Kosten der in diesem letztgenannten Staat vorgenommenen Behandlung vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften unter gleichen Bedingungen, wie sie für die Sozialversicherten bestehen, die unter diese Rechtsvorschriften fallen, zu übernehmen sind. Was Behandlungen angeht, die zu den in den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats vorgesehenen Leistungen gehören, so hat sodann der Träger dieses Staates die Kosten der erbrachten Leistungen zu übernehmen, indem er dem Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats unter den Bedingungen des Artikels 36 der Verordnung Nr. 1408/71 Erstattung leistet.

Sind die Kosten einer Behandlung in einer Einrichtung eines Drittstaats nicht vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats übernommen worden, ist aber erwiesen, dass die betreffende Person Anspruch auf eine solche Übernahme hatte und dass diese Behandlung zu den in den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats vorgesehenen Leistungen gehört, so hat der zuständige Träger die Kosten dieser Behandlung unmittelbar dieser Person oder ihren Rechtsnachfolgern zu erstatten, um so ein Kostenübernahmeniveau zu garantieren, das dem gleichwertig ist, das für diese Person gegolten hätte, wenn Artikel 22 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 angewandt worden wäre.

Ende der Entscheidung

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