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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.05.2008
Aktenzeichen: C-147/06
Rechtsgebiete: Richtlinie 93/37/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 93/37/EWG Art. 30 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

15. Mai 2008

"Öffentliche Bauaufträge - Vergabeverfahren - Ungewöhnlich niedrige Angebote - Modalitäten des Ausschlusses - Bauaufträge mit einem Auftragswert unterhalb der in den Richtlinien 93/37EWG und 2004/18/EG vorgesehenen Schwellenwerte - Pflichten des öffentlichen Auftraggebers, die sich aus den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts ergeben"

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen C-147/06 und C-148/06

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Consiglio di Stato (Italien) mit Entscheidungen vom 25. Oktober 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 2006, in den Verfahren

SECAP SpA (C-147/06),

gegen

Comune di Torino,

Beteiligte:

Tecnoimprese Srl,

Gambarana Impianti Snc,

ICA Srl,

Cosmat Srl,

Consorzio Ravennate,

ARCAS SpA,

Regione Piemonte,

und

Santorso Soc. coop. arl (C-148/06)

gegen

Comune di Torino,

Beteiligte:

Bresciani Bruno Srl,

Azienda Agricola Tekno Green Srl,

Borio Giacomo Srl,

Costrade Srl,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Achten Kammer G. Arestis in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin R. Silva de Lapuerta und der Richter E. Juhász (Berichterstatter), J. Malenovský und T. von Danwitz,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der SECAP SpA, vertreten durch F. Videtta, avvocato,

- der Santorso Soc. coop. arl, vertreten durch B. Amadio, L. Fumarola und S. Bonatti, avvocati,

- der Comune di Torino, vertreten durch M. Caldo, A. Arnone und M. Colarizi, avvocati,

- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von D. Del Gaizo und F. Arena, avvocati dello Stato,

- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma als Bevollmächtigten,

- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-C. Gracia als Bevollmächtigte,

- der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriauciunas als Bevollmächtigten,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und P. van Ginneken als Bevollmächtigte,

- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,

- der slowakischen Regierung, vertreten durch R. Procházka als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis und D. Recchia als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. November 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 30 Abs. 4 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54) in der durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 (ABl. L 328, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 93/37) und der Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts über die Vergabe öffentlicher Aufträge.

2 Diese Ersuchen sind im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der SECAP SpA (im Folgenden: SECAP) bzw. Santorso Soc. coop. arl (im Folgenden: Santorso) und der Comune di Torino wegen der Frage vorgelegt worden, ob eine italienische Rechtsvorschrift, die bei öffentlichen Bauaufträgen mit einem Wert, der unter dem in der Richtlinie 93/37 festgelegten Schwellenwert liegt, den automatischen Ausschluss von als ungewöhnlich niedrig angesehenen Angeboten vorsieht, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Die Richtlinie 93/37 gilt gemäß ihrem Art. 6 Abs. 1 Buchst. a "für öffentliche Bauaufträge, deren geschätzter Auftragswert ohne Mehrwertsteuer mindestens dem Gegenwert von 5 000 000 Sonderziehungsrechten (SZR) in [Euro] entspricht".

4 Art. 30 ("Zuschlagskriterien") der Richtlinie 93/37 in Abschnitt IV ("Gemeinsame Teilnahmebestimmungen") Kapitel 3 ("Zuschlagskriterien") sieht Folgendes vor:

"(1) Bei der Erteilung des Zuschlags wendet der öffentliche Auftraggeber folgende Kriterien an:

a) entweder ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises

b) oder - wenn der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt - verschiedene auf den jeweiligen Auftrag bezogene Kriterien, wie z. B. Preis, Ausführungsfrist, Betriebskosten, Rentabilität oder technischer Wert.

...

(4) Scheinen bei einem Auftrag Angebote im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrig, so muss der öffentliche Auftraggeber vor der Ablehnung dieser Angebote schriftlich Aufklärung über die Einzelposten der Angebote verlangen, wo er dies für angezeigt hält; die anschließende Prüfung dieser Einzelposten erfolgt unter Berücksichtigung der eingegangenen Erläuterungen.

Der öffentliche Auftraggeber kann Erläuterungen bezüglich der Wirtschaftlichkeit des Bauverfahrens, der gewählten technischen Lösungen, außergewöhnlich günstiger Bedingungen, über die der Bieter bei der Durchführung der Arbeiten verfügt, oder der Originalität des Projekts des Bieters anerkennen.

Wenn die Auftragsunterlagen den Zuschlag auf das niedrigste Angebot vorsehen, muss der öffentliche Auftraggeber der Kommission die Ablehnung von als zu niedrig erachteten Angeboten mitteilen.

..."

5 Art. 30 Abs. 4 der Richtlinie 93/37 wurde in etwas ausführlicherer Art und Weise in Art. 55 ("Ungewöhnlich niedrige Angebote") der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) übernommen. Die Richtlinie 2004/18 stellt gemäß ihrem ersten Erwägungsgrund eine Neufassung der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in einem einzigen Text dar und war gemäß ihrem Art. 80 Abs. 1 bis spätestens zum 31. Januar 2006 in das nationale Recht der Mitgliedstaaten umzusetzen.

6 Der Grund für den automatischen Ausschluss von Angeboten, die im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen, ergibt sich aus dem ersten Absatz des 46. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2004/18, wonach "[d]ie Zuschlagserteilung auf der Grundlage objektiver Kriterien erfolgen [sollte], die ... sicherstellen, dass die Angebote unter wirksamen Wettbewerbsbedingungen bewertet werden. Dementsprechend sind nur zwei Zuschlagskriterien zuzulassen: das des 'niedrigsten Preises' und das des 'wirtschaftlich günstigsten Angebots'." Diese beiden Zuschlagskriterien werden in Art. 30 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 93/37 und in Art. 53 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2004/18 genannt.

Nationales Recht

7 Die Richtlinie 93/37 wurde durch das Gesetz Nr. 109 (Legge quadro in materia di lavori pubblici, Rahmengesetz für öffentliche Bauaufträge) vom 11. Februar 1994 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 41 vom 19. Februar 1994) in das italienische Recht umgesetzt.

8 Art. 21 Abs. 1bis dieses Gesetzes in der auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 109/94) lautet:

"Werden öffentliche Bauaufträge mit einem Auftragswert, der mindestens einem Gegenwert von 5 Millionen SZR in Euro entspricht, nach dem Kriterium des niedrigsten Preises gemäß Abs. 1 vergeben, so bewertet die betroffene Verwaltung die Ungewöhnlichkeit der Angebote im Sinne des Art. 30 der Richtlinie 93/37 ... in Bezug auf alle Angebote, die einen Preisnachlass aufweisen, der dem arithmetischen Mittel der prozentualen Preisnachlässe aller zugelassenen Angebote entspricht oder darüber liegt, mit Ausnahme von aufgerundet 10 % der Angebote, die den jeweils niedrigsten bzw. höchsten Preisnachlass beinhalten, zuzüglich der mittleren arithmetischen Differenz der prozentualen Preisnachlässe, die das zuvor genannte Mittel übersteigen.

Die Angebote sind mit Belegen zu den wichtigsten in der Ausschreibung oder im Aufforderungsschreiben angegebenen Preisbestandteilen zu unterbreiten, die zusammen mindestens 75 % des als Richtwert festgelegten Auftragspreises entsprechen. Die Ausschreibung oder das Aufforderungsschreiben müssen die Modalitäten für die Vorlage der Belege aufführen und auch angeben, welche Belege gegebenenfalls für die Ordnungsmäßigkeit der Angebote erforderlich sind. Reicht die Prüfung der verlangten und eingereichten Belege nicht aus, um Unstimmigkeiten des Angebots auszuschließen, wird der Bieter aufgefordert, die Belege zu ergänzen. Über einen Ausschluss von der Ausschreibung kann erst nach Abschluss der anschließenden kontradiktorischen Prüfung entschieden werden.

Nur bei öffentlichen Bauaufträgen, deren Wert unterhalb der Gemeinschaftsschwelle liegt, schließt die Verwaltung Angebote mit einem prozentualen Preisnachlass, der dem gemäß Unterabs. 1 dieses Absatzes ermittelten Nachlass entspricht oder darüber liegt, automatisch von der Vergabe aus. Das Verfahren des automatischen Ausschlusses ist nicht anwendbar, wenn weniger als fünf gültige Angebote vorliegen."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9 SECAP nahm im Dezember 2002 an einer öffentlichen Ausschreibung der Comune di Torino für die Vergabe eines öffentlichen Bauftrags mit einem geschätzten Auftragswert von 4 699 999 Euro teil. Zum Zeitpunkt dieser Ausschreibung lag der Schwellenwert für die Anwendung der Richtlinie 93/37 gemäß deren Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bei 6 242 028 Euro. Santorso nahm an einer ähnlichen Ausschreibung vom September 2004 mit einem geschätzten Auftragswert von 5 172 579 Euro teil. Zu diesem Zeitpunkt lag der Schwellenwert für die Anwendung der Richtlinie 93/37 bei 5 923 624 Euro. Demnach lag der geschätzte Auftragswert in beiden Fällen unter dem jeweiligen Schwellenwert für die Anwendung der Richtlinie 93/37.

10 In den Bekanntmachungen der Comune di Torino über die genannten Ausschreibungsverfahren hieß es, dass der Zuschlag nach dem Kriterium des größten Preisnachlasses erteilt werde, wobei ungewöhnlich niedrige Angebote geprüft, jedoch nicht automatisch ausgeschlossen würden. Diese Bekanntmachungen stützten sich auf einen Beschluss der Giunta comunale (Gemeindeausschuss), der vorsah, dass im Einklang mit der Richtlinie 93/37 bei Anwendung des Kriteriums des größten Preisnachlasses auch "ungewöhnlich niedrige" Angebote zu prüfen seien, und zwar auch für Aufträge mit einem Auftragswert unterhalb der Gemeinschaftsschwelle, so dass Art. 21 Abs. 1bis des Gesetzes Nr. 109/94, soweit er einen automatischen Ausschluss ungewöhnlich niedriger Angebote vorsieht, nicht zur Anwendung kam.

11 Die Auswertung der Angebote ergab, dass die Angebote von SECAP und Santorso unter den als "nicht ungewöhnlich" angesehenen Angeboten den ersten Platz einnahmen. Nach Überprüfung der als ungewöhnlich niedrig angesehenen Angebote ließ die Comune di Torino schließlich die Angebote von SECAP und Santorso zugunsten der Angebote anderer Unternehmen unberücksichtigt.

12 SECAP und Santorso fochten diese Entscheidung beim Tribunale amministrativo regionale del Piemonte an und machten geltend, dass das Gesetz Nr. 109/94 dem öffentlichen Auftraggeber die zwingende Verpflichtung auferlege, ungewöhnlich niedrige Angebote auszuschließen, und ihm keinen Handlungsspielraum für die Durchführung einer kontradiktorischen Prüfung einräume.

13 Das genannte Gericht wies mit Urteilen vom 11. Oktober 2004 und 30. April 2005 die Klagen von SECAP und Santorso mit der Begründung ab, dass der öffentliche Auftraggeber nicht zum automatischen Ausschluss ungewöhnlich niedriger Angebote verpflichtet sei, sondern auch überprüfen lassen könne - auch bei Aufträgen mit einem Auftragswert unterhalb der Gemeinschaftsschwelle -, ob der niedrige Preis dieser Angebote möglicherweise anomal sei.

14 SECAP und Santorso legten gegen diese Urteile beim Consiglio di Stato Rechtsmittel ein. Dieser teilt deren Auffassung, dass die Regelung eines automatischen Ausschlusses ungewöhnlich niedriger Angebote zwingend sei, hält jedoch auch das Vorbringen der Comune di Torino nicht für abwegig, die unter Hinweis auf Statistiken geltend macht, dass diese Regelung aufgrund ihrer großen Rigidität die Unternehmen zu geheimen Preisabsprachen verleite, die darauf abzielten, den Ausgang der Vergabeverfahren zu beeinflussen, wodurch sowohl der öffentliche Auftraggeber als auch die übrigen Bieter geschädigt würden, bei denen es sich großenteils um Unternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten handele.

15 Das vorlegende Gericht verweist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der öffentliche Auftraggeber bei Verträgen, die aufgrund ihres Vertragsgegenstands nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinien über öffentliche Aufträge fielen, die grundlegenden Vorschriften des EG-Vertrags, insbesondere das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, zu beachten habe (vgl. insbesondere Urteil vom 7. Dezember 2000, Telaustria und Telefonadress, C-324/98, Slg. 2000, I-10745, Randnr. 60). Ferner verbiete die Rechtsprechung den Mitgliedstaaten die Einführung von Vorschriften, die bei öffentlichen Bauaufträgen mit einem Auftragswert oberhalb der Gemeinschaftsschwelle vorsähen, dass bestimmte, nach einem mathematischen Kriterium ermittelte Angebote ohne Weiteres von der Vergabe ausgeschlossen würden, statt den öffentlichen Auftraggeber zu verpflichten, das in den Gemeinschaftsvorschriften vorgesehene Verfahren der kontradiktorischen Überprüfung anzuwenden (siehe insbesondere Urteil vom 22. Juni 1989, Costanzo, 103/88, Slg. 1989, 1839, Randnr. 19).

16 Der Consiglio di Stato hat aus diesen Gründen und wegen Zweifeln, ob die Regel der kontradiktorischen Überprüfung ungewöhnlich niedriger Angebote als ein gemeinschaftsrechtliches Grundprinzip anzusehen ist, das die Anwendung eventuell entgegenstehender nationaler Vorschriften ausschließt, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die in den beiden Rechtssachen C-147/06 und C-148/06 wörtlich übereinstimmen:

1. Enthält die in Art. 30 Abs. 4 der Richtlinie 93/37/EWG festgelegte Regel oder die in Art. 55 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/18/EG enthaltene entsprechende Regel (falls dieser Artikel einschlägig sein sollte), nach der der öffentliche Auftraggeber bei im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrigen Angeboten vor der Ablehnung dieser Angebote, wo er dies für angezeigt hält, schriftlich Aufklärung über die Einzelposten der Angebote verlangen und diese Einzelposten unter Berücksichtigung der eingegangenen Erläuterungen prüfen muss, ein grundlegendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts?

2. Falls diese Frage verneint werden sollte: Ist die in Art. 30 Abs. 4 der Richtlinie 93/37 festgelegte Regel oder die in Art. 55 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/18 enthaltene entsprechende Regel (falls dieser Artikel einschlägig sein sollte), nach der der öffentliche Auftraggeber bei im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrigen Angeboten vor der Ablehnung dieser Angebote, wo er dies für angezeigt hält, schriftlich Aufklärung über die Einzelposten der Angebote verlangen und diese Einzelposten unter Berücksichtigung der eingegangenen Erläuterungen prüfen muss, auch wenn sie kein grundlegendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts ist, Ausdruck einer impliziten Folge oder eines "abgeleiteten Grundsatzes" des Grundsatzes des Wettbewerbs in Verbindung mit den Grundsätzen der Transparenz der Verwaltung und der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und gilt diese Regel als solche demzufolge unmittelbar und mit Vorrang vor möglicherweise zuwiderlaufenden nationalen Vorschriften, die von den Mitgliedstaaten zur Regelung der Vergabe öffentlicher Aufträge erlassen wurden, die nicht in den unmittelbaren Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen?

17 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. Mai 2006 sind die Rechtssachen C-147/06 und C-148/06 zu gemeinsamem schriftlichem und mündlichem Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

Zu den Vorlagefragen

18 Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts, die auch für die Vergabe öffentlicher Aufträge gelten und in Art. 30 Abs. 4 der Richtlinie 93/37 eine spezifische Ausprägung erfahren haben, einer nationalen Regelung entgegenstehen, die bei Aufträgen, deren Wert unter dem in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie festgelegten Schwellenwert liegt, den öffentlichen Auftraggeber im Fall von mehr als fünf gültigen Angeboten zwingt, solche, die in Anwendung eines in dieser Regelung vorgesehenen mathematischen Kriteriums als ungewöhnlich niedrig im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung angesehen werden, automatisch auszuschließen, ohne dem Auftraggeber die Möglichkeit zu lassen, die Bestandteile dieser Angebote zu überprüfen, indem er die betroffenen Bieter zu entsprechenden Erläuterungen auffordert.

19 Die besonderen, strengen Verfahren in den Gemeinschaftsrichtlinien zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge gelten nur für Verträge, deren Auftragswert den in den jeweiligen Richtlinien ausdrücklich festgelegten Schwellenwert überschreitet (Beschluss vom 3. Dezember 2001, Vestergaard, C-59/00, Slg. 2001, I-9505, Randnr. 19). Diese Richtlinien gelten daher nicht für Aufträge, deren Wert den dort festgelegten Schwellenwert nicht erreicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2008, Kommission/Italien, C-412/04, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 65).

20 Das heißt jedoch nicht, dass diese Aufträge vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ausgenommen sind (Beschluss Vestergaard, Randnr. 19). Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Vergabe von Aufträgen, die aufgrund des Auftragswerts nicht den in den Gemeinschaftsvorschriften vorgesehenen Verfahren unterliegen, sind die Auftraggeber nämlich trotzdem verpflichtet, die grundlegenden Vorschriften des EG-Vertrags und insbesondere das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit einzuhalten (Urteil Telaustria und Telefonadress, Randnr. 60, Beschluss Vestergaard, Randnrn. 20 und 21, Urteile vom 20. Oktober 2005, Kommission/Frankreich, C-264/03, Slg. 2005, I-8831, Randnr. 32, und vom 14. Juni 2007, Medipac-Kazantzidis, C-6/05, Slg. 2007, I-4557, Randnr. 33).

21 Die Anwendung der grundlegenden Vorschriften und der allgemeinen Grundsätze des Vertrags auf die Verfahren zur Vergabe von Aufträgen, deren Wert unter dem Schwellenwert für die Anwendung der Gemeinschaftsrichtlinien liegt, setzt jedoch gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs voraus, dass an diesen Aufträgen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. November 2007, Kommission/Irland, C-507/03, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 29, und vom 21. Februar 2008, Kommission/Italien, Randnrn. 66 und 67).

22 Eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren ist im Licht dieser Überlegungen zu untersuchen.

23 Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass die genannte Regelung den betroffenen öffentlichen Auftraggebern bei der Vergabe von Aufträgen, deren Wert unter dem in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37 vorgesehenen Schwellenwert liegt, dazu zwingt, Angebote, die in Anwendung eines in dieser Regelung vorgesehenen mathematischen Kriteriums als ungewöhnlich niedrig im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung angesehen werden, automatisch auszuschließen, wobei die Vorschrift des automatischen Ausschlusses nur dann nicht zum Zuge kommt, wenn weniger als fünf gültige Angebote vorliegen.

24 Diese Vorschrift, die klar, zwingend und ohne Einschränkungen formuliert ist, nimmt somit den Bietern, die ungewöhnlich niedrige Angebote vorgelegt haben, die Möglichkeit des Nachweises, dass ihre Angebote vertrauenswürdig und ernsthaft sind. Insoweit könnte die in den Ausgangsverfahren fragliche Regelung zu Ergebnissen führen, die mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind, wenn an einem bestimmten Auftrag wegen seiner Eigenarten ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse bestehen kann und dadurch Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten angezogen werden können. Ein Bauauftrag könnte z. B. ein solch grenzüberschreitendes Interesse aufgrund seines geschätzten Werts in Verbindung mit seinen technischen Merkmalen oder dem für die Durchführung der Arbeiten vorgesehenen Ort, der für ausländische Wirtschaftsteilnehmer interessant sein könnte, wecken.

25 Eine derartige Regelung ist zwar, wie der Generalanwalt in den Nrn. 45 und 46 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, an sich objektiv und nicht diskriminierend, doch könnte sie dem allgemeinen Diskriminierungsverbot in Vergabeverfahren von grenzüberschreitendem Interesse zuwiderlaufen.

26 Die Anwendung der Vorschrift des automatischen Ausschlusses von als ungewöhnlich niedrig angesehenen Angeboten auf Aufträge, an denen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, kann nämlich eine indirekte Diskriminierung darstellen, soweit in der Praxis Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden, die aufgrund anderer Kostenstrukturen erhebliche Skalenerträge erzielen können oder sich mit kleineren Gewinnmargen begnügen, um auf dem fraglichen Markt besser Fuß zu fassen, und deshalb in der Lage sind, ein wettbewerbsfähiges und gleichzeitig ernsthaftes und verlässliches Angebot zu machen, das der öffentliche Auftraggeber jedoch wegen der genannten Regelung nicht berücksichtigen könnte.

27 Außerdem kann, wie die Comune di Torino und der Generalanwalt in den Nrn. 43, 46 und 47 seiner Schlussanträge ausgeführt haben, eine solche Regelung zu wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen und Absprachen und sogar zu kollusiven Praktiken zwischen Unternehmen auf nationaler oder örtlicher Ebene führen, die darauf abzielen, die öffentlichen Bauaufträge diesen Unternehmen vorzubehalten.

28 Die Anwendung der Vorschrift des automatischen Ausschlusses von als ungewöhnlich niedrig angesehenen Angeboten auf Aufträge, an denen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, könnte daher Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit nehmen, in einen wirksameren Wettbewerb mit den in dem fraglichen Mitgliedstaat ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zu treten, und beeinträchtigt damit ihren Zugang zum Markt dieses Staates, indem sie die Ausübung der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit behindert, was eine Beschränkung dieser Freiheiten darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Oktober 2002, Payroll u. a., C-79/01, Slg. 2002, I-8923, Randnr. 26; vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France, C-442/02, Slg. 2004, I-8961, Randnrn. 12 und 13, und vom 3. Oktober 2006, Fidium Finanz, C-452/04, Slg. 2006, I-9521, Randnr. 46).

29 Die Anwendung einer solchen Regelung auf Aufträge von eindeutigem grenzüberschreitendem Interesse hindert die öffentlichen Auftraggeber, denen jede Möglichkeit genommen ist, die Zuverlässigkeit und Ernsthaftigkeit von ungewöhnlich niedrigen Angeboten zu prüfen, daran, ihrer Pflicht zur Einhaltung der grundlegenden Vorschriften des Vertrags auf dem Gebiet des freien Verkehrs und des allgemeinen Diskriminierungsverbots nachzukommen, wie es die in Randnr. 20 dieses Urteils angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs gebietet. Es läuft auch dem eigenen Interesse der öffentlichen Auftraggeber zuwider, wenn ihnen diese Prüfungsmöglichkeit genommen wird, da sie die bei ihnen eingereichten Angebote nicht unter den Bedingungen eines wirksamen Wettbewerbs beurteilen und den Auftrag somit nicht nach den auch im öffentlichen Interesse aufgestellten Kriterien des niedrigsten Preises oder des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben können.

30 Grundsätzlich ist es Sache des öffentlichen Auftraggebers, vor der Festlegung der Bedingungen der Vergabebekanntmachung ein etwaiges grenzüberschreitendes Interesse an einem Auftrag zu prüfen, dessen geschätzter Wert unter dem in den Gemeinschaftsvorschriften vorgesehenen Schwellenwert liegt, wobei diese Prüfung der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

31 Es ist jedoch zulässig, in einer nationalen oder örtlichen Regelung objektive Kriterien aufzustellen, die für ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse sprechen. Als ein solches Kriterium kommt insbesondere ein Auftragswert von gewisser Bedeutung in Verbindung mit dem Ort der Ausführung der Arbeiten in Betracht. Auch wäre es möglich, ein solches Interesse auszuschließen, wenn der fragliche Auftrag z. B. eine sehr geringe wirtschaftliche Bedeutung hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juli 2005, Coname, C-231/03, Slg. 2005, I-7287, Randnr. 20). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Grenzen manchmal durch Ballungsräume verlaufen, die sich über das Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten erstrecken, so dass unter solchen Umständen selbst an Aufträgen mit einem niedrigen Auftragswert ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse bestehen kann.

32 Selbst wenn ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, könnte ein automatischer Ausschluss bestimmter Angebote wegen ihres ungewöhnlich niedrigen Preises zulässig sein, wenn eine übermäßig hohe Zahl von Angeboten die Anwendung einer entsprechenden Vorschrift rechtfertigt. In einem solchen Fall könnte der betroffene öffentliche Auftraggeber nämlich gezwungen sein, so viele Angebote einer kontradiktorischen Prüfung zu unterziehen, dass dies seine administrativen Möglichkeiten übersteigen oder durch die Verzögerung, die durch diese Prüfung einträte, die Verwirklichung des Projekts gefährden würde.

33 Unter diesen Umständen könnte eine nationale oder eine örtliche Regelung oder der öffentliche Auftraggeber selbst einen angemessenen Schwellenwert für den automatischen Ausschluss von ungewöhnlich niedrigen Angeboten zu Recht vorsehen. Der in Art. 21 Abs. 1bis Unterabs. 3 des Gesetzes Nr. 109/94 festgelegte Schwellenwert von fünf gültigen Angeboten ist jedoch nicht angemessen.

34 In den Ausgangsverfahren ist es Sache des vorlegenden Gerichts, alle maßgeblichen Gegebenheiten, die beide Märkte betreffen, eingehend zu würdigen, um feststellen zu können, ob in diesen Fällen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse vorhanden ist.

35 Somit ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die grundlegenden Vorschriften des Vertrags über die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit sowie das allgemeine Diskriminierungsverbot einer nationalen Regelung entgegenstehen, die bei Aufträgen, deren Wert unter dem in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37 festgelegten Schwellenwert liegt und an denen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, den öffentlichen Auftraggeber im Fall von mehr als fünf gültigen Angeboten zwingt, solche, die in Anwendung eines in dieser Regelung vorgesehenen mathematischen Kriteriums als ungewöhnlich niedrig im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung angesehen werden, automatisch auszuschließen, ohne dem Auftraggeber die Möglichkeit zu lassen, die Bestandteile dieser Angebote zu überprüfen, indem er die betroffenen Bieter zu entsprechenden Erläuterungen auffordert. Das gilt nicht, wenn eine nationale oder eine örtliche Regelung oder der betreffende öffentliche Auftraggeber für den Fall einer übermäßig hohen Zahl von Angeboten, die den Auftraggeber zwingen würde, so viele Angebote einer kontradiktorischen Prüfung zu unterziehen, dass dies seine administrativen Möglichkeiten übersteigen oder durch die Verzögerung, die durch diese Prüfung einträte, die Verwirklichung des Projekts gefährden würde, einen angemessenen Schwellenwert festlegt, bei dessen Überschreiten ungewöhnlich niedrige Angebote automatisch ausgeschlossen sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

36 Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Die grundlegenden Vorschriften des EG-Vertrags über die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit sowie das allgemeine Diskriminierungsverbot stehen einer nationalen Regelung entgegen, die bei Aufträgen, deren Wert unter dem in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge in der durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 geänderten Fassung festgelegten Schwellenwert liegt und an denen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, den öffentlichen Auftraggeber im Fall von mehr als fünf gültigen Angeboten zwingt, solche, die in Anwendung eines in dieser Regelung vorgesehenen mathematischen Kriteriums als ungewöhnlich niedrig im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung angesehen werden, automatisch auszuschließen, ohne dem Auftraggeber die Möglichkeit zu lassen, die Bestandteile dieser Angebote zu überprüfen, indem er die betroffenen Bieter zu entsprechenden Erläuterungen auffordert. Das gilt nicht, wenn eine nationale oder eine örtliche Regelung oder der betreffende öffentliche Auftraggeber für den Fall einer übermäßig hohen Zahl von Angeboten, die den Auftraggeber zwingen würde, so viele Angebote einer kontradiktorischen Prüfung zu unterziehen, dass dies seine administrativen Möglichkeiten übersteigen oder durch die Verzögerung, die durch diese Prüfung einträte, die Verwirklichung des Projekts gefährden würde, einen angemessenen Schwellenwert festlegt, bei dessen Überschreiten ungewöhnlich niedrige Angebote automatisch ausgeschlossen sind.



Ende der Entscheidung

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