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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.03.2002
Aktenzeichen: C-145/99
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 89/48/EWG


Vorschriften:

EGV Art. 43
EGV Art. 49
Richtlinie 89/48/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG), wenn er für Rechtsanwälte, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind und ihre Tätigkeit im ersten Mitgliedstaat im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs ausüben, ein allgemeines Verbot aufrechterhält, in diesem Mitgliedstaat die zur Erbringung ihrer Dienstleistungen erforderliche Infrastruktur zu unterhalten.

Der vorübergehende Charakter einer Dienstleistung schließt nämlich für den Dienstleistungserbringer im Sinne des Vertrages nicht die Möglichkeit aus, sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist.

( vgl. Randnrn. 22-23, 57, Tenor 1 )

2. Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG), wenn er Rechtsanwälte, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind und eine Niederlassung im ersten Mitgliedstaat beibehalten möchten, verpflichtet, im Bezirk des Gerichts zu wohnen, in dessen Liste sie eingetragen sind. Die in dieser Vorschrift garantierte Niederlassungsfreiheit umfasst nämlich die Möglichkeit, unter Beachtung der Berufsregelungen im Gebiet der Gemeinschaft mehr als eine Stätte für die Ausübung einer Tätigkeit einzurichten und beizubehalten, und die Wohnsitzverpflichtung hindert an der Wahrnehmung dieses Rechts.

( vgl. Randnrn. 27-28, 57, Tenor 1 )

3. Artikel 1 Buchstabe g Unterabsatz 2 der Richtlinie 89/48 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, bestimmt, dass die zuständigen Stellen des Aufnahmestaats zur Ermöglichung der Organisation der Eignungsprüfung ein Verzeichnis der Sachgebiete [erstellen], die aufgrund eines Vergleichs zwischen der in ihrem Staat verlangten Ausbildung und der bisherigen Ausbildung des Antragstellers von dem Diplom oder dem bzw. den Prüfungszeugnissen, die der Antragsteller vorlegt, nicht abgedeckt werden".

Zwar verlangt diese Vorschrift nicht, dass die Mitgliedstaaten alle Aspekte der Eignungsprüfung im Einzelnen regeln, sie befreit sie jedoch nicht von der Verpflichtung, die als für die Ausübung des betreffenden Berufs unerlässlich angesehenen Sachgebiete und die Modalitäten dieser Eignungsprüfung festzulegen und zu veröffentlichen, so dass die Antragsteller eine allgemeine Kenntnis von Art und Inhalt der Prüfung, der sie sich gegebenenfalls unterziehen müssen, haben können.

Ohne eine solche Regelung besteht die Gefahr, dass der in diesem Artikel vorgesehene Vergleich im Einzelfall willkürlich oder diskriminierend vorgenommen wird; nationale Rechtsvorschriften dieser Art setzen somit die Richtlinie 89/48 nicht vollständig um.

( vgl. Randnrn. 51, 53-54, 57, Tenor 1 )


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 7. März 2002. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) - Richtlinie 89/48/EWG - Zugang zum Anwaltsberuf und Ausübung dieses Berufes. - Rechtssache C-145/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-145/99

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und B. Mongin als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik, vertreten durch U. Leanza als Bevollmächtigten im Beistand von avvocato dello Stato F. Quadri, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

"wegen Feststellung, dass die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) sowie der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16), verstoßen hat, indem sie

- unter Verstoß gegen Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) für Rechtsanwälte, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind und ihre Tätigkeit in Italien im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs ausüben, ein allgemeines Verbot aufrechterhält, in Italien über die zur Erbringung ihrer Dienstleistungen erforderliche Infrastruktur zu verfügen,

- unter Verstoß gegen Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) die Eintragung als Rechtsanwalt in ein italienisches Anwaltsverzeichnis vom Besitz der italienischen Staatsangehörigkeit und dem Besitz ausschließlich in Italien erworbener Befähigungen sowie von der Beibehaltung des Wohnsitzes in einem italienischen Gerichtsbezirk abhängig macht,

- gegenüber Rechtsanwälten aus anderen Mitgliedstaaten in diskriminierender Form die in Artikel 4 der Richtlinie 89/48 vorgesehenen "Ausgleichsmaßnahmen" (Eignungsprüfung) anwendet und

- die Richtlinie 89/48 unvollständig umgesetzt hat, da es an einer Durchführungsregelung fehlt, die die Modalitäten der Eignungsprüfung für Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten festlegt,

erlässt DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer S. von Bahr in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter), A. La Pergola, M. Wathelet und C. W. A. Timmermans,

Generalanwältin: C. Stix-Hackl

Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 15. Februar 2001, in der die Kommission von E. Traversa und die Italienische Republik von Avvocato dello Stato I. Braguglia vertreten worden sind,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. Mai 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 21. April 1999 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage auf Feststellung erhoben, dass die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) sowie der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16), verstoßen hat, indem sie

- unter Verstoß gegen Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) für Rechtsanwälte, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind und ihre Tätigkeit in Italien im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs ausüben, ein allgemeines Verbot aufrechterhält, in Italien über die zur Erbringung ihrer Dienstleistungen erforderliche Infrastruktur zu verfügen,

- unter Verstoß gegen Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) die Eintragung als Rechtsanwalt in ein italienisches Anwaltsverzeichnis vom Besitz der italienischen Staatsangehörigkeit und dem Besitz ausschließlich in Italien erworbener Befähigungen sowie von der Beibehaltung des Wohnsitzes in einem italienischen Gerichtsbezirk abhängig macht,

- gegenüber Rechtsanwälten aus anderen Mitgliedstaaten in diskriminierender Form die in Artikel 4 der Richtlinie 89/48 vorgesehenen "Ausgleichsmaßnahmen" (Eignungsprüfung) anwendet und

- die Richtlinie 89/48 unvollständig umgesetzt hat, da es an einer Durchführungsregelung fehlt, die die Modalitäten der Eignungsprüfung für Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten festlegt.

2 Der von Rechtsanwalt J. Lau gestellte Streithilfeantrag zur Unterstützung der Anträge der Kommission ist mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 5. Juli 1999 als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen worden.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Die Richtlinie 89/48 führt eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome ein, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen.

4 Nach Artikel 1 Buchstabe g Unterabsatz 1 der Richtlinie 89/48 gilt als "Eignungsprüfung eine ausschließlich die beruflichen Kenntnisse des Antragstellers betreffende und von den zuständigen Stellen des Aufnahmestaats durchgeführte Prüfung, mit der die Fähigkeit des Antragstellers, in diesem Mitgliedstaat einen reglementierten Beruf auszuüben, beurteilt werden soll".

5 Die Unterabsätze 2, 3 und 4 dieser Vorschrift lauten wie folgt:

"Für die Zwecke dieser Prüfung erstellen die zuständigen Stellen ein Verzeichnis der Sachgebiete, die aufgrund eines Vergleichs zwischen der in ihrem Staat verlangten Ausbildung und der bisherigen Ausbildung des Antragstellers von dem Diplom oder dem bzw. den Prüfungszeugnissen, die der Antragsteller vorlegt, nicht abgedeckt werden.

Die Eignungsprüfung muss dem Umstand Rechnung tragen, dass der Antragsteller in seinem Heimat- oder Herkunftsmitgliedstaat über eine berufliche Qualifikation verfügt. Sie erstreckt sich auf Sachgebiete, die aus den in dem Verzeichnis enthaltenen Sachgebieten auszuwählen sind und deren Kenntnis eine wesentliche Voraussetzung für eine Ausübung des Berufs im Aufnahmestaat ist. Diese Prüfung kann sich auch auf die Kenntnis der sich auf die betreffenden Tätigkeiten im Aufnahmestaat beziehenden berufsständischen Regeln erstrecken. Die Modalitäten der Eignungsprüfung werden von den zuständigen Stellen des Aufnahmestaats unter Wahrung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts festgelegt.

Im Aufnahmestaat wird die Rechtslage des Antragstellers, der sich dort auf die Eignungsprüfung vorbereiten will, von den zuständigen Stellen dieses Staats festgelegt."

6 Artikel 3 der Richtlinie 89/48, der die Grundsätze für den Zugang zu einem reglementierten Beruf und dessen Ausübung aufstellt, bestimmt:

"Wenn der Zugang zu einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung im Aufnahmestaat von dem Besitz eines Diploms abhängig gemacht wird, kann die zuständige Stelle einem Angehörigen eines Mitgliedstaats den Zugang zu diesem Beruf oder dessen Ausübung unter denselben Voraussetzungen wie bei Inländern nicht wegen mangelnder Qualifikation verweigern,

a) wenn der Antragsteller das Diplom besitzt, das in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich ist, um Zugang zu diesem Beruf in seinem Hoheitsgebiet zu erhalten oder ihn dort auszuüben, und wenn dieses Diplom in einem Mitgliedstaat erworben wurde, oder

b) wenn der Antragsteller diesen Beruf vollzeitlich zwei Jahre lang in den vorhergehenden zehn Jahren in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt hat, der diesen Beruf nicht gemäß Artikel 1 Buchstabe c) und Buchstabe d) Absatz 1 reglementiert, sofern der Betreffende dabei im Besitz von einem oder mehreren Ausbildungsnachweisen war,

- die in einem Mitgliedstaat von einer nach dessen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bestimmten zuständigen Stelle ausgestellt worden waren;

- aus denen hervorgeht, dass der Inhaber ein mindestens dreijähriges Studium oder ein dieser Dauer entsprechendes Teilzeitstudium an einer Universität oder einer Hochschule oder einer anderen Ausbildungseinrichtung mit gleichwertigem Niveau in einem Mitgliedstaat absolviert und gegebenenfalls die über das Studium hinaus erforderliche berufliche Ausbildung abgeschlossen hatte und

- die er zur Vorbereitung auf die Ausübung dieses Berufs erworben hatte.

Dem Ausbildungsnachweis nach Unterabsatz 1 sind ein jedes Prüfungszeugnis bzw. Prüfungszeugnisse insgesamt gleichgestellt, die von einer zuständigen Stelle in einem Mitgliedstaat ausgestellt werden, wenn sie eine in der Gemeinschaft erworbene Ausbildung bestätigen und von diesem Mitgliedstaat als gleichwertig anerkannt werden, sofern diese Anerkennung den übrigen Mitgliedstaaten und der Kommission mitgeteilt worden ist."

7 Nach Artikel 4 der Richtlinie 89/48 kann der Aufnahmestaat den Zugang zu einem reglementierten Beruf an bestimmte Voraussetzungen knüpfen. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 hindert Artikel 3 der Richtlinie den Aufnahmestaat nicht daran, vom Antragsteller zu verlangen,

"...

b) dass er einen höchstens dreijährigen Anpassungslehrgang absolviert oder eine Eignungsprüfung ablegt,

- wenn seine bisherige Ausbildung gemäß Artikel 3 Buchstaben a) und b) sich auf Fächer bezieht, die sich wesentlich von denen unterscheiden, die von dem Diplom abgedeckt werden, das in dem Aufnahmestaat vorgeschrieben ist, oder

- wenn in dem in Artikel 3 Buchstabe a) vorgesehenen Fall der reglementierte Beruf in dem Aufnahmestaat eine oder mehrere reglementierte berufliche Tätigkeiten umfasst, die in dem Heimat- oder Herkunftsmitgliedstaat des Antragstellers nicht Bestandteil des betreffenden reglementierten Berufs sind, und wenn dieser Unterschied in einer besonderen Ausbildung besteht, die in dem Aufnahmestaat gefordert wird und sich auf Fächer bezieht, die sich wesentlich von denen unterscheiden, die von dem Diplom abgedeckt werden, das der Antragsteller vorweist, oder

- wenn in dem in Artikel 3 Buchstabe b) vorgesehenen Fall der reglementierte Beruf in dem Aufnahmestaat eine oder mehrere reglementierte berufliche Tätigkeiten umfasst, die nicht Bestandteil des vom Antragsteller in seinem Heimat- oder Herkunftsmitgliedstaat ausgeübten Berufs sind, und wenn dieser Unterschied in einer besonderen Ausbildung besteht, die in dem Aufnahmestaat gefordert wird und sich auf Fächer bezieht, die sich wesentlich von denen unterscheiden, die von dem oder den Befähigungsnachweisen abgedeckt werden, die der Antragsteller vorweist.

..."

8 Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 89/48 bestimmt außerdem, dass der Aufnahmestaat "abweichend von diesem Grundsatz... einen Anpassungslehrgang oder eine Eignungsprüfung vorschreiben [kann], wenn es sich um Berufe handelt, deren Ausübung eine genaue Kenntnis des nationalen Rechts erfordert und bei denen die Beratung und/oder der Beistand in Fragen des innerstaatlichen Rechts ein wesentlicher und ständiger Bestandteil der beruflichen Tätigkeit ist...."

9 Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 89/48 verbietet den Mitgliedstaaten, vom Antragsteller gleichzeitig zu verlangen, dass er seine Berufserfahrung nachweist und einen Anpassungslehrgang absolviert oder eine Eignungsprüfung ablegt.

Italienisches Recht

10 Die wesentlichen Bestimmungen über den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf und dessen Ausübung in Italien sind im Regio Decreto Legge Nr. 1578, Ordinamento delle professioni di avvocato e procuratore (Königliches Gesetzesdekret Nr. 1578 zur Regelung des Rechtsanwaltsberufs) vom 27. November 1933 (im Folgenden: Regio decreto-legge Nr. 1578/33) enthalten.

11 Artikel 17 Absatz 1 des Regio decreto-legge Nr. 1578/33 bestimmt:

"Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte ist

1. die italienische Staatsangehörigkeit oder italienische Abstammung aus Gebieten, die mit Italien nicht politisch vereint sind,

...

4. ein von einer Universität der Republik verliehenes oder bestätigtes Diplom der Rechtswissenschaft ("laurea in giurisprudenza"),

5. ein glänzender und erfolgreicher Abschluss eines mindestens zweijährigen Praktikums nach Erlangung des Diploms mit Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei und Teilnahme an zivil- und strafrechtlichen Verhandlungen der Corte d'appello oder des Tribunale unter Bedingungen, die nach Artikel 101 festgelegt werden, oder die Wahrnehmung der anwaltlichen Vertretung vor den Preture im Sinne des Artikels 8 während desselben Zeitraums,

...

7. Wohnsitz im Bezirk des Gerichts, in dessen Liste die Eintragung begehrt wird."

12 Die Legge Nr. 31, Libera prestazione di servizi da parte degli avvocati cittadini di altri Stati membri della Comunità europea (Gesetz Nr. 31 über den freien Dienstleistungsverkehr der Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft), vom 9. Februar 1982 (GURI Nr. 42 vom 12. Februar 1982, S. 1030, im Folgenden: Gesetz Nr. 31/82) dient der Umsetzung der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (ABl. L 78, S. 17). Artikel 2 des Gesetzes Nr. 31/82 sieht vor:

"Berufliche Dienstleistungen

Personen im Sinne des Artikels 1 [Staatsangehörige der Mitgliedstaaten, die im Herkunftsmitgliedstaat den Beruf des Rechtsanwalts ausüben dürfen] ist die gerichtliche und außergerichtliche Ausübung der beruflichen Tätigkeiten des Rechtsanwalts mit vorübergehendem Charakter nach den in diesem Titel festgelegten Modalitäten erlaubt.

Es ist nicht gestattet, zur Ausübung der im vorstehenden Absatz genannten beruflichen Tätigkeiten im Hoheitsgebiet der Republik eine Kanzlei oder einen Haupt- oder Nebensitz einzurichten."

13 Das Decreto legislativo Nr. 115 vom 27. Januar 1992 (GURI Nr. 40 vom 18. Februar 1992, S. 6, im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 115/92) dient der Umsetzung der Richtlinie 89/48. Artikel 6 Absatz 2 dieses Decreto legislativo bestimmt:

"Voraussetzung für die Anerkennung [des Ausbildungsnachweises] ist die erfolgreiche Ablegung einer Eignungsprüfung für die Berufe des Rechtsanwalts, des Beraters in Handelssachen und des Beraters für gewerbliche Schutzrechte."

14 Artikel 8 Absätze 1 und 2 des Decreto legislativo Nr. 115/92 bestimmt:

"1. Die Eignungsprüfung besteht aus einer Prüfung der beruflichen und standesrechtlichen Kenntnisse sowie aus einer Bewertung der Fähigkeiten zur Ausübung des Berufes unter Berücksichtigung dessen, dass der Antragsteller im Ursprungs- oder Herkunftsstaat ein qualifizierter Berufsangehöriger ist.

2. Die Gebiete, auf die sich die Prüfung erstreckt, sind nach Maßgabe ihrer essentiellen Bedeutung für die Ausübung des Berufes auszuwählen."

15 Artikel 9 des Decreto legislativo Nr. 115/92 lautet wie folgt:

"Im Einvernehmen mit dem Minister für die Koordinierung der Gemeinschaftspolitiken und dem Minister für die Universitäten sowie die wissenschaftliche und technologische Forschung und nach Anhörung des Consiglio di Stato erlässt der nach Artikel 11 zuständige Minister [hier: der Justizminister] durch Dekret die Vorschriften und allgemeinen Leitlinien für die Anwendung der Artikel 5, 6, 7 und 8 betreffend die einzelnen Berufe und die entsprechenden Berufsausbildungen."

16 Artikel 12 Absätze 1, 3, 5, 6 und 7 des Decreto legislativo Nr. 115/92 bestimmt:

"1. Der Antrag auf Anerkennung ist an den zuständigen Minister zu richten; beizufügen sind die Unterlagen betreffend die anzuerkennenden Titel gemäß den Anforderungen des Artikels 10.

...

3. Binnen dreißig Tagen nach Eingang des Antrags prüft der Minister die Vollständigkeit der beigefügten Unterlagen und teilt dem Antragsteller gegebenenfalls mit, welche Ergänzungen vorzunehmen sind.

...

5. Der zuständige Minister entscheidet über die Anerkennung durch Dekret, das binnen vier Monaten nach Stellung des Antrags oder nach dessen Ergänzung gemäß Absatz 3 ergeht.

6. In den Fällen des Artikels 6 ("Ausgleichsmaßnahmen") legt das Dekret die Bedingungen für die Durchführung des Anpassungslehrgangs oder der Eignungsprüfung fest und benennt die gemäß Artikel 15 zuständige Einrichtung oder Stelle.

7. Die Dekrete im Sinne des Absatzes 5 werden in der Gazzetta ufficiale veröffentlicht.

..."

17 Artikel 15 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 115/92 sieht vor:

"1. Die Durchführung und Bewertung des Anpassungslehrgangs und der Eignungsprüfung obliegt den Einrichtungen und Stellen, die die Berufslisten, -verzeichnisse oder -register führen.

..."

18 Die Legge Nr. 146, Disposizioni per l'adempimento di obblighi derivanti dall' appartenenza dell'Italia alla Comunità europea, legge comunitaria 1993 (Gesetz Nr. 146 mit Vorschriften zur Erfuellung der Verpflichtungen, die sich aus der Zugehörigkeit Italiens zur Europäischen Gemeinschaft ergeben, Gemeinschaftsgesetz 1993), vom 22. Februar 1994 (Supplemento ordinario Nr. 39 zur GURI Nr. 52 vom 4. März 1994, S. 1, im Folgenden: Gesetz Nr. 146/94) bestimmt in Artikel 10:

"Die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind für die Zwecke der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte gemäß Artikel 17 des Regio decreto-legge Nr. 1578 vom 27. November 1933... zur Regelung des Rechtsanwaltsberufs den italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt."

Vorverfahren

19 Die Kommission gab der Italienischen Republik zunächst gemäß dem Verfahren des Artikels 169 Absatz 1 EG-Vertrag Gelegenheit, sich zu äußern, und richtete dann mit Schreiben vom 8. Oktober 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an sie mit der Aufforderung, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EG-Vertrag und der Richtlinie 89/48 nachzukommen. Da die Kommission die Antwort der italienischen Regierung auf diese Stellungnahme für unbefriedigend hielt, hat sie die vorliegende Klage eingereicht.

Zur ersten Rüge

20 Mit ihrer ersten Rüge macht die Kommission geltend, Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 31/82 verstoße gegen Artikel 59 EG-Vertrag, da diese nationale Vorschrift es in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Rechtsanwälten, die in Italien Dienstleistungen erbringen wollten, verbiete, in Italien über eine bestimmte Infrastruktur zu verfügen.

21 Die italienische Regierung trägt im Wesentlichen vor, mit diesem Verbot solle eine Umgehung der Niederlassungsfreiheit verhindert werden. Ohne ein solches Verbot könnten nämlich Rechtsanwälte, die von ihrem Recht auf Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machten, unter dem Deckmantel einer bestimmten Struktur eine Niederlassung gründen. Um jeden Zweifel an der Vereinbarkeit von Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 31/82 mit Artikel 59 EG-Vertrag auszuräumen, weist sie jedoch ergänzend darauf hin, dass dem italienischen Parlament ein Gesetzentwurf, der die Aufhebung dieser nationalen Vorschrift vorsehe, zur Prüfung vorliege.

22 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass der vorübergehende Charakter einer Dienstleistung nicht die Möglichkeit für den Dienstleistungserbringer im Sinne des Vertrages ausschließt, sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist (Urteil des Gerichtshofes vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 27).

23 Das in Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 31/82 ausgesprochene allgemeine Verbot für einen Rechtsanwalt, der in einem anderen Mitgliedstaat als der Italienischen Republik niedergelassen ist und in Italien von seinem Recht auf Dienstleistungsfreiheit Gebrauch macht, in Italien eine Kanzlei oder einen Haupt- oder Nebensitz zu gründen, verstößt daher gegen Artikel 59 EG-Vertrag.

24 Die erste Rüge der Kommission ist daher begründet.

Zur zweiten Rüge

Zum ersten Teil

25 Mit dem ersten Teil ihrer zweiten Rüge macht die Kommission geltend, die in Artikel 17 Absatz 1 Nummer 7 des Regio decreto-legge Nr. 1578/33 normierte Verpflichtung für einen Rechtsanwalt, im Bezirk des Gerichts zu wohnen, in dessen Liste er eingetragen ist, verletze die in Artikel 52 EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit.

26 Die italienische Regierung erwidert, die Wohnsitzverpflichtung entspreche gerichtsorganisatorischen Erfordernissen in dem Sinne, dass sie die Kontrollen erleichtere, die durch das Bestehen einer örtlichen berufsständischen Liste bedingt seien. Wie sich aus der Mitteilung Nr. 6/1994 der Nationalen Rechtsanwaltskammer ergebe, werde in der Praxis jedoch von Rechtsanwälten aus anderen Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik nicht mehr verlangt, dieser Verpflichtung nachzukommen. Im Übrigen sehe der Gesetzesentwurf zur Reform des Rechtsanwaltsberufs vor, die Wohnsitzvoraussetzung durch die Voraussetzung eines Geschäftssitzes zu ersetzen, was die Möglichkeit für den Betroffenen einschließe, in einem Mitgliedstaat seinen offiziellen Wohnsitz und in einem anderen Mitgliedstaat seinen Geschäftssitz zu nehmen oder beizubehalten.

27 Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass die in Artikel 52 EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit die Möglichkeit umfasst, unter Beachtung der Berufsregelungen im Gebiet der Gemeinschaft mehr als eine Stätte für die Ausübung einer Tätigkeit einzurichten und beizubehalten (in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 107/83, Klopp, Slg. 1984, 2971, Randnr. 19, vom 20. Mai 1992 in der Rechtssache C-106/91, Ramrath, Slg. 1992, I-3351, Randnrn. 20 bis 22 und 28, und vom 18. Januar 2001 in der Rechtssache C-162/99, Kommission/Italien, Slg. 2001, I-541, Randnr. 20).

28 Die von der Kommission beanstandete Wohnsitzverpflichtung verstößt somit gegen Artikel 52 EG-Vertrag, da sie einen Rechtsanwalt, der in einem anderen Mitgliedstaat als der Italienischen Republik niedergelassen ist, daran hindert, eine Niederlassung in Italien beizubehalten.

29 Dem Vorbringen der italienischen Regierung, es liege kein Verstoß gegen Artikel 52 EG-Vertrag vor, weil die Wohnsitzverpflichtung in der Praxis nicht angewandt werde, kann nicht gefolgt werden.

30 Nach ständiger Rechtsprechung lässt sich nämlich die Unvereinbarkeit von nationalem Recht mit Gemeinschaftsrecht auch insoweit, als dieses unmittelbar anwendbar ist, letztlich nur durch verbindliche nationale Bestimmungen ausräumen, die denselben rechtlichen Rang haben wie die zu ändernden Bestimmungen. Eine bloße Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist, kann nicht als rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag angesehen werden (vgl. u. a. Urteile vom 13. März 1997 in der Rechtssache C-197/96, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-1489, Randnr. 14, und vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-358/98, Kommission/Italien, Slg. 2000, I-1255, Randnr. 17).

31 Der erste Teil der zweiten Rüge der Kommission ist somit begründet.

Zum zweiten Teil

32 Mit dem zweiten Teil ihrer zweiten Rüge begehrt die Kommission die Feststellung, dass Artikel 17 Absatz 1 Nummern 1, 4 und 5 des Regio decreto-legge Nr. 1578/33 gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, da darin der Zugang zum Rechtsanwaltsberuf vom Besitz der italienischen Staatsangehörigkeit und eines italienischen Diploms der Rechtswissenschaft ("laurea in giurisprudenza") sowie dem Abschluss eines zweijährigen Praktikums bei den italienischen Gerichten abhängig gemacht werde.

33 Insoweit ist unstreitig, dass die Voraussetzung der Staatsangehörigkeit durch Artikel 10 des Gesetzes Nr. 146/94, wonach die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik für die Zwecke der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte den italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt werden, aufgehoben wurde. Ferner wurden die Vorschriften über den Besitz eines italienischen Diploms der Rechtswissenschaft und den Abschluss eines Praktikums durch das Decreto legislativo 115/92, das ein Verfahren zur Anerkennung des in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Rechtsanwaltstitels vorsieht, aufgehoben.

34 Die Kommission ist dennoch der Ansicht, dass den Erfordernissen der Rechtssicherheit nicht entsprochen sei, da die Änderungen des Artikels 17 Absatz 1 des Regio decreto-legge Nr. 1578/33 nicht in dessen Wortlaut aufgenommen worden seien. Das Vorliegen zwei sich widersprechender Vorschriften erschwere dem Einzelnen die Kenntnis der geltenden Rechtsvorschriften und mache es somit schwieriger, von den Gemeinschaftsrechten Gebrauch zu machen, die den Rechtsanwälten aus den anderen Mitgliedstaaten zuständen.

35 Die italienische Regierung beruft sich in dieser Hinsicht auf den bei zeitlich aufeinander folgenden Gesetzen geltenden Grundsatz, dass das spätere Gesetz Vorrang gegenüber dem früheren habe, wenn beide nicht miteinander vereinbar seien.

36 Insoweit ist unstreitig, dass die im Gesetz Nr. 146/94 und im Decreto legislativo Nr. 115/92 enthaltenen Änderungsvorschriften zum einen zwingend sind und dass sie zum anderen die in Artikel 17 Absatz 1 des Regio decreto-legge Nr. 1578/33 für den Zugang zum Anwaltsberuf enthaltenen Verpflichtungen in Bezug auf den Besitz der italienischen Staatsangehörigkeit und eines Diploms der italienischen Rechtswissenschaft sowie den Abschluss eines zweijährigen Praktikums bei italienischen Gerichten aufheben.

37 Die genannten Änderungsvorschriften erfuellen die beiden vom Gerichtshof für die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem primären Gemeinschaftsrecht aufgestellten Voraussetzungen, dass sich die Unvereinbarkeit von nationalem Recht mit Gemeinschaftsrecht auch insoweit, als dieses unmittelbar anwendbar ist, letztlich nur durch verbindliche nationale Bestimmungen ausräumen lässt, die denselben rechtlichen Rang haben wie die zu ändernden Bestimmungen (u. a. Urteil vom 9. März 2000, Kommission/Italien, Randnr. 17).

38 Im vorliegenden Fall ergibt sich die Aufhebung der einschlägigen Vorschriften des Regio decreto-legge Nr. 1578/33 durch das Gesetz Nr. 146/94 und das Decreto legislativo Nr. 115/92 automatisch aus der Anwendung des Grundsatzes des Vorrangs der späteren Gesetze, der den Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten gemein ist.

39 Es ist somit festzustellen, dass im vorliegenden Fall die Erfordernisse der Rechtssicherheit nicht missachtet worden sind.

40 Der zweite Teil der zweiten Rüge der Kommission ist daher zurückzuweisen.

Zur dritten und zur vierten Rüge

41 Die dritte und die vierte Rüge der Kommission, die gemeinsam zu prüfen sind, betreffen die Umsetzung und die praktische Anwendung von Artikel 4 der Richtlinie 89/48 hinsichtlich der darin vorgesehenen Eignungsprüfung.

Vorbringen der Parteien

42 Mit ihrer vierten Rüge wirft die Kommission der Italienischen Republik vor, sie habe die Richtlinie 89/48 unvollständig umgesetzt, da sie keine Regelung erarbeitet habe, in der die Durchführungsmodalitäten der Eignungsprüfung im Sinne des Artikels 1 Buchstabe g Unterabsatz 1 der Richtlinie festgelegt würden.

43 Das Decreto legislativo Nr. 115/92, das der Umsetzung von Artikel 1 Buchstabe g und Artikel 4 der Richtlinie 89/48 diene, sehe in seinen Artikeln 9 und 11 vor, dass "die Vorschriften und allgemeinen Leitlinien" für die Durchführung der Eignungsprüfung vom italienischen Justizminister zu erlassen seien. Solche Maßnahmen seien nicht getroffen worden.

44 In der Praxis würden Artikel 1 Buchstabe g und Artikel 4 der Richtlinie 89/48 von den italienischen Behörden durch einzelfallbezogene Ministerialdekrete umgesetzt, und für jeden Kandidaten werde eine persönliche Eignungsprüfung erarbeitet. Diese Verwaltungspraxis schaffe für die Kandidaten eine rechtlich unsichere Situation, in der sie weder die von der Eignungsprüfung umfassten Sachgebiete noch deren Anzahl oder die Art der Aufteilung dieser Prüfung in schriftlichen und mündlichen Teil, die Bewertungskriterien und andere wesentliche Aspekte des Prüfungsablaufs voraussehen könnten.

45 Mit ihrer dritten Rüge beanstandet die Kommission die konkrete Durchführung der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/48 für Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten vorgesehenen Eignungsprüfung durch die italienischen Behörden.

46 Nach den ihr vorliegenden Informationen, nämlich dem Text der einzelfallbezogenen Ministerialdekrete über die Anerkennung der in Artikel 12 Absatz 5 des Decreto-legislativo Nr. 115/92 genannten Berufstitel, und den Informationen, die sie im Rahmen der bei ihr eingegangenen Beschwerden von Rechtsanwälten aus anderen Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik erhalten habe, könne sich die Eignungsprüfung auf zehn Sachgebiete sowie auf die Gerichtsorganisation und die Standesregeln der Rechtsanwälte erstrecken; sie bestehe aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil. Die schriftliche Prüfung, in der ein Schriftsatz oder ein Gutachten zu erstellen sei, umfasse drei Sachgebiete, die von der Prüfungskommission aus den zehn möglichen Sachgebieten ausgewählt würden, sowie die Gerichtsorganisation und die Standesregeln der Rechtsanwälte, während die mündliche Prüfung, in der kurze praktische Fragen beantwortet werden müssten, sich auf sämtliche Sachgebiete sowie auf die Gerichtsorganisation und die Standesregeln der Rechtsanwälte erstrecke.

47 Die Kommission wirft den italienischen Behörden eine diskriminierende Praxis vor, da die Eignungsprüfung gegenüber der Zulassungsprüfung, der italienische Rechtsanwälte unterlägen, übermäßig schwierig sei. Die Zulassungsprüfung bestehe ebenfalls aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil. Die schriftliche Prüfung umfasse jedoch nur drei Sachgebiete, von denen eines vom Antragsteller ausgewählt werde, und die mündliche Prüfung erstrecke sich lediglich auf fünf Sachgebiete, die alle vom Antragsteller ausgewählt würden; daneben würden Fragen zur Gerichtsorganisation und den Standesregeln der Rechtsanwälte gestellt.

48 Nach den von ihr in der Erwiderung vorgelegten Statistiken des Jahres 1998 hätten von neunundzwanzig Rechtsanwälten aus anderen Mitgliedstaaten, die die Anerkennung ihres Berufstitels in Italien beantragt und erreicht hätten, achtzehn eine Eignungsprüfung abgelegt, die nur ein Sachgebiet umfasst habe. Bei den anderen elf Antragstellern habe sich die Eignungsprüfung jedoch in einem Fall auf sieben, in einem anderen auf neun und in acht weiteren Fällen auf sämtliche Sachgebiete sowie auf die Gerichtsorganisation und die Standesregeln der Rechtsanwälte erstreckt.

49 Die italienische Regierung vertritt die Ansicht, das Decreto legislativo Nr. 115/92 setze die Richtlinie 89/48 vollständig um.

50 Zum konkreten Inhalt der Eignungsprüfung weist die italienische Regierung darauf hin, dass ein bestimmtes Ermessen erforderlich sei, da sich die in den einzelnen Mitgliedstaaten erworbenen beruflichen Befähigungen unterschieden. Sie macht außerdem geltend, dass die Eignungsprüfung die berufliche Qualifikation berücksichtige, die ein Rechtsanwalt in einem anderen Mitgliedstaat als der Italienischen Republik erworben habe, und dass das Decreto legislativo Nr. 115/92 und seine Anwendung den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entsprächen.

Würdigung durch den Gerichtshof

51 Artikel 1 Buchstabe g Unterabsatz 2 der Richtlinie 89/48 bestimmt, dass die zuständigen Stellen des Aufnahmestaats zur Ermöglichung der Organisation der Eignungsprüfung "ein Verzeichnis der Sachgebiete [erstellen], die aufgrund eines Vergleichs zwischen der in ihrem Staat verlangten Ausbildung und der bisherigen Ausbildung des Antragstellers von dem Diplom oder dem bzw. den Prüfungszeugnissen, die der Antragsteller vorlegt, nicht abgedeckt werden".

52 Der konkrete Inhalt der Eignungsprüfung muss somit im Einzelfall festgelegt werden, nachdem die Qualifikationen und die Erfahrung des Antragstellers, der - wie in der neunten Begründungserwägung der Richtlinie 89/48 hervorgehoben wird - bereits in einem anderen Mitgliedstaat eine Berufsausbildung erhalten hat, Punkt für Punkt mit der Liste der als für die Ausbildung in dem betroffenen Beruf unverzichtbar angesehenen Sachgebiete verglichen wurden.

53 Zwar verlangt Artikel 1 Buchstabe g der Richtlinie 89/48 nicht, dass die Mitgliedstaaten alle Aspekte der Eignungsprüfung im Einzelnen regeln, er befreit sie jedoch nicht von der Verpflichtung, die als für die Ausübung des Berufs unerlässlich angesehenen Sachgebiete und die Modalitäten dieser Eignungsprüfung festzulegen und zu veröffentlichen, so dass die Antragsteller eine allgemeine Kenntnis von Art und Inhalt der Prüfung, der sie sich gegebenenfalls unterziehen müssen, haben können. Ohne eine solche Regelung besteht die Gefahr, dass der in Artikel 1 Buchstabe g Unterabsatz 2 der Richtlinie 89/48 vorgesehene Vergleich im Einzelfall willkürlich oder diskriminierend vorgenommen wird.

54 Es ist unstreitig, dass das Decreto legislativo Nr. 115//92 weder die Sachgebiete, die für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in Italien als unerlässlich angesehen werden, noch die Modalitäten der Eignungsprüfung festlegt und somit Rechtsungewissheit und sogar Rechtsunsicherheit schafft. Das genannte Decreto legislativo setzt somit die Richtlinie 89/48 nicht vollständig um.

55 Es ist daher festzustellen, dass die Italienische Republik die Richtlinie 89/48 nicht vollständig umgesetzt hat, so dass die vierte Rüge der Kommission begründet ist.

56 Die von der Kommission zur Begründung ihrer dritten Rüge angeführten Einzelfälle können zwar den Eindruck verstärken, dass es bei der praktischen Durchführung der Eignungsprüfung an Kohärenz und Transparenz fehlt, es ist jedoch festzustellen, dass dem Gerichtshof keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen worden sind, die einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus der Richtlinie 89/48 bei der Durchführung dieser Eignungsprüfung im Einzelfall belegen könnten. Die dritte Rüge der Kommission ist daher zurückzuweisen.

57 Nach alledem ist festzustellen, dass die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EG-Vertrag sowie der Richtlinie 89/48 verstoßen hat, indem sie

- unter Verstoß gegen Artikel 59 EG-Vertrag für Rechtsanwälte, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind und ihre Tätigkeit in Italien im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs ausüben, ein allgemeines Verbot aufrechterhält, in Italien über die zur Erbringung ihrer Dienstleistungen erforderliche Infrastruktur zu verfügen,

- die Rechtsanwälte unter Verstoß gegen Artikel 52 EG-Vertrag verpflichtet, im Bezirk des Gerichts zu wohnen, in dessen Liste sie eingetragen sind, und

- die Richtlinie 89/48 unvollständig umgesetzt hat, da es an einer Durchführungsregelung fehlt, die die Modalitäten der Eignungsprüfung für Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten festlegt.

58 Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

59 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung sind der unterliegenden Partei auf Antrag die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Nach Artikel 69 § 3 Absatz 1 kann der Gerichtshof jedoch die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Italienische Republik und die Kommission mit ihrem Vorbringen teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, haben sie jeweils ihre eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Italienische Republik hat gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) sowie der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschliessen, verstoßen, indem sie

- unter Verstoß gegen Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) für Rechtsanwälte, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind und ihre Tätigkeit in Italien im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs ausüben, ein allgemeines Verbot aufrechterhält, in Italien über die zur Erbringung ihrer Dienstleistungen erforderliche Infrastruktur zu verfügen,

- die Rechtsanwälte unter Verstoß gegen Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) verpflichtet, im Bezirk des Gerichts zu wohnen, in dessen Liste sie eingetragen sind, und

- die Richtlinie 89/48 unvollständig umgesetzt hat, da es an einer Durchführungsregelung fehlt, die die Modalitäten der Eignungsprüfung für Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten festlegt.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Italienische Republik und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften tragen jeweils ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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