Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.01.2005
Aktenzeichen: C-15/03
Rechtsgebiete: Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung in der Fassung der Richtlinie 87/101/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986, Bundesgesetz vom 6. Juni 1990 über die Abfallwirtschaft (Österreich)


Vorschriften:

Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung in der Fassung der Richtlinie 87/101/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 Art. 1
Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung in der Fassung der Richtlinie 87/101/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 Art. 3
Bundesgesetz vom 6. Juni 1990 über die Abfallwirtschaft (Österreich) § 1 Abs. 2 Ziff. 2
Bundesgesetz vom 6. Juni 1990 über die Abfallwirtschaft (Österreich) § 2 Abs. 5 Ziff. 2
Bundesgesetz vom 6. Juni 1990 über die Abfallwirtschaft (Österreich) § 16 Abs. 3 Ziff. 1
Bundesgesetz vom 6. Juni 1990 über die Abfallwirtschaft (Österreich) § 22 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 27. Januar 2005. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Österreich. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 75/439/EWG - Altölbeseitigung - Vorrang der Behandlung im Wege der Aufbereitung. - Rechtssache C-15/03.

Parteien:

In der Rechtssache C-15/03

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am

14. Januar 2003

,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften , vertreten durch J. Grunwald und M. Konstantinidis als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Republik Österreich , vertreten durch E. Riedl, M. Hauer und E. Wolfslehner als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Republik Finnland , vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

und

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland , vertreten durch K. Manji als Bevollmächtigten im Beistand von M. Demetriou, Barrister, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter C. Gulmann, G. Arestis und J. Kluka,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom

16. September 2004,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

28. Oktober 2004,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung (ABl. L 194, S. 23) in der Fassung der Richtlinie 87/101/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 (ABl. L 42, S. 43) (im Folgenden: Richtlinie) verstoßen hat, dass sie es unterlassen hat, die erforderlichen Maßnahmen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht dafür zu treffen, dass der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt wird, sofern keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstehen.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsregelung

2. Die Richtlinie bezweckt den Schutz der Umwelt gegen nachteilige Auswirkungen des Ableitens und der Behandlung von Altölen. Ihr Artikel 3 sieht vor:

(1) Sofern keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstehen, treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen dafür, dass der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt wird.

(2) Erfolgt aufgrund der in Absatz 1 genannten Sachzwänge keine Aufbereitung des Altöls, so treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jegliches Verbrennen von Altölen nach umweltfreundlichen Verfahren gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie erfolgen kann, soweit dieses Verbrennen technisch, wirtschaftlich und organisatorisch durchführbar ist.

(3) Erfolgt aufgrund der in den Absätzen 1 und 2 genannten Sachzwänge weder die Aufbereitung noch das Verbrennen von Altölen, so treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um ihre schadlose Vernichtung oder kontrollierte Lagerung oder Ablagerung zu gewährleisten.

3. Nach Artikel 1 der Richtlinie wird die Aufbereitung definiert als

jedes Verfahren, bei dem Basisöle durch Raffinerieverfahren von Altölen erzeugt werden und die insbesondere die Trennung der Schadstoffe, der Oxidationsprodukte und der Zusätze in diesen Ölen umfassen.

4. Nach Artikel 2 der Richtlinie 87/101 mussten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus dieser Richtlinie zum 1. Januar 1990 nachzukommen.

Nationale Regelung

5. Die österreichische Regierung notifizierte der Kommission folgende Rechtsinstrumente zur Altölbehandlung:

- Verordnung über die Durchführung des Altölgesetzes (BGBl. Nr. 383/1987);

- Bundesgesetz vom 6. Juni 1990 über die Abfallwirtschaft (Abfallwirtschaftsgesetz, BGBl. Nr. 325/1990, im Folgenden: AWG);

- dieses Gesetz wurde, insbesondere um der Aufbereitung von Altölen Vorrang einzuräumen, durch ein neues Bundesgesetz über die Abfallwirtschaft reformiert, das am 2. November 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. Nr. 102/2002, im Folgenden: AWG 2002).

6. § 1 Absatz 2 Ziffer 2 AWG lautet wie folgt:

Abfälle sind stofflich oder thermisch zu verwerten, soweit dies ökologisch vorteilhaft und technisch möglich ist, die dabei entstehenden Mehrkosten im Vergleich zu anderen Verfahren der Abfallbehandlung nicht unverhältnismäßig sind und ein Markt für die gewonnenen Stoffe oder die gewonnene Energie vorhanden ist oder geschaffen werden kann (Abfallverwertung).

7. § 2 Absatz 5 Ziffer 2 AWG 2002 definiert den Begriff stoffliche Verwertung als

die ökologisch zweckmäßige Behandlung von Abfällen zur Nutzung der stofflichen Eigenschaften des Ausgangsmaterials mit dem Hauptzweck, die Abfälle oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe unmittelbar für die Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten zu verwenden, ausgenommen die Abfälle oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe werden einer thermischen Verwertung zugeführt.

8. Für Altöle sieht § 16 Absatz 3 Ziffer 1 AWG 2002 vor:

Altöle sind einer stofflichen Verwertung... zuzuführen, wenn es technisch möglich ist, aus dem Altöl ein Basisöl zu erzeugen, und dies für den Abfallbesitzer unter Berücksichtigung der jeweils anfallenden Mengen, der Transportwege und der entstehenden Kosten wirtschaftlich zumutbar ist. Werden Altöle einer stofflichen Verwertung zugeführt, so dürfen die dadurch entstandenen Mineralölprodukte nicht mehr als 5 ppm PCB/PCT [polychlorierte Biphenyle/polychlorierte Terphenyle] und nicht mehr als 0,03 vH Halogene - bezogen auf die Masse - enthalten.

9. § 22 Absatz 1 AWG bestimmt:

Eine Verwertung von Altölen ist nur im Sinne einer stofflichen Verwertung (Reinigung, Be- oder Verarbeitung) oder im Sinne einer Energiegewinnung zulässig.

Sachverhalt und Vorverfahren

10. Die Kommission richtete am 17. April 2001 ein Mahnschreiben an die Republik Österreich mit der Begründung, dass die nationalen Behörden es unterlassen hätten, die erforderlichen Maßnahmen dafür zu treffen, dass der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt werde, sofern keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstünden.

11. In seiner Antwort vom 22. Juni 2001 teilte die Republik Österreich der Kommission mit, dass § 22 Absatz 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 1 AWG einen der Intention der Richtlinie entsprechenden Vorrang der Aufbereitung von Abfällen normiere. In dieser Antwort wurde ferner darauf hingewiesen, dass eine Anlage zur Aufbereitung von Altölen in Österreich derzeit nicht vorhanden sei, da das jährliche Mengenaufkommen insgesamt 45 000 Tonnen betrage und somit zu gering sei, um den wirtschaftlichen Betrieb einer derartigen Anlage, der ein Aufkommen von 60 000 bis 80 000 Tonnen erfordere, zu ermöglichen.

12. Die Kommission war jedoch der Meinung, dass das österreichische Recht den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts nicht genüge. Sie richtete daher mit Schreiben vom 21. Dezember 2001 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Österreich, in der sie ausführte, dass die nationalen Behörden es unterlassen hätten, die erforderlichen Maßnahmen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht dafür zu treffen, dass der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt werde, sofern keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstünden, und diesen Mitgliedstaat aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten ab ihrer Zustellung nachzukommen.

13. Die Republik Österreich antwortete auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 18. und 22. März 2002, in denen sie geltend machte, dass der Vorrang der Aufbereitung im Rahmen der Vorschriften des AWG in der geänderten Fassung klargestellt worden sei.

14. Die Kommission war jedoch der Auffassung, dass die Republik Österreich der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht nachgekommen sei. Sie hat daher beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

15. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 17. Juni 2003 sind die Republik Finnland und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Republik Österreich zugelassen worden.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

16. Die Kommission erinnert daran, dass der Vorrang, den die Mitgliedstaaten dem Verfahren der Aufbereitung einzuräumen hätten, von der Richtlinie selbst festgelegt werde, da sich alle anderen Entsorgungsarten für die Umwelt als noch belastender erwiesen als dieses Verfahren.

17. Weder § 1 Absatz 2 Ziffer 2 noch § 22 Absatz 1 AWG begründeten einen Vorrang für die Aufbereitung von Altölen; diese Vorschriften stellten vielmehr die Aufbereitung und die Energiegewinnung, d. h. die Verbrennung von Altölen, auf eine Stufe und höben damit das Rangverhältnis zwischen diesen beiden Verfahren auf.

18. Auch § 16 Absatz 3 Ziffer 1 AWG 2002 begründe keinen Vorrang für die Aufbereitung von Altölen. Diese Vorschrift unterwerfe vielmehr die Aufbereitung zwei einschränkenden Bedingungen, die als solche in der Richtlinie nicht vorgesehen seien, nämlich zum einen dem Kriterium der Zumutbarkeit und zum anderen der Festlegung bestimmter Grenzwerte (5 ppm PCB/PCT und 0,03 % Halogene). Beide einschränkenden Bedingungen seien nicht geeignet, einen Vorrang der Aufbereitung zu begründen oder zu fördern.

19. Durch diese Bedingungen werde die Verantwortung für die Einhaltung des Vorrangprinzips auf den Abfallbesitzer abgewälzt, anstatt diese Verantwortung, wie es die Richtlinie verlange, den staatlichen Stellen aufzuerlegen.

20. Zu dem Vorbringen, die Aufbereitung sei in Österreich aufgrund der geringen dort erzeugten Altölmenge unwirtschaftlich, macht die Kommission geltend, dass die Richtlinie nicht nur für die Mitgliedstaaten mit einem größeren Altölaufkommen gelte, sondern auch für alle anderen Mitgliedstaaten. Im Übrigen sei kein einziges konkretes Argument vorgetragen worden, aus dem hervorginge, warum in Österreich die Aufbereitung von Altöl unwirtschaftlich sein sollte.

21. Wann die Aufbereitung von Altölen wirtschaftlich gewinnbringend betrieben werden könne, hänge von verschiedenen ökonomischen Faktoren ab, von denen die Kapazität der Aufbereitungsanlagen nur einer sei. Zudem ließen die Äußerungen der österreichischen Behörden nicht erkennen, dass diese sich bemüht hätten, geeignete Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Betrieb einer Altölaufbereitungsanlage oder die Inanspruchnahme der Aufbereitungsleistungen anderer Mitgliedstaaten zu schaffen.

22. Nach Ansicht der österreichischen Regierung ist die Verpflichtung aus Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie durch die verschiedenen Vorschriften des AWG umgesetzt worden. Insbesondere die 2002 in Kraft getretenen Änderungen dieses Gesetzes hätten die Vorrangstellung der Aufbereitung von Altöl verdeutlicht. Nach § 16 Absatz 3 Ziffer 1 dieses Gesetzes würden Altöle nämlich einer stofflichen Verwertung, also einer Aufbereitung, zugeführt, soweit dieses Verfahren technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar sei.

23. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie solle die Aufbereitung nur erfolgen, wenn keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge dem entgegenstünden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes seien diese Sachzwänge weit auszulegen und als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anzusehen.

24. Dass diese Sachzwänge nicht von der Situation des Abfallbesitzers herrühren dürften, sei weder der Richtlinie noch der genannten Rechtsprechung zu entnehmen. Die Richtlinie enthalte jedenfalls weder Anhaltspunkte dafür, dass die Mitgliedstaaten selbst das Altöl zu sammeln und aufzubereiten hätten, noch lasse sich ihr entnehmen, dass die betreffenden Sachzwänge nur bei diesen liegen könnten. Vor diesem Hintergrund sei der Begriff Sachzwänge im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie und im Hinblick auf dessen Wirksamkeit in der geänderten Fassung des AWG konkretisiert worden.

25. Zur Frage der Festlegung bestimmter Grenzwerte für das aus der Aufbereitung entstehende Basisöl macht die österreichische Regierung geltend, die Richtlinie selbst gebe diese Werte für das aufbereitete Öl vor. Außerdem hätten die Anforderungen für einen Wiedereinsatz der aufbereiteten Basisöle die Einführung dieser Grenzwerte notwendig gemacht.

26. Aufgrund der anfallenden Mengen sei die Errichtung einer eigenen Anlage zur Aufbereitung des von Dritten übernommenen Altöls unwirtschaftlich. Die Wirtschaftlichkeit der Aufbereitung dieses Altöls hänge nämlich von verschiedenen ökonomischen Faktoren ab, und die Verpflichtung zur Einräumung einer Vorrangstellung für die Altölaufbereitung könne nicht so weit gehen, dass sie von dem Mitgliedstaat verlange, selbst eine unwirtschaftliche Anlage zu errichten, um die Aufbereitung im Inland zu ermöglichen bzw. Abfallbesitzer zur Aufbereitung zu zwingen.

27. Mit der Änderung des AWG habe in diesem Bereich eine Rechtsbereinigung vorgenommen werden sollen, so dass nun auch die innerbetriebliche Altölaufbereitung in dessen Vollzugsbereich falle und nicht nur wie bisher die Altölaufbereitung durch Dritte. Die im nationalen Recht existierende Vorrangstellung der Altölaufbereitung werde u. a. durch die jährlich vorgenommenen Exporte dieser Öle zur Aufbereitung sowie durch einige finanzielle Maßnahmen belegt.

28. Die fin nische Regierung vertritt in ihrem Streithilfeschriftsatz zur Unterstützung der Anträge der Republik Österreich die Auffassung, dass die streitigen österreichischen Rechtsvorschriften einen Vorrang für die Aufbereitung begründeten. Aufgrund des Bestehens der Bedingung der technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Machbarkeit handele es sich jedoch nicht um einen absoluten Vorrang.

29. Die Mitgliedstaaten seien nicht verpflichtet, Einrichtungen zur Altölaufbereitung zu schaffen, da die Rentabilität dieses Verfahrens von verschiedenen Faktoren, wie der Menge des anfallenden Altöls, den Transportwegen, den Herstellungskosten und den Marktverhältnissen, abhänge. Das Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Aufbereitung sei nämlich im Einzelfall unter Berücksichtigung der im jeweiligen Mitgliedstaat bestehenden Verhältnisse zu beurteilen, die sich in ihrer Gesamtheit auf die Voraussetzungen für die Aufbereitung auswirkten.

30. Die Regierung des Vereinigten Königreichs, die ebenfalls als Streithelferin der Republik Österreich auftritt, ist der Ansicht, dass § 16 Absatz 3 AWG 2002 Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie ordnungsgemäß umsetze. Insbesondere schreibe die nationale Regelung den Besitzern von Altöl vor, dieses im Wege der Aufbereitung zu behandeln.

31. Das AWG verschaffe dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in korrekter Weise Geltung, indem es Besitzer von Altöl zu dessen Behandlung im Wege der Aufbereitung verpflichte, sofern dies nicht technisch unmöglich oder für sie wirtschaftlich unzumutbar sei. Die Mitgliedstaaten kämen den sich aus einer Richtlinie ergebenden Verpflichtungen nämlich ordnungsgemäß nach, wenn sie die Rechte und Pflichten von Privatpersonen oder Unternehmen im innerstaatlichen Recht regelten.

32. Artikel 3 Absatz 1 verlange zwar, dass die Mitgliedstaaten, soweit es im Hinblick auf das angestrebte Ziel angemessen sei, Maßnahmen auf makroökonomischer Ebene träfen, um der Aufbereitung Vorrang einzuräumen und alle in Bezug auf diese bestehenden Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die Reichweite dieser Verpflichtung variiere jedoch je nach den Umständen in den einzelnen Mitgliedstaaten, und ihre Form hänge von der Art der in dem betreffenden Staat bestehenden Sachzwänge ab.

33. Schließlich seien die in Österreich produzierten geringen Altölmengen und die Tatsache, dass dieser Mitgliedstaat keine Aufbereitungsanlage besitze, relevante Faktoren, die dieser Staat bei der Bewertung der wirtschaftlichen Sachzwänge für die Aufbereitung und des Umfangs seiner Verpflichtung nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie berücksichtigen könne.

Würdigung durch den Gerichtshof

34. Einleitend ist festzustellen, dass die Reform des AWG, die durch das zweite Gesetz über die Abfallwirtschaft und insbesondere die Änderungen des § 16 Absatz 3 dieses Gesetzes bewirkt wurde, erst am 2. November 2002 in Kraft getreten ist, d. h. nach Ablauf der Frist von zwei Monaten, die der Republik Österreich in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, um ihren Verpflichtungen nachzukommen.

35. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung jedoch anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde (vgl. u. a. Urteile vom 4. Juli 2002 in der Rechtssache C-173/01, Kommission/Griechenland, Slg. 2002, I-6129, Randnr. 7, und vom 10. April 2003 in der Rechtssache C114/02, Slg. 2003, I3783, Randnr. 9).

36. Das Vorbringen der Republik Österreich, dass der Vorrang der Aufbereitung von Altölen im Rahmen der Reform des AWG verdeutlicht worden sei, kann vom Gerichtshof daher nicht berücksichtigt werden.

37. Zur Rechtslage vor der Reform des AWG im Jahr 2002 ist festzustellen, dass die einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften, wie der Generalanwalt in Nummer 45 seiner Schlussanträge zu Recht bemerkt, keinen rechtlichen Kontext bilden, der geeignet ist, den Vorrang der Aufbereitung zu gewährleisten. Sie erlauben nämlich die Beseitigung von Altölen durch die Verwertung oder die Energiegewinnung, stellen somit die Aufbereitung und die Verbrennung auf die gleiche Stufe und verkennen auf diese Weise die in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie festgelegte Rangordnung.

38. Zum Vorbringen der Republik Österreich, dass die Einrichtung von Aufbereitungsanlagen in ihrem Staatsgebiet unwirtschaftlich sei und dass daher nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtungen der betroffenen Mitgliedstaaten je nach den dort bestehenden konkreten Verhältnissen anzupassen seien, ist daran zu erinnern, dass, wie der Gerichtshof in den Randnummern 35 und 43 seines Urteils vom 9. September 1999 in der Rechtssache C-102/97 (Kommission/Deutschland, Slg. 1999, I5051) entschieden hat, eines der Hauptziele der Richtlinie darin bestand, der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang einzuräumen. Ginge man davon aus, dass die in einem Mitgliedstaat bestehende technische, wirtschaftliche und organisatorische Situation zwangsläufig Sachzwänge begründet, die dem Erlass der in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen entgegenstehen, liefe dies daher darauf hinaus, dass dieser Vorschrift jede praktische Wirksamkeit genommen würde, da die den Mitgliedstaaten auferlegte Verpflichtung durch die Wahrung des Status quo begrenzt wäre und so keine wirkliche Verpflichtung bestünde, die erforderlichen Maßnahmen für eine vorrangige Behandlung der Altöle im Wege der Aufbereitung zu treffen.

39. Zu diesem Vorrang ist außerdem festzustellen, dass, wie der Gerichtshof in den Randnummern 38 und 39 des Urteils Kommission/Deutschland ausgeführt hat, der in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie verwendete Ausdruck der technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge Teil einer Vorschrift ist, die insgesamt die den Mitgliedstaaten auferlegte Verpflichtung zum Ausdruck bringt, und dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dieser Wendung keine begrenzten Ausnahmen von einem normativen Grundsatz aufstellen, sondern den Geltungsbereich und den Inhalt einer positiven Verpflichtung festlegen wollte, den Vorrang der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung zu gewährleisten.

40. Aus alldem folgt, dass die Klage der Kommission begründet ist.

41. Folglich ist festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie verstoßen hat, dass sie es unterlassen hat, die erforderlichen Maßnahmen dafür zu treffen, dass der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt wird, sofern keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

42. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Republik Österreich mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr dem Antrag der Kommission entsprechend die Kosten aufzuerlegen. Nach § 4 dieser Vorschrift tragen die Republik Finnland und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung in der Fassung der Richtlinie 87/101/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 verstoßen, dass sie es unterlassen hat, die erforderlichen Maßnahmen dafür zu treffen, dass der Behandlung von Altölen im Wege der Aufbereitung Vorrang eingeräumt wird, sofern keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstehen.

2. Die Republik Österreich trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Republik Finnland und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

Zurück