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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.09.1994
Aktenzeichen: C-146/91
Rechtsgebiete: Verordnung 1707/86, EWG-Vertrag


Vorschriften:

Verordnung 1707/86 Art. 3
EWG-Vertrag Art. 215 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 40 Abs. 3
EWG-Vertrag Art. 39 Abs. 1 Buchst. b
EWG-Vertrag Art. 39 Abs. 1 Buchst. c
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten, die im Zusammenhang mit den Voraussetzungen für eine Übernahme der Ausgaben für die Ausfuhrerstattungen und die Ankäufe zur Intervention von radioaktiv kontaminierten landwirtschaftlichen Erzeugnissen durch den EAGFL die Auslegung des in der Verordnung Nr. 1569/77 über das Verfahren für die Übernahme von Getreide durch die Interventionsstellen sowie in der Verordnung Nr. 2730/79 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen vorkommenden Begriffs des gesunden und handelsüblichen und zur menschlichen Ernährung geeigneten Erzeugnisses durch die Kommission enthält, stellt keinen Akt dar, der für die Mitgliedstaaten verbindlich ist. Diese Auslegung ist nicht bindend und weder für die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten noch ° a fortiori ° für die einzelnen verbindlich. Bei einer solchen Mitteilung handelt es sich folglich nicht um einen Rechtsakt der Kommission, durch den es verboten wurde, landwirtschaftliche Erzeugnisse, deren Radioaktivität bestimmte Grenzwerte überschritt, zur Intervention anzubieten oder für sie Ausfuhrerstattungen zu gewähren.

Diese Auslegung konnte jedoch, auch wenn sie keine Bindungswirkung besaß, die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten dazu veranlassen, es abzulehnen, die betreffenden landwirtschaftlichen Erzeugnisse zur Intervention anzukaufen oder für sie Ausfuhrerstattungen zu gewähren. Die Mitgliedstaaten konnten nämlich befürchten, daß ihnen, wenn sie die von der Kommission gegebene Auslegung ausser acht lassen würden, die Erstattung ihrer für die betreffenden landwirtschaftlichen Erzeugnisse getätigten Ausgaben durch den EAGFL verweigert würde. Deshalb hat der Gerichtshof zu prüfen, ob diese Auslegung mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht.

2. Die Kommission besitzt als Hüterin des Gemeinschaftsrechts und mit der Verwaltung des EAGFL betraute Stelle die Befugnis, die Mitgliedstaaten auf die von ihnen anzuwendenden Gemeinschaftsvorschriften hinzuweisen und im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit den nationalen Verwaltungen ihre eigene Auslegung dieser Vorschriften zu geben.

3. Wenn die für den Ankauf zur Intervention und die Gewährung von Ausfuhrerstattungen zulässigen Hoechstwerte der Radioaktivität noch nicht in einer Verordnung festgelegt worden sind, ist es angebracht, zur Einstufung eines landwirtschaftlichen Erzeugnisses als gesund und handelsüblich im Sinne der Verordnung Nr. 1569/77 über das Verfahren für die Übernahme von Getreide durch die Interventionsstellen die für die Einfuhr dieses Erzeugnisses in die Gemeinschaft bestehenden Werte anzuwenden. Die Gefahr, die von kontaminierten Erzeugnissen für die menschliche Gesundheit ausgeht, hängt nämlich nicht davon ab, in welcher Weise diese Erzeugnisse in den Handelsverkehr gelangen.

4. Der Rat hat nicht gegen das in Artikel 40 Absatz 3 EWG-Vertrag verankerte Diskriminierungsverbot verstossen, indem er in der Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 zur Festlegung von Hoechstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation und in der Verordnung (EWG) Nr. 3955/87 über die Einfuhrbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern nach dem Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl unterschiedliche Hoechstwerte der Radioaktivität festgelegt hat.

Die beiden Verordnungen haben nämlich unterschiedliche Inhalte und Ziele. Während die Verordnung Nr. 3955/87 speziell die Folgen des Unfalls in Tschernobyl betraf und für diesen konkreten Fall die Hoechstwerte der Radioaktivität festlegte, wurde durch die Verordnung Nr. 3954/87 ein auf Dauer angelegtes System geschaffen, das es der Gemeinschaft erlaubt, bei zukünftigen Nuklearunfällen oder anderen Notstandssituationen Hoechstwerte der Radioaktivität festzulegen. Wie sich aus den Artikeln 2 Absatz 1 und 3 Absatz 4 dieser letztgenannten Verordnung ergibt, handelt es sich bei den im Anhang genannten Zahlen um subsidiäre Hoechstwerte, die vorläufig, d. h. bis zum Erlaß eines Beschlusses gelten, durch den von Fall zu Fall genaue Hoechstwerte der Radioaktivität festgelegt werden. In Anbetracht dessen, daß unterschiedliche Sachverhalte betroffen waren, konnten die subsidiären Hoechstwerte in der Verordnung Nr. 3954/87 höher angesetzt werden als die spezifischen Hoechstwerte in der Verordnung Nr. 3955/87.

5. Die Grundsätze des freien Warenverkehrs und der freien Ausfuhr können Beschränkungen unterworfen werden, die dem Gesundheitsschutz dienen sollen, wie etwa der Beschränkung, die sich aus der Festsetzung der Hoechstwerte der Radioaktivität für zur menschlichen Ernährung bestimmte Nahrungsmittel durch die ° den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezweckende ° Verordnung Nr. 1707/86 ergibt.

6. Der Rat verfügt zwar bei der Verwirklichung der verschiedenen in Artikel 39 EWG-Vertrag aufgezählten Ziele über ein weites Ermessen; er darf jedoch bei der Ausübung dieses Ermessens nicht von Erfordernissen des Allgemeininteresses wie dem Schutz der Verbraucher oder der Gesundheit und des Lebens der Menschen absehen.

7. In Anbetracht der nach dem Nuklearunfall in Tschernobyl bestehenden besonderen Umstände, die durch die Neuartigkeit und die Schwere der Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher und durch das Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse gekennzeichnet waren, die die genaue Einschätzung der Folgen eines solchen Unfalls ermöglicht hätten, konnte der Rat Maßnahmen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik nur nach und nach treffen, sobald er über die Angaben verfügte, die er zur Festsetzung der zulässigen Grenzwerte der Radioaktivität für die Vermarktung der kontaminierten landwirtschaftlichen Erzeugnisse benötigte. Unter diesen Umständen ließ sich aus Artikel 39 EWG-Vertrag keine Verpflichtung des Rates ableiten, sofort nach diesem Unfall die Vorschriften über den Ankauf durch die Interventionsstellen und die Gewährung von Ausfuhrerstattungen an die gegebene Situation anzupassen.

8. Der Rat ist weder nach dem EWG-Vertrag noch nach der Verordnung Nr. 2727/75 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide verpflichtet, finanzielle Maßnahmen zum unmittelbaren Ausgleich von Verlusten zu treffen, die Erzeuger durch Naturkatastrophen oder sonstige aussergewöhnliche Ereignisse erleiden.

9. In Anbetracht der Kompliziertheit und des technischen Charakters der fraglichen Materie sowie des geringen Umfangs der wissenschaftlichen Erkenntnisse, über die die Kommission zum Zeitpunkt des Unfalls in Tschernobyl in bezug auf die zulässigen Hoechstwerte der Radioaktivität in Nahrungsmitteln verfügte, kann der Zeitraum von dreizehn Monaten, der zwischen dem Ersuchen des Rates, ihm unverzueglich Vorschläge auszuarbeiten, und der tatsächlichen Unterbreitung eines Vorschlags für eine dauerhafte Gemeinschaftsregelung durch die Kommission lag, nicht als übermässig lang angesehen werden, und er kann daher nicht die Haftung der Gemeinschaft begründen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 15. SEPTEMBER 1994. - KOINOPRAXIA ENOSEON GEORGIKON SYNETAIRISMON DIACHEIRISEOS ENCHORION PROIONTON SYN. PE (KYDEP) GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN UNION UND KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - GEMEINSAME MARKTORGANISATION FUER GETREIDE - AUSSERVERTRAGLICHE HAFTUNG. - RECHTSSACHE C-146/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Koinopraxia Enoseon Georgikon Synetairismon Diacheiriseos Enchorion Proïonton Syn. P.E. (im folgenden: KYDEP) hat mit Klageschrift, die am 29. Mai 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag beantragt, den Rat der Europäischen Union und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zum Ersatz des Schadens zu verurteilen, der ihr durch schuldhafte Handlungen und Unterlassungen entstanden ist, die die genannten Organe im Rahmen der in der Folge des Unfalls im Kernkraftwerk Tschernobyl erlassenen Gemeinschaftsregelung begangen haben.

2 Die KYDEP ist eine in Athen ansässige Genossenschaft griechischen Rechts, die aus 93 Vereinigungen landwirtschaftlicher Genossenschaften besteht. Sie kauft jedes Jahr von den griechischen Erzeugern erhebliche Mengen von Getreide und Gemüse an, die sie lagert und verkauft.

3 Aus der Ernte von 1986 kaufte sie 634 162,152 Tonnen Hartweizen und 335 202,676 Tonnen Weichweizen an, um sie entweder in Drittländern weiterzuverkaufen oder der Gemeinschaft zur Intervention anzubieten.

4 Im Anschluß an den Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl vom 26. April 1986 erließ die Kommission nach und nach Gemeinschaftsvorschriften über die Hoechstwerte der Radioaktivität, und zwar in bezug auf die Einfuhren bestimmter Gruppen landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern in die Gemeinschaft die Verordnung (EWG) Nr. 1707/86 des Rates vom 30. Mai 1986 über die Einfuhrbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern nach dem Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl (ABl. L 146, S. 88), in bezug auf den Ankauf zur Intervention die Verordnung (EWG) Nr. 2751/88 der Kommission vom 2. September 1988 über eine besondere Interventionsmaßnahme für Hartweizen in Griechenland (ABl. L 245, S. 13) und in bezug auf die Ausfuhren bestimmter Gruppen landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit Ursprung in den Mitgliedstaaten die Verordnung (EWG) Nr. 3494/88 der Kommission vom 9. November 1988 zur Änderung u. a. der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 306, S. 24).

5 Daraus folgt, daß zur Zeit der Ernte 1986 nur für die Einfuhr bestimmter Gruppen landwirtschaftlicher Erzeugnisse ° darunter Weizen ° mit Ursprung in Drittländern in die Gemeinschaft Bestimmungen getroffen worden waren, die die Einhaltung bestimmter Grenzwerte der Radioaktivität vorschrieben.

6 Dagegen waren noch keine derartigen Gemeinschaftsvorschriften für den Ankauf zur Intervention und für die Ausfuhr dieser Erzeugnisse erlassen worden. Aus diesem Grund übersandte die Kommission den Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten am 24. Juli 1986 das Fernschreiben Nr. VI-B-1/1178/86 PA/GG/gb (im folgenden: das streitige Fernschreiben). Dieses vom Generaldirektor für Landwirtschaft unterzeichnete Fernschreiben betraf den Ankauf durch die Katastrophe in Tschernobyl kontaminierter Erzeugnisse durch die Interventionsstellen und die Gewährung von Ausfuhrerstattungen für diese Erzeugnisse. Es hatte folgenden Wortlaut:

"Die Mitgliedstaaten werden darauf aufmerksam gemacht, daß die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften bezueglich des Ankaufs zur Intervention allgemein vorsehen, daß die angebotenen Erzeugnisse von gesunder und handelsüblicher Qualität sein müssen oder keine Stoffe enthalten dürfen, die der menschlichen Gesundheit schaden können. Überdies darf ein wegen seiner Merkmale nicht vermarktungsfähiges landwirtschaftliches Erzeugnis auch nicht Gegenstand eines Ankaufsvertrags sein.

Was andererseits die Erzeugnisse angeht, für welche eine Ausfuhrerstattung beantragt wird, so wird die Erstattung bekanntlich gemäß Artikel 15 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 (ABl. Nr. L 317 vom 12.12.1979) für Erzeugnisse von gesunder und handelsüblicher Qualität gewährt, die wegen ihrer Eigenschaften oder wegen ihres Zustands nicht von der menschlichen Ernährung ausgeschlossen werden dürfen.

Angesichts der vorstehenden Ausführungen und unter Berücksichtigung der Verordnung (EWG) Nr. 1707/86 des Rates (ABl. Nr. L 146 vom 31.5.1986) können Erzeugnisse, bei denen die in Artikel 3 der genannten Verordnung festgesetzten Hoechstwerte der Radioaktivität überschritten sind, nicht als Erzeugnisse angesehen werden, welche die für den Interventionskauf oder für den Erhalt der Ausfuhrerstattung erforderlichen Voraussetzungen erfuellen. Die diesbezueglichen Kosten werden deshalb vom EAGFL nicht übernommen."

7 Mit der Verordnung Nr. 1707/86 wurden die Einfuhren bestimmter Gruppen landwirtschaftlicher Erzeugnisse ° darunter Hartweizen ° mit Ursprung in Drittländern in die Gemeinschaft von der Einhaltung bestimmter Hoechstwerte der Radioaktivität abhängig gemacht. In Artikel 3 dieser Verordnung hieß es:

"Die maximale kumulierte Radioaktivität von Cäsium 134 und 137 darf folgende Werte nicht überschreiten:

° 370 Bq/kg für Milch der Tarifnummern 04.01 und 04.02 des Gemeinsamen Zolltarifs sowie für Lebensmittel für die Ernährung speziell von Kleinkindern während der vier bis sechs ersten Lebensmonate, die für sich genommen dem Nahrungsbedarf dieses Personenkreises genügen und in Packungen für den Einzelhandel dargeboten werden, die eindeutig als 'Zubereitungen für Kleinkinder' gekennzeichnet und etikettiert sind,

° 600 Bq/kg für alle anderen betroffenen Erzeugnisse."

8 Die Geltungsdauer der Verordnung Nr. 1707/86, die am 30. September 1986 enden sollte, wurde zweimal verlängert. Am 22. Dezember 1987 erließ der Rat zwei Verordnungen: die Verordnung (EWG) Nr. 3955/87 über die Einfuhrbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern nach dem Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl (ABl. L 371, S. 14), in der im wesentlichen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1707/86 übernommen wurden und deren Geltungsdauer auf zwei Jahre beschränkt wurde, und die Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 zur Festlegung von Hoechstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation (ABl. L 371, S. 11). In dieser Verordnung wird ein Verfahren zur Bestimmung der Hoechstwerte der Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln festgelegt, die nach einem nuklearen Unfall oder einer anderen radiologischen Notstandssituation, die zu einer erheblichen radioaktiven Kontamination von Nahrungsmitteln und Futtermitteln führen können oder geführt haben, auf den Markt gelangen können.

9 Überdies erhob die Kommission auf der Grundlage von Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl. L 281, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1579/86 des Rates vom 23. Mai 1986 (ABl. L 139, S. 29) auf 2 367 000 Tonnen griechischen Getreides eine Mitverantwortungsabgabe.

10 Die KYDEP erhebt gegen die Kommission und den Rat dreierlei Vorwürfe.

11 Der Kommission wirft die KYDEP zunächst vor, das Fernschreiben übersandt zu haben, in dem den nationalen Behörden mitgeteilt werde, daß kein landwirtschaftliches Erzeugnis, das bestimmte Hoechstwerte der Radioaktivität überschreite, als Erzeugnis angesehen werden könne, das die für den Ankauf zur Intervention oder für die Erlangung von Ausfuhrerstattungen erforderlichen Voraussetzungen erfuelle.

12 Die KYDEP trägt hierzu vor, durch das streitige Fernschreiben sei es auf rechtswidrige Weise verboten worden, landwirtschaftliche Erzeugnisse, deren Radioaktivität bestimmte Grenzwerte überschritten habe, zur Intervention anzubieten oder für sie Ausfuhrerstattungen zu gewähren.

13 Für den Fall, daß das Fernschreiben keinen verbindlichen Rechtsakt darstellt, macht die KYDEP geltend, daß die darin enthaltenen Angaben unzutreffend seien und die Wirtschaftsteilnehmer schädigen könnten.

14 Dabei beruft sich die KYDEP auf vier verschiedene Argumente:

° Erstens entbehre das Fernschreiben jeder Rechtsgrundlage.

° Zweitens seien mit dem streitigen Fernschreiben die Grenzen der Befugnisse der Kommission überschritten worden.

° Drittens würden im Fernschreiben die Hoechstwerte der Radioaktivität wiederholt, die der Rat in rechtswidriger Weise in der Verordnung Nr. 1707/86 festgelegt habe und die ihrerseits rechtswidrig seien. Die Verordnung sei insoweit rechtswidrig, weil sie gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstosse und eine fehlerhafte Würdigung der ihr zugrunde liegenden Tatsachen enthalte.

° Viertens verstosse das Fernschreiben gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und der Ausfuhrfreiheit, die sich aus den Artikeln 12 und 21 der Verordnung Nr. 2727/75 und den Artikeln 9, 30, 34 und 110 EWG-Vertrag ergäben.

15 Die KYDEP wirft der Kommission ferner vor, nach dem Unfall in Tschernobyl auf in Griechenland erzeugten Weizen eine Mitverantwortungsabgabe erhoben zu haben, obwohl dieser nicht vermarktungsfähig gewesen sei.

16 Die KYDEP lastet der Kommission und dem Rat schließlich verschiedene Unterlassungen an, und zwar dem Rat, Maßnahmen in bezug auf den Ankauf zur Intervention und auf die Ausfuhrerstattungen nicht oder verspätet getroffen und keine finanzielle Unterstützung für das infolge des Unfalls in Tschernobyl kontaminierte griechische Getreide vorgesehen zu haben, und der Kommission, mit der Unterbreitung eines Vorschlags für eine dauerhafte Regelung über die radioaktive Kontamination von Nahrungsmitteln zu lange gewartet zu haben.

17 Die KYDEP beantragt daher,

° die Klage für zulässig zu erklären;

° den Rat und die Kommission als Gesamtschuldner wegen der Handlungen oder Unterlassungen, für die diese Organe verantwortlich sind und die im ersten Teil der Klageschrift im einzelnen dargelegt werden, zur Zahlung des sich aus dem zweiten Teil der Klageschrift ergebenden Betrags von 46 642 266 903 DR zuzueglich Zinsen zu dem in Griechenland geltenden Satz von 34 % von der Zustellung der Klageschrift bis zum Tag der Zahlung zu verurteilen;

° den Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

18 Der Rat der Europäischen Union und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beantragen, die Klage als unbegründet abzuweisen und der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zu den Grundprinzipien der ausservertraglichen Haftung

19 Nach ständiger Rechtsprechung ist die ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft nach Artikel 215 Absatz 2 EWG-Vertrag an das Zusammentreffen mehrerer Voraussetzungen geknüpft: Das den Gemeinschaftsorganen vorgeworfene Verhalten muß rechtswidrig sein, es muß ein Schaden eingetreten sein, und zwischen dem Verhalten und dem behaupteten Schaden muß ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (siehe u. a. Urteil vom 7. Mai 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-258/90 und C-259/90, Pesquerias de Bermeo und Naviera Laida/Kommission, Slg. 1992, I-2901, Randnr. 42).

20 Daher ist zunächst die Rechtswidrigkeit des den Organen vorgeworfenen Verhaltens zu prüfen.

Zur Rechtswidrigkeit des dem Rat und der Kommission vorgeworfenen Verhaltens

21 Wie bereits in den Randnummern 10 bis 16 des vorliegenden Urteils dargelegt wurde, beziehen sich die von der KYDEP vorgetragenen Klagegründe zunächst auf das Fernschreiben der Kommission, ferner auf die Erhebung der Mitverantwortungsabgabe und schließlich auf verschiedene Unterlassungen des Rates und der Kommission.

I. Zum Fernschreiben der Kommission

A. Zur Verbindlichkeit des Fernschreibens

22 Die KYDEP macht geltend, bei dem streitigen Fernschreiben handele es sich um einen Rechtsakt, durch den die Mitgliedstaaten rechtswidrigerweise gezwungen worden seien, landwirtschaftliche Erzeugnisse, deren Radioaktivität bestimmte Grenzwerte überschritten habe, nicht zur Intervention zuzulassen und für sie keine Ausfuhrerstattungen zu gewähren.

23 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

24 Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 8. Juni 1994 in der Rechtssache C-371/92 (Ellinika Dimitriaka, Slg. 1994, I-0000, Randnr. 17) entschieden hat, stellt das streitige Fernschreiben keinen Akt dar, der für die Mitgliedstaaten verbindlich ist. Es enthält nur die Auslegung des in der Verordnung (EWG) Nr. 1569/77 der Kommission vom 11. Juli 1977 über das Verfahren und die Bedingungen für die Übernahme von Getreide durch die Interventionsstellen (ABl. L 174, S. 15) sowie in der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 der Kommission vom 29. November 1979 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 317, S. 1) vorkommenden Begriffs des gesunden und handelsüblichen und zur menschlichen Ernährung geeigneten Erzeugnisses durch die Kommission.

25 Diese Auslegung ist nicht bindend und weder für die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten noch ° a fortiori ° für die einzelnen verbindlich. Bei dem Fernschreiben handelt es sich folglich nicht um einen Rechtsakt der Kommission, durch den es verboten wurde, landwirtschaftliche Erzeugnisse, deren Radioaktivität bestimmte Grenzwerte überschritt, zur Intervention anzubieten oder für sie Ausfuhrerstattungen zu gewähren.

26 Es ist jedoch einzuräumen, daß das streitige Fernschreiben, auch wenn es keine Bindungswirkung besaß, die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten dazu veranlassen konnte, es abzulehnen, landwirtschaftliche Erzeugnisse, deren Radioaktivität bestimmte Grenzwerte überschritt, zur Intervention anzukaufen oder für sie Ausfuhrerstattungen zu gewähren. Die Mitgliedstaaten konnten nämlich befürchten, daß ihnen, wenn sie die von der Kommission im streitigen Fernschreiben gegebene Auslegung ausser acht lassen würden, die Erstattung ihrer für die betreffenden landwirtschaftlichen Erzeugnisse getätigten Ausgaben durch den EAGFL verweigert würde.

27 Daher sind die Klagegründe zu prüfen, die mit der angeblichen Unvereinbarkeit des Fernschreibens der Kommission mit dem Gemeinschaftsrecht zusammenhängen.

B. Zur angeblichen Unvereinbarkeit des Inhalts des Fernschreibens mit dem Gemeinschaftsrecht

1. Zur Rechtsgrundlage des Fernschreibens

28 Hierzu trägt die KYDEP erstens vor, das Fernschreiben der Kommission entbehre jeder Rechtsgrundlage, obwohl eine solche angesichts der entscheidenden Auswirkungen, die das Fernschreiben auf das Verhalten der griechischen Behörden gehabt habe, unabdingbar sei.

29 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

30 Die Kommission besitzt nämlich als Hüterin des Gemeinschaftsrechts und mit der Verwaltung des EAGFL betraute Stelle die Befugnis, die Mitgliedstaaten auf die von ihnen anzuwendenden Gemeinschaftsvorschriften hinzuweisen und im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit den nationalen Verwaltungen ihre eigene Auslegung dieser Vorschriften zu geben.

31 Die KYDEP ist zweitens der Ansicht, daß mit dem streitigen Fernschreiben die Grenzen der Befugnisse der Kommission überschritten worden seien, soweit darin die in der Verordnung Nr. 1707/86 für die Einfuhren landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern in die Gemeinschaft festgelegten Hoechstwerte der Radioaktivität für anwendbar auf den Ankauf zur Intervention und die Gewährung von Ausfuhrerstattungen erklärt worden seien.

32 Auch dieses Vorbringen, mit dem die von der Kommission im Fernschreiben vorgenommene Auslegung angegriffen wird, ist zurückzuweisen.

33 Wenn die für den Ankauf zur Intervention und die Gewährung von Ausfuhrerstattungen zulässigen Hoechstwerte der Radioaktivität noch nicht in einer Verordnung festgelegt worden sind, ist es angebracht, zur Einstufung eines landwirtschaftlichen Erzeugnisses als gesund und handelsüblich im Sinne der Verordnung Nr. 1569/77 die für die Einfuhr dieses Erzeugnisses in die Gemeinschaft bestehenden Werte anzuwenden. Die Gefahr, die von kontaminierten Erzeugnissen für die menschliche Gesundheit ausgeht, hängt nämlich nicht davon ab, in welcher Weise diese Erzeugnisse in den Handelsverkehr gelangen.

2. Zur Gültigkeit der Verordnung Nr. 1707/86

34 Die KYDEP trägt drittens vor, die Kommission habe in ihrem Fernschreiben die vom Rat in der Verordnung Nr. 1707/86 festgelegten Hoechstwerte der Radioaktivität übernommen, die ihrerseits rechtswidrig seien.

35 Die KYDEP stellt dadurch mittelbar die Gültigkeit der Verordnung Nr. 1707/86 in Frage. Sie beruft sich dabei auf drei verschiedene Argumente: erstens einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag, zweitens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und drittens eine fehlerhafte Würdigung der der Verordnung Nr. 1707/86 zugrunde liegenden Tatsachen.

a. Zum angeblichen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag

36 Nach Ansicht der KYDEP hat der Rat dadurch gegen das in Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag aufgestellte Diskriminierungsverbot verstossen, daß er in der Verordnung (EWG) Nr. 3955/87 vom 22. Dezember 1987 Hoechstwerte der Radioaktivität von 370 Bq/kg für Milch und von 600 Bq/kg für alle anderen betroffenen Erzeugnisse festgelegt, in der Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 vom selben Tag dagegen für zukünftige Unfälle höhere Hoechstwerte, nämlich 1 000 Bq/kg für Milcherzeugnisse und 1 250 Bq/kg für andere Nahrungsmittel, zugelassen habe. Für diesen Unterschied gebe es keine objektive Rechtfertigung.

37 Dieses Argument ist unbegründet. Wie der Rat und die Kommission nämlich zu Recht vorgetragen haben, haben die beiden Verordnungen vom 22. Dezember 1987 unterschiedliche Inhalte und Ziele.

38 Während die Verordnung Nr. 3955/87 speziell die Folgen des Unfalls in Tschernobyl betraf und für diesen konkreten Fall die Hoechstwerte der Radioaktivität festlegte, wurde durch die Verordnung Nr. 3954/87 ein auf Dauer angelegtes System geschaffen, das es der Gemeinschaft erlaubt, bei zukünftigen Nuklearunfällen oder anderen Notstandssituationen Hoechstwerte der Radioaktivität festzulegen. Wie sich aus den Artikeln 2 Absatz 1 und 3 Absatz 4 dieser Verordnung ergibt, handelt es sich bei den im Anhang genannten Zahlen um subsidiäre Hoechstwerte, die vorläufig, d. h. bis zum Erlaß eines Beschlusses gelten, durch den von Fall zu Fall genaue Hoechstwerte der Radioaktivität festgelegt werden.

39 Da die beiden Verordnungen vom 22. Dezember 1987 unterschiedliche Sachverhalte betreffen, konnten die subsidiären Hoechstwerte in der Verordnung Nr. 3954/87 ohne Verstoß gegen Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 höher angesetzt werden als die spezifischen Hoechstwerte in der Verordnung Nr. 3955/87.

b. Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit

40 Die KYDEP vertritt die Ansicht, es sei dadurch gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstossen worden, daß die in der Verordnung Nr. 1707/86 festgelegten Hoechstwerte der Radioaktivität (370 Bq/kg für Milch und 600 Bq/kg für alle anderen betroffenen Erzeugnisse einschließlich Getreide) über das hinausgegangen seien, was zur Erreichung des Ziels dieser Verordnung, die Gesundheit der Verbraucher in der Gemeinschaft zu schützen, erforderlich gewesen sei.

41 Der Rat räumt ein, daß die wissenschaftlichen Überlegungen auf dem Gebiet der minimalen Referenzwerte für eine im Hinblick auf die Gesundheit der Verbraucher tragbare Kontaminierung zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung Nr. 1707/86 noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Der Erlaß dieser Verordnung und die Festlegung vorläufiger Hoechstwerte seien jedoch dringend geboten gewesen, um der schweren Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung in der Gemeinschaft zu begegnen, die von den Einfuhren von Nahrungsmitteln mit Ursprung in Drittländern ausgegangen sei.

42 Im übrigen seien bei der Festlegung der Hoechstwerte in der Verordnung Nr. 1707/86 in Ermangelung internationaler Normen über die Hoechstwerte der Radioaktivität in Nahrungsmitteln alle damals verfügbaren Informationen herangezogen worden, darunter insbesondere Gutachten von nationalen Sachverständigen für Radioaktivität und Nahrungsmittel, die Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) und die Richtlinien der US Food and Drug Administration. Die Kommission weist darauf hin, daß die von ihr vorgeschlagenen und in die Verordnung Nr. 1707/86 aufgenommenen Hoechstwerte ebenfalls auf der Grundlage aller verfügbaren wissenschaftlichen Informationen und unter Berücksichtigung der Reaktionen der öffentlichen Meinung und der Staatsorgane sowohl in den einzelnen Mitgliedstaaten als auch in den Drittländern aufgestellt worden seien. Im übrigen seien diese Werte anschließend von allen Mitgliedstaaten für den innergemeinschaftlichen Handel sowie von zwanzig Drittländern übernommen worden.

43 Die KYDEP hat keinen Nachweis dafür erbracht, daß die in der Verordnung Nr. 1707/86 festgelegten Hoechstwerte tatsächlich strenger waren, als es der Schutz der Gesundheit der Verbraucher erforderte. Ihr Vorbringen ist vielmehr allgemein gehalten und enthält keinen wissenschaftlichen oder sonstigen Gesichtspunkt, der die Behauptung des Rates und der Kommission, daß diese Werte den zum Zeitpunkt des Nuklearunfalls in Tschernobyl verfügbaren tatsächlichen und wissenschaftlichen Daten voll und ganz entsprochen hätten, entkräften könnte.

44 Unter diesen Umständen ist die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit nicht dargetan worden, so daß dieses Argument ebenfalls zurückzuweisen ist.

c. Zum Argument einer offensichtlich fehlerhaften Tatsachenwürdigung

45 Die KYDEP macht schließlich geltend, daß die in Artikel 3 der Verordnung Nr. 1707/86 festgelegten Hoechstwerte aus zwei Gründen auf einer offensichtlich fehlerhaften Tatsachenwürdigung beruhten. Erstens bezögen sie sich nur bei Milch und nicht bei Getreide und anderen Erzeugnissen auf den Einzelhandel. Zweitens werde die Radioaktivität des Weizens am Perikarp (der Hülle um den Samen) gemessen, obwohl er nicht unmittelbar für die menschliche Ernährung bestimmt sei, sondern zuvor zu Weizenmehl verarbeitet werden müsse. Die Radioaktivität innerhalb des Korns sei aber nur halb so groß wie die an der Oberfläche gemessene. Unter diesen Umständen werde das Mehl offensichtlich viel günstiger behandelt als der Weizen.

46 Die Kommission und der Rat wenden sich gegen diese Argumentation. Die Kommission führt dazu aus, bei Milcherzeugnissen müssten die Hoechstwerte für eine der letzten Handelsstufen festgelegt werden, da die Milch bei ihrer Verarbeitung konzentriert und ihr Wasser entzogen werde, was dazu führe, daß die Radioaktivität bezogen auf dieselbe Menge des Erzeugnisses steige. Die für Kleinkinder bestimmten Lebensmittel müssten ebenfalls einer strengeren Regelung unterworfen werden. Bei anderen als Milcherzeugnissen seien die Verarbeitungsmethoden und Verwendungsmöglichkeiten so zahlreich, daß es nicht möglich sei, die beim Enderzeugnis zulässige Radioaktivität im voraus unter Bezugnahme auf den Ausgangsstoff festzulegen. Der Grenzwert von 600 Bq/kg habe jedenfalls nur für Grunderzeugnisse gegolten. Später seien andere Maßnahmen für die Verarbeitungserzeugnisse erlassen worden, die insoweit vermarktungsfähig gewesen seien, als ihre Radioaktivität abgenommen habe.

47 Die KYDEP trägt nichts vor, was die tatsächlichen Angaben der Kommission entkräften könnte, sondern beschränkt sich darauf, ihre abweichende Auffassung mit allgemeinen Worten zu äussern. Eine solche Argumentation reicht nicht aus, um nachzuweisen, daß die Gemeinschaftsorgane bei der Würdigung des Sachverhalts, der der Verordnung Nr. 1707/86 zugrunde liegt, einen Fehler begangen haben. Das dritte Argument ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

48 Da keines der drei gegen die Gültigkeit der Verordnung Nr. 1707/86 vorgebrachten Argumente begründet ist, ist das Fernschreiben der Kommission nicht etwa deshalb rechtswidrig, weil darin die Hoechstwerte der Radioaktivität übernommen wurden.

Zum angeblichen Verstoß gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und der freien Ausfuhr

49 Die KYDEP trägt viertens vor, daß die Kommission durch die Übersendung des Fernschreibens gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und der freien Ausfuhr verstossen habe, die sich aus den Artikeln 12 und 21 der Verordnung Nr. 2727/75 und den Artikeln 9, 30, 34 und 110 EWG-Vertrag ergäben.

50 Hierzu ist festzustellen, daß die Grundsätze des freien Warenverkehrs und der freien Ausfuhr Beschränkungen unterworfen werden können, die dem Gesundheitsschutz dienen sollen.

51 Dies ist bei dem fraglichen Fernschreiben der Fall. Die in der Verordnung Nr. 1707/86 festgesetzten Hoechstwerte der Radioaktivität für zur menschlichen Ernährung bestimmte Nahrungsmittel, auf die in dem streitigen Fernschreiben verwiesen wird, bezwecken nämlich den Schutz der Gesundheit der Verbraucher. Im übrigen ergibt sich schon aus den oben angestellten Erwägungen, daß diese Hoechstwerte auf einem Niveau festgelegt worden sind, das zur Erreichung dieses Zwecks unabdingbar ist.

52 Nach alledem sind die von der KYDEP vorgebrachten Argumente gegen die in dem streitigen Fernschreiben enthaltene Auslegung nicht begründet.

II. Zur Erhebung einer Mitverantwortungsabgabe

53 Die KYDEP wirft der Kommission vor, nach dem Unfall in Tschernobyl auf 2 367 000 Tonnen griechischen Getreides eine Mitverantwortungsabgabe erhoben zu haben, obwohl dieses Getreide nicht vermarktungsfähig gewesen sei. Durch diese Abgabe sei Griechenland gegenüber anderen Staaten der Gemeinschaft im Getreidesektor diskriminiert worden.

54 Gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2727/75 in der Fassung der Verordnung Nr. 1579/86 erfolgt die Erhebung der Mitverantwortungsabgabe bei Getreidearten, die durch erste Verarbeitung, Ankauf durch die Interventionsstellen oder Ausfuhr in Körnerform Verwendung finden.

55 Nach den Angaben der Kommission ist die gesamte griechische Getreideerzeugung von 1986 und 1987, den Jahren, in denen das Radioaktivitätsproblem auftrat, entweder verarbeitet und im Inland verbraucht oder in Körnerform in Drittländer ausgeführt worden. Dies sei deshalb möglich gewesen, weil die Radioaktivität bei der Verarbeitung kontaminierten Getreides erheblich abnehme oder weil es mit anderem Getreide vermischt worden sei.

56 Die KYDEP hat dieses tatsächliche Vorbringen der Kommission nicht widerlegt oder auch nur bestritten. Daher ist davon auszugehen, daß das betreffende griechische Getreide tatsächlich in den Vermarktungskreislauf gelangt ist und daß es die Voraussetzungen für die Erhebung der Mitverantwortungsabgabe erfuellt.

57 Unter diesen Umständen ist der auf die Erhebung der Mitverantwortungsabgabe gestützte Klagegrund zurückzuweisen.

III. Zu den angeblichen Unterlassungen des Rates und der Kommission

58 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß Unterlassungen der Gemeinschaftsorgane nur dann die Haftung der Gemeinschaft begründen können, wenn die Organe gegen eine Rechtspflicht zum Tätigwerden verstossen haben, die sich aus einer Gemeinschaftsvorschrift ergibt.

A. Zu den angeblichen Unterlassungen des Rates

59 Die KYDEP trägt zunächst vor, nach den Artikeln 39 Absatz 1 Buchstaben b und c und 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag sowie nach Artikel 8 der Verordnung Nr. 2727/75 in der Fassung der Verordnung Nr. 1579/86 sei der Rat zum Zeitpunkt des Unfalls in Tschernobyl verpflichtet gewesen, Maßnahmen für den Ankauf durch die Interventionsstellen und die Ausfuhrerstattungen zu treffen und eine finanzielle Unterstützung für das infolge des Unfalls in Tschernobyl kontaminierte griechische Getreide vorzusehen. Dadurch, daß der Rat solche Maßnahmen nicht oder verspätet getroffen habe, habe er gegen diese Bestimmungen verstossen und einen Fehler begangen, der die ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft auslösen könne.

1. Zum angeblichen Verstoß gegen Artikel 39 Absatz 1 Buchstaben b und c EWG-Vertrag

60 Die KYDEP trägt vor, der Rat habe dadurch, daß er zum Zeitpunkt des Unfalls in Tschernobyl nicht die oben genannten Maßnahmen erlassen habe, gegen zwei in Artikel 39 Absatz 1 Buchstaben b und c EWG-Vertrag genannte Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik im Getreidesektor verstossen, nämlich der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten und die Märkte zu stabilisieren.

61 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß der Rat nach ständiger Rechtsprechung bei der Verwirklichung der verschiedenen in Artikel 39 aufgezählten Ziele über ein weites Ermessen verfügt (Urteil vom 15. September 1982 in der Rechtssache 106/81, Kind/EWG, Slg. 1982, 2885). Bei der Ausübung dieses Ermessens darf der Rat jedoch nicht von Erfordernissen des Allgemeininteresses wie dem Schutz der Verbraucher oder der Gesundheit und des Lebens der Menschen absehen (Urteil vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 68/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, 855, Randnr. 12).

62 In Anbetracht der nach dem Unfall in Tschernobyl bestehenden besonderen Umstände, die zum einen durch die Neuartigkeit und die Schwere der Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher und zum anderen durch das Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse gekennzeichnet waren, die die genaue Einschätzung der Folgen eines solchen Unfalls ermöglicht hätten, konnte der Rat Maßnahmen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik nur nach und nach treffen, sobald er über die Angaben verfügte, die er zur Festsetzung der zulässigen Grenzwerte der Radioaktivität für die Vermarktung der kontaminierten landwirtschaftlichen Erzeugnisse benötigte.

63 Unter diesen Umständen lässt sich aus Artikel 39 keine Verpflichtung des Rates ableiten, sofort nach dem Unfall in Tschernobyl die Vorschriften über den Ankauf durch die Interventionsstellen und die Gewährung von Ausfuhrerstattungen an die gegebene Situation anzupassen.

64 Dieser Vorwurf ist somit zurückzuweisen.

2. Zum angeblichen Verstoß gegen Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag

65 Die KYDEP trägt vor, der Rat habe das griechische Hoheitsgebiet, das von den Folgen des Unfalls in Tschernobyl in viel grösserem Masse betroffen worden sei als die übrige Gemeinschaft, dadurch benachteiligt, daß er keine Sondermaßnahmen zugunsten des griechischen Getreidesektors getroffen habe. Dadurch sei gegen den in Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag aufgestellten Grundsatz verstossen worden.

66 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes liegt eine Diskriminierung vor, wenn gleiche Sachverhalte ungleich oder ungleiche Sachverhalte gleich behandelt werden (Urteile vom 23. Februar 1983 in der Rechtssache 8/82, Wagner, Slg. 1983, 371, Randnr. 18, und vom 26. März 1987 in der Rechtssache 58/86, Coopérative agricole d' approvisionnement des Avirons, Slg. 1987, 1525, Randnr. 15).

67 Im vorliegenden Fall macht die KYDEP geltend, daß sich die Verhältnisse auf dem griechischen Getreidesektor von denen in der übrigen Gemeinschaft unterschieden hätten, beide Sachverhalte aber gleich behandelt worden seien.

68 Diesem Argument kann nicht gefolgt werden. Griechenland war nicht das einzige Gebiet der Gemeinschaft, das vom Unfall in Tschernobyl ernstlich betroffen war. Wie sich aus Zahlen, die die Kommission dem Gerichtshof vorgelegt hat, ergibt, war die Radioaktivität in zwei Gebieten der Gemeinschaft, nämlich in Süddeutschland und in Norditalien, noch höher als in Griechenland. Unter diesen Umständen hat die KYDEP, die keine Zahlen oder anderen Anhaltspunkte vorgetragen hat, aus denen sich etwa ergäbe, daß die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, insbesondere Weizen, in Griechenland stärker kontaminiert waren als in der übrigen Gemeinschaft, nicht nachgewiesen, daß eine besondere Situation vorlag, aufgrund deren die Gemeinschaftsorgane zum Erlaß von Sondermaßnahmen hätten verpflichtet sein können.

69 Daher ist der auf den Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag gestützte Vorwurf zurückzuweisen.

3. Zum angeblichen Verstoß gegen Artikel 8 der Verordnung Nr. 2727/75

70 Die KYDEP trägt schließlich vor, in Anbetracht der besonderen Probleme der griechischen Erzeuger und Händler sei der Rat verpflichtet gewesen, in Anwendung von Artikel 8 der Verordnung Nr. 2727/75 in der Fassung der Verordnung Nr. 1579/86 besondere Interventionsmaßnahmen zu treffen und eine besondere finanzielle Unterstützung zu gewähren, um die Folgen des Unfalls in Tschernobyl auszugleichen.

71 Auch dieser Vorwurf ist zurückzuweisen.

72 In Artikel 8 der Verordnung Nr. 2727/75 in der Fassung der Verordnung Nr. 1579/86 heisst es:

"(1) Wenn es die Marktlage in bestimmten Gebieten der Gemeinschaft erfordert, können besondere Interventionsmaßnahmen beschlossen werden.

..."

73 Von dieser durch Artikel 8 der Verordnung Nr. 2727/75 gebotenen Möglichkeit hat die Kommission in der Verordnung Nr. 2751/88, die gerade besondere Interventionsmaßnahmen für Hartweizen in Griechenland enthält, tatsächlich Gebrauch gemacht.

74 Hinsichtlich der Gewährung einer besonderen finanziellen Unterstützung genügt die Feststellung, daß der Rat, wie er selbst zutreffend ausführt, weder nach dem Vertrag noch nach der Verordnung Nr. 2727/75 verpflichtet ist, finanzielle Maßnahmen zum unmittelbaren Ausgleich von Verlusten zu treffen, die Erzeuger durch Naturkatastrophen oder sonstige aussergewöhnliche Ereignisse erleiden.

75 Aus diesen Erwägungen folgt, daß die drei Vorwürfe zurückzuweisen sind, die die KYDEP zum Beweis einer angeblichen Unterlassung des Rates in bezug auf Maßnahmen hinsichtlich des Ankaufs zur Intervention, der Ausfuhrerstattung und einer finanziellen Unterstützung für das infolge des Unfalls in Tschernobyl kontaminierte griechische Getreide erhoben hat.

B. Zu den angeblichen Unterlassungen der Kommission

76 Gleichzeitig wirft die KYDEP der Kommission vor, mit der Unterbreitung eines Vorschlags für eine dauerhafte Regelung über die radioaktive Kontamination von Nahrungsmitteln zu lange gewartet zu haben. Der Rat habe die Kommission auf seiner Tagung vom 30. Mai 1986, auf der die Verordnung Nr. 1707/86 beschlossen worden sei, ersucht, "unverzueglich" Vorschläge für Rechtsnormen auszuarbeiten, die sich u. a. auf die radioaktive Kontamination von Nahrungsmitteln beziehen sollten. Erst dreizehn Monate später, am 2. Juli 1987, habe die Kommission einen Vorschlag vorgelegt, der dann zur Verordnung Nr. 3954/87 geführt habe.

77 Die Kommission bestreitet all dies nicht, vertritt aber die Ansicht, daß dreizehn Monate im vorliegenden Fall angesichts der Kompliziertheit der Materie und der Unterschiede in den Standpunkten der Sachverständigen eine angemessene Frist für die Unterbreitung eines Vorschlags gewesen seien. Sie weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß sie während des fraglichen Zeitraums u. a. ein internationales Symposium mit 100 Sachverständigen aus 27 Ländern und Vertretern der zuständigen internationalen Organisationen durchgeführt habe, um die zur Festsetzung der zulässigen nationalen Hoechstwerte der Radioaktivität erforderlichen wissenschaftlichen Daten zu sammeln.

78 In Anbetracht der Kompliziertheit und des technischen Charakters der fraglichen Materie sowie des geringen Umfangs der wissenschaftlichen Erkenntnisse, über die die Kommission zum Zeitpunkt des Unfalls in Tschernobyl in bezug auf die zulässigen Hoechstwerte der Radioaktivität in Nahrungsmitteln verfügte ° Schwierigkeiten, die die KYDEP nicht bestritten hat °, kann ein Zeitraum von dreizehn Monaten für die Unterbreitung eines Vorschlags für eine dauerhafte Gemeinschaftsregelung nicht als übermässig lang angesehen werden. Ein solches Verhalten kann daher nicht die Haftung der Gemeinschaft begründen.

79 Die von der KYDEP zum Beweis einer angeblichen Unterlassung der Kommission erhobenen Vorwürfe sind somit ebenfalls zurückzuweisen.

80 Nach alledem erweist sich im vorliegenden Fall weder ein Handeln noch eine angebliche Unterlassung des Rates oder der Kommission als rechtswidrig.

81 Da die erste Voraussetzung, an die die ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft nach Artikel 215 Absatz 2 EWG-Vertrag geknüpft ist, nicht vorliegt, ist die Klage insgesamt abzuweisen, ohne daß die übrigen Voraussetzungen dieser Haftung, nämlich der Eintritt eines Schadens und das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Verhalten der Organe und dem behaupteten Schaden, geprüft zu werden brauchen.

Kostenentscheidung:

Kosten

82 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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